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Anmerkung zu:LG Berlin 66. Zivilkammer, Beschluss vom 01.02.2024 - 66 S 103/23
Autor:Barbara Finker, RA'in und FA'in für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Erscheinungsdatum:18.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 41 GKG 2004, § 558 BGB, § 174 BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 14/2024 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Finker, jurisPR-MietR 14/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zurückweisungsrecht nach § 174 BGB gegen anwaltlich ausgesprochene Kündigung bei nur mit dem Namen des Mandanten ausgefüllter Anwaltsvollmacht



Leitsatz

Das Recht zur Zurückweisung einer Kündigung nach § 174 BGB schützt das Interesse des Mieters an sicherer Kenntnis darüber, ob dem Vertreter die in Anspruch genommene Befugnis für das konkrete Rechtsverhältnis tatsächlich eingeräumt worden ist. Alle nach der beigefügten Vollmachtsurkunde verbleibenden Zweifel und Undeutlichkeiten gehen zu Lasten des Erklärenden. Die Zurückweisung kann deshalb auch bei Verwendung des Vordrucks für eine Rechtsanwaltsvollmacht begründet sein, wenn diese ausschließlich den Namen des Vermieters enthält, aber jeder Hinweis auf die Person des Mieters oder auf ein konkret in Bezug genommenes Rechtsverhältnis fehlt.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Für die anwaltliche Kündigung eines Mietverhältnisses muss die vom Mandanten erteilte Vollmacht im Einzelfall einen Bezug zu dem konkreten Rechtsverhältnis erkennen lassen.



A.
Problemstellung
Das LG Berlin hatte die Wirksamkeit einer anwaltlich ausgesprochenen Kündigung eines Mietverhältnisses nach einer vom Mieter erhobenen Vollmachtsrüge nach § 174 BGB zu prüfen. Die der Kündigung beigefügte Vollmacht ließ im Rubrum lediglich den Namen des Vermietermandanten erkennen, enthielt aber keinen Hinweis auf den Mieter oder das Mietobjekt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das erstinstanzlich zuständige AG Kreuzberg hatte die Räumungsklage abgewiesen.
Der Kläger und Berufungskläger ging in zweiter Instanz weiterhin von der Wirksamkeit seiner ursprünglichen Kündigung aus. Der Erklärungsempfänger der Vollmacht habe im Zweifel davon ausgehen dürfen bzw. müssen, dass der Vollmachtgeber den Anwalt ohne Einschränkung auf einen bestimmten Gegner oder ein bestimmtes Rechtsverhältnis generell zur Abgabe der in der Vollmacht genannten Willenserklärungen habe bevollmächtigen wollen. Hilfsweise berief sich der Berufungskläger darauf, dass er die Kündigung zwischenzeitlich erneut ausgesprochen habe und jedenfalls diese, hilfsweise erklärte, letzte Kündigung das Mietverhältnis mittlerweile wirksam beendigt habe. Er beantragte im Übrigen die Zulassung der Revision, da die Frage, ob ein wie hier ausgefülltes Vollmachtsformular den Wirksamkeitsanforderungen genüge, für eine Vielzahl von Fällen von grundsätzlichem Interesse sei.
Das LG Berlin hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Vom Gericht sei nicht etwa die Frage der Wirksamkeit der Vollmacht zu prüfen und festzustellen, sondern die Wirksamkeit der Kündigung und in diesem Rahmen die Frage, ob die gerügte Vollmacht dem Erklärungsempfänger erlaube, zweifelsfrei zu beurteilen, ob in Bezug auf die ausgesprochene Erklärung ein wirksames Vertreterhandeln vorliege oder nicht. Hierbei sei ein strenger Maßstab anzusetzen.
Danach sei die allein streitgegenständliche, erste Kündigung unwirksam; die Vollmachtsrüge berechtigt. Denn die Vollmacht erlaube es dem Empfänger nicht in der erforderlichen Deutlichkeit und Unmissverständlichkeit, ihr die Befugnis des Vertreters zur Kündigung des streitgegenständlichen Mietvertrages zu entnehmen.
Im oberen Teil beginne die Urkunde mit den Worten: „Dem Rechtsanwalt (…) wird hiermit in Sachen (…) ./. (…) Vollmacht erteilt.“ Vor dem Wort „Vollmacht“ seien zwei über die gesamte Seitenbreite angelegte, auszufüllende Felder vorgesehen, die in der Mitte durch das Zeichen „./.“ getrennt seien. Der Empfänger der Urkunde erwarte bei Verwendung dieses Formulars mit Recht, dass er in der Urkunde als Beteiligter an dem Streitverhältnis in irgendeiner Weise erkennbar werde. Vorliegend sei aber lediglich auf der linken Seite der Name des Klägers eingesetzt worden.
Der Empfänger der so ausgefüllten Urkunde müsse auch nicht im Zweifel davon ausgehen, dass der aus der Urkunde erkennbare Mandant seinem Anwalt eine Generalvollmacht habe erteilen wollen. Der Formularteil, der unter anderem auch die Vertretung in Scheidungs- und Strafsachen erlaube, enthalte einen „für alle Fälle“ vorgedruckten Text, der als Spiegel eines rechtsgeschäftlichen Willens nicht verstanden werden könne, sei aber wiederum nicht so allgemein, dass von einer Generalvollmacht ausgegangen werden könnte.
Vielmehr sei „im Zweifel“, und zwar „in jedem Zweifel, den die vorgelegte Urkunde nicht beseitigt“, das Zurückweisungsrecht des Empfängers nach § 174 BGB begründet. Die damit verbundene Strenge sei dadurch gerechtfertigt und ausbalanciert, dass die etwaige Zurückweisung „sogleich“ erfolgen müsse und derjenige, der das Rechtsgeschäft vornehmen wollte, eine zweifelsfreie erneute Vornahme „jederzeit kurzfristig“ einleiten könne.


