Nimmt ein Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Luftfahrtunternehmens die Umbuchung eines bereits vor der Eröffnung gebuchten Flugs vor, bleibt der geänderte Beförderungsanspruch Insolvenzforderung.
- A.
Problemstellung
Die hier besprochene Entscheidung des BGH befasst sich mit der Frage, ob ein Gläubiger, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Fluggesellschaft eine Umbuchung eines bereits vor der Eröffnung gebuchten Flugs vornimmt, seinen Beförderungsanspruch als Masseverbindlichkeit oder lediglich als Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO geltend machen kann. Im Kern geht es um die Auslegung der Insolvenzordnung (InsO) und die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten, insbesondere im Kontext von Vertragsänderungen nach Insolvenzeröffnung. Die Problematik betrifft die Rechte von Fluggästen gegenüber insolventen Luftfahrtunternehmen und die Auswirkungen von Umbuchungen auf die Qualifizierung ihrer Ansprüche.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte am 16.08.2018 bei der beklagten Fluggesellschaft Flüge von Frankfurt am Main nach Windhuk (Namibia) und zurück für August 2019 gebucht und den Gesamtpreis von 1.799,96 Euro vollständig bezahlt. Am 01.12.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort.
Am 04.03.2020 nahm der Kläger unter derselben Buchungsnummer eine Umbuchung auf Flüge nach Varadero (Kuba) für den 06.03.2020 und den Rückflug am 24.03.2020 vor. Der neue Gesamtpreis betrug 2.057,40 Euro, einschließlich einer Umbuchungsgebühr von 280 Euro. Der Kläger zahlte die zusätzlich angefallenen Kosten. Die Beklagte bestätigte die Buchung und führte den Hinflug durch.
Am 20.03.2020 annullierte die Beklagte den Rückflug wegen der Covid-19-Pandemie und bot keine Ersatzbeförderung an. Der Kläger organisierte daraufhin selbst eine Rückreise mit Air Canada für 4.067,72 Euro und musste zusätzlich 158,70 Euro für kanadische Visa aufwenden. Er meldete seine Forderungen nicht zur Insolvenztabelle an. Das Insolvenzverfahren wurde am 26.11.2020 nach Zustandekommen eines Insolvenzplans aufgehoben, der eine Basisquote von 0,1% für Insolvenzgläubiger vorsah.
Der Kläger verlangte von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die Ersatzbeförderung i.H.v. insgesamt 4.226,42 Euro sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Das AG Frankfurt gab der Klage nur in Höhe der Insolvenzplanquote statt, während das LG Frankfurt auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur vollständigen Zahlung verurteilte. Das Landgericht argumentierte, dass durch die Umbuchung und den Hinflug ein neues Schuldverhältnis entstanden sei, welches als Masseverbindlichkeit zu behandeln sei.
Der BGH hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts wieder hergestellt.
Die Beförderungsansprüche des Klägers blieben trotz der nach Insolvenzeröffnung erfolgten Umbuchung Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO und würden nicht zu Masseverbindlichkeiten. Der BGH führte aus, dass die Umbuchung keine Novation darstelle, da es an dem Willen der Parteien fehle, das alte Schuldverhältnis aufzuheben und durch ein neues zu ersetzen. Eine Umbuchung sei lediglich eine Änderung des bestehenden Vertrags, nicht aber die Begründung eines neuen Vertragsverhältnisses.
Der BGH verwies auf seine frühere Rechtsprechung, insbesondere auf die Urteile vom 05.05.2022 (IX ZR 140/21) und vom 09.03.2023 (IX ZR 90/22, IX ZR 91/22, IX ZR 150/21), in denen er klargestellt hatte, dass Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung begründet wurden, Insolvenzforderungen sind und durch nachträgliche Vertragsänderungen oder Handlungen keine Masseverbindlichkeiten werden. Der BGH betonte, dass auch Sekundäransprüche, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgen, keine Masseverbindlichkeiten begründen.
Zudem stellte der BGH fest, dass die EU-Fluggastrechteverordnung (VO (EG) 261/2004) keine speziellen Regelungen für die Behandlung von Ansprüchen im Insolvenzfall enthalte und daher das nationale Insolvenzrecht maßgeblich sei. Auch aus der Fluggastrechteverordnung ergäben sich keine Ansprüche, die als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren wären.
