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Anmerkung zu:LG Berlin II 67. Zivilkammer, Urteil vom 05.03.2024 - 67 S 179/23
Autor:Carsten Herlitz, Justiziar GdW, RA und Lehrbeauftragter der EBZ Business School
Erscheinungsdatum:20.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 314 ZPO, § 543 BGB, § 626 BGB, § 619a BGB, § 286 BGB, § 573 BGB, § 280 BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 12/2024 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Herlitz, jurisPR-MietR 12/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Beweislast des Vermieters für Verschulden bei Kündigung eines Mieters wegen Pflichtverletzung



Leitsatz

Die Schuldhaftigkeit der dem Wohnraummieter zur Last gelegten Pflichtverletzung ist eine Kündigungsvoraussetzung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Beweislast dafür richtet sich nach allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsätzen. Sie obliegt dem Vermieter (entgegen BGH, Urt. v. 13.04.2016 - VIII ZR 39/15 - ZMR 2016, 523, juris Tz. 17).



A.
Problemstellung
Die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangt eine nicht unerhebliche Verletzung der Pflichten aus dem Mietvertrag. Diese muss schuldhaft begangen worden sein. Die Entscheidung verhält sich nun zu der Frage, welche Partei das Verschulden darzulegen und zu beweisen hat. Dies ist umstritten.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger begehren von dem Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in Berlin-Prenzlauer Berg. Grund waren mehrere verhaltensbedingte Kündigungen, nachdem der Beklagte an den Kläger zu 1) WhatsApp-Nachrichten mit antisemitischen und sonstigen Beleidigungen versandte.
Das Amtsgericht hatte die Klage nach Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens abgewiesen. Zwar habe der Beklagte pflichtwidrig gehandelt, doch sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Sachverständigen an einer schizophreniformen Psychose leide und anzunehmen sei, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt jedenfalls deutlich vermindert gewesen sei. Die anwaltliche Schriftsatzkündigung vom 01.06.2023 sei mangels qualifizierter elektronischer Signatur formunwirksam.
Gegen diese Entscheidung legten die Kläger Berufung ein und rügten unter anderem, das Amtsgericht habe verkannt, dass es auf ein Verschulden des Mieters für die Wirksamkeit einer Kündigung nicht zwingend ankomme. Zudem habe das Amtsgericht die Beweislast für das Verschulden rechtsfehlerhaft ihnen auferlegt, anstatt den beklagten Mieter für fehlendes Verschulden als beweisbelastet zu erachten. Es habe zudem unzutreffende Tatsachenfeststellungen getroffen. Soweit sie erstinstanzlich die Kündigung auch wegen unredlichen Prozessverhaltens erklärt hätten, sei diese vom Amtsgericht für formunwirksam erklärte Kündigung jedenfalls in Form einer – unstreitig – in der Berufungsbegründung sowie außergerichtlich neuerlich und nunmehr formgerecht erklärten Wiederholungskündigung wirksam
Aber auch die Berufung brachte den Klägern keinen Erfolg. Das LG Berlin II hat diese als unbegründet abgewiesen.
1. Zur Frage der Erheblichkeit
Das Landgericht meinte, dass die zum Gegenstand der Kündigungen erhobenen Pflichtverletzungen des Beklagten noch nicht derart erheblich seien, dass sie eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen. Abzustellen sei für die Beurteilung der Erheblichkeit auf sämtliche Umstände des Einzelfalls (st. Rspr. der Kammer, vgl. nur LG Berlin, Beschl. v. 08.02.2022 - 67 S 298/21 - WuM 2022, 226; LG Berlin II, Beschl. v. 11.03.2024 - 67 S 289/23 Rn. 8 m.w.N.).
