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Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 06.02.2025 - IX ZR 181/23
Autor:Jochen König, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Insolvenzverwalter
Erscheinungsdatum:19.03.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 300 SGB 5, § 302 SGB 5, § 47 InsO, § 50 InsO, § 51 InsO, § 167 InsO, § 242 BGB
Fundstelle:jurisPR-InsR 3/2025 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:König, jurisPR-InsR 3/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auskunftspflicht des Insolvenzverwalters auch für Zeiten vor der Bestellung aufgrund bestehenden Aussonderungsrechts, hier des Zedenten wegen Nichtigkeit der Forderungsabtretung



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Können nach den einem Anspruchsteller bekannten Umständen Aussonderungsansprüche oder Ersatzaussonderungsansprüche hinsichtlich bestimmter Forderungen bestehen, kann dieser vom Insolvenzverwalter Auskunft verlangen, wenn die weitere Frage, ob Ansprüche wirklich bestehen und ggf. in welchem Umfang, von Umständen abhängt, über die nur der Insolvenzverwalter Kenntnis hat und zu denen er die Auskunft unschwer, das heißt ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag, während der Anspruchsteller über diese Umstände in entschuldbarer Weise im Ungewissen ist und er sich die notwendigen Kenntnisse nicht in zumutbarer Weise selbst beschaffen kann.
2. Die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Auskunftspflicht unter den genannten Gesichtspunkten muss der Verwalter im Einzelnen und bezogen auf die jeweiligen Tatsachen darlegen, deren Mitteilung der Auskunftsberechtigte verlangt.
3. Eine Forderungsabtretung an ein Dienstleistungsunternehmen, das sich von in Heilberufen tätigen Personen und sonstigen Leistungserbringern deren Forderungen aus ärztlichen Verordnungen abtreten lässt und diese bei den Krankenkassen einzieht, ist nichtig, wenn dem Dienstleistungsunternehmen dabei die Verarbeitung geschützter Sozialdaten gestattet wird, die mit § 300 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 SGB V nicht im Einklang steht.



A.
Problemstellung
Der BGH behandelt im Wesentlichen zwei Fragen:
1. Steht infolge der Nichtigkeit einer Forderungsabtretung dem ursprünglichen Gläubiger (Zedent) ein Aussonderungsanspruch zu, der ihn gegenüber einem Insolvenzverwalter zur Auskunftserteilung berechtigt?
2. Ob und in welchem (zeitlichen) Umfang steht einem denkbar zur Aussonderung berechtigten Gläubiger ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter in zumutbarer Weise zu, wenn die begehrten Auskünfte auch Vorgänge betreffen, die vor der Zeit der Bestellung des Insolvenzverwalters liegen?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Inhaberin einer Apotheke klagt gegen Insolvenzverwalter der P. GmbH im Zusammenhang mit der Auskunftsverpflichtung zu Rezeptabrechnungen für den Monat August 2020, die von der Schuldnerin oder dem Insolvenzverwalter eingezogen wurden.
Der Beklagte ist Verwalter in dem auf Antrag vom 15.09.2020 am 01.11.2020 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin); bereits am 16.09.2020 bestellte ihn das Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Verfügungen der Schuldnerin waren nur noch mit seiner Zustimmung möglich. Drittschuldnern wurde verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen.
Die Klägerin verlangt Auskunft darüber, wer (Schuldnerin oder Insolvenzverwalter) die Abrechnungen eingezogen hat, wann dies geschehen ist und auf welches Konto die Zahlungen eingegangen sind.
