juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BAG 8. Senat, Urteil vom 25.08.2022 - 8 AZR 14/22
Autor:Dr. Sabine Hartmann, RA’in und FA‘in für Arbeitsrecht
Erscheinungsdatum:07.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 150a SGB 11, § 3 EStG, § 36 InsO, § 850 ZPO, § 850a ZPO
Fundstelle:jurisPR-InsR 7/2024 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Hartmann, jurisPR-InsR 7/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

(Un-)Pfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung



Leitsatz

Zahlt ein Arbeitgeber, der nicht dem Pflegebereich angehört, freiwillig an seine Beschäftigten eine Corona-Prämie, ist diese Leistung als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar, wenn ihr Zweck in der Kompensation einer coronabedingten, im Einzelfall tatsächlich gegebenen Erschwernis bei der Arbeitsleistung liegt, soweit die Prämie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt.



A.
Problemstellung
Das BAG hatte sich im August 2022 mit der Frage nach der Pfändbarkeit bzw. Unpfändbarkeit einer freiwillig geleisteten Corona-Sonderzahlung durch den Arbeitgeber zu befassen. Es handelt sich um eine Entscheidung des BAG zu einer Fragestellung, die ihren Ursprung in den Anfängen der Pandemie hat – nunmehr tritt Rechtsklarheit dort ein, wo seinerzeit noch meist Ratlosigkeit oder Uneinigkeit bestanden und sich vortrefflich streiten ließ. Das BAG gelangte zu der Entscheidung, dass die hier streitgegenständliche freiwillig an eine Mitarbeiterin geleistete Corona-Unterstützung unpfändbar sei und damit nicht in die Insolvenzmasse der insolventen Mitarbeiterin – der Schuldnerin – gehöre.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Schuldnerin war im Zeitraum zwischen Juli 2020 und Dezember 2020 bei einem Gastronomen als Küchenhilfe und Thekenkraft mit unmittelbarem Kontakt zu Kunden tätig. Im September 2020 zahlte der Arbeitgeber mit dem üblichen Monatslohn und Sonntagszuschlägen eine von ihm als solche bezeichnete „Corona-Unterstützung“ i.H.v. 400 Euro an die Schuldnerin. Über deren Vermögen war bereits im August 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet und die hiesige Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt worden. Diese trat an den Arbeitgeber heran und verlangte von ihm aus der Corona-Unterstützung einen pfändbaren Betrag in Höhe von knapp 180,00 Euro netto für die Insolvenzmasse der Schuldnerin.
Die Insolvenzverwalterin war der Meinung, dass die Corona-Prämie grundsätzlich pfändbar und die Unpfändbarkeit durch den Gesetzgeber nur für den Pflegebereich in § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI geregelt worden sei. Für eine freiwillige Sonderzahlung dieser Art sei lediglich eine Steuerfreiheit geregelt worden, welche eine Pfändbarkeit nicht ausnehme. Sie meinte weiter, dass die Corona-Unterstützung auch nicht als Erschwerniszulage i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden könne – einmal, da die Zahlung der Höhe nach „den Rahmen des Üblichen“ i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO übersteige, und zudem, da eine besondere Erschwernis für die Schuldnerin bei der Arbeitserbringung allein durch die Beschäftigung in der Gastronomie nicht gegeben sei.
Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung mit dem Argument, dass es sich bei der geleisteten Sonderzahlung um eine solche Erschwerniszulage handle, die sich durchaus im Rahmen des Üblichen bewege und daher Unpfändbarkeit bestünde.
Die Parteien stritten sich durch drei Instanzen bis zur abschließenden Entscheidung des BAG im August 2022. Bereits das erstinstanzliche ArbG Braunschweig hatte die Klage der Insolvenzverwalterin im März 2021 zurückgewiesen und die Auffassung des beklagten Arbeitgebers bestätigt.
Ebenso konnte die Insolvenzverwalterin auch vor dem zuständigen LArbG Hannover im Rahmen der Berufung nicht mit ihrer Auffassung durchdringen. Die Berufung wurde zurückgewiesen, so dass die Insolvenzverwalterin ihr Zahlungsbegehren vor dem BAG weiterverfolgt.
Dieses hielt die Entscheidungen der vorangegangenen Instanzen und wies die Revision der Insolvenzverwalterin als unbegründet zurück.
Zutreffend habe das Landesarbeitsgericht angenommen, dass eine arbeitgeberseits freiwillig an Beschäftigte geleistete Corona-Prämie als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO zu bewerten und somit unpfändbar sei, wenn ihr Zweck in der Kompensation coronabedingter tatsächlicher Erschwernisse bei der Arbeitsleistung liege und der Rahmen des Üblichen nicht überstiegen werde. Dies gelte auch, wenn der Arbeitgeber nicht dem Pflegebereich angehöre. Die steuerfreie Corona-Prämie bzw. der sich nach dem Nettoeinkommen der Schuldnerin von der Insolvenzverwalterin errechnete pfändbare Betrag hieraus gehöre daher nicht in die Insolvenzmasse der Schuldnerin, da der Betrag nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht der Zwangsvollstreckung unterliege. Im Einzelnen:
Der Zweck der als Erschwerniszulage i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO bewerteten Corona-Prämie liege in der Kompensation einer coronabedingten tatsächlichen Erschwernis bei der Arbeitsleistung. Diese besondere Belastung bei der Erbringung der Arbeitsleistung müsse weder von Dauer noch berufsspezifisch, sondern im Einzelfall tatsächlich gegeben sein. Der Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften spreche hinsichtlich einer solchen besonderen Belastung für ein weites Verständnis. Durch ihre Tätigkeit als Thekenkraft mit Kundenkontakt beim beklagten Arbeitgeber in einer Zeit, in der es noch keinen Schutz/Impfschutz vor einer Corona-Infektion gab, sei die Klägerin einer solchen besonderen Belastung ausgesetzt gewesen.
Auch die Einführung der Regelung für den Pflegebereich § 150a in SGB XI stehe der Bewertung der freiwilligen Corona-Unterstützung in anderen Branchen als Erschwerniszulage i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO nicht entgegen, da die SGB-Norm den Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen einen öffentlich-rechtlichen Anspruch einräume. Mit der ausdrücklichen Festlegung der Unpfändbarkeit dieser öffentlich-rechtlichen Forderung habe der Gesetzgeber keine Aussagen auf die Pfändbarkeit freiwilliger Corona-Prämien getroffen. Die nachträgliche Einführung von Nr. 11a in § 3 EStG, womit Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern in der Zeit von März 2020 bis Dezember 2020 Corona-Beihilfen und Unterstützungen bis zu 1.500 Euro steuer- und abgabenfrei in Form von Zuschüssen gewähren konnten, stützt das Argument der Insolvenzverwalterin nicht, dass die an die Schuldnerin geleisteten 400 Euro als „unüblich“ den Rahmen sprengen.
Daher scheiterte die Insolvenzverwalterin mit ihrer Klage auf Zahlung.


