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Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 16.07.2024 - II ZR 71/23
Autoren:Dr. Nina Leonard, RA'in und FA'in für Handels- und Gesellschaftsrecht,
Dr. Juliane de Oliveira Hagel, RA'in
Erscheinungsdatum:27.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 52 GmbHG, § 45 GmbHG, § 16 GmbHG, § 256 ZPO, § 243 AktG, § 241 AktG, § 15 GmbHG, § 39 GmbHG, § 46 GmbHG, § 53 GmbHG, § 54 GmbHG
Fundstelle:jurisPR-HaGesR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Jörn-Christian Schulze, RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zitiervorschlag:Leonard/de Oliveira Hagel, jurisPR-HaGesR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nichtigkeit von gegen die in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung verstoßenden Gesellschafterbeschlüssen



Leitsätze

1. Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, sind lediglich anfechtbar.
2. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung ist keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die von einer unzuständigen Gesellschafterversammlung gefasst werden und nicht der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung entsprechen, sind anfechtbar, jedoch nicht automatisch nichtig, sofern keine zwingenden Vorschriften zur Kompetenzverteilung verletzt werden. Ein Beschluss über die Abberufung eines Geschäftsführers, der von einer aufgrund der Satzung unzuständigen Gesellschafterversammlung getroffen wird, muss nicht die formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung erfüllen.



A.
Problemstellung
Das Urteil ist eine von mehreren Entscheidungen, die rund um die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA ergangen sind. Diese sind insbesondere deshalb öffentlichkeitswirksam, weil die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA die derzeit am Spielbetrieb der zweiten Fußballbundesliga teilnehmende Fußballmannschaft Hannover 96 unterhält.
Im vorliegenden Fall beschäftigt sich der BGH mit der Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses, der durch einen Verein als Alleingesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) gefasst wurde. Die GmbH ist wiederum Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA.
Der streitgegenständliche Gesellschafterbeschluss wurde gefasst, obwohl dadurch die satzungsmäßigen Kompetenzen der Gesellschafterversammlung überschritten wurden. Er wurde zudem unter Missachtung von vertraglichen Stimmrechtsbindungen gefasst. In der vorliegenden Entscheidung war zentral, ob diese Kompetenzüberschreitung und der Verstoß gegen die vertraglichen Stimmrechtsbindungen (a) lediglich zur Anfechtbarkeit oder (b) gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog) zur Nichtigkeit des Beschlusses führen, da der Beschluss möglicherweise nicht mit dem Wesen einer GmbH vereinbar ist. Darüber hinaus setzt sich der BGH damit auseinander, ob sittenwidriges Verhalten gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) vorliegt (und deshalb ein Nichtigkeitsgrund zu bejahen wäre), insbesondere durch die Gefährdung von Interessen Dritter, die selbst keine Anfechtungsbefugnis besitzen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die beklagte B.-GmbH hat als einzigen Gesellschafter den H. Verein e.V. (nachfolgend der „Verein“). Der Kläger ist als Geschäftsführer der B.-GmbH im Handelsregister eingetragen. Die B.-GmbH ist Komplementärin der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA (nachfolgend die „KGaA“). Alleinige Kommanditaktionärin der KGaA ist die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG (nachfolgend die „Sales & Service KG“). Die Mehrheitskommanditistin der Sales & Service KG ist wiederum die M.-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war.
Die B.-GmbH hat einen fakultativen Aufsichtsrat. Laut der Satzung der B.-GmbH wird der Aufsichtsrat aus vier Mitgliedern gebildet, von denen zwei Mitglieder vom Aufsichtsrat der KGaA bestimmt, die anderen zwei von dem Verein entsendet werden. Es liegt bei dem Aufsichtsrat, die Geschäftsführer der B.-GmbH zu bestellen und abzuberufen.
Am 23.08.2019 vereinbarten der Verein, die KGaA und die Sales & Service KG in der als Hannover-96-Vertrag bezeichneten Vereinbarung unter anderem, dass (i) der Verein die Satzung der B.-GmbH nicht ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Sales & Service KG ändern darf und (ii) die Sales & Service KG (vermittelt über den Aufsichtsrat der B.-GmbH) Mitentscheidungsrechte bei der Geschäftsführerbestellung und -abberufung besitzt (nachfolgend der „Stimmbindungsvertrag“).
Am 25.07.2022 beschloss der Verein in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung, den Geschäftsführer der B.-GmbH mit einem als „satzungsdurchbrechend“ bezeichneten und notariell beurkundeten Beschluss abzuberufen. Der Geschäftsführer klagte daraufhin gegen diesen Beschluss und beantragte die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses.
