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Anmerkung zu:EuGH 3. Kammer, Urteil vom 11.01.2024 - C-755/22
Autor:Reinhold Thode, RiBGH a.D
Erscheinungsdatum:04.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 505 BGB, § 505d BGB, EWGRL 102/87, EGRL 48/2008
Fundstelle:jurisPR-IWR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Universität Bielefeld
Zitiervorschlag:Thode, jurisPR-IWR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Sanktionierung eines Verstoßes des Kreditgebers gegen die Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers nach der vollständigen Erfüllung des Vertrages durch beide Parteien



Tenor

Die Art. 8 und 23 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates sind dahin auszulegen, dass sie in einem Fall, in dem der Kreditgeber gegen seine Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verstoßen hat, der Verhängung einer Sanktion gegen den Kreditgeber nach nationalem Recht, bestehend in der Nichtigkeit des Verbraucherkreditvertrags und dem Verlust seines Anspruchs auf Zahlung der vereinbarten Zinsen, auch dann nicht entgegenstehen, wenn dieser Vertrag von den Parteien vollständig erfüllt wurde und der Verstoß für den Verbraucher keine nachteiligen Folgen hatte.



A.
Problemstellung
Der EuGH hatte aufgrund der Vorlage eines tschechischen Gerichts darüber zu entscheiden, ob nach der RL 2008/48 gegen einen Kreditgeber eine Sanktion verhängt werden kann, wenn der Verstoß gegen die Pflicht zur Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Verbrauchers vor Abschluss eines Kreditvertrags keine nachteiligen Folgen für den Verbraucher hatte. Hierzu führt es aus, zwar hätten einige nationale Gerichte diese Frage selbst dann bejaht, wenn der in Rede stehende Kredit vollständig und ohne Einwände des Verbrauchers zurückgezahlt worden sei, doch komme eine gegenteilige Auslegung in Betracht, die auf einer Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien beruhe und der Tatsache Rechnung trage, dass der Verbraucher ebenfalls für sein Verhalten verantwortlich sei (Rn. 11, 26 des Besprechungsurteils). Dem Ausgangsverfahren lag folgende Streitigkeit zugrunde:
Ein Verbraucher nahm bei der JET Money s.r.o., deren Rechtsnachfolgerin EC Financial Services ist, einen Verbraucherkredit i.H.v. 50 000 tschechischen Kronen (CZK) (ungefähr 2.000 Euro) auf. Vor Abschluss dieses Vertrags machte der Verbraucher eine Reihe von Angaben zu seiner persönlichen und wirtschaftlichen Situation. In der Folge zahlte er für diesen Kredit einen Gesamtbetrag von 85.000 CZK (ungefähr 3.500 Euro) einschließlich der Nebenkosten des Kredits zurück. Er focht den genannten Vertrag während des Rückzahlungszeitraums des Kredits nicht an.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nárokuj, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine Handelsgesellschaft, an die der Verbraucher die Forderungen abtrat, die er gegen den Kreditgeber aus dem Verbraucherkreditvertrag hätte geltend machen können. Vor dem vorlegenden Gericht macht diese Gesellschaft die Nichtigkeit des Kreditvertrags geltend, da der Kreditgeber gegen seine Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verstoßen habe. Im Rahmen ihrer auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützten Klage begehrt sie die Zahlung von 35.000 CZK, der Differenz zwischen dem Darlehensbetrag und dem vom Verbraucher zurückgezahlten Betrag, zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen (Rn. 9).
Die Beklagte des Ausgangsverfahrens ist der Ansicht, dass die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers hinreichend bewertet worden sei und dass jedenfalls die Verbraucherschutzvorschriften keine Anwendung fänden, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Forderung nicht mehr einem Verbraucher, sondern einer Handelsgesellschaft zustehe (Rn. 10).
