juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 19.07.2024 - V ZR 102/23
Autor:Wolfgang Dötsch, RiOLG
Erscheinungsdatum:12.09.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 140 BGB, § 28 WoEigG
Fundstelle:jurisPR-MietR 18/2024 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Dötsch, jurisPR-MietR 18/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auslegung eines nach dem 30.11.2020 gefassten Beschlusses einer Wohnungseigentümergemeinschaft



Leitsatz

Ein nach dem 30. November 2020 gefasster Beschluss, durch den „die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes“ genehmigt werden, ist nächstliegend dahin gehend auszulegen, dass die Wohnungseigentümer damit lediglich die Höhe der in den Einzelabrechnungen ausgewiesenen Nachschüsse oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse festlegen wollen (Fortführung von Senat, Beschl. v. 25.10.2023 - V ZB 9/23 - NZM 2024, 42 Rn. 14).



A.
Problemstellung
Die Umstellung von der Beschlussfassung (auch) über die Rechenwerke des Wirtschaftsplans und der Jahresabrechnung in § 28 Abs. 5 WEG a.F. auf die „kupierte“ Beschlussfassung nur noch über die Vorschüsse, Anpassung der Vorschüsse und Nachforderungen in § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WEG zum 01.12.2020 hat einige Verwirrungen in der Praxis gebracht, hat sich aber im Kern bewährt. Der V. Zivilsenat des BGH setzt hier seine erfreulich pragmatische Rechtsprechung zu einer möglichst sachgerechten (objektiven) Auslegung entsprechender Beschlussfassungen fort.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE), in der man Folgendes beschlossen hatte: „Die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.12.2020 werden in der Fassung mit Druckdatum vom 11.05.2021 genehmigt. Die Abrechnungsspitzen sind zum 01.09.2021 fällig.“
Das Berufungsgericht meldete insofern Bedenken an der Beschlusskompetenz an, weil man eben nicht nur über die Zahlungspflichten beschlossen habe.
Zu Unrecht! Im Ausgangspunkt zutreffend sei zwar, dass nach der seit dem 01.12.2020 geltenden Fassung des § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG die Wohnungseigentümer nach Ablauf des Kalenderjahres über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse beschließen. Richtig sei auch, dass im Gegensatz zu der vorherigen Rechtslage nur Zahlungspflichten, die zum Ausgleich einer Unter- oder Überdeckung aus dem Wirtschaftsplan erforderlich sind, Gegenstand des Beschlusses nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG seien (sog. Abrechnungsspitzen). Das zugrunde liegende Zahlenwerk, aus dem diese Zahlungspflichten abgeleitet werden, sei nicht mehr – wie zuvor nach § 28 Abs. 5 WEG a.F. – Gegenstand der Beschlussfassung, sondern diene nach § 28 Abs. 2 Satz 2 WEG lediglich ihrer Vorbereitung (vgl. BT-Drs. 19/18791, S. 77).
Aber die – vom Senat zu überprüfende – enge Auslegung des Beschlusses sei unrichtig:
Der Senat habe bereits entschieden, dass ein nach dem 30.11.2020 gefasster Beschluss, durch den „der Wirtschaftsplan genehmigt wird“, nächstliegend dahin gehend auszulegen sei, dass die Wohnungseigentümer damit lediglich die Höhe der in den Einzelwirtschaftsplänen ausgewiesenen Beträge (Vorschüsse) festlegen wollen (BGH, Beschl. v. 25.10.2023 - V ZB 9/23 Rn. 14 - NZM 2024, 42).
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass Beschlüsse objektiv und „aus sich heraus“ auszulegen seien. Dabei komme es maßgebend darauf an, wie der Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Wohnungseigentümer im Zweifel keinen rechtswidrigen Beschluss fassen wollen. Dies spreche nächstliegend dafür, dass die Wohnungseigentümer nach Inkrafttreten des § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG entsprechend dieser Vorschrift nur über die Höhe der Vorschüsse beschließen möchten, auch wenn nach dem Wortlaut (zugleich) der Wirtschaftsplan genehmigt werden soll.
Diese Überlegungen zur Auslegung eines auf den Wirtschaftsplan bezogenen Beschlusses nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG gelten entsprechend für eine auf die Jahresabrechnung bezogene Beschlussfassung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG. Ein nach dem 30.11.2020 gefasster Beschluss, durch den „die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes“ genehmigt werden, sei nächstliegend dahin gehend auszulegen, dass die Wohnungseigentümer damit lediglich die Höhe der in den Einzelabrechnungen ausgewiesenen Nachschüsse oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse festlegen wollen. Auch insoweit sei davon auszugehen, dass die zu einer rechtmäßigen Verwaltung verpflichteten Wohnungseigentümer nicht das Zahlenwerk als solches genehmigen, sondern nur – wie gesetzlich vorgesehen – einen Beschluss über die Abrechnungsspitze fassen möchten.
Sei der Beschluss aber dahin gehend auszulegen, dass er sich auf die Genehmigung der Abrechnungsspitzen beschränkt, ergebe sich die Beschlusskompetenz aus § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG.


C.
Kontext der Entscheidung
Überzeugend und nach der zitierten Entscheidung zum Wirtschaftsplan so auch ohne Weiteres erwartbar. Hier der Praxis weitere Steine in den Weg zu rollen, war auch vom Gesetzgeber in der Tat bei der Reform des § 28 WEG nie bezweckt, schon deswegen war es immer richtig, die Beschlüsse möglichst gesetzeskonform auszulegen und im Sinne einer „Apfelsinen-schäl-Theorie“ das Gewollte herauszulesen. Sähe man das anders, hätte man aber jedenfalls mit einer Umdeutung entsprechend § 140 BGB immer gut helfen können (dazu schon Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 10 Rn. 31), die Auslegung ist natürlich dogmatisch dann vorrangig. Dieser Weg scheitert aber wohl dann, wenn man aus dem in Bezug genommenen Rechenwerk die Zahlungspflichten nicht ableiten kann (vgl. den Fall LG Frankfurt, Urt. v. 16.02.2023 - 2-13 S 79/22); so war das hier aber nicht.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Auch wenn der BGH „geholfen“ hat, ist es immer schöner und sauberer, sich bei der Beschlussfassung auf den Wortlaut der § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WEG zu besinnen und nur über Vorschüsse bzw. die Anpassung der Vorschüsse und etwaige Nachforderungen zu beschließen. Dabei kann man wohl auch über – in Rechtsnachfolgefällen und bei der „Anpassung“ spannend – „monatsbezogene“ Zahlungspflichten nachdenken (vgl. dazu etwa Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 10 Rn. 108, 115 ff. m.w.N); hier liegt noch einiges im Dunkeln.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH hat am Ende nochmals (sicher erneut zur Freude der Anwaltschaft) bestätigt, dass sich bei Beschlussklagen der vorliegenden Art der Streitwert grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung bemisst (vgl. auch schon BGH, Urt. v. 24.02.2023 - V ZR 152/22 Rn. 21 ff. - ZWE 2023, 284; BGH, Beschl. v. 09.11.2023 - V ZB 67/22 Rn. 8 - NJW 2024, 761).



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