C.
Kontext der Entscheidung
§ 36 InsO regelt „unpfändbare Gegenstände“, die nicht zu Insolvenzmasse gehören, soweit sie nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, und verweist auf die Kataloge und Regelungen der §§ 850 ff. ZPO.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BAG schafft nun Klarheit, wo damals noch Unsicherheit und Unklarheit bestand. Die hiesige Frage nach der Unpfändbarkeit der Corona-Prämien ist nur eines der zahlreichen Themen, die in der Anfangsphase der Corona-Pandemie auch angesichts der permanenten Gesetzesanpassungen und -entwicklung nicht abschließend klar zu beantworten waren. Nach und nach gelangen diese pandemiespeziellen arbeitsrechtlichen Fragestellungen nunmehr zur Entscheidung durch das BAG. Diese Entscheidungen treffen jetzt – auch wenn sie Rechtsklarheit herbeiführen – auf eine mittlerweile coronaentspanntere Arbeitswelt, die diese Fragestellungen nicht mehr ganz so umtreibt wie seinerzeit. Ob jedoch nicht in Zukunft ähnlich gelagerte Fragestellungen auf uns warten (z.B. zum Inflationsausgleich), ist nicht auszuschließen, so dass die Entscheidung des BAG für die arbeitsrechtliche Beratungspraxis einmal mehr Gewissheit für die Bewertung solcher pandemiebedingten Sonderzahlungen durch die Arbeitgeber einmal im Vergleich zur Pflegebranche und einmal im Hinblick auf die Einordnung als Vergütungsbestandteil bringt.
Für Insolvenzverwalter bedeutet die Entscheidung, dass – selbstverständlich einzelfallbetrachtet bei entsprechender gegebener besonderer Beschwer i.S.v. § 850a Nr. 3 ZPO – eine coronabedingte einmalige und freiwillige Unterstützungssonderzahlung durch den Arbeitgeber unangetastet den Schuldnern verbleibt und keine Beträge hieraus zur Insolvenzmasse gezogen werden können.



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