Der EuGH hat die Zulässigkeit der Vorlagefrage bejaht (Rn. 16 bis 25) und sie im Wesentlichen wie folgt beantwortet (Rn. 26 ff.):
Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 8 und 23 der RL 2008/48 dahin auszulegen sind, dass sie in einem Fall, in dem der Kreditgeber gegen seine Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verstoßen hat, der Verhängung einer Sanktion gegen den Kreditgeber nach nationalem Recht, bestehend in der Nichtigkeit des Verbraucherkreditvertrags und dem Verlust seines Anspruchs auf Zahlung der vereinbarten Zinsen, auch dann nicht entgegenstehen, wenn dieser Vertrag von den Parteien vollständig erfüllt wurde und der Verstoß für den Verbraucher keine nachteiligen Folgen hatte (Rn. 26).
Zunächst ist festzustellen, dass der Umstand, dass sich im Ausgangsrechtsstreit nur Gewerbetreibende gegenüberstehen, der Anwendung der Richtlinie 2008/48 im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht entgegensteht. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, hängt der Geltungsbereich dieser Richtlinie nämlich nicht von der Identität der Parteien des in Rede stehenden Rechtsstreits ab, sondern von der Eigenschaft der Parteien des Kreditvertrags (Rn. 27).
Aus der Vorlageentscheidung geht aber hervor, dass die Forderung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, auf einer Verpflichtung zur Rückzahlung beruht, die durch die Auflösung des Verbraucherkreditvertrags zwischen einem Verbraucher und JET Money, deren Rechtsnachfolgerin EC Financial Services ist, entstand, und dass die Forderung von diesem Verbraucher nach Rückzahlung des Kredits an die Klägerin abgetreten wurde (Rn. 28).
Nach dieser Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass die Erwägungen des vorlegenden Gerichts so verstanden werden können, dass sie sich sowohl auf die etwaige Heilung eines gerügten Verstoßes gegen Art. 8 der Richtlinie 2008/48 aufgrund der vollständigen Erfüllung des Kreditvertrags als auch auf die Vereinbarkeit der im tschechischen Recht vorgesehenen Maßnahmen zur Ahndung eines solchen Verstoßes mit Art. 23 der Richtlinie beziehen. Um die Vorlagefrage sachdienlich zu beantworten, sind diese beiden Aspekte nacheinander zu erörtern (Rn. 29).
Aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 geht hervor, dass der Kreditgeber verpflichtet ist, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vor Abschluss eines Kreditvertrags zu bewerten (Rn. 31).
Dieser Umstand allein erlaubt es jedoch nicht festzustellen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die vollständige Erfüllung des Kreditvertrags einen Verstoß des Kreditgebers gegen seine Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers heilen kann, zumal die Richtlinie 2008/48 nicht festlegt, wie der Kreditgeber dieser Verpflichtung nachzukommen hat oder welche Verpflichtungen sich für ihn aus dem Ergebnis der Bewertung ergeben (Rn. 32).
Was die Prüfung der mit der Richtlinie 2008/48 verfolgten Ziele betrifft, trägt nach ständiger Rechtsprechung die in Art. 8 der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers, da sie den Schutz der Verbraucher vor den Gefahren der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit bezweckt, zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie bei, das, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 7 und 9 ergibt, darin besteht, bei Verbraucherkrediten in einigen Schlüsselbereichen eine vollständige und obligatorische Harmonisierung vorzunehmen, die als notwendig erachtet wird, um allen Verbrauchern in der Europäischen Union ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts für Verbraucherkredite zu erleichtern (Rn. 33).
Außerdem hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass diese Verpflichtung in Anbetracht des 26. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2008/48 auch die verantwortungsbewusste Vergabe von Krediten bezweckt und verhindern soll, dass an nicht zahlungsfähige Verbraucher Kredite vergeben werden (Rn. 34).
Daraus folgt zum einen, dass die Verpflichtung des Kreditgebers zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers schlicht dazu dient, der Gefahr einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit infolge unzureichender Prüfung der Fähigkeit und Bereitschaft des Verbrauchers zur Rückzahlung des Kredits vorzubeugen. Solche finanziellen Folgen des Abschlusses eines Kreditvertrags für die Situation des Verbrauchers können sich aber auch nach der Rückzahlung des Kredits ergeben (Rn. 35).