C.
Kontext der Entscheidung
Wie das Landgericht deutlich herausgearbeitet hat, kommt es nach erhobener Vollmachtsrüge nicht darauf an, ob der Vollmachtgeber den Vollmachtnehmer „in Wirklichkeit“ bzw. im Innenverhältnis bevollmächtigt hat, die in Rede stehende Erklärung abzugeben, sondern darauf, ob im Außenverhältnis der Erklärungsempfänger aufgrund des im konkreten Einzelfall gesetzten Rechtsscheins irgendeinen Anlass hat, daran zu zweifeln.
Vollmachtsurkunden sind auszulegen; sie müssen, um Zweifel auszuräumen, den Bevollmächtigten die Erteilung der Vollmacht „... und deren Umfang deutlich niederlegen“ (Schubert in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2021, § 172 BGB Rn. 15), wobei sich „die Befugnis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts mit der erforderlichen Eindeutigkeit ergeben muss“ (Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 174 BGB Rn. 5 m.w.N.).
Konkret in Bezug auf Rechtsanwaltsvollmachten nimmt die Entscheidung Bezug auf das Urteil des LG Berlin vom 08.10.2001 (61 S 608/00 - NZM 2002, 821), wonach alles, was in das Feld „wegen“ im Vollmachtsformular eingetragen sei, zu einer Eingrenzung der Vollmacht führe. Ist in diesem „Betreff“ der Vollmacht eingetragen, der Anwalt werde mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung bevollmächtigt, so dürfe der Empfänger berechtigterweise daran zweifeln, dass der Anwalt hilfsweise auch Vollmacht zum Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung habe.
In beiden Berliner Entscheidungen geht es um anwaltlich für den Vermieter ausgesprochene Kündigungen von Mietverträgen; beide Entscheidungen lassen geringe, nicht unbedingt naheliegende Zweifel an der Vollmacht genügen.
Es wäre dabei durchaus nachvollziehbar, wenn die Tatsache, dass es sich bei den Erklärungen um eine Mietvertragskündigung handelt, beim Ansatz des Prüfungsmaßstabs eine Rolle gespielt hätte.
Interessanterweise wird dieser Aspekt in dem hier besprochenen Urteil allerdings gar nicht aufgegriffen. So wird zwar die Urkunde minutiös analysiert, aber der Inhalt der in Vollmacht abgegebenen Willenserklärung nicht in die Auslegung einbezogen.
Das ist m.E. nicht selbstverständlich, wird doch der Erklärungsempfänger ein viel größeres Misstrauen gegen den Umfang einer Vollmacht haben, wenn die Erklärung für beide Parteien insgesamt von vergleichsweise großer Bedeutung ist, als bei einer eher unwesentlichen Erklärung. Auch ist Misstrauen eher geboten, wenn die Erklärung inhaltlich nicht zu demjenigen passt, was vom Vollmachtgeber zu erwarten wäre oder wenn der Erklärung nach nicht auszuschließen ist, dass der (vermeintlich) Bevollmächtigte irgendein Eigeninteresse an der Erklärung hat.
Der Ausspruch einer Kündigung ist aufgrund der Wertvorschrift in § 41 Abs. 2 GKG auch für den Vermieter in der Regel mit einem nicht unerheblichen Kostenrisiko verbunden, von der Tragweite für den Mieter ganz zu schweigen. Für den Anwalt ist die Erklärung einer Mietvertragskündigung in der Regel deutlich lukrativer als beispielsweise der Ausspruch eines Mieterhöhungsverlangens nach § 558 BGB. Eine Vollmacht, die ausschließlich Namen und Unterschrift des Vollmachtgebers enthält, könnte dem Anwalt z.B. theoretisch für ein ganz anderes Mandat erteilt worden sein.
Dass die Vollmachtsrüge insoweit auch ohne jegliche Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des bevollmächtigten Anwalts durchgreifen soll, ist aus anwaltlicher Sicht zwar ein wenig ehrenrührig, im Ergebnis aber wohl im Sinne der Sicherheit des Rechtsverkehrs zu befürworten.
