juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, Beschluss vom 19.09.2024 - IX ZB 13/22
Autor:Tobias Bagusche, RA und FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht
Erscheinungsdatum:27.11.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 168 AO 1977, § 157 AO 1977, § 17 InsO, § 14 InsO, § 119 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-InsR 11/2024 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Bagusche, jurisPR-InsR 11/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Erleichterte Glaubhaftmachung für Finanzämter bei Insolvenzanträgen auf Basis von Steueranmeldungen



Leitsatz

Stützt das Finanzamt den Insolvenzantrag auf Steuerforderungen, die sich - etwa bei Lohn- und Umsatzsteuer - aus Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners ergeben, genügt zur Glaubhaftmachung die genaue Aufstellung der einzelnen Steueranmeldungen und Steuervoranmeldungen zusammen mit der Erklärung des Finanzamts, dass es sich dabei um Forderungen aus entsprechenden (Vor-)Anmeldungen des Schuldners handele.



A.
Problemstellung
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Steuerforderungen durch das Finanzamt bei der Stellung eines Insolvenzantrags zu stellen sind. Konkret stellt sich die Frage, ob das Finanzamt zur Glaubhaftmachung seiner Forderungen verpflichtet ist, Originale oder beglaubigte Abschriften von Steuerbescheiden und Vollstreckbarkeitserklärungen vorzulegen, oder ob eine genaue Aufstellung der Steueranmeldungen und Steuervoranmeldungen des Schuldners ausreichend ist.
Die Problematik ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. 1 InsO, der vorsieht, dass ein Gläubiger seine Forderung glaubhaft machen muss, um einen Insolvenzantrag stellen zu können.
Die Vorinstanzen haben den Insolvenzantrag des Finanzamts als unzulässig zurückgewiesen, da sie der Ansicht waren, dass die Glaubhaftmachung nur durch Vorlage der Originaldokumente oder beglaubigter Abschriften erfolgen könne. Das Finanzamt hingegen argumentiert, dass dies für Steuerforderungen, die auf Steueranmeldungen und Steuervoranmeldungen des Schuldners basieren, nicht erforderlich sei.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der BGH hatte über die Zulässigkeit eines Insolvenzantrags des Finanzamts zu entscheiden, der auf offene Steuerforderungen gegenüber der Schuldnerin basierte. Das Finanzamt beantragte am 22.02.2022 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und legte eine detaillierte Aufstellung der Forderungen nach Steuerart, Zeitraum, Fälligkeit und Betrag vor. Es erklärte zudem, dass die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen gegeben seien und die Forderungen unanfechtbar festgesetzt wurden. Vollstreckungsmaßnahmen, einschließlich eines erfolglosen Pfändungsversuchs am 11.11.2021, blieben ohne Erfolg.
Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – wies den Antrag des Finanzamtes als unzulässig zurück, da das Finanzamt seiner Pflicht zur Glaubhaftmachung nicht ausreichend nachgekommen sei. Es hätte Originale oder beglaubigte Abschriften der Steuerbescheide und eine Vollstreckbarkeitserklärung vorlegen müssen; die bloße Aufstellung und Erklärung genügten nicht. Das Landgericht bestätigte diese Entscheidung und führte aus, dass eine unterzeichnete und gesiegelte Vollstreckbarkeitserklärung erforderlich sei und eine weitere Vereinfachung der Glaubhaftmachung gesetzlich nicht vorgesehen ist.
Das Finanzamt legte Rechtsbeschwerde beim BGH ein und argumentierte, dass keine überzogenen formalen Anforderungen an die Glaubhaftmachung gestellt werden dürften. Eine detaillierte Aufstellung der Forderungen und die Erklärung, dass es sich um Forderungen aus Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners handelt, seien ausreichend.
Der BGH hat die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Finanzamt recht gegeben.
Er stellte hinsichtlich der Anforderungen an die Glaubhaftmachung nach § 14 Abs. 1 InsO fest, dass der Gläubiger seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft machen muss, ohne dass dabei übertriebene formale Anforderungen zu stellen sind. Bei Steuerforderungen aus Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners sei die Situation besonders. Nach § 168 Satz 1 AO stehen diese Anmeldungen einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Da der Schuldner die Steuern selbst anmeldet und meist kein weiterer Steuerbescheid ergeht, genügt zur Glaubhaftmachung eine genaue Aufstellung und entsprechende Erklärung des Finanzamts (BGH, Beschl. v. 13.06.2006 - IX ZB 214/05 - NZI 2006, 590 Rn. 9; BGH, Beschl. v. 15.12.2011 - IX ZB 180/11 - NZI 2012, 95 Rn. 3; BGH, Beschl. v. 12.07.2012 - IX ZB 264/11 - ZInsO 2012, 1418 Rn. 7). Das Finanzamt sei nicht verpflichtet, Originale oder beglaubigte Abschriften von Steuerbescheiden oder eine gesiegelte Vollstreckbarkeitserklärung vorzulegen. An die Glaubhaftmachung seien keine überzogenen formalen Anforderungen zu stellen, insbesondere wenn der Schuldner die Forderungen selbst angemeldet hat und diese unbestritten sind.