Das Gericht verwies hier auf dem Umstand, dass der schwerbehinderte Beklagte vor Ausspruch der Kündigung von den Klägern nicht abgemahnt worden sei, das Mietverhältnis ausweislich der die Kammer gemäß § 314 ZPO bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Amtsgerichts zum Zeitpunkt der Kündigung bereits seit nahezu 20 Jahren im Wesentlich unbeanstandet andauerte, der Beklagte bei Abfassung der zum Gegenstand der Kündigungen erhobenen Nachrichten offensichtlich emotional entgleist sei und die dem Beklagten zur Last gelegten – für sich genommenen allerdings schwerwiegenden – Beleidigungen schon aufgrund des wirren und im Einzelnen widersprüchlichen Inhalts der übermittelten Nachrichten vom 22.01.2022 ebenso offensichtlich pathologischer Natur gewesen seien (vgl. BAG, Urt. v. 30.09.1993 - 2 AZR 188/93 - EzA § 626 n.F. BGB Nr 152 Rn. 25 ff., Arbeitnehmerkündigung; OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2011 - 17 UF 3/11 - FamRZ 2012, 456 Rn. 9, prima facie-Beweis; LG Berlin, Beschl. v. 19.12.2017 - 67 S 280/17 - Grundeigentum 2018, 394, prima facie-Beweis).
2. Zum Verschulden
Nach Ansicht des Landgerichts fehlt es weiter an einem für die Anwendbarkeit des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB konstitutiven Verschulden des Beklagten. Zwar haben die Kläger ein solches behauptet, doch haben sie als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei auf das substanziierte – und den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast genügenden – Bestreiten des Beklagten den Beweis schuldhaften Verhaltens nicht zu führen vermocht. Auch deshalb sind die Kündigungen unwirksam.
Das Gericht wies darauf hin, dass die kündigungsrechtliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das dem Gekündigten zur Last gelegte Verschulden im Einzelnen streitig sei: Während der VIII. Zivilsenat des BGH und das ganz überwiegende Schrifttum den gekündigten Wohnraummieter als für fehlendes Verschulden darlegungs- und beweisbelastet erachten (vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2016 - VIII ZR 39/15 Rn. 17 - ZMR 2016, 523; Rolfs in: Staudinger, BGB, Stand: 08.11.2023, § 573 Rn. 45 m.w.N.), legen der II. Zivilsenat des BGH und das BAG dem Kündigenden die volle Beweislast für ein schuldhaftes Verhalten des Gekündigten auf und weisen dem Gekündigten lediglich eine sekundäre Darlegungslast für von ihm behauptete Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen zu (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 20.02.1995 - II ZR 9/94 Rn. 14 - ZIP 1995, 560; BGH, Urt. v. 28.10.2002 - II ZR 353/00 Rn. 13 - NJW 2003, 431 = ZIP 1995, 560; BAG, Urt. v. 03.11.2011 - 2 AZR 748/10 - NZA 2012, 607).
Das Gericht folgte der letztgenannten Auffassung (vgl. LG Berlin, Urt. v. 16.06.2016 - 67 S 125/16 Rn. 25 ff. - ZMR 2016, 695; LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2016 - 67 S 214/16 Rn. 8 - WuM 2016, 741). Zur Begründung meinte das Landgericht, dass hierfür nicht nur der Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB stehe, sondern auch der Wille des Gesetzgebers. Denn der Gesetzesbegründung zu § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (BT-Drs. 14/4553, S. 65) und den Gesetzgebungsverfahren zu dessen Vorgängerregelungen ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Beweislast für zwischen den Parteien streitiges Verschulden entgegen dem Wortlaut der Norm sowie abweichend von allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsätzen und der gegenteiligen Rechtsprechung des BAG zur Arbeitnehmerkündigung sowie der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH zur Geschäftsführerkündigung gerade im Rahmen der Kündigung des grundrechtlich besonders geschützten Wohnraummietverhältnisses ausnahmsweise dem Gekündigten zuweisen wollte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.05.1993 - 1 BvR 208/93 Rn. 27 ff. - NJW 1993, 2035). Ebenso wenig habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, die Beweislastverteilung innerhalb des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht einheitlich verteilen, sondern sie stattdessen nur für die Pflichtverletzung und deren Erheblichkeit dem Vermieter und im Übrigen dem Mieter zuweisen zu wollen.
Aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, der für den Fall einer dem Schuldner gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Last fallenden Pflichtverletzung und eines dem Gläubiger dadurch entstehenden Schadens ausnahmsweise keine Ersatzpflicht anordnet, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, folge nichts anderes. Denn die Norm sei schon ausweislich ihres Wortlauts ausschließlich auf Schadensersatzansprüche, nicht jedoch auf die Kündigungstatbestände der §§ 543, 573 und 626 BGB anwendbar. Bereits deshalb treffe die gegenteilige Wertung, es könne § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB „entnommen werden“, dass der Mieter im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB für fehlendes Verschulden beweispflichtig sei, nicht zu (so aber BGH, Urt. v. 13.04.2016 - VIII ZR 39/15 Rn. 17 - ZMR 2016, 523).
Zudem beanspruche die Annahme, Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe seien als Ausnahmetatbestände, die einen Sachverhalt, der regelmäßig rechts- oder vertragswidrig ist, ausnahmsweise rechtfertigen oder entschuldigten, von demjenigen zu beweisen, der sich auf sie berufe, ausschließlich für Schadensersatzansprüche Geltung (vgl. BAG, Urt. v. 27.05.2015 - 5 AZR 88/14 - NZA 2015, 1053). Diese haftungsrechtliche Beweislastverteilung gilt nicht für die stets vom Kündigenden nachzuweisenden Voraussetzungen für die Ausübung eines Gestaltungsrechts (vgl. BAG, Urt. v. 27.05.2015 - 5 AZR 88/14; Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl. 2015, § 22 Rn. 560 m.w.N.; Vossen in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 7. Aufl. 2024, § 626 Rn. 175 m.w.N.). Genau um ein solches aber handelt es sich bei der von einem Vermieter ausgesprochenen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses.
Dieses Gesetzesverständnis, so das Gericht weiter, stehe im Einklang mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Der mit Wirkung zum 01.01.2002 eingeführte § 280 BGB ist die grundlegende Norm der Schadenshaftung, nicht aber des Kündigungsrechts (vgl. Lorenz in: BeckOK BGB, Stand: 01.02.2002, § 280 Rn. 1 m.w.N.). Er solle ausweislich der eindeutigen Begründung des Gesetzgebers ausschließlich Schadensersatzansprüche regeln, nicht aber das Recht zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen beeinflussen (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 135). Dementsprechend habe der Gesetzgeber § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich und ausschließlich als Beweisregel für Schadensersatzpflichten des Schuldners ausgestaltet, nicht aber als eine solche für das arbeits-, mietrechtliche und sonstige Kündigungsrecht (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 136).
Interessant sind die weiteren Aussagen des Gerichts zu gesetzessystematischen Erwägungen:
Der Gesetzgeber habe mit der zeitgleich zu § 280 BGB am 01.01.2001 in Kraft getretenen Vorschrift des § 619a BGB angeordnet, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Ersatz für den aus der Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis entstehenden Schaden nur zu leisten hat, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat. § 619a BGB sei eine vom Gesetzgeber bewusst geschaffene Sonderregelung zur Darlegungs- und Beweislast für vertragliche Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen seine Arbeitnehmer. Sie solle den Arbeitnehmer haftungsrechtlich davor schützen, dass er sein fehlendes Vertretenmüssen darlegen und beweisen muss, wie es § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung einer vertraglichen Pflicht aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB vorsehe (vgl. Feuerborn in: BeckOGK BGB, Stand: 01.02.2024, § 619a Rn. 2 m.w.N.). Durch die Einführung des § 280 BGB sollten „die gesicherten Grundsätze des Arbeitsrechts“ nach dem Willen des Gesetzgebers aber ohnehin „keinen Schaden nehmen“ (vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 11); vielmehr sollte der „arbeitsrechtlichen Besitzstand ungeschmälert erhalten“ bleiben (vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 48). Zu den gesicherten Grundsätzen des Arbeitsrechts und dem arbeitsrechtlichen Besitzstand gehörten vor Einführung der §§ 280, 619a BGB aber nicht nur die richterrechtlich entwickelten Grundsätze zur Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers, sondern auch die durch die gefestigte Rechtsprechung des BAG dem Arbeitgeber kündigungsrechtlich zugewiesene Beweislast für das Fehlen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen aufseiten des gekündigten Arbeitnehmers (vgl. nur BAG, Urt. v. 06.08.1987 - 2 AZR 226/87 Rn. 21 ff. - NJW 1988, 438; BAG, Urt. v. 18.10.1990 - 2 AZR 204/90 Rn. 24 ff. - RzK I 10h Nr. 30).