Der BGH hat – anders als noch das Berufungsgericht – der Klägerin einen Aussonderungsanspruch zugebilligt. So habe die Klägerin zwar die Schuldnerin als Dienstleistungsunternehmen, das sich von in Heilberufen tätigen Personen und sonstigen Leistungserbringern deren Forderungen aus ärztlichen Verordnungen abtreten lasse und diese bei den Krankenkassen einziehe, mit dem Forderungseinzug betraut. Die von der Klägerin an die Insolvenzschuldnerin hierzu im Rahmen der vertraglichen Regelungen vorgenommene Abtretung ihrer Forderungen sei aber nichtig, da dem Dienstleistungsunternehmen dabei die Verarbeitung geschützter Sozialdaten gestattet werde, die mit § 300 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 SGB V nicht im Einklang stehe. Dies habe zur Folge, dass der Klägerin grundsätzlich ein Aussonderungsanspruch zustehe. Zur Begründung der Nichtigkeit der Forderungsabtretung verweist das Gericht auf seine Entscheidung vom gleichen Tag im Verfahren IX ZR 182/23 zur insoweit wortgleichen, sonstige Leistungserbringer betreffenden Parallelvorschrift in § 302 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V.
Die Klägerin könne in diesem Fall Auskunft verlangen, da sie im Ungewissen darüber sei, ob und wie ihre Forderungen eingezogen wurden. Auch könne sie sich die Informationen auch nicht in zumutbarer Weise auf andere Weise beschaffen.
Ein Auskunftsrecht scheide entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht deshalb aus, weil die Auskunftserteilung dem Beklagten unzumutbar wäre.
Im Ausgangspunkt zutreffend nehme das Berufungsgericht zwar an, dass Arbeits- und Zeitaufwand des Auskunftspflichtigen und schutzwürdiges Interesse des Auskunftsberechtigten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen müssen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es um die Pflicht des Insolvenzverwalters zur Auskunft über Vorgänge im Schuldnerbetrieb gehe, an denen er selbst nicht beteiligt gewesen sei; denn der Verwalter müsse im Interesse aller Verfahrensbeteiligten auf eine zügige Abwicklung des Verfahrens hinwirken. Insbesondere in Großinsolvenzen könne der für die Auskunftserteilung erforderliche Aufwand Ausmaße annehmen, die dem Verwalter für seine eigentliche Aufgabe der Sicherung und Verwertung der Masse nur noch wenig Zeit ließe. Es entspreche auch nicht dem Sinn des Insolvenzverfahrens, die Masse in einem nicht unerheblichen Umfang mit Kosten zu belasten, die mit der Sicherung der Rechte der Aus- und Absonderungsberechtigten verbunden sei.
Die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Auskunftspflicht unter den genannten Gesichtspunkten müsse der Verwalter im Einzelnen und bezogen auf die jeweiligen Tatsachen darlegen, deren Mitteilung der Auskunftsberechtigte verlangt.
Der Insolvenzverwalter könne diese Informationen aber mit vertretbarem Aufwand bereitstellen. In den Blick zu nehmen sei dabei das konkrete Auskunftsbegehren der Klägerin. Sie begehre Auskunft für den auf den Monat August 2020 beschränkten Zeitraum darüber, durch wen (Schuldnerin oder vorläufigen/endgültigen Insolvenzverwalter), auf welches Konto (Geschäftskonto der Schuldnerin oder Treuhandkonto des Beklagten) und wann Vergütungsansprüche der Klägerin eingezogen wurden. Diese Auskünfte könne der Beklagte mit vertretbarem Aufwand erteilen: Im Kern müsse er für den Monat August 2020 nachvollziehen, gegenüber welchen Krankenkassen Rezepte der Klägerin abgerechnet wurden und wann die jeweilige Krankenkasse auf die entsprechende Sammelabrechnung (im Wege einer Abschlagszahlung oder endgültig) entweder auf das Geschäftskonto der Schuldnerin oder auf ein Treuhandkonto gezahlt hat. Diese Angaben seien mit vertretbarem Aufwand ermittelbar. Die Pflicht zur Erstellung entsprechender Abrechnungen durch die Schuldnerin entspreche im Übrigen dem Vertragsmodell der Schuldnerin. Es handle sich auch nicht um weit zurückliegende Geschäftsvorgänge. Betroffen seien selbst unter Berücksichtigung etwaiger Auskunftsbegehren anderer Leistungserbringer die Abrechnungszeiträume ab August 2020 und damit Vorgänge, die sich in zeitlicher Hinsicht an der Schnittstelle zur Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter oder sogar nach seiner Bestellung ereignet haben. Der konkret gestellte Auskunftsantrag zwinge den Beklagten nicht, im Falle der Vornahme von Abzügen durch die Krankenkassen eine abschließende Zuordnung dieser Abzüge zu Rezepten der Klägerin vorzunehmen. Er erfülle die begehrte Auskunft, wann Rezeptforderungen eingezogen wurden, auch dann, wenn er sich auf die Mitteilung beschränke, eine Krankenkasse habe auf eine Sammelrechnung nur einen bestimmten Teilbetrag geleistet. Es bedürfe daher keiner Entscheidung, ob dem Beklagten eine solche Zuordnung – etwa anhand der ihm von den Krankenkassen zu erteilenden Abrechnungen über die Sammelabrechnungen – möglich und zumutbar wäre.