Zum anderen tragen die verantwortliche Vergabe von Krediten und die Verhinderung unverantwortlicher Praktiken bei ihrer Vergabe an Verbraucher wesentlich zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Verbraucherkreditmarkts bei. Da diese Ziele von der Situation oder dem Verhalten eines bestimmten Verbrauchers unabhängig sind, werden sie nicht allein durch die vollständige Erfüllung des von ihm geschlossenen Kreditvertrags erreicht. Jede andere Auslegung würde dazu führen, der Nichterfüllung der dem Kreditgeber nach Art. 8 der Richtlinie 2008/48 obliegenden Verpflichtung durch ihn Vorschub zu leisten, und könnte dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen (Rn. 36).
Daraus folgt, dass eine Analyse anhand der Ziele von Art. 8 der Richtlinie 2008/48 den Schluss zulässt, dass ein Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung des Kreditgebers, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen, nicht allein aufgrund der vollständigen Erfüllung des Kreditvertrags geheilt werden kann. Es spielt keine Rolle, dass der Verbraucher den Vertrag während des Rückzahlungszeitraums des Kredits nicht angefochten hat (Rn. 37).
Der Umstand, dass sich die Parteien des Kreditvertrags nach dessen vollständiger Erfüllung nicht mehr auf die gegenseitigen Verpflichtungen aus diesem Vertrag berufen können, hat nämlich keine Auswirkung auf das Bestehen einer auf einer Verpflichtung zur Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge beruhenden Forderung, die sich aus der Anwendung einer nationalen Regelung ergibt, mit der ein Verstoß gegen die in Art. 8 der Richtlinie 2008/48 vorgesehene Verpflichtung des Kreditgebers, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen, im Einklang mit Art. 23 dieser Richtlinie geahndet wird (Rn. 39).
Zweitens ist zur Ausgestaltung der Sanktionsregelung für Verstöße gegen die in Anwendung von Art. 8 der Richtlinie 2008/48 erlassenen innerstaatlichen Vorschriften darauf hinzuweisen, dass diese Sanktionen nach Art. 23 der Richtlinie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen (Rn. 40).
Zu diesem Zweck muss die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen, indem sie eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleisten, aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit Art. 8 der Richtlinie 2008/48 verfolgten Ziele erforderlich ist (Rn. 41).
Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass nach tschechischem Recht der Verstoß gegen die in § 86 des Gesetzes Nr. 257/2016 über Verbraucherkreditverträge vorgesehene Pflicht des Kreditgebers, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu bewerten, in § 87 Abs. 1 dieses Gesetzes mit der Nichtigkeit des Kreditvertrags geahndet wird, was dazu führt, dass der Kreditgeber den Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Zinsen verliert.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, bei der Festlegung einer geeigneten, bei einem Verstoß des Kreditgebers gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2008/48 anzuwendenden Sanktionsregelung das Ausmaß des Schadens, der dem Verbraucher durch das Verhalten des Kreditgebers entstanden ist, gebührend zu berücksichtigen (Rn. 45).
Insoweit zielt für den Fall, dass ein von einem Verbraucher geschlossener Kreditvertrag vollständig erfüllt wurde, ohne dass der Verbraucher während oder nach seiner Erfüllung nachteilige Folgen erlitten hat, die in Art. 8 der Richtlinie 2008/48 vorgesehene Verpflichtung – wie sich aus den Rn. 33 und 34 des vorliegenden Urteils ergibt – gleichwohl nicht nur darauf ab, die Verbraucher vor solchen Risiken zu schützen, sondern auch darauf, die Kreditgeber in die Verantwortung zu nehmen und die Gewährung von Krediten an nicht zahlungsfähige Verbraucher zu verhindern (Rn. 46).
Überdies hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, die ebenfalls die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung betraf, bereits entschieden, dass eine Sanktion, die bei einem Verstoß gegen die Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zum Verlust des Anspruchs des Kreditgebers auf die vereinbarten Zinsen führt, der Schwere des mit ihr geahndeten Verstoßes angemessen erscheint (Rn. 48).
Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass einer Nichteinhaltung der Verpflichtung der Kreditgeber aus Art. 8 der Richtlinie 2008/48 Vorschub geleistet werden könnte, wenn die Anwendung einer Sanktion in Form der Nichtigkeit des Kreditvertrags und des Wegfalls des Anspruchs des Kreditgebers auf Zahlung der vereinbarten Zinsen davon abhängig gemacht würde, dass der Verbraucher eine nachteilige Folge erlitten hat. Die Kreditgeber könnten dadurch nämlich dazu veranlasst werden, keine systematische und umfassende Bewertung der Zahlungsfähigkeit aller Verbraucher vorzunehmen, denen sie Kredite gewähren, was im Widerspruch zu den Zielen stünde, die Kreditgeber in die Verantwortung zu nehmen und unverantwortliche Praktiken bei der Gewährung von Krediten an Verbraucher zu verhindern. Eine solche Auslegung könnte zudem den wirklich abschreckenden Charakter der vorgesehenen Sanktion beeinträchtigen (Rn. 49).
Zum anderen kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sanktion, soweit sie zur Auflösung des Kreditvertrags führt, zwar zweifellos schwerwiegende Folgen für den Kreditgeber haben, doch bedeutet dies allein weder, dass er zwangsläufig Nachteile erleiden würde, die außer Verhältnis zu der mit Art. 8 der Richtlinie 2008/48 verfolgten doppelten Zielsetzung stünden, noch, dass die Gefahr, diesen Folgen auch nach Rückzahlung des Kredits ausgesetzt zu werden, eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit darstellen würde.
Daraus folgt, dass – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, den Verstoß gegen die nationalen Vorschriften, mit denen die Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie 2008/48 sichergestellt wird, auch dann mit der Nichtigkeit des Kreditvertrags und dem Verlust des Anspruchs des Kreditgebers auf Zahlung der vereinbarten Zinsen zu ahnden, wenn der Verstoß für den Verbraucher keine nachteiligen Folgen hatte.


C.
Kontext der Entscheidung
Der EuGH bestätigt mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung zu Grundsätzen, die er zum erforderlichen Umfang der Prüfung der Kreditwürdigkeit durch den Darlehensgeber auf der Grundlage seiner Auslegung der Art. 8 und 23 der Richtlinie 2008/48 entwickelt hat (vgl. die Zitate der einzelnen Entscheidungen im Text der Entscheidungsbegründung sowie die Nachweise der zitierten Entscheidungen a.E. der Veröffentlichung unter Celex-Nr. 62022CJ0755 und in juris).
Für den Kontext der Vorlagefrage sind die folgenden beiden Entscheidungen des EuGH von besonderer Bedeutung:
Bei der einen Entscheidung handelt es sich um das Urteil vom 18.12.2014 (C-449/13 - EuZW 2015, 189 m. Anm. Herresthal, EWiR 2015, 97; weitere Nachw. bei juris); diese Entscheidung wird im Besprechungsurteil unter folgenden Rn. zitiert: Rn. 21, 31, 32, 34:
In der Rn. 21 weist der EuGH darauf hin, „dass die RL 2008/48 nicht abschließend festlegt, anhand welcher Angaben der Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu bewerten hat“.
In der Rn. 31 bestätigt der EuGH seine Rechtsprechung, „dass der Kreditgeber verpflichtet ist, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vor Abschluss eines Kreditvertrags zu bewerten. Der Gerichtshof hat bereits auf den vorvertraglichen Charakter dieser Verpflichtung hingewiesen“.
In Rn. 32 führt der EuGH anschließend Folgendes aus: „Dieser Umstand allein erlaubt es jedoch nicht, festzustellen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die vollständige Erfüllung des Kreditvertrags einen Verstoß des Kreditgebers gegen seine Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers heilen kann, zumal die RL 2008/48 nicht festlegt, wie der Kreditgeber dieser Verpflichtung nachzukommen oder welche Verpflichtungen sich für ihn aus dem Ergebnis der Bewertung ergeben“ (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 06.06.2019 - C-58/18 Rn. 42 und 43 - NJW 2019, 2455).
In Rn. 34 bestätigt der EuGH, „dass diese Verpflichtung in Anbetracht des 26. Erwägungsgrundes der RL 2008/48 auch die verantwortungsbewusste Vergabe von Krediten bezweckt und verhindern soll, dass an nicht zahlungsfähige Verbraucher Kredite vergeben werden“ (m.w.N.).
