juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 29.10.2024 - II ZR 222/21
Autor:Dr. Carsten Schier, RA
Erscheinungsdatum:28.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 133 BGB, § 157 BGB, § 736 BGB, § 740 BGB, § 740c BGB, § 712a BGB, § 728 BGB, § 2024-01-0 BGBEG §, § 723 BGB
Fundstelle:jurisPR-HaGesR 1/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Jörn-Christian Schulze, RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zitiervorschlag:Schier, jurisPR-HaGesR 1/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auslegung von Fortsetzungsklauseln



Leitsatz

Zur Auslegung einer Fortführungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Gesellschaftsvertragliche Fortsetzungsklauseln sind anhand der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Hierbei kommen dem Wortlaut und der Systematik eine besondere Bedeutung zu. Eine Auslegung, die im Widerspruch zum Wortlaut und zur Systematik der Fortsetzungsklausel steht, bedarf einer dezidierten, tatrichterlichen Würdigung und Begründung.



A.
Problemstellung
Fortsetzungsklauseln sind gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, um eine Fortführung der Gesellschaft trotz gesetzlicher Beendigungsgründe sicherzustellen. Vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) hatten diese Klauseln eine besondere Relevanz für die GbR. § 736 Abs. 1 BGB a.F. sah dispositiv vor, dass bei Kündigung eines Gesellschafters, dessen Tod oder wenn das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet wird, die Gesellschaft aufgelöst ist. Diese Rechtsfolge war für die meisten Gesellschaften unpraktikabel. Abhilfe bot eine Fortsetzungsklausel. Durch sie scheidet der betroffene Gesellschafter bloß aus, und die Gesellschaft wird unter den übrigen Gesellschaftern fortgeführt.
Der BGH musste sich mit der Frage beschäftigen, wie solche Fortsetzungsklauseln auszulegen sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Kläger und Streithelfer waren Gesellschafter einer GbR. Beklagte ist die Bank der damaligen Gesellschafter. Gesellschaftszweck der GbR war der Geschäftsbetrieb einer Rechtsanwaltsgesellschaft. Der Gesellschaftsvertrag vom 08.11.2007 enthielt folgende Fortsetzungsklausel:
„§ 18 Fortführung der Sozietät; Abfindung
(1) Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Sozietät durch die anderen Gesellschafter fortgeführt, soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter können die übrigen Gesellschafter beschließen, die Sozietät fortzuführen. Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zu.“
Der Streithelfer kündigte die Sozietät zum 31.12.2017.
Der Rechtsstreit betraf die Vertretungsberechtigung des Klägers und Streithelfers gegenüber der Beklagten nach Kündigung der Sozietät. Dieser Aspekt soll in der hiesigen Besprechung außen vor bleiben, weil er für die tragenden Entscheidungsgründe unwesentlich ist.
Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beklagte zur Umschreibung der bei ihr geführten Konten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet und er alleinverfügungsberechtigt ist (Antrag a)). Er hat weiter beantragt festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 10.01.2018 mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung in Verzug befindet und zur Erstattung des Verzugsschadens verpflichtet ist (Antrag b)).
Das LG Berlin hat die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat dem Antrag a) stattgegeben und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen.
Das Kammergericht (Urt. v. 25.10.2021 - 26 U 47/19) hat ausgeführt, durch die Kündigung des Streithelfers sei die GbR liquidationslos beendet. Das Gesellschaftsvermögen sei auf den Kläger als letzten Gesellschafter übergegangen. § 18 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrags sehe den Übergang der Anteile des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter ausdrücklich vor. Die Bestimmung, die Gesellschaft könne als Einmanngesellschaft nicht fortgeführt werden, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Klausel sei nicht so zu verstehen, dass dies nicht gelten solle, wenn nur ein Gesellschafter übrigbleibe. Unter „übrige Gesellschafte[r]“ könne auch nur ein Gesellschafter zu fassen sein. Hierfür spreche, dass die Sozietät von Anfang an nur aus zwei Gesellschaftern bestand. Daher sei nicht anzunehmen, die Regelung solle nur bei Aufnahme weiterer Gesellschafter gelten. Aus der Rechtsprechung des BGH ergebe sich, dass unter „Gesellschafter“ auch im Zweifel „ein Gesellschafter“ zu fassen sein kann.
