Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Erblasser hatte keine letztwillige Verfügung hinterlassen. Er war in einziger Ehe mit der vorverstorbenen Ehefrau verheiratet. Aus der Ehe gingen die Beteiligten zu 1 und zu 3 hervor. Die 1957 geborene Beteiligte zu 2 ist seine nichteheliche Tochter.
Im Alter von 24 Jahren hatte die Beteiligte zu 2 den Erblasser im Klagewege auf vorzeitigen Erbausgleich in Anspruch genommen. Mit gerichtlichem Vergleich vom 29.04.1982 verpflichtete sich der Erblasser zur Abgeltung des Anspruchs und zur Zahlung von 8.000 DM. Die Beteiligten zu 1 und 3 sahen sich als Miterben zu je 1/2. Die Beteiligte zu 2 beantragte dagegen einen Erbschein, der alle drei Beteiligten als Miterben zu je 1/3 ausweist. Die Beteiligte zu 2 meinte, dass der Vergleich vom 29.04.1982 aufgrund der im Mai 2023 gegenüber den Beteiligten zu 1 und 3 erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nichtig sei. Der Erblasser habe die Beteiligte zu 2 bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs über seine tatsächlichen Einkünfte und seine Vermögenslage getäuscht und eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben.
Das Amtsgericht wies den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 zurück und erachtete die zur Erteilung eines Erbscheins der Beteiligten zu 1 und 3 erforderlichen Tatsachen für festgestellt.
Das OLG Karlsruhe hat die zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen.
Sie sei nicht gesetzliche Erbin nach dem Erblasser geworden, § 1934e BGB a.F. Die bis zum 01.04.1998 geltenden Vorschriften der §§ 1934a bis 1934e BGB a.F. über das Erbrecht des nichtehelichen Kindes seien nach Art. 227 Abs. 1 Nr. 2, Alt. 1 EGBGB weiter anzuwenden, wenn vor diesem Zeitpunkt über den Erbausgleich eine wirksame Vereinbarung getroffen worden sei. Der gerichtlich protokollierte Vergleich genüge den Formanforderungen gemäß § 127a BGB, § 1934d Abs. 4 Satz 1 BGB a.F. und sei auch materiell-rechtlich wirksam. Die Beteiligte zu 2 sei zum Abschlusszeitpunkt 24 Jahre alt gewesen, habe mithin das 21., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet gehabt i.S.v. § 1934d Abs. 1 BGB a.F.
Die erklärte Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung sei nach § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Die maßgebliche Anfechtungsfrist sei abgelaufen. Der Vergleich verstoße auch nicht gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Das wäre der Fall, wenn das Rechtsgeschäft im Zeitpunkt seiner Vornahme bzw. des Vertragsschlusses nach seinem Inhalt oder seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße (vgl. BGH, Urt. v. 06.02.2009 - V ZR 130/08 Rn. 10).
Sei das Rechtsgeschäft schon seinem Inhalt nach sittenwidrig, bedürfe es keiner weiteren subjektiven Merkmale in der Person der Beteiligten. Verstoße das Rechtsgeschäft nicht gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, müsse ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, das diesem zum Vorwurf gemacht werden könne. Je nach Einzelfall könne sich die Sittenwidrigkeit bereits aus einem dieser Elemente oder aus einer Kombination mehrerer Elemente und deren Summenwirkung ergeben (BGH, Urt. v. 15.11.2022 - X ZR 40/20 Rn. 18 m.w.N.). Danach sei der Vergleich vom 29.04.1982 weder nach seinem Inhalt noch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der feststellbaren Gesinnung des Erblassers sittenwidrig. Der im Vergleich vereinbarte Zahlbetrag von 8.000 DM orientiere sich am gesetzlichen Maßstab des § 1934d Abs. 2 Satz 1 BGB a.F., wonach sich der Ausgleichsbetrag auf das Dreifache des Unterhalts belaufe, den der Vater dem Kind im Durchschnitt der letzten fünf Jahre, in denen es voll unterhaltsbedürftig war, jährlich zu leisten hatte. Die im Vergleich vom 29.04.1982 vereinbarte Summe von 8.000 DM übersteige diesen Betrag ca. um das 1,5-fache. Greifbare Anhaltspunkte für die Unangemessenheit des vereinbarten Erbausgleichs bestehen daher nicht. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser sie bei Abschluss der Vereinbarung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse getäuscht habe.
Die weitere Entwicklung des Vermögens des Erblassers in den Folgejahren bis zu seinem Tod sei zudem unerheblich, weil sich daraus keine belastbaren Rückschlüsse für Einkommen und Vermögen sowie Leistungsfähigkeit des Erblassers in dem maßgeblichen Zeitraum einerseits sowie bei Abschluss der Vereinbarung über den Erbausgleich am 29.04.1982 andererseits ableiten lasse. Es stelle keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar (§ 242 BGB), wenn sich die Beteiligten zu Ziffer 1 und 3 auf die Rechtsfolgen des Vergleichs vom 29.04.1982 berufen, wonach die Beteiligte zu Ziffer 2 gemäß § 1934e BGB a.F. weder gesetzliche Erbin noch Pflichtteilsberechtigte sei. Die Beteiligten Ziffer 1 und 3 durften auf die Rechtsgültigkeit des Vergleichs vom 29.04.1982 vertrauen. Eine letztwillige Verfügung, mit welcher der Erblasser die Beteiligte zu Ziffer 2 bedacht hätte oder mit welcher der Erblasser sonst zum Ausdruck gebracht hätte, dass er an der mit dem Vergleich geschaffenen Erbrechtslage nicht mehr festhalten will, liege nicht vor.
Es liege auch kein Verstoß gegen Art. 14 i.V.m. Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vor. Der Fall unterscheide sich von dem dem Urteil des EGMR vom 28.05.2009 (3545/04) zugrunde liegenden Fall. Dort sei es darum gegangen, dass nichteheliche Kinder wegen Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19.08.1969 überhaupt nicht am Nachlass ihres Vaters beteiligt worden waren.
Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 5 GG liege nicht vor. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 03.11.1981 (1 BvL 11/77) sei die Regelung zum vorzeitigem Erbausgleich verfassungskonform.