Das LG Hannover gab der Klage statt. Das OLG Celle wies die hiergegen eingelegte Berufung der B.-GmbH zurück und bestätigte die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog). Der streitgegenständliche Beschluss sei nicht lediglich anfechtbar, sondern nichtig. Die Nichtigkeit des Beschlusses resultiere aus der Kompetenzüberschreitung durch die Gesellschafterversammlung der B.-GmbH und dem Verstoß gegen den Stimmbindungsvertrag.
Eine gesonderte Durchsetzung der vertraglichen Verpflichtung, das durch die Stimmrechtsbindung vorgegebene Ergebnis herbeizuführen, sei eine „unnötige Förmelei“. Es gäbe keinen Grund, stimmbindungswidrig überstimmte Gesellschafter auf den umständlichen Weg einer Klage gegen ihre Mitgesellschafter zu verweisen, um einen solchen Beschluss aufzuheben. Dies gelte auch, wenn – wie hier – die verbleibenden Vertragspartner keine Gesellschafter sind. Es komme noch hinzu, dass bei bloßer Anfechtbarkeit des Beschlusses der Kompetenzverstoß innergesellschaftlich ungestraft bliebe, da der Verein Alleingesellschafter ist.
Darüber hinaus stellte das Berufungsgericht fest, dass der Beschluss sittenwidrig und daher gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) nichtig sei, da er die vertragliche Zustimmungspflicht der Sales & Service KG für Satzungsänderungen nach dem Stimmbindungsvertrag verletze. Diese Handlung wurde durch das Berufungsgericht als besonders treuwidrig gewertet, da sich der Verein – so das Berufungsgericht – der vertraglichen Bindung bewusst war und absichtlich die satzungsmäßige Kompetenzverteilung umging.
II. Der BGH hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Beschluss über die Abberufung des Klägers ist danach wirksam. Im Einzelnen:
1. Keine Nichtigkeit des Beschlusses gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog)
Der BGH führt in seiner Entscheidung aus, dass ein Beschluss, der gegen die in der Satzung festgelegte, jedoch nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstößt, lediglich anfechtbar und nicht nach den §§ 241 ff. AktG (analog) nichtig ist.
a) Keine Nichtigkeit des Beschlusses aufgrund der Verletzung grundlegender Strukturprinzipien des GmbH-Rechts
Im Gegensatz zur Anfechtbarkeit eines Beschlusses wegen Gesetzes- oder Satzungsverstößen (vgl. § 243 Abs. 1 AktG) erfordere die Nichtigkeit eines Beschlusses nach § 241 Nr. 3 AktG (analog) eine Verletzung grundlegender Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Diese Strukturprinzipien sind – so der BGH – im GmbHG und in den allgemeinen Merkmalen des GmbH-Rechts niedergelegt und stehen nicht zur Disposition der Gesellschafter.
Das Wesen einer GmbH i.S.d. § 241 Nr. 3 AktG (analog) ergebe sich dabei nicht aus den jeweiligen individuellen Satzungsregelungen, weil das Wesen der GmbH durch das GmbHG und die abstrakt-generellen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts geprägt sei. Zu solchen abstrakt-generellen Strukturmerkmalen könne zwar auch die Satzungsautonomie als solche gehören, die einzelnen Regelungen in der Satzung seien davon jedoch nicht erfasst.
Der Abberufungsbeschluss des Vereins sei mit den grundlegenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts vereinbar, da § 52 Abs. 1 GmbHG dem fakultativen Aufsichtsrat nicht automatisch die Kompetenz zur Abberufung der Geschäftsführer übertrage. Diese Kompetenz liege vielmehr gemäß den §§ 45 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG grundsätzlich bei der Gesellschafterversammlung.
Der BGH stellt in seiner Entscheidung weiter klar, dass auch Stimmbindungsverträge nicht zu den wesentlichen Strukturprinzipien des GmbH-Rechts gehören. Gesellschafter können laut BGH zwar außerhalb der Satzung Vereinbarungen treffen, um sich in der Gesellschafterversammlung auf bestimmte Abstimmungsregeln festzulegen, jedoch binden solche Verträge in erster Linie die Vertragsparteien untereinander. Der BGH hebt hervor, dass zwischen der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene zu unterscheiden ist. Ein Verstoß gegen einen Stimmbindungsvertrag tangiere primär die schuldrechtliche Ebene und führe daher nicht automatisch zur Nichtigkeit des Beschlusses. Streitigkeiten über die Rechtsfolgen eines solchen Verstoßes müssen – so der BGH – zwischen den Beteiligten untereinander geklärt werden.
