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Anmerkung zu:FG München 4. Senat, Urteil vom 17.01.2024 - 4 K 379/21
Autor:Stephanie Linnartz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Erscheinungsdatum:23.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 175 AO 1977, § 3 ErbStG 1974, § 1949 BGB, § 100 FGO, § 1 ErbStG 1974, § 6 ErbStG 1974, § 7 ErbStG 1974, § 10 ErbStG 1974
Fundstelle:jurisPR-FamR 15/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Linnartz, jurisPR-FamR 15/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Erbschaftsteuerliche Folgen einer zivilrechtlich unwirksamen Vermächtnisanordnung des Vorerben



Orientierungssätze

1. Die testamentarische Anordnung von Vermächtnissen durch den Vorerben hinsichtlich des zur Nacherbschaft gehörenden Vermögens ist unwirksam und der Abzug als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG beim Nacherben ist ausgeschlossen.
2. Für die Frage der steuerlichen Anerkennung zivilrechtlich unwirksamer Vermächtnisanordnungen ist es unerheblich, ob (wie auch immer geartete) Beratungsfehler im Rahmen der Testamentserrichtung unterlaufen sind.
3. Revision eingelegt (Az. des BFH: II R 3/24)



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des FG München befasst sich mit dem Problem, ob ein von einem Vorerben angeordnetes Vermächtnis über einen zur Nacherbschaft gehörenden Vermögensgegenstand als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig ist. Dabei wird die erbschaftsteuerliche Anerkennung von Vermächtnissen problematisiert, die zivilrechtlich unwirksam sind, aber dennoch den Willen des Erblassers widerspiegeln.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Kläger sind die Kinder des verstorbenen Klägers (V.), der nach seiner Ehefrau (E.) Alleinerbe wurde.
Aufgrund einer gestaffelten Nacherbschaft erwarb die vorverstorbene E. von ihrer Mutter (M.), welche zugleich Vorerbin der E. und Nacherbin ihrer vorverstorbenen Mutter war, einen 1/18-Anteil an einer Grundstücksverwaltungs-GbR. Diesen Vermögenswert übertrug jedoch M. aufgrund ihrer Vermächtnisanordnung an die Kinder der E.
Nach dem Tod der E. wurde ihr Ehemann V. ihr Alleinerbe. Dieser übertrug daraufhin an seine Kinder den 1/18-Anteil an der GbR, den er durch die Erbschaft der E. (als Nacherbin) erworben hatte.
In einem „Vermächtniserfüllungsvertrag“ zwischen V. und seinen Kindern heißt es, dass die Beteiligten sich darüber einig sind, dass die vorstehenden Vermächtnisse vollständig und endgültig erfüllt wurden, unabhängig inwieweit die vorstehende Vermächtnisanordnung im Einzelfall bindend ist.
Aufgrund der von E. eingereichten Erbschaftsteuererklärung nach ihrer Mutter M. wurde im Jahr 2017 die Erbschaft auf 0 Euro festgesetzt. E. ging davon aus, dass sie durch die direkte Übertragung der GbR-Anteile auf ihre Kinder, aufgrund der Vermächtnisanordnung der M., lediglich den Pflichtteil zu berücksichtigen hat.
Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erließ das Finanzamt 2020 dem V. gegenüber, als Rechtsnachfolger der E., einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid. In diesem wurde der Erwerb aus der Nacherbschaft i.H. der 1/18 Anteile an der GbR berücksichtigt, welches zu einer Erbschaftsteuer von 328.985 Euro führte.
Abbildung
Den fristgerecht eingelegten Einspruch des V. mit der Begründung, es habe aufgrund des Vermächtniserfüllungsvertrages kein steuerpflichtiger Erwerb seiner Frau vorgelegen, wies das Finanzamt zurück. V. erhob daraufhin Klage. Er begründete dies damit, dass das Vermächtnis zwar zivilrechtlich unwirksam sei, aber die erbschaftsteuerliche Anerkennung dennoch zu gewähren sei, da das Vermächtnis tatsächlich durch einen Vermächtniserfüllungsvertrag zwischen dem Vater und den Kindern aus dem Jahr 2017 vollzogen worden sei.
Das FG München hat die Klage abgewiesen.
Die Klage sei zwar zulässig, aber unbegründet. Der Erbschaftsteuerbescheid sei rechtmäßig.
Die E. sei rechtmäßige Nacherbin ihrer Mutter geworden. Daraus ergebe sich ein erbschaftsteuerlicher Erwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 2 ErbStG.
Eine Ausschlagung der Nacherbschaft der E. sei nicht ersichtlich. Vielmehr sei die Nacherbschaft von E. bzw. V., insbesondere auch durch den sog. „Vermächtniserfüllungsvertrag“, angenommen worden.
Ein Irrtum „über das Vorhandensein der Vermächtnisansprüche i.S.d. § 1949 BGB“ sei ebenso nicht ersichtlich.
Eine Einordnung dieses Vermächtnisses als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 ErbStG sei nicht möglich. Eine Erblasserschuld i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG liege nicht vor, weil die Erblasserschulden nicht von dem ursprünglichen Erblasser, dem Großvater der E., stammen. In dessen Todeszeitpunkt habe die streitgegenständliche Verbindlichkeit nicht bestanden und der ursprüngliche Erblasser sei zudem auch nicht wirtschaftlich belastet worden.
