juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 05.12.2024 - IX ZR 122/23
Autor:Ansgar Hain, RA und FA für Insolvenzrecht
Erscheinungsdatum:22.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 138 InsO, § 142 InsO, § 133 InsO, § 15a InsO, § 15b InsO
Fundstelle:jurisPR-InsR 1/2025 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Hain, jurisPR-InsR 1/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unlauteres Handeln eines Insolvenzschuldners bei einem Bargeschäft



Leitsätze

1. Ein Schuldner handelt bei einem Bargeschäft unlauter, wenn es sich weniger um die Abwicklung eines Bargeschäfts handelt als vielmehr um ein die übrigen Gläubiger gezielt schädigendes Verhalten. Dies kommt in Betracht, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO das Bargeschäft zu einer gezielten Benachteiligung anderer Gläubiger führt oder dazu genutzt wird, den Empfänger gegenüber anderen Gläubigern gezielt zu bevorzugen.
2. Ein unlauteres Handeln liegt nicht schon dann vor, wenn der Schuldner fortlaufend Verluste erwirtschaftet.



A.
Problemstellung
Im Zuge der Reform des Anfechtungsrechtes im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber unter anderem auch eine Begrenzung des Anwendungsbereiches der Vorschrift des § 142 InsO vorgenommen. Gemäß § 142 Abs. 1 InsO in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vom 29.03.2017 (BGBl I 2017, 654) ist seitdem auch ein Bargeschäft anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 bis 3 InsO gegeben sind und der andere Teil erkannt hat, dass der Schuldner „unlauter“ handelte. Die Bedeutung dieser Neufassung war von Beginn an umstritten, je nachdem, welchem Lager die Kommentatoren angehörten. Der BGH hatte nunmehr erstmals Gelegenheit, die Begrifflichkeit des unlauteren Handelns i.S.d. § 142 InsO näher zu definieren.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war zum Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH & Co KG bestellt worden. Der Beklagte war einer der drei Kommanditisten. Die Schuldnerin war als Dienstleisterin für Bauvorhaben ausführende Projektgesellschaften tätig. Sie arbeitete von Anfang an nicht rentabel. Die fälligen Verbindlichkeiten überstiegen jeweils die liquiden Mittel. Der Beklagte übernahm aufgrund einer Vereinbarung mit der Schuldnerin seit Beginn des Jahres 2017 die gesamte Bauleitung und Baubetreuung für die von der Schuldnerin zu betreuenden Bauvorhaben. Die Leistungen wurden in dem auf die Leistungserbringung folgenden Monat abgerechnet und bezahlt. Mit Schreiben vom 29.05.2019 wies der Geschäftsführer der späteren Insolvenzschuldnerin die Gesellschafter darauf hin, dass Liquiditätsprobleme bestünden, und forderte sie auf, bis zum 11.07.2019 jeweils 200.000 Euro nachzuschießen. Er teilte weiterhin mit, dass bis dahin keine weiteren Verbindlichkeiten bezahlt werden würden. Der Beklagte zahlte die 200.000 Euro nicht ein. Die Schuldnerin bezahlte entgegen ihrer Ankündigung die Rechnungen des Beklagten für den Monat April und Mai 2019. Ebenso erhielt jedenfalls ein weiterer Gläubiger erhebliche, wenn auch nicht vollständige Zahlungen auf seine Verbindlichkeiten.
Der Kläger verlangt vom Beklagten nunmehr die erhaltenen Zahlungen zurück. Das Landgericht hatte den Beklagten im Wesentlichen verurteilt, das Berufungsgericht die Klage unter Hinweis auf das Vorliegen eines Bargeschäftes abgewiesen.
Der BGH hat sich der Argumentation des Berufungsgerichts im Wesentlichen angeschlossen.
Aufgrund der Stellung des Beklagten als Gesellschafter und der offensichtlich erheblichen finanziellen Schieflage der Insolvenzschuldnerin war im Revisionsverfahren nur die Frage entscheidungserheblich, ob, wie vom Kläger angenommen, der fortlaufend unrentable Geschäftsbetrieb eine „unlautere“ Abwicklung der Bargeschäfte darstelle. Der BGH hat klargestellt, dass auch im Rahmen der Neufassung des § 142 InsO eine „unlautere“ Vorgehensweise nur dann vorliegt, wenn es dem Schuldner gezielt um die Benachteiligung der Gläubiger geht.
Der BGH hat drei Fallgestaltungen beschrieben, in denen eine solche Annahme gerechtfertigt ist:
1. sofern es sich um Gegenleistungen handelt, die nicht zur Fortführung des Geschäftsbetriebes erforderlich sind (Kauf flüchtiger Luxusgüter; Abstoßung von zur Betriebsfortführung notwendigen Vermögens, wenn es dem Schuldner darum geht, den Gegenwert den Gläubigern zu entziehen),
2. wenn es dem Schuldner auf die Bevorzugung eines Gläubigers ankommt, so etwa bei Zahlungen zur Abwendung eines Insolvenzantrages oder für eine Sanierungsberatung im Rahmen eines untauglichen Sanierungsversuches,
3. wenn der Leistungsaustausch mit nahestehenden Personen i.S.d. § 138 InsO stattfindet und der Schuldner seine übrigen Gläubiger anders behandelt, der Schuldner die letzten Vermögenswerte auf einen Gläubiger überträgt oder das Bargeschäft dazu dient, Waren und Dienstleistungen auf verbundene Unternehmen zu übertragen.
Der Senat hat in der reinen Fortsetzung eines unrentablen Geschäftsbetriebes keine „unlautere“ Vorgehensweise gesehen. Sinn und Zweck der Schaffung des „Bargeschäftes“ i.S.d. § 142 InsO sei es gewesen, dass der Schuldner sich auch in der Krise weiter am Geschäftsverkehr beteiligen kann. Hierfür müsse ihm dann aber die Möglichkeit gegeben werden, Rechtsgeschäfte anfechtungsfest durchführen zu können, da anderenfalls die Vertragspartner einer Fortsetzung der Geschäftstätigkeit kaum zustimmen werden. Diese Sichtweise werde auch durch die Gesetzesbegründung zur Einfügung des Merkmales der Unlauterkeit gestützt. So hatte der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es an einer Unlauterkeit fehlen soll, wenn der Schuldner erkannt habe, dass die Betriebsfortführung verlustträchtig ist (BT-Drs. 18/7054, S. 19). Änderungsvorschläge des Bundesrates sind nicht Gesetz geworden. Darüber hinaus folge aus einer Verletzung der §§ 15a, 15b InsO keine Unlauterkeit. Der Senat hat sich hierzu auf seine Rechtsprechung zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz i.S.d. § 133 InsO bezogen, in der er festgestellt hatte, dass das von den §§ 15a, 15b InsO verfolgte, anderen Voraussetzungen unterliegende Schutzkonzept zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger nicht darüber bestimmt, wann ein Eingriff in die Interessen eines einzelnen Gläubigers zulässig ist (vgl. BGH, Urt. v. 03.03.2022 - IX ZR 78/20 - BGHZ 233, 70 Rn. 29 ff.). Im Rahmen eines Bargeschäftes könne für die Frage, ob eine „unlautere“ Vorgehensweise vorliege, nichts anderes gelten.
Im konkreten Fall hat der Senat die Entscheidung des Berufungsgerichtes bestätigt. Der Beklagte sei zwar eine nahestehende Person gewesen, allerdings habe die Schuldnerin sie nicht anders als andere Gläubiger behandelt.