Im Revisionsverfahren begehrt der Kläger mit Antrag b) weiter die Feststellung des Verzugs der Beklagten. Der Streithelfer verfolgt seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Beklagte hat Anschlussrevision erhoben.
Der BGH hat den wechselseitigen Revisionen stattgegeben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Kammergericht habe § 18 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrags rechtsfehlerhaft ausgelegt. Das Auslegungsergebnis des Kammergerichts, der Übergang des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter enthalte keine Einschränkung dahin gehend, dass dies nicht gelte, wenn nur einer „übrig“ bleibe, teilt der BGH nicht.
Die Auslegung eines Vertrags sei im Grundsatz Aufgabe des Tatgerichts. Die Revision beschränke sich in diesen Fällen darauf zu prüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze missachtet wurden oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht. Diesem Maßstab halte die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht stand.
Im Ausgangspunkt folgt der BGH der Entscheidung des Kammergerichts. Die Fortsetzungsklausel führe dazu, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt werde. Das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters habe zur Folge, dass auf diesen das Gesellschaftsvermögen übergehe. Dies betreffe Aktiva und Passiva. Eines Übertragungsaktes oder einer Übernahmeerklärung bedürfe es nicht.
Die Auslegung von § 18 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrags durch das Berufungsgericht verkenne Systematik und Wortlaut der Klausel. Die Auslegung richte sich nach den §§ 133, 157 BGB.
Die Fortführung nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters werde nach § 18 Abs. 1 Satz 1 des Gesellschaftsvertrags davon abhängig gemacht, dass eine Mehrzahl von Gesellschaftern verbleibt. § 18 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrags sei wie folgt zu verstehen: Durch die Verwendung des Begriffs „auch“ werde auf § 18 Abs. 1 Satz 1 des Gesellschaftsvertrags Bezug genommen. Dieser Umstand zeige, dass die Voraussetzung einer Fortführung der Gesellschaft durch mindestens zwei Gesellschafter auch bei einer Fortführung nach Kündigung gelten solle. Außerdem sehe § 18 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrags die Fortsetzung der Gesellschaft durch die „übrigen“ Gesellschafter vor. Damit seien mehrere Gesellschafter gemeint.
§ 18 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrags könne – anders als das Kammergericht entschieden hat – nicht isoliert betrachtet werden. Die Vertragsbestimmung setzte ebenfalls den Verbleib von mindestens zwei Gesellschaftern voraus. Die Rechtsfolge, dass der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern zuwächst, setze die Fortsetzung der Gesellschaft nach den Sätzen 1 oder 2 des Gesellschaftsvertrags voraus. Dieses Auslegungsergebnis stützt der BGH auf den Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 3 des Gesellschaftsvertrags. Die Klausel verwende ebenfalls die Mehrzahl („den übrigen Gesellschaftern“).
Ein vermeintlich klarer Wortlaut bilde allerdings keine Grenze für die Vertragsauslegung. Ob es Umstände gibt, die für eine andere Auslegung sprechen, sei bislang nicht festgestellt. Dies habe das Berufungsgericht bei der erneuten Verhandlung zu ermitteln. Der BGH stellt schließlich klar, dass es – entgegen dem Kammergericht – keine Auslegungsregel des BGH gebe, wonach „Gesellschafter“ auch im Zweifel „einen Gesellschafter“ meine. Dies sei eine Frage des Einzelfalls.