Auch wenn das Berufungsgericht entschieden hatte, dass die Auskunftserteilung dem Beklagten unzumutbar sei, wurde dies vom BGH also im Ergebnis abgelehnt. Zudem wurde klargestellt, dass es für die Klägerin auch ein Aussonderungsrecht an den eingezogenen Forderungen geben kann, wenn diese unberechtigt eingezogen wurden und der Betrag noch in der Insolvenzmasse nachweisbar ist.
Die Revision der Klägerin war damit teilweise erfolgreich, da entgegen der Entscheidung des Berufungsgerichts der Insolvenzverwalter verpflichtet wurde, die begehrten Auskünfte zu erteilen.
Die Frage, ob es sich bei den Konten der Schuldnerin um Treuhandkonten handelt, wurde jedoch nicht weiter behandelt, da sie bereits als geklärt galt.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH bezieht sich auf eine rechtlich komplexe Auseinandersetzung im Insolvenzrecht, nämlich der Aussonderung von Forderungen und der Frage der Auskunftspflichten eines Insolvenzverwalters gegenüber einem Gläubiger, der hieran Rechte geltend macht. Im Zentrum der Entscheidung stehen zwei zentrale Fragen:
1. Auskunftsansprüche im Insolvenzverfahren
Die Klägerin forderte Auskunft, um mögliche Aussonderungsansprüche gegen die Insolvenzmasse zu prüfen. Diese Ansprüche ergeben sich aus § 47 InsO und betreffen die Herausgabe von Vermögenswerten, die im Eigentum des Gläubigers verblieben sind, auch wenn sie sich unter der Kontrolle des Insolvenzverwalters befinden. Das Gericht prüft die Rechtmäßigkeit der Forderungsabtretung und deren Auswirkungen auf das Aussonderungsrecht der Klägerin.
2. Treuhandverhältnis und Geschäftskonto
Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Frage, ob die auf den Konten der Schuldnerin eingezogenen Gelder als treuhänderisches Vermögen im Sinne des Insolvenzrechts behandelt werden können. Die Klägerin strebte die Aussonderung von Geldern auf einem möglichen Treuhandkonto an. Der BGH stellt klar, dass die Qualifikation eines Kontos als Treuhandkonto entscheidend ist, um ein Aussonderungsrecht geltend zu machen. Er stellte jedoch fest, dass das Konto nicht den Anforderungen an ein echtes Treuhandkonto entsprach, weil die Gelder auch für andere Zwecke, etwa für die Begleichung von Bankverbindlichkeiten der Schuldnerin, verwendet wurden.
Der BGH verwies darauf, dass eine reine Abrechnungstätigkeit, bei der Gelder zwischen verschiedenen Abrechnungskreisen und für verschiedene Zwecke umgebucht werden, nicht die Treuhandbindung begründet. Ein Konto, das für eigene Zwecke genutzt wird, verliert seinen Charakter als Treuhandkonto und schließt somit das Aussonderungsrecht aus.
