Pfändungsfreibetrag bei Unterhaltspflichterfüllung für betreuenden ElternteilLeitsatz Soweit der Barunterhalt eines minderjährigen Kindes gedeckt ist, bedarf der betreuende Elternteil keines gemäß § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO pfändungsfrei zu belassenden Betrags zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten. - A.
Problemstellung Wie ist bei einer Pfändung von Unterhaltsansprüchen der notwendige Unterhalt des Schuldners und der in seinem Haushalt lebenden Unterhaltsberechtigten zu bemessen?
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Schuldner ist Vater einer 2007 geborenen Tochter und eines 2008 geborenen Sohnes. Für beide Kinder leistete das Jugendamt ab August 2013 Unterhaltsvorschuss. Die Ansprüche gegen den Vater sind durch einen Versäumnisbeschluss vom September 2018 tituliert. Im Dezember 2018 wechselte die Tochter in den Haushalt des Schuldners. Beide Kinder beziehen weiterhin Unterhaltsvorschuss. Die Leistungen an die Tochter gehen zusammen mit dem für sie gezahlten Kindergeld auf einem eigens für sie eingerichteten Konto ein. Das Amt vollstreckte aus dem bestehenden Titel die den Sohn des Schuldners betreffenden Unterhaltsrückstände aus der Zeit von August 2013 bis Januar 2020. Auf Antrag des Schuldners hatte das Amtsgericht den pfändungsfreien Betrag für sein Pfändungsschutzkonto zuletzt auf rund 1.132 Euro zuzüglich der Hälfte des diesen Betrag übersteigenden Guthabens zur Befriedigung von Unterhaltsansprüchen der dem Gläubiger gleichstehenden Personen festgesetzt, begrenzt durch den gemäß der Tabelle zu § 850c ZPO pfandfrei verbleibenden Betrag. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers setzte das Landgericht die pfandfreien Beträge herab – zuletzt auf 1.064 Euro zuzüglich der Hälfte des übersteigenden Einkommens bis zu einem Betrag in Höhe des hälftigen Kindergeldes von 102 Euro bzw. 109,50 Euro ab dem 01.01.2021. Zur Begründung stellte es darauf ab, dass es sich bei dem für die Tochter gezahlten Unterhaltsvorschuss im Verhältnis zum Vater um eine nicht subsidiäre Sozialleistung handle, die dieser nicht zurückzahlen müsse. Der Unterhaltsvorschuss sei daher in voller Höhe auf den Bedarf von 497 Euro bzw. 528 Euro anzurechnen. Hingegen sei das Kindergeld gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB nur zur Hälfte auf den Barbedarf anzurechnen, da die zweite Hälfte den betreuenden Elternteil bei der Betreuungsleistung unterstützen solle. Da als Unterhaltsvorschuss nur ein um das volle Kindergeld gekürzter Betrag gezahlt werde, verbleibe in Höhe des halben Kindergeldes eine Deckungslücke. Das Landgericht ließ die Rechtsbeschwerde beschränkt auf die Frage zu, ob und in welchem Umfang Kindergeld und Unterhaltsvorschuss bei der Bestimmung des dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Einkommens anzurechnen seien. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde des Schuldners zurückgewiesen. In seiner Begründung bestätigt der Senat die Auffassung des Landgerichts. Durch den Übergang des Anspruchs auf die Unterhaltsvorschusskasse verliere dieser nicht seinen Charakter als Unterhaltsanspruch. Daher sei der pfändungsfreie Betrag gemäß § 906 Abs. 1 ZPO i.d.F. vom 22.11.2020 (zuvor § 850k Abs. 2, 3 ZPO i.d.F. vom 20.11.2019) durch das Vollstreckungsgericht zu bestimmen. Nach dem Maßstab des § 850d ZPO sei dem Schuldner nur so viel zu belassen, wie er zur Deckung seines notwendigen Unterhalts und des Unterhalts der mit dem Gläubiger gleichstehenden Berechtigten benötige. Allerdings schulde der Vater seiner Tochter nicht den notwendigen Barunterhalt. Denn er komme gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB seiner Unterhaltspflicht bereits durch deren Betreuung in vollem Umfang nach. Er bedürfe für den Barunterhalt auch keiner finanziellen Mittel, da der gezahlte Unterhaltsvorschuss bedarfsmindernd anzurechnen sei. Dass dieser auf ein eigenes Konto der Tochter gezahlt werde, ändere nichts daran, dass dieser Betrag für ihren Lebensbedarf zur Verfügung stehe. Entsprechendes gelte zumindest auch für das zur Hälfte angerechnete Kindergeld. In diesem Umfang sei das Kindergeld in jedem Fall für den Barunterhalt zu verwenden. Die in den Gründen aufgeworfene Frage, ob dies nicht auch für die zweite Hälfte des Kindergeldes gelte, hat der Senat unbeantwortet gelassen, weil der Schuldner insoweit durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert sei.