C.
Kontext der Entscheidung
Durch Einfügung des Begriffes der „Unlauterkeit“ hatte der Gesetzgeber einen Meinungsstreit über die Reichweite des Begriffes entfacht, der sich, wie der BGH ausdrücklich festgestellt hat, wohl allein durch Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers hätte verhindern lassen. In der Gesetzesbegründung war ausdrücklich festgehalten worden, dass jedenfalls die Fortsetzung eines unrentablen Geschäftsbetriebes nicht zur Unlauterkeit führen soll. Insoweit ist die klare Absage des BGH an die verwalterfreundliche Literaturmeinung zu begrüßen. Eine Anwendung des Unlauterkeitsmerkmales auf die Fortsetzung eines unrentablen Geschäftsbetriebes hätte die Anwendbarkeit des Bargeschäftes auf die wenigen Fälle begrenzt, in denen der Insolvenzschuldner im Vorfeld der Insolvenz profitabel gearbeitet hat. Gerade unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vorschrift auch für den Drei-Monats-Zeitraum vor Antragstellung Anwendung findet, wäre eine andere Sichtweise fatal für die Praxis gewesen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung stellt erfreulicherweise klare Kriterien auf, nach der nunmehr das Merkmal geprüft werden kann. Erfreulich ist das klare Bekenntnis des Senates zu einer umfassenden Begrenzung der unlauteren Begehungsweise auf Ausnahmefälle, in denen das Rechtsinstitut dazu benutzt wird, Vermögenswerte beiseitezuschaffen oder sinnlose Ausgaben zu rechtfertigen.



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