- C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH steht im Kontext der InsO und der EU-Fluggastrechteverordnung (VO (EG) 261/2004). Nach § 38 InsO können Forderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden, nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden. Insolvenzforderungen werden in der Regel nur zu einem geringen Teil befriedigt. Die EU-Fluggastrechteverordnung sieht hingegen vor, dass Fluggäste im Falle der Insolvenz einer Fluggesellschaft Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises haben.
Der BGH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die EU-Fluggastrechteverordnung nicht anwendbar ist, wenn das Schuldverhältnis aus dem Flugvertrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch eine Novation erloschen ist.
Die Entscheidung des BGH fügt sich in eine Reihe von Urteilen ein, die die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten präzisieren. In den Urteilen vom 05.05.2022 (IX ZR 140/21) und vom 09.03.2023 (IX ZR 90/22, IX ZR 91/22, IX ZR 150/21) hatte der BGH bereits betont, dass Forderungen, die vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden, auch dann Insolvenzforderungen bleiben, wenn der Schuldner nach Insolvenzeröffnung Leistungen erbringt oder Handlungen vornimmt, die auf die Erfüllung dieser Forderungen gerichtet sind.
Die Rechtsprechung stützt sich auf den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung und die in der Insolvenzordnung verankerten Regelungen, die eine klare Trennung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten vorsehen. Eine Aufwertung von Insolvenzforderungen zu Masseverbindlichkeiten würde dieses Prinzip unterlaufen und zu einer Ungleichbehandlung der Gläubiger führen.
In der Literatur wird diese Sichtweise unterstützt. Kommentatoren wie etwa im MünchKomm zur Insolvenzordnung weisen darauf hin, dass Vertragsänderungen nach Insolvenzeröffnung grundsätzlich keine neuen, als Masseverbindlichkeiten zu qualifizierenden Verpflichtungen begründen, sofern nicht eindeutig eine Novation beabsichtigt ist. Die Anforderungen an eine Novation sind hoch und erfordern eine klare Vereinbarung zwischen den Parteien, dass das alte Schuldverhältnis erlischt und durch ein neues ersetzt wird.
Die Entscheidung hat auch im Kontext der Fluggastrechteverordnung Bedeutung. Da diese Verordnung keine speziellen insolvenzrechtlichen Regelungen enthält, bleibt es bei der Anwendung des nationalen Insolvenzrechts. Der BGH stellt klar, dass Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung im Insolvenzfall nicht zu Masseverbindlichkeiten aufgewertet werden können, wenn sie auf vor der Insolvenzeröffnung begründeten Vertragsverhältnissen beruhen.
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Für Fluggäste und Verbraucher bedeutet diese Entscheidung, dass sie im Falle einer Insolvenz einer Fluggesellschaft bei Umbuchungen nach Insolvenzeröffnung nicht darauf vertrauen können, dass ihre Beförderungsansprüche als Masseverbindlichkeiten behandelt werden. Sie müssen damit rechnen, dass ihre Ansprüche lediglich Insolvenzforderungen sind und entsprechend der Insolvenzquote befriedigt werden. Dies birgt das Risiko, dass sie im Fall der Annullierung oder Nichterfüllung der Beförderungsleistung nur einen Bruchteil ihrer Aufwendungen erstattet bekommen.
Für Luftfahrtunternehmen und Insolvenzverwalter schafft die Entscheidung Rechtssicherheit hinsichtlich der Behandlung von Vertragsänderungen nach Insolvenzeröffnung. Sie können sich darauf verlassen, dass Umbuchungen keine neuen Masseverbindlichkeiten begründen, sofern keine eindeutige Novation vereinbart wurde. Dies erleichtert die Verwaltung der Insolvenzmasse und verhindert unvorhergesehene Belastungen.
Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer klaren Vertragsgestaltung und Kommunikation mit Kunden im Insolvenzfall. Fluggesellschaften sollten darauf achten, dass Umbuchungen und andere Vertragsänderungen transparent gehandhabt werden und Kunden über die insolvenzrechtlichen Konsequenzen informiert werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Allerdings besteht nach der Entscheidung des BGH keine generelle Aufklärungspflicht der Fluggesellschaft über die insolvenzrechtlichen Folgen einer Umbuchung.
Insgesamt stärkt die Entscheidung den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzrecht und verhindert, dass einzelne Gläubiger durch nachträgliche Vertragsänderungen eine bevorzugte Behandlung erfahren. Für die Praxis bedeutet dies, dass sowohl Unternehmen als auch Verbraucher sorgfältig prüfen müssen, welche rechtlichen Konsequenzen Vertragsänderungen im Insolvenzfall haben und welche Risiken damit verbunden sind.