3. Weiterer Lösungsansatz
In diesem Zusammenhang wird auf die vom BGH (Urt. v. 24.01.2019 - IX ZR 110/17) aufgezeigte Möglichkeit des Insolvenzverwalters hingewiesen, einem Auskunftsbegehren des Gläubigers dadurch nachzukommen, indem er ihm Einsicht in die Bücher und Geschäftsunterlagen ermöglicht.
Der BGH führt dabei an, dass der auskunftspflichtige Insolvenzverwalter – sei es, dass die Auskunftsansprüche auf § 167 InsO gestützt werden, sei es auf die §§ 47, 50, 51 InsO i.V.m. § 242 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2000 - IX ZR 262/98; BGH, Urt. v. 04.12.2003 - IX ZR 222/02) – anstelle der Auskunftserteilung gestatten könne, dass der Aus- und Absonderungsberechtigte Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners nimmt.
Bei der Unterrichtungspflicht nach § 167 InsO ergebe sich dies voraussetzungslos aus dem Gesetz (§ 167 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 167 Abs. 2 Satz 2 InsO), bei dem Auskunftsanspruch aus § 242 BGB könne der Insolvenzverwalter nach der Rechtsprechung des BGH ebenfalls, anstatt die Auskunft zu erteilen, den Aus- und Absonderungsberechtigten ausnahmsweise darauf verweisen, durch Einsicht in die Geschäftsunterlagen die gewünschten Informationen selbst zu ermitteln. Eine derartige Einschränkung der Auskunftspflicht sei in den Fällen gerechtfertigt, in denen die geforderte Auskunft mit vertretbarem Zeit- und Arbeitsaufwand nicht möglich sei (BGH, Urt. v. 11.05.2000 - IX ZR 262/98).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Insolvenzverwalter dürften sich angesichts der Entscheidung einem erhöhten Auskunftsbegehren von denkbaren Aussonderungsgläubigern ausgesetzt sehen. Gerade bei im Insolvenzverfahren befindlichen Unternehmen, die im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit mit Treugeldern agieren, könnten vermehrt Auskunftsansprüche geltend gemacht werden. Dies allein zu dem Zweck, etwaige Gelder zu finden, die aussonderungsfähig sein könnten. Für beteiligte Gläubiger besteht nunmehr die Chance, durch entsprechende Auskunftsbegehren ihre vermeintlichen Ansprüche auch werthaltig zu machen und sich nicht auf die reine Insolvenzquote vertrösten zu lassen. Es dürfte stets eine Frage des Einzelfalls bleiben, ob es dem Insolvenzverwalter zumutbar sein wird, die Auskünfte zu erteilen. Hier könnte es angezeigt sein, den Gläubiger auf die Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu verweisen oder die Auskunft vom Insolvenzverwalter zu erteilen, wenn die beteiligten Auskunftsuchenden den zusätzlichen Aufwand von Insolvenzverwaltern finanziell ausgleichen, damit letztlich nicht die einfachen Gläubiger am Ende bei der Vergütungsfestsetzung die Zeche zahlen müssen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In einem Teil der Entscheidung war vom BGH unter Berücksichtigung der Handhabung von Treuhandkonten deren Aussonderungsfähigkeit noch zu beleuchten. Dabei bestätigte er seine bisherige Auffassung. Vermeintlich als offene Treuhandkonten geführte Bankkonten, deren Guthaben grundsätzlich aussonderungsfähig im Insolvenzverfahren sein können, verlieren danach ihre Zweckbindung, wenn diese Qualifikation durch die Vornahme von – mehrmals täglich erfolgten – Umbuchungen zum Ausgleich der jeweiligen Salden entfällt, sofern durch diese Umbuchungen die spätere Schuldnerin die Zweckbindung der jeweils für verschiedene Abrechnungskreise eingerichteten Konten missachtet und sie die Guthaben systematisch auch für eigene Zwecke, nämlich zum Ausgleich von eigenen Kreditverbindlichkeiten gegenüber Banken, nutzt (Anschluss an BGH, Urt. v. 10.02.2011 - IX ZR 49/10 - BGHZ 188, 317 Rn. 15).



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