- C.
Kontext der Entscheidung Dass die auf den Leistungsträger übergegangenen Ansprüche ihren Unterhaltscharakter behalten und dem nach § 850d ZPO erweiterten Pfändungszugriff unterliegen, entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 17.09.2014 - VII ZB 21/13 - FamRZ 2014, 1918 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 21.01.2015 - VII ZB 30/13 - FamRZ 2015, 657). Gleiches gilt für die dem Schuldner auferlegte Beweislast, dass er sich seinen Zahlungspflichten nicht absichtlich entzogen habe, wenn er für länger zurückliegende Ansprüche den erweiterten Pfändungsschutz nach § 850c ZPO in Anspruch nehmen will (BGH, Beschl. v. 21.12.2004 - IXa ZB 273/03 - FamRZ 2005, 440). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht in der bereits 2021 ergangenen Entscheidung steht im Zusammenhang mit der früheren Rechtsprechung des Senats, wonach einem Schuldner der zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderliche Betrag unabhängig von den tatsächlichen Leistungen ungeschmälert verbleiben sollte (BGH, Beschl. v. 05.08.2010 - VII ZB 101/09 - FamRZ 2010, 1654). Nachdem der BGH diese Rechtsprechung 2023 ausdrücklich aufgegeben hat und seitdem Unterhaltspflichten nur in dem Umfang zu berücksichtigen sind, wie sie auch erfüllt oder im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden (BGH, Beschl. v. 18.01.2023 - VII ZB 35/20 - FamRZ 2023, 632), war abzusehen, dass es für die Bemessung des pfandfreien Einkommens nur noch darauf ankommt, welche finanziellen Mittel ein Unterhaltsschuldner aus seinem Einkommen benötigt, damit er seinen weiteren Unterhaltspflichten nachkommen kann. Dass der anstelle des ausbleibenden Unterhalts gezahlte Unterhaltsvorschuss als Kindeseinkommen zu berücksichtigen ist, entspricht seiner Funktion und der allgemeinen Wertung im Sozialrecht (bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende § 11 Abs. 1 SGB II – zu den Umgangskosten BSG, Urt. v. 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R - FamRZ 2009, 2000; BSG, Urt. v. 14.12.2021 - B 14 AS 73/20 R - FamRZ 2022, 1106; Einkommen der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder § 14 Abs. 1 Nr. 21 WoGG; zum BAföG vgl. BVerwG, Urt. v. 27.02.2020 - 5 C 5/19 - FamRZ 2020, 1230; bei der Verfahrenskostenhilfe OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2014 - 10 WF 272/14 - JurBüro 2014, 648). Demgegenüber gelten für das zum Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils gehörende Kindergeld sehr differenzierte Regelungen, nach denen dieses als Mindestbeitrag zum Kindesunterhalt auch dann zu verwenden ist, wenn ein Elternteil ansonsten nicht leistungsfähig ist (BGH, Urt. v. 26.10.2005 - XII ZR 34/03 - BGHZ 164, 375; vgl. auch § 74 EStG); es kann aber auch ganz oder teilweise dem Elterneinkommen zuzurechnen sein (zum Einkommensüberhang in der Grundsicherung für Arbeitsuchende BSG, Urt. v. 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265, BSG, Urt. v. 11.11.2021 - B 14 AS 33/20 R - FEVS 73, 502; zur Verfahrenskostenhilfe BGH, Beschl. v. 14.12.2016 - XII ZB 207/15 - FamRZ 2017, 633; OLG Hamm, Beschl. v. 21.11.2023 - II-6 WF 179/23 - FamRZ 2024, 540). Bei einzelnen familien- bzw. kindbezogenen Leistungen bleibt es hingegen unberücksichtigt (Wohngeld, Kinderzuschlag nach § 6 BKGG).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Bei einem sog. Pfändungsschutzkonto (P-Konto, § 850k ZPO) bleibt ein Guthaben in Höhe des auf volle 10 Euro aufgerundeten Grenzbetrages nach § 850c ZPO pfändungsfrei (§ 899 ZPO), ggf. erhöht um weitere pfandfreie Beträge (§ 902 ZPO). Diese Grenze gilt jedoch nicht bei der Pfändung von Unterhaltsansprüchen (§ 850d ZPO). In diesem Fall ist einem Schuldner nur ein Betrag in Höhe des eigenen notwendigen Unterhalts zu belassen, ggf. zuzüglich der für den Unterhalt vor- bzw. gleichrangig Berechtigter erforderlichen Beträge. Die Höhe des unpfändbaren Guthabens ist anhand der sozialrechtlichen Regelbedarfe und örtlicher Erfahrungswerte im Pfändungsbeschluss festzusetzen. Der Saldo ist pfändbar, soweit dieser den