Der Tatbestand des § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG sei ebenfalls nicht erfüllt, weil die Übertragung der Anteile nicht unter die Kosten der Bestattung oder ähnlichen Kosten zu fassen sei.
Mangels angeordneten Vermächtnisses des ursprünglichen Erblassers (Großvater) sei auch kein berücksichtigungsfähiges Vermächtnis i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG ersichtlich.
Die von M. verfasste Vermächtnisanordnung sei zivilrechtlich nicht wirksam gewesen, da diese nicht berechtigt gewesen sei, über das Vermögen der Vorerbschaft derart zu verfügen. Zudem sei sich die M. aufgrund der Formulierung bei Errichtung ihres Testamentes der Unwirksamkeit ihrer Vermächtnisanordnung bewusst gewesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Erbschaftsteuerbescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
Grundsätzlich unterliegt der Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dies gilt auch im Rahmen der Vorerbschaft (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Eine Vor- und Nacherbschaft kann auch über mehrere Generationen hinweg angeordnet werden (vgl. Reich in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 6 Rn. 10).
Aufgrund der Betrachtung des Vorerben als erbschaftsteuerlichen (Voll-)Erben (§ 6 Abs. 1 ErbStG) erfolgt der Erwerb durch den Erbfall nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.
Dieser unterliegt ohne Berücksichtigung der Beschränkungen der Erbschaftsteuer (BFH, Urt. v. 01.12.2021 - II R 1/20 - BFHE 275, 355 = BStBl II 2022, 518).
Der Nacherbe ist zivilrechtlich als Rechtsnachfolger des (ursprünglichen) Erblassers anzusehen. Bezüglich der erbschaftsteuerlichen Betrachtung hat der Nacherbe, auf den das Vermögen übergeht, den Erwerb so zu versteuern, als ob er vom Vorerben stammt. Zu beachten ist dabei, dass die Besteuerungsmerkmale im Verhältnis zum Vorerben, nicht im Verhältnis zum ursprünglichen Erblasser anzuwenden sind (vgl. Gottschalk in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 6 Rn. 86).
Somit wird nach § 6 Abs. 1 ErbStG fingiert, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird (vgl. BFH, Urt. v. 31.08.2021 - II R 2/20 Rn. 13 m.w.N. - BFHE 273, 572).
Geht bei dem Tod des Vorerben dessen eigenes Vermögen auf den Nacherben über, handelt es sich um zwei Erbfälle. Erbschaftsteuerlich sind diese zwei Erbfälle jedoch als einheitlicher Erwerb anzuerkennen (vgl. RFH, Urt. v. 16.07.1942 - III 13/42 - RStBl 1942, 935; zu dem § 6 Abs. 2 ErbStG entsprechenden § 7 Abs. 2 ErbStG i.d.F. v. 07.08.1922 - RGBl I 1922, 695; BFH, Urt. v. 02.12.1998 - II R 43/97 - BStBl II 1999, 235 unter II.1.; BFH, Urt. v. 03.11.2010 - II R 65/09 Rn. 14 - BStBl II 2011, 123; BFH, Beschl. v. 28.02.2007 - II B 82/06 - BFH/NV 2007, 919, unter II.1.).
Bezüglich der von den Klägern geltend gemachten Nachlassverbindlichkeiten sind lediglich die in § 10 Abs. 5 ErbStG genannten Tatbestände abzugsfähig. Dabei muss eine Schuldübernahme nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG aus den Schulden des ursprünglichen Erblassers herrühren (BFH, Urt. v. 26.07.2023 - II R 4/21).
Nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG kann der Nacherbe aber neben dem Vorerben den Pauschbetrag für die Erbanfallkosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG geltend machen.
Bei § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG ist umstritten, wie ein zivilrechtliches formunwirksames Vermächtnis erbschaftsteuerlich zu behandeln ist.
Wird eine zivilrechtlich unwirksame Verfügung von Todes wegen ausgeführt, ist die erbschaftsteuerliche Behandlung fraglich. Sie ist erbschaftsteuerlich anzuerkennen, wenn der Beschwerte die Erfüllung des Vermächtnisses mit dem Willen vorgenommen hat, dem letzten Willen des Erblassers zu entsprechen (BFH, Urt. v. 22.09.2010 - II R 46/09 Rn. 8 m.w.N. - BFH/NV 2011, 261; BFH, Urt. v. 28.03.2007 - II R 25/05 Rn. 9 m.w.N. - BStBl II 2007, 461).
Das heißt, der ursprüngliche Erblasser hätte ein zivilrechtlich unwirksames Vermächtnis anordnen müssen, damit eine erbschaftsteuerliche Berücksichtigung des Vermächtnisses als Nachlassverbindlichkeit möglich ist. Würde man die Vermächtnisanordnung eines Dritten, welche zivilrechtlich unwirksam ist, anerkennen, würde das Anwartschaftsrecht des Nacherben auf die Nacherbschaft aus wirtschaftlicher Sicht entwertet werden.
Das FG Münster hält die Grundsätze des BFH zur Berücksichtigung zivilrechtlich unwirksamer Vermächtnisse in diesem Fall somit für nicht anwendbar. Eine Anwendung wäre vorliegend nur denkbar, wenn der ursprüngliche Erblasser ein unwirksames Vermächtnis angeordnet hätte, das erfüllt wurde.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Nach wie vor sind die Grundsätze des BFH zur Berücksichtigung unwirksamer erbrechtlicher Anordnungen zu beachten. Die Entscheidung des FG München konkretisiert dies dahin, dass die unwirksame erbrechtliche Anordnung von dem zur Verfügung berechtigten Erblassern stammen muss. Die Revision ist unter dem Az. II R 3/24 beim BFH anhängig.



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