Diesen kündigungsrechtlichen „Besitzstand“ habe der Gesetzgeber durch die Neukonzeption des Schuldrechts und die Schaffung der Beweislastregel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht als gefährdet angesehen, sondern lediglich die von der Rechtsprechung des BAG geprägten Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung (vgl. BT-Drs. 14/7052, S. 204). Dementsprechend bestand für den Gesetzgeber keinerlei Veranlassung, § 619a BGB zur Verhinderung von mit der Einführung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB verbundenen Nachteilen kündigungsrechtlicher Natur einzuführen, sondern ausschließlich zur Vermeidung haftungsrechtlicher Nachteile für die bislang durch die haftungsrechtliche Rechtsprechung des BAG privilegierten Arbeitnehmer. Diese Ausgangslage gebiete ebenfalls den Schluss, dass der Gesetzgeber § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht den Charakter einer allgemein gültigen Beweislastregel und erst recht keiner solchen beimessen wollte, die bei kündigungsrechtlichen Auseinandersetzungen über den Bestand von Dauerschuldverhältnissen die Beweislast für die fehlende Rechtswidrigkeit oder fehlendes Verschulden in regelmäßig prozessentscheidender Weise zulasten des Gekündigten verschiebt. Damit aber scheide § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als kündigungsrechtliche Beweislastregel nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch im Mietrecht aus.
Nach diesen Feststellungen verwies das Gericht auf die Schuldunfähigkeit des Beklagten, etwa aufgrund einer Mehrfachabhängigkeit mit regelmäßigem Konsum von Alkohol, Cannabis und Amphetaminen sowie einer substanzbedingten schizophreniformen Psychose.
Der Sachverständige konnte weder mit Sicherheit bejahen, dass der Beklagte über die Einsicht verfügte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder über die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, noch konnte er ausschließen, dass die Einsicht und Fähigkeit des Beklagten zum Tatzeitpunkt vollständig aufgehoben waren. Da der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Schuldunfähigkeit des Beklagten der Kammer gegenüber mit immerhin 20% eingeschätzt hat, war eine richterliche Überzeugung von einer jedenfalls eingeschränkten Schuldfähigkeit des Beklagten nicht mit einer Gewissheit zu gewinnen, die Zweifeln hinreichend Schweigen geboten hätte. Letztere indes wäre für die Kläger erforderlich gewesen, um den Beweis schuldhaften Handelns des Beklagten mit Erfolg zu führen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 16.04.2013 - VI ZR 44/12 Rn. 8 - NJW 2014, 71).
Abschließend ließ das Landgericht die Revision nicht zu, da die Beurteilung der übrigen Kündigungen keine abstrakten Rechtsfragen von grundsätzlicher oder revisionsrechtlich vergleichbarer Bedeutung aufweise.


C.
Kontext der Entscheidung
Von Interesse ist insbesondere die Frage, welche Partei ein Verschulden darzulegen und im Prozess zu beweisen hat, sofern der Vermieter die ordentliche Kündigung auf eine nicht nur unerhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten des Mieters stützt, vgl. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Hier folgt das LG Berlin II der Ansicht, dass dem Vermieter die volle Beweislast trifft und bemüht dabei die BAG-Rechtsprechung aus dem Arbeitsrecht sowie die Begründung des Gesetzesentwurfs. Nach herrschender Ansicht liegt die Darlegungs- und Beweislast für objektive Tatbestandsmerkmale hingegen beim Vermieter; für das Verschulden soll entsprechend den §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 286 Abs. 4 BGB eine umgekehrte Last gelten. Demnach trifft den Mieter die Beweislast dafür, dass er die nicht nur unerhebliche Vertragsverletzung nicht zu vertreten hat.