§ 174 BGB soll dem Schutz des Rechtsverkehrs dienen, in dem der Vollmachtgeber und der Vertreter agieren, wie auch dem Interesse des Erklärungsempfängers, auf der Grundlage der ihm vorliegenden Originalurkunden zweifelsfrei beurteilen zu können, ob bei dem fraglichen Rechtsgeschäft ein wirksames Vertreterhandeln vorliegt oder nicht. Dass hierbei ein strenger Maßstab anzusetzen ist, soll sich dadurch rechtfertigen, dass es dem Erklärenden – in der Regel – möglich ist, die Erklärung noch einmal unter Beifügung einer klarer formulierten Vollmacht zu wiederholen und durch das Erfordernis der „Unverzüglichkeit“ der Zurückweisung – in der Regel – auch nicht allzu viel Zeit verloren wird.
Die sich aufdrängende Frage, ob dieser strenge Maßstab wirklich auch für Einzelfälle gelten kann, in denen es dem Vollmachtgeber eben nicht ohne Weiteres möglich ist, die Erklärung zu wiederholen, weil er (beispielsweise aus gesundheitlichen oder räumlichen Gründen) nicht mehr in der Lage ist, (kurzfristig) erneut Vollmacht zu erteilen und hierdurch Fristen versäumt werden, deren Versäumnis starke Nachteile für den Vollmachtgeber auslöst, bedurfte im Rahmen der vorliegenden Entscheidung keiner Erörterung.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit aufseiten des Erklärenden ist im Hinblick auf die hier besprochene Entscheidung – gerade bei der Abgabe von Kündigungserklärungen – mehr denn je ein erhöhtes Sorgfaltsmaß in Bezug auf die Vollmacht geboten. Der Mandant selbst macht sich erfahrungsgemäß in den seltensten Fällen Gedanken um den Inhalt der Vollmacht. Dass diese auch nur vollständig durchgelesen wird oder sogar darum gebeten wird, unpassende Passagen, die weite Eingriffe in seine Rechte erlauben würden, auszustreichen, dürfte jedenfalls eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Lässt man den Mandanten auch das Rubrum, namentlich auch das „wegen“-Feld selbst ausfüllen, wird dies häufig freigelassen oder laienhaft mit Begrifflichkeiten gefüllt, die aus anwaltlicher Sicht das ermittelte Interesse des Mandanten gar nicht oder nicht vollständig abbilden.
Es dürfte sich daher empfehlen, die Vollmachtsurkunde bereits so vorzubereiten, dass der Mandant diese nur noch unterschreiben muss. Für den Fall, dass ein Mandant aus Bequemlichkeit gleich einen ganzen Stapel Vollmachten blanko unterschreibt, sollte der Anwalt diese vor dem Versand – vorzugsweise nach kurzer interner Abstimmung mit dem Mandanten – korrekt und sorgfältig vervollständigen. Hierzu hat das Landgericht ausdrücklich ausgeführt: „Wird ein solches Blankett später ausgefüllt und die Vollmacht im Rechtsverkehr verwendet, so müsste der Vollmachtgeber dies als den von der Vollmachtsurkunde ausgehenden Rechtsschein auch dann gegen sich gelten lassen, wenn die Vervollständigung der Vollmachtsurkunde entgegen den getroffenen Absprachen erfolgt wäre“.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Am Rande weist das Landgericht darauf hin, dass eine Hilfskündigung, die zwar vor dem erstinstanzlichen Urteil ausgesprochen wurde, aber nicht mehr Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war, im Rahmen der Berufungsinstanz natürlich keine Berücksichtigung finden kann, sondern insoweit der Instanzenzug neu durchlaufen werden müsse. Rechtliche Ausführungen hierzu enthält das Urteil nicht, da diese offenbar in einem vorausgegangenen Hinweisbeschluss eingehend erläutert wurden.
Die Revision sei nicht zuzulassen, da die Entscheidung zum einen auf der Anwendung allgemein akzeptierter Grundsätze basiere, zum anderen das Gericht der Auffassung sei, Undeutlichkeiten, Unklarheiten und ungenügenden Ausführungen zum Umfang einer eingeräumten Vertretungsmacht seien eine Frage des jeweiligen Einzelfalls und daher einer generalisierenden Festlegung oder „Klärung“ nicht zugänglich.



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