Die Verletzung tragender Strukturprinzipien des GmbH-Rechts lasse sich schließlich nicht aus dem vom Berufungsgericht angenommenen kumulativen Verstoß sowohl gegen die Satzung als auch gegen den Stimmbindungsvertrag ableiten.
b) Keine Nichtigkeit des Beschlusses aufgrund prozesswirtschaftlicher Erwägungen
Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Beschluss aus prozesswirtschaftlichen Erwägungen materiell-rechtlich als nichtig betrachtet werden müsse. Es könne nicht der Schluss von der Unanfechtbarkeit auf die Nichtigkeit gezogen werden. Der BGH betont, dass es keine Grundlage gibt, die Nichtigkeit eines Beschlusses allein aufgrund der Verletzung eines Stimmbindungsvertrags abzuleiten. Ein schuldrechtlicher Zustimmungsvorbehalt sei nicht gesellschaftsrechtlicher Natur, da die aus dem Zustimmungsvorbehalt Berechtigte (hier die Sales & Service KG) außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses stehe. Daher müsse die Berechtigte aus dem Zustimmungsvorbehalt ihre Ansprüche gegen den Verpflichteten auch außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses durchsetzen.
In seiner Entscheidung erläutert der BGH weiter, dass für Nichtgesellschafter die Anfechtungsklage zur Durchsetzung ihrer Ansprüche grundsätzlich nicht möglich ist. Gemäß § 16 GmbHG stehe das Anfechtungsrecht ausschließlich Gesellschaftern zu. Ein schuldrechtlicher Zustimmungsvorbehalt könne nicht mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden, wenn – wie vorliegend – der Begünstigte außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses stehe. Nichtgesellschaftern bliebe lediglich der Weg über eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO, um die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung feststellen zu lassen. Die allgemeine Feststellungsklage diene jedoch nur dazu, die Nichtigkeit festzustellen, nicht jedoch die Nichtigkeit erst zu begründen. Zudem überdehne die Auffassung des Berufungsgerichts den Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse. Da nichtige Beschlüsse von Anfang an keine Rechtswirkung entfalten und die Nichtigkeit von jedermann geltend gemacht werden könne, würden sich schuldrechtliche Pflichtverletzungen sonst unabhängig vom Willen des Begünstigten und zugunsten von Personen auswirken, die – wie der Geschäftsführer – weder an dem Stimmbindungsvertrag beteiligt seien noch sonst daraus Ansprüche ableiten könnten.
c) Keine Nichtigkeit des Beschlusses aufgrund innergesellschaftlicher Sanktionen
Die Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses könne auch nicht damit begründet werden, dass andernfalls dem Verein keine innergesellschaftlichen Sanktionen drohten. Ein solcher Schluss lasse sich nicht mit § 243 Nr. 3 AktG (analog) vereinbaren, da Verstöße gegen die Satzung nicht automatisch zur Nichtigkeit des Beschlusses führen. Es existiere zudem kein Rechtssatz, aus dem zu schließen wäre, dass eine Verletzung der Satzung stets gesellschaftsrechtlichen Sanktionen unterliegen müsse. Ebenso könne nicht damit argumentiert werden, dass die Nichtigkeit des Beschlusses angenommen werden müsse, um den schuldrechtlichen Zustimmungsvorbehalt durchsetzen zu können.
2. Keine Nichtigkeit des Beschlusses gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog)
Nach Auffassung des BGH ist der Abberufungsbeschluss auch nicht gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) wegen sittenwidriger Schädigung nichtig. Gemäß § 241 Nr. 4 AktG (analog) ist ein Beschluss nichtig, wenn er durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt.
Sittenwidrig ist ein Verhalten nur dann, wenn es in seiner Gesamtheit, einschließlich seines Inhalts, Zwecks und Beweggrunds, so schwerwiegend ist, dass es dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Es genügt nicht, dass jemand vertragliche Pflichten verletzt, Gesetze bricht oder einen Vermögensschaden verursacht. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens vorliegen, die sich aus dem Ziel, den eingesetzten Mitteln, der Gesinnung oder den Folgen ergibt. Der Maßstab der guten Sitten richtet sich nach dem gesetzlichen Rahmen und darf nicht im Widerspruch zu anderen gesetzlichen Wertungen stehen.