Gemäß § 119 Abs. 3 Satz 2 AO bedarf ein mit automatischen Einrichtungen erlassener Verwaltungsakt keiner Unterschrift. Die Schriftform ist auch bei Übersendung einer Bescheidskopie gewahrt (§ 157 AO), was zeigt, dass im Steuerrecht die formalen Anforderungen reduziert sind. Der BGH betonte, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht überspannt werden dürfen. Selbst wenn der Schuldner noch nicht Stellung genommen hat, können detaillierte Angaben des Finanzamts ausreichen.
Das Protokoll des erfolglosen Pfändungsversuchs genügt, um die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO glaubhaft zu machen.
Der BGH hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Dieses muss nun prüfen, ob die weiteren Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorliegen, wobei die Glaubhaftmachung der Forderungen durch das Finanzamt als ausreichend anerkannt wird.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH steht im Kontext der ständigen Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Forderungen im Insolvenzverfahren. Nach § 14 Abs. 1 InsO muss ein Gläubiger seine Forderung glaubhaft machen, um einen zulässigen Insolvenzantrag zu stellen. Dies dient dem Schutz des Schuldners vor unbegründeten Insolvenzanträgen und ermöglicht es dem Gericht, die Zulässigkeit des Antrags zu prüfen, bevor das Verfahren eröffnet wird.
In früheren Entscheidungen hat der BGH bereits klargestellt, dass an die Glaubhaftmachung der Forderung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. So ist beispielsweise die Vorlage eines Steuerbescheids zur Glaubhaftmachung einer Steuerforderung auch dann ausreichend, wenn dieser weder unterschrieben noch mit einem Dienstsiegel versehen ist. Dies gilt insbesondere bei Steuerforderungen, die auf Steueranmeldungen oder Steuervoranmeldungen des Schuldners beruhen.
Der BGH verweist auf die gesetzlichen Regelungen der AO, insbesondere auf § 119 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AO und § 168 Satz 1 AO. Diese Regelungen ermöglichen es den Finanzbehörden, Verwaltungsakte ohne Unterschrift zu erlassen und sehen vor, dass Steueranmeldungen einer Steuerfestsetzung gleichstehen. Dies erleichtert die administrative Handhabung und ist für die Massenverfahren im Steuerrecht notwendig.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung hat Auswirkungen auf die Praxis der Insolvenzantragstellung durch Finanzbehörden. Sie erleichtert es den Finanzämtern, Insolvenzanträge gegen Schuldner zu stellen, da sie nicht mehr verpflichtet sind, umfangreiche Originaldokumente oder beglaubigte Abschriften vorzulegen. Eine detaillierte Aufstellung der Forderungen und die Erklärung, dass diese auf den (Vor-)Anmeldungen des Schuldners basieren, sind ausreichend.
Für die Praxis bedeutet dies:
1. Vereinfachung des Verfahrens: Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind praxisnah und berücksichtigen die Besonderheiten des Steuerrechts. Finanzämter können nun effizienter gegen Schuldner vorgehen, die ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommen.
2. Beschleunigung des Insolvenzverfahrens: Durch die erleichterte Glaubhaftmachung können Insolvenzanträge schneller bearbeitet und das Verfahren zügiger eingeleitet werden. Dies dient sowohl dem Interesse der Gläubiger als auch dem Rechtsfrieden.
3. Rechtssicherheit: Die Entscheidung schafft Klarheit hinsichtlich der Anforderungen an die Glaubhaftmachung und verhindert unterschiedliche Handhabungen durch die Gerichte. Dies fördert die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und gibt den Beteiligten Planungssicherheit.
4. Schutz des Schuldners: Trotz der Erleichterungen für das Finanzamt bleibt der Schutz des Schuldners gewahrt. Der Schuldner hat weiterhin die Möglichkeit, im Verfahren Einwendungen gegen die Forderung zu erheben und seine Rechte zu verteidigen.
5. Vermeidung von Formalismen: Die Entscheidung vermeidet unnötige Formalismen, die dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens entgegenstehen würden. Sie stellt sicher, dass das Verfahren auf die materiellen Aspekte fokussiert bleibt.
Insgesamt stärkt die Entscheidung die Position der Finanzbehörden im Insolvenzverfahren, ohne die Rechte der Schuldner unangemessen zu beschneiden. Sie trägt zu einer effektiveren Durchsetzung von Steuerforderungen bei und unterstützt die Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts als Instrument zur Bewältigung von Zahlungsschwierigkeiten und zur Befriedigung der Gläubiger.



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