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Anmerkung zu:BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 10.01.2024 - XII ZB 510/23
Autor:Frank Götsche, RiOLG
Erscheinungsdatum:03.09.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 64 FamFG, § 117 FamFG, § 234 ZPO, § 18 FamFG, § 236 ZPO
Fundstelle:jurisPR-FamR 18/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Götsche, jurisPR-FamR 18/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Entscheidung über Verfahrenskostenhilfe und Zulässigkeit des Rechtsmittels



Leitsatz

Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 04.11.2015 - XII ZB 289/15 - FamRZ 2016, 209).



A.
Problemstellung
Ist bei einem – in unzulässiger Weise eingereichtem – Rechtsmittel zunächst isoliert über einen zugleich gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag zu entscheiden oder kann zugleich das Rechtsmittel verworfen werden?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsgegner legte innerhalb der Beschwerdefrist persönlich Beschwerde zum Oberlandesgericht ein und beantragte hierfür die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Ausweislich der innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der beigefügten Belege sei er als Empfänger von Leistungen nach dem SGB XII nicht in der Lage, die Verfahrenskosten selbst zu tragen. Für das Verfahren herrscht Anwaltszwang.
Das Oberlandesgericht wies den Antragsgegner auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hin. Nachdem der Antragsgegner (wohl) außerhalb der für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Wiedereinsetzung beantragt hatte, verwarf das Oberlandesgericht die Beschwerde als unzulässig bei gleichzeitiger Zurückweisung des Verfahrenskostenhilfegesuchs. Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
Der BGH hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben.
Das Oberlandesgericht hätte zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsgegner – bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und -begründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist – Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren gewesen wäre.
Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt habe, sei bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gelte auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden sei.
Der Antragsgegner habe auch nicht wegen des zuvor ergangenen Hinweises des Oberlandesgerichts auf die Unzulässigkeit der Beschwerde bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einer Versagung von Verfahrenskostenhilfe rechnen müssen. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass bei rechtzeitig gestelltem Verfahrenskostenhilfeantrag zunächst über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden sei (BGH, Beschl. v. 04.11.2015 - XII ZB 289/15 - FamRZ 2016, 209) und er nicht durch eine gleichzeitige Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag und die Verwerfung der Beschwerde rechtlos gestellt würde.


C.
Kontext der Entscheidung
Das Bewilligungsverfahren der Verfahrenskostenhilfe ist anwaltsfrei. Der Antrag kann deshalb auch persönlich gestellt werden. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist (BGH, Beschl. v. 20.07.2005 - XII ZB 31/05 - FamRZ 2005, 1537). Jedoch muss der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe beim Amtsgericht gestellt werden, § 64 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FamFG.
Die Verspätung der Rechtsmitteleinlegung ist wegen Bedürftigkeit entschuldigt, wenn die rechtzeitig beantragte Verfahrenskostenhilfe bewilligt, Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt und die versäumte Verfahrenshandlung wirksam nachgeholt wird. Der Rechtsmittelführer muss aber vernünftigerweise mit der Gewährung der Verfahrenskostenhilfe rechnen dürfen, was regelmäßig gerechtfertigt ist, wenn er Sozialhilfeempfänger nach dem SGB XII ist oder Leistungen nach dem SGB II bezieht oder wenn er bereits erstinstanzlich Verfahrenskostenhilfe erhalten hat (BGH, Beschl. v. 04.11.2015 - XII ZB 289/15 - FamRZ 2016, 209).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Oberlandesgerichte sind gehalten, zunächst über die Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, wenn sie aus einer verspäteten oder versäumten Berufungs- und/oder Beschwerdebegründung Konsequenzen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ziehen wollen. Vorhergehende Hinweise auf die Unzulässigkeit der Beschwerde rechtfertigen die nachfolgende gleichzeitige Entscheidung über die (Ablehnung der) Verfahrenskostenhilfe sowie die (als unzulässig zu verwerfende) Beschwerde nicht.
Nach Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe kann Wiedereinsetzung beantragt werden. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt erst mit Zustellung der Verfahrenskostenhilfeentscheidung zu laufen, § 234 Abs. 2 ZPO (BGH, Beschl. v. 14.05.2014 - XII ZB 689/13 - NJW-RR 2014, 1347), und beträgt regelmäßig zwei Wochen, bei versäumter Begründungsfrist einen Monat (vgl. § 117 Abs. 5 FamFG, § 234 Abs. 1 ZPO für Ehe-/Streitsachen bzw. im Übrigen § 18 Abs. 1 FamFG). Innerhalb dieser Frist ist die versäumte Verfahrenshandlung nachzuholen, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. § 18 Abs. 3 Satz 2 FamFG.



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