Die Anwendung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB auch bei der Frage der Beweislastverteilung im Rahmen des Verschuldens wird mit dem Argument begründet, dass die Norm Ausdruck einer darüber hinausgehenden Verteilung der Beweislast im Schuldverhältnis sei, nach der es dem Schuldner obliegt, sich für die in seinem Gefahrenbereich entstammenden Risiken, denen der Gläubiger regelmäßig fernsteht, zu exkulpieren (Häublein in: MünchKomm BGB, § 573 Rn. 89).
Ob es auf diese Streitfrage in der Praxis ankommt, erscheint häufig fraglich. Denn vollkommen unbestritten ist, dass der Vermieter darlegen und beweisen muss, dass der Mieter eine vertragliche Pflicht aus dem Mietverhältnis nicht nur unerheblich verletzt hat. Gelingt dem Vermieter dieser Beweis, so ist zu unterstellen, dass dies zumindest fahrlässig erfolgt. Der Mieter kennt den Vertrag und seine sich aus dem Mietverhältnis ergebenen Rechte und Pflichten. Zuvor wird der Mieter auch häufig – obwohl keine gesetzliche Voraussetzung – gemahnt und auf seine Pflichtverletzung hingewiesen werden. Aus der Sicht des Vermieters und anhand der äußeren objektiven Umstände wird von einem schuldhaften Verhalten auszugehen sein.
Diese Annahme muss der Mieter aber nunmehr zerstreuen. Dies kann der Mieter aber nur dadurch, indem er das Gericht von seiner Unschuld „überzeugt“ bzw. eine „non-liquet“-Situation herbeigeführt wird. Der Mieter muss sich entlasten.
So meinte der BGH auch mit Beschluss vom 20.07.2016 (VIII ZR 238/15) zur Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der ordentlichen Kündigung, dass eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit den Mieter im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB bei einer ordentlichen Kündigung entlasten kann und ihm im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs die Möglichkeit eröffnen, sich auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe zu berufen. Hier genüge es, wenn der Mieter ernstlich in Betracht kommende Möglichkeiten darlegt, dass ein Verschulden nicht besteht, weil er insoweit alle ihm obliegende Sorgfalt beachtet hat.
Die Entscheidung des BGH verlangt also ernsthafte Gründe, dafür, dass ein Verschulden nicht besteht. Er koppelt dies daran, dass der Mieter darlegt, dass die Sorgfaltspflicht beachtet wurde. Ähnlich auch der BGH mit Urteil vom 13.04.2016 (VIII ZR 39/15) zum falschen Lüftungsverhalten.
Pflichtverletzung als objektiver Tatbestand und darzulegende Tatsache auf der einen Seite, sowie das Verschulden auf der anderen Seite hängen also auch nach dem BGH eng miteinander zusammen. Wer nämlich eine Pflicht verletzt, handelt – aus der Sicht des Betrachters – zumeist schuldhaft. Dies zu zerstreuen, obliegt nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung nunmehr der anderen Partei. Dabei reichen ernsthafte Zweifel aus.
Von diesem Prinzip wird im Kern auch § 280 BGB getragen. Ausweislich der Begründung wird auch hier in der Pflichtverletzung das Verschulden impliziert, der Schuldner muss umgekehrt jetzt darlegen, dass dies nicht der Fall ist (BT-Drs. 14/6040, S. 136 ff.) Wie dargestellt verlangt der BGH aber nicht den Vollbeweis des Mieters, sondern die ernsthafte Möglichkeit des unverschuldeten Handelns.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Bei einer erheblichen Vertragsverletzung sollte vor einer ordentlichen Kündigung der Mieter entsprechend gemahnt werden bzw. zu der Erklärung aufgefordert werden, warum die Pflicht verletzt worden ist. Dies dürfte etwaige Fragen nach dem Verschulden von vorneherein im Keim ersticken. Andernfalls aber dürfte es folgerichtig sein, dass – sofern sich nichts anderes aufdrängt – sich allein aus der Pflichtverletzung ein Verschulden ergibt, es sei denn, der Mieter entkräftigt dies. Das sog. Offizialprinzip greift im Mietrecht nicht.



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