C.
Kontext der Entscheidung
§ 723 Abs. 1 BGB sieht für die rechtsfähige GbR nunmehr vor, dass die in § 736 Abs. 1 BGB a.F. genannten Ereignisse nur zum Ausscheiden des Gesellschafters führen, wenn nicht der Gesellschaftsvertrag eine Auflösung der Gesellschaft vorsieht (Grundsatz der Verbandskontinuität). Es gilt also von Gesetzes wegen nun der Grundsatz nach altem Recht in umgekehrter Form. Einer Fortsetzungsklausel bedarf es bei der rechtsfähigen GbR grundsätzlich nicht mehr.
Wiederum entspricht bei der nicht rechtsfähigen Gesellschaft (§§ 740 ff. BGB) das Bedürfnis einer Fortsetzungsklausel der alten Rechtslage, vgl. § 740c Abs. 1 BGB. Zur Fortführung der GbR bedarf es in diesem Fall weiterhin einer Fortsetzungsklausel.
§ 712a BGB bestimmt erstmals die Rechtsfolgen, wenn der vorletzte Gesellschafter einer rechtsfähigen GbR ausscheidet. Der verbleibende Gesellschafter wird Gesamtrechtsnachfolger des Gesellschaftsvermögens, d.h. aller Aktiva und Passiva. Die GbR selbst ist liquidationslos beendet. § 712a Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt zugleich, dass eine Ein-Personen-GbR von Rechts wegen ausgeschlossen ist.
In Art. 229 § 61 EGBGB findet sich eine Übergangsvorschrift zu den §§ 723 bis 728 BGB a.F. wieder. Danach sind diese Vorschriften des alten Rechts weiter anzuwenden, wenn ein Gesellschafter bis zum 31.12.2024 die Anwendung dieser Vorschriften gegenüber der Gesellschaft schriftlich verlangt, bevor innerhalb dieser Frist ein zur Auflösung der Gesellschaft oder zum Ausscheiden eines Gesellschafters führender Grund eintritt. Dieses Verlangen kann durch einen Gesellschafterbeschluss zurückgewiesen werden. Allerdings gilt Art. 229 § 61 EGBGB nur, wenn der Gesellschaftsvertrag keine Fortsetzungsklausel nach altem Recht enthält („mangels anderweitiger vertraglicher Vereinbarung“). Das ist nachvollziehbar, schließlich entspricht die Rechtsfolge einer solchen Klausel dem nunmehr geltenden Gesetzesrecht (instruktiv: Schäfer in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2025, Art. 229 EGBGB § 61 Rn. 3).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BGH gibt vor, wie Fortsetzungsklauseln in Gesellschaftsverträgen auszulegen sind. Dies hat nach Inkrafttreten des MoPeG vor allem dann noch eine Relevanz, wenn das alte Recht der BGB-Gesellschaft anwendbar ist. Zudem sind die Auslegungsgrundsätze auf die nicht-rechtsfähige GbR anwendbar. Bei ihr kommt die Vereinbarung einer Fortsetzungsregelung weiterhin in Betracht (Lieder in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 740c Rn. 2).
Die Grundsätze zur Auslegung von Fortsetzungsklauseln dürften auch auf sog. Ausscheidensklauseln übertragbar sein. Gemeint ist damit die vertragliche Vereinbarung, entgegen der gesetzlichen Rechtsfolge in § 723 Abs. 1 BGB die Auflösung vorzusehen. Der Regelungsbereich ist derselbe. Lediglich die Rechtsfolge ist diametral.
In jedem Fall verdeutlicht die Entscheidung des BGH, dass bei der Formulierung solcher Klauseln Vorsicht geboten ist. Ist eine Fortsetzungsklausel hinsichtlich Voraussetzungen oder Rechtsfolge unklar formuliert, kann die Auslegung womöglich zu nicht gewünschten Ergebnissen führen. Das Urteil hat damit vor allem Signalwirkung für die kautelarjuristische Praxis.



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