a) Keine Sittenwidrigkeit des Beschlusses aufgrund vorsätzlichen Verhaltens
Der BGH ist der Meinung, dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall den Begriff der Sittenwidrigkeit überdehnte, indem es das Verhalten des Vereins ausschließlich aufgrund von Verletzungen der Satzung und schuldrechtlichen Pflichtverletzungen als besonders verwerflich und damit sittenwidrig beurteilte. Es dürfe – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht schon allein deshalb auf ein sittenwidriges Verhalten des Vereins geschlossen werden, weil dieser nach Einschätzung des Berufungsgerichts bewusst und absichtlich handelte.
b) Keine Sittenwidrigkeit des Beschlusses aufgrund seines Inhalts
In der BGH-Entscheidung wird hervorgehoben, dass es für die Sittenwidrigkeit eines Beschlusses auf seinen Inhalt selbst ankommt. Beschlüsse, deren Sittenwidrigkeit sich „nur“ aus Beweggründen, dem Zweck oder dem Zustandekommen ergeben, seien lediglich anfechtbar und nicht nichtig. Das Berufungsgericht habe daher zu Unrecht auch dann Nichtigkeit angenommen, wenn sich aus dem Wortlaut des Beschlusses nicht auf Sittenwidrigkeit schließen lasse, der Beschluss aber seinem inneren Gehalt nach in einer sittenwidrigen Schädigung nicht Anfechtungsberechtigter resultiere.
c) Keine Sittenwidrigkeit des Beschlusses aufgrund des Verstoßes gegen die Satzung und/oder der Schädigung nicht Anfechtungsberechtigter
Anfechtungsberechtigt sei bei einer satzungsmäßigen Kompetenzüberschreitung durch die Gesellschafterversammlung in der Regel weder der Aufsichtsrat noch dessen Mitglieder. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung, auch wenn diese gemäß der Satzung dem Aufsichtsrat zusteht, stelle keine sittenwidrige Schädigung Dritter dar. Ein Verstoß gegen die Satzung mache einen Gesellschafterbeschluss anfechtbar, jedoch nicht nichtig. Solche Verstöße gegen Satzungsbestimmungen müssen – so der BGH – von den betroffenen Gesellschaftsorganen hingenommen werden.
d) Keine Sittenwidrigkeit des Beschlusses aufgrund des Verstoßes gegen den Stimmbindungsvertrag
Ebenso führe die Verletzung eines Stimmbindungsvertrags nicht automatisch zu einer sittenwidrigen Schädigung, selbst in Fällen einer vorsätzlichen Verletzung. Solche Pflichtverletzungen beträfen primär die schuldrechtliche Ebene und hätten in der Regel keine Auswirkung auf die korporationsrechtliche Gültigkeit eines Beschlusses. Würde die Pflichtverletzung zur Nichtigkeit des Beschlusses führen, bliebe unklar, ob der Geschäftsführer die Gesellschaft weiterhin vertreten dürfte. Zudem könnten bei Feststellung der Nichtigkeit die vom Geschäftsführer vorgenommenen Rechtsakte angefochten werden, obwohl das Handelsregister gemäß den §§ 15 Abs. 1, 39 Abs. 1 Fall 2 GmbHG Schutz bietet.
e) Keine Sittenwidrigkeit des Beschlusses aufgrund einer Gesamtbetrachtung
Auch aus der Gesamtbetrachtung ergebe sich keine Sittenwidrigkeit. Der kumulative Verstoß des Vereins gegen die Satzung und den Stimmbindungsvertrag erhöhe nicht das Gewicht der Pflichtverletzung. Das Vorgehen des Vereins, sich auf eine Satzungsdurchbrechung statt auf eine förmliche Satzungsänderung zu beschränken, begründe keine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens des Vereins und müsse am Maßstab relevanter gesetzlicher Vorschriften (§§ 53, 54 GmbHG) bewertet werden.