nach § 850f ZPO festgesetzten unpfändbaren Teil des Einkommens übersteigt. Es obliegt dem zuvor nicht angehörten Schuldner, im Wege der Erinnerung auf eine Anpassung an höhere oder zusätzliche Aufwendungen hinzuwirken. Es ist daher zweckmäßig, für Kinder jeweils ein eigenes Konto einzurichten, auf das Unterhalt bzw. Unterhaltsvorschuss, Kindergeld, Kinderzuschlag und ggf. weitere kindbezogene Leistungen fließen. Die Einrichtung eines solchen „Kinderkontos“ empfiehlt sich schon aus Gründen der Übersichtlichkeit; zudem erspart es ansonsten ggf. notwendige Anträge auf Erhöhung des pfandfreien Betrages nach § 902 ZPO. Allerdings ändert der Zahlungsweg weder die rechtliche Zuordnung der dort eingehenden Beträge (vgl. zum Kindergeld BFH, Urt. v. 14.04.2021 - III R 1/20), noch etwas an der Notwendigkeit, die Einnahmen zweckentsprechend für den Kindesunterhalt zu verwenden (§ 1602 BGB). Soweit die eigenen Einnahmen eines Kindes für dessen Unterhalt nicht ausreichen, ist bei der Bestimmung des pfandfreien Saldos auf dem P-Konto dann nur noch ein ggf. verbleibender Differenzbetrag zu berücksichtigen. Die Höhe des unpfändbaren notwendigen Unterhalts (§ 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist nach ständiger Rechtsprechung durch den existenzsichernden Bedarf begrenzt, wie er sich nach den Vorschriften des SGB XII errechnet (BGH, Beschl. v. 18.07.2003 - IXa ZB 151/03 - BGHZ 156, 30, 34; BGH, Beschl. v. 12.12.2007 - VII ZB 38/07 - FamRZ 2008, 877). Die Berechnung war vorliegend zwar nicht Gegenstand der Rechtsbeschwerde und lässt sich daher auch nicht nachvollziehen. Der vorliegende Sachverhalt veranlasst aber zu dem Hinweis, dass auch die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII zum existenzsichernden Bedarf gehören (BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - FamRZ 2010, 429; BVerfG, Beschl. v. 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - FamRZ 2014, 1765; Simon in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. § 30 SGB XII Rn. 18). Liegen die Voraussetzungen vor, sind solche Mehrbedarfe – im konkreten Fall der Mehrbedarf für Alleinerziehende – bei der Bemessung des pfandfreien Betrages in der jeweils gesetzlich vorgegebenen Höhe zu berücksichtigen (vgl. AG Bad Oldesloe, Beschl. v. 26.02.2007 - 5 M 1397/05 für behinderte alte Menschen; nicht berücksichtigt bei Betreuung eines sechsjährigen Kindes LG Bonn, Beschl. v. 10.01.2023 - 4 T 392/22 - NZFam 2023, 855). Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung solcher Mehrbedarfe sind mit der Erinnerung vorzubringen. Der Erwägung, der Vater sei seiner Tochter gegenüber nicht unterhaltspflichtig, weil er seiner Unterhaltspflicht bereits durch die übernommene Betreuung genüge, kann nicht gefolgt werden. Die zur Begründung herangezogene Regel aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB betrifft allein die Lastenverteilung zwischen den Eltern, hat aber keinen Einfluss auf das Eltern-Kind-Verhältnis. Der kindliche Unterhaltsanspruch ist hiervon unabhängig und richtet sich stets gegen beide Elternteile. Dass das Landgericht dem Vater noch einen Betrag in Höhe des hälftigen Kindergeldes pfandfrei belassen hat, wäre nach der strengen Logik des Pfändungsrechts nicht geboten. Die auf § 1612b BGB gestützte Begründung gebietet dies nicht, weil sich die Vorschrift lediglich auf den Kindergeldausgleich zwischen den Eltern bezieht. Gleichwohl mag angesichts der Besonderheiten des Falles das Argument, dem Vater sollten die Mittel zur Verfügung stehen wie bei Leistung des vollen Kindesunterhalts, zu einer sachgerechten Beurteilung führen. Die Unterhaltsvorschusskasse zahlt beiden Kindern laufend Unterhaltsvorschuss und vollstreckt nunmehr gegen einen betreuenden Elternteil Unterhaltsrückstände aus weit zurückliegenden Zeiten. Ein solches Vorgehen ist wiederum geeignet, die sozialstaatlichen Bemühungen zu konterkarieren, ein Aufwachsen von Kindern in Armut möglichst zu vermeiden. Verallgemeinern lassen sich solche Erwägungen indes nicht.
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