Gegenstand der zweiten Entscheidung sind die Kriterien der Sanktionierung eines Verstoßes des Kreditgebers gegen die Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers (EuGH, Urt. v. 10.06.2021 - C-303/20 - NJW 2021, 3651 m. Anm. Feldhusen, BKR 21, 497; i.E. Besprechungsaufsatz Bartlitz, NJW 2021, 3627).
Rn. 40: In dieser Rn. weist der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung zur Ausgestaltung der Sanktionsregelung hin: „… zur Ausgestaltung der Sanktionsregelung für Verstöße gegen die in Anwendung von Art. 8 der Richtlinie 2008/48 erlassenen innerstaatlichen Vorschriften darauf hinzuweisen, dass diese Sanktionen nach Art. 23 der Richtlinie wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.“
Rn. 47: In dieser Rn. bestätigt der EuGH seine Rechtsprechung zur Sanktionierung eines Verstoßes mit dem Verlust des Zinsanspruchs: Der EuGH hat bereits entschieden, dass in Anbetracht der wesentlichen Bedeutung, die dieser Verpflichtung im Kontext der RL 2008/48 zukommt, ein Verstoß gegen sie nach nationalem Recht mit dem Verlust des Zinsanspruchs des Kreditgebers geahndet werden kann.
Diese Grundsätze hat er auf den Fall übertragen, der der Vorlagefrage zugrunde liegt, dass die Parteien den Vertrag vollständig erfüllt hatten und der Verstoß für den Verbraucher keine nachteiligen Folgen hatte (Rn. 52, Tenor der Entscheidung).
Hinsichtlich der nationalen Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes, mit denen die Umsetzung des Art. 8 der RL 2008/48 sichergestellt wird, hat der EuGH entschieden, dass – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, den Verstoß gegen die nationalen Vorschriften, mit denen die Umsetzung von Art. 8 der RL 2008/48 sichergestellt wird, auch dann mit der Nichtigkeit des Kreditvertrags und dem Verlust des Anspruchs des Kreditgebers auf Zahlung der vereinbarten Zinsen zu ahnden, wenn der Verstoß für den Verbraucher keine nachteiligen Folgen hatte (Rn. 51).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des EuGH bestätigt die im Schrifttum geäußerte Auffassung, dass die in § 505d BGB genannten Sanktionen den Anforderungen an die von EuGH in ständiger Rechtsprechung erforderlichen Rechtsfolgen eines Verstoßes des Kreditgebers gegen die vorvertragliche Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers nicht genügen (Kops in: BeckOKG, Stand: 15.03.2024, § 505d BGB Rn. 28; Bartlitz, NJW 2021, 3627 Rn. 19 ff: Besprechungsaufsatz zu EuGH Urt. v. 10.06.2021 -C-303/20 - NJW 2021, 3672). Die in § 505 Abs. 1 BGB vorgesehenen Sanktionen für einen Verstoß gegen die Kreditwürdigkeitsprüfung, deren Regelung in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegt (zu § 505d BGB i.E. Harnos in: BeckOKG, Stand: 01.03.2024, § 514 Rn. 26 bis 26.3., § 505d Rn. 15 ff.), genügen nicht den unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 23 RL 2008/48), die nach ständiger Rechtsprechung erfordern, dass die Rechtsfolgen wirksam, abschreckend und verhältnismäßig sein müssen (Rn. 39 f. m.w.N.; i.E. zu den unionsrechtlichen Vorgaben Weber in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2023, § 505 Rn. 3, 4; § 494 BGB Rn. 5, 27; Kops in: BeckOKG, Stand: 15.03.2024, § 505 Rn. 28 m.w.N.; Micklitz/Rott in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Werkstand: 59. EL, Oktober 2023, H. V. Verbraucherschutz Rn. 448 bis 452).
Nach wie vor umstritten ist, ob § 505d BGB eine abschließende Regelung im Verhältnis zu allen anderen, nicht in § 505d BGB genannten Sanktionen ist (Knops in: BeckOKG, Stand: 15.03.2024, § 505d BGB Rn. 21 bis 22, mit ausführlicher Erörterung der unterschiedlichen Auffassungen und deren Folgen).



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