f) Keine Sittenwidrigkeit aufgrund besonders verwerflicher Umstände
Der BGH legt schließlich dar, dass eine Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses aufgrund sittenwidriger Schädigung nur dann denkbar wäre, wenn – was vorliegend nicht der Fall sei – zusätzlich zur Kompetenz- und Vertragspflichtverletzung besonders verwerfliche Umstände vorlägen. Insbesondere hätte der Verein durch sein Verhalten nicht sittenwidrig seine formale Rechtsposition ausgenutzt, weil die nur schuldrechtliche Stimmbindung die rechtliche Gesellschafterstellung nicht beschränke. Die aus der Abberufung resultierende Führungslosigkeit der Gesellschaft sei ebenso nicht ausreichend, um Sittenwidrigkeit zu begründen. Es sei Sache der Gesellschaftsorgane, eine etwaige Führungslosigkeit der betroffenen Gesellschaft zu beheben.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Zuständigkeit der GmbH-Gesellschafterversammlung ist grundsätzlich in § 46 GmbHG geregelt, der festlegt, welche Aufgaben und Entscheidungen der Gesellschafterversammlung vorbehalten sind. Innerhalb rechtlicher Grenzen kann die Satzung einer GmbH jedoch abweichende Regelungen enthalten, die den Aufgabenkreis und die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung beschränken oder erweitern. So kann die Satzung zum Beispiel detaillierte Vorschriften zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern enthalten, die über die gesetzlichen Vorgaben gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG hinausgehen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Werden Gesellschafterbeschlüsse von einer Gesellschafterversammlung unter Missachtung der satzungsmäßigen Kompetenzverteilung und/oder schuldrechtlicher Zustimmungsvorbehalte gefasst, sind diese Beschlüsse nicht automatisch nichtig. Sie bleiben gültig, bis sie erfolgreich angefochten und von einem Gericht für ungültig erklärt werden. Eine wesentliche Hürde für eine erfolgreiche Beschlussanfechtung kann die Anfechtungsberechtigung sein. Es gilt im Einzelfall zu klären, ob diejenigen, deren Interessen betroffen sind, überhaupt anfechtungsberechtigt sind und somit ihre Interessen durchsetzen können oder ob sie die Kompetenzüberschreitung hinnehmen müssen.
In der Praxis ermöglicht die Entscheidung des BGH den Gesellschaftern eine gewisse Flexibilität, Entscheidungen zu treffen, auch wenn die formellen Anforderungen an die Kompetenzverteilung nicht vollständig eingehalten werden, solange keine (zwingenden) gesetzlichen Bestimmungen des GmbHG verletzt werden. Das Verständnis dieser Grundsätze hilft dabei, die Risiken und Chancen bei der Fassung von Gesellschafterbeschlüssen besser abzuwägen. Die Entscheidung des BGH trägt wesentlich dazu bei, die in diesem Zusammenhang relevanten Aspekte zu erkennen und entsprechend zu handeln.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH beschäftigt sich zudem mit den Formalien eines Abberufungsbeschlusses und insbesondere damit, ob ein Abberufungsbeschluss, der von einer nach der Satzung unzuständigen Gesellschafterversammlung gefasst wurde, die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften (§§ 53, 54 GmbHG) einhalten muss. Nach Auffassung des BGH müssen die formalen Voraussetzungen einer Satzungsänderung in einem solchen Fall nicht erfüllt sein.
Zur Begründung führt der BGH aus, dass die hier in Frage stehende Abberufung des Geschäftsführers nicht zu einem satzungswidrigen Zustand führt, da hierdurch die Satzung nicht dauerhaft ihrem Inhalt nach geändert wird. Vielmehr handelt es sich um eine Satzungsdurchbrechung, die sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt und sich auf eine einzelne Maßnahme erschöpft.
Der Schutz des Rechtsverkehrs sei nicht durch eine einmalige Satzungsdurchbrechung tangiert und werde durch die Publizität des Handelsregisters gewährleistet, solange die Satzung die Verhältnisse der Gesellschaft korrekt widerspiegelt.
Die Revisionsbegründung, die argumentiert, dass durch die Abberufung des einzigen Geschäftsführers eine neue „Machtverteilung“ zugunsten des Vereins entsteht, sei – so der BGH – nicht überzeugend. Diese Auswirkungen seien lediglich tatsächlicher Natur und ändern nichts am Regelungsgehalt des Beschlusses. Es mache keinen Unterschied, ob die GmbH ihren einzigen Geschäftsführer ersatzlos abberuft oder ob der Aufsichtsrat aufgrund einer Pattsituation nicht in der Lage ist, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen. Dieser Zustand sei nicht notwendigerweise eine Folge der Satzungsdurchbrechung, da er auch bei einer ordnungsgemäßen Abberufung eintreten könnte und aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht durch Satzungsänderung geregelt werden könne. Sollte der Aufsichtsrat einer GmbH funktionsunfähig sein, könne die Gesellschafterversammlung zur Vermeidung einer Führungslosigkeit im Sinne einer „Ausfallkompetenz“ statt dem Aufsichtsrat einen Geschäftsführer bestellen. Der Schutzzweck der Registerpublizität sei dadurch nicht beeinträchtigt.
In seiner Entscheidung führt der BGH schließlich noch aus, dass das Handelsregister nicht die exakte Beachtung der Satzung schützt, sondern sicherstellt, dass die aktuelle Fassung der Satzung zum Schutz des Rechtsverkehrs korrekt wiedergegeben wird.



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