Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die beigeladene Berufsausübungsgemeinschaft hatte grundsätzlich nicht zulasten der GKV verordnungsfähige Arzneimittel verordnet (Anlage III zur AM-RL, Nr. 31: Hustenmittel). Die beklagte Prüfungsstelle setzte einen Regress in Höhe der Differenz zwischen dem verordneten Arzneimittel und dem wirtschaftlichen Arzneimittel fest.
Hiergegen wandte sich die klagende Krankenkasse mit der Begründung, dass die Regelung des § 106b Abs. 2a Satz 1 SGB V nur anwendbar sei, wenn zwei grundsätzlich zulässige verordnete Leistungen (hier: verordnungsfähige Arzneimittel) miteinander verglichen würden. Sie ermögliche allerdings nicht die Begrenzung eines Regresses auf die Differenz zwischen einem günstigeren verordnungsfähigen Arzneimittel und einem teureren, aber von vornherein nicht verordnungsfähigen Arzneimittel.
Das SG München hatte die Klage mit Urt. v. 23.06.2022 - S 38 KA 145/21) abgewiesen (vgl. auch die vorausgegangene Entscheidung des SG München vom 05.05.2022 - S 49 KA 139/21 mit Anmerkung Schüttler, jurisPR-MedizinR 4/2023 Anm. 5). Denn das verordnete teurere (wenngleich ausgeschlossene) Arzneimittel sei die tatsächlich ärztlich verordnete Leistung i.S.d. § 106b Abs. 2a Satz 1 SGB V, der die wirtschaftliche Leistung – hier das günstigere und nicht ausgeschlossene Arzneimittel – gegenüberzustellen sei.
Auf die Berufung der Krankenkasse hob das LSG München das Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide der Prüfungsstelle auf und verpflichtete die Prüfungsstelle zur erneuten Entscheidung (LSG München, Urt. v. 08.02.2023 - L 12 KA 31/22 mit Anm. Schüttler, jurisPR-MedizinR 1/2024 Anm. 5). Es stützte sich darauf, dass die Regelung zwar dem Wortlaut nach anwendbar sei, davon allerdings nur der Fall erfasst sein könne, dass die ärztlich verordnete Leistung überhaupt verordnungsfähig sei. Das treffe bei ausgeschlossenen Arzneimitteln nicht zu.
Die Revision der beigeladenen Kassenärztliche Vereinigung hatte keinen Erfolg. Diese stützte sich darauf, dass der Gesetzgeber eine grundsätzliche Abkehr vom normativen Schadensbegriff beabsichtigt habe. Der Wortlaut lasse die Auslegung durch das Landessozialgericht nicht zu.
Der 6. Senat des BSG hat dies anders gesehen und die Revision zurückgewiesen.
Die Differenzkostenregelung beziehe sich allein auf Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen im engeren Sinne und finde auf unzulässige Verordnungen keine Anwendung. Das Gericht verweist dazu zunächst auf diverse weitere Entscheidungen und gewichtige Literaturstimmen.
Nach Ansicht des Senats ist der Wortlaut nicht eindeutig. Die Gesetzesmaterialien erlauben nicht den Rückschluss, die Differenzkostenregelung erfasse unzulässige Verordnungen. Auch unter Berücksichtigung systematischer Gesichtspunkte sei die Norm dahin gehend auszulegen, dass sie lediglich unwirtschaftliche Verordnungen im engeren Sinne erfasse.
Der Wortlaut sei nicht eindeutig, da nicht klar sei, ob der Anwendungsbereich der Norm allein Unwirtschaftlichkeit im engeren Sinne erfasse (also beispielsweise den Vergleich zweier zulässiger, aber unterschiedlich teurer Verordnungen) oder aber auch den Vergleich einer tatsächlich verordneten unzulässigen ärztlichen Leistung mit der an ihrer Stelle hypothetisch verordneten korrekten Leistung ermögliche.
Für die letztgenannte Auslegung spricht nach Ansicht des Senats zunächst, dass die Norm ausdrücklich Nachforderungen i.S.d. § 106b Abs. 1 Satz 2 SGB V in Bezug nehme. Dies können auch solche wegen unzulässiger Verordnungen wie zum Beispiel die hier verordneten Hustenmittel sein. Auch diese seien – so der Senat unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung – unwirtschaftlich. Unwirtschaftlichkeit beschränke sich nicht lediglich auf die reine Kostendifferenz oder die Differenz beispielsweise von Verpackungsgrößen wie N1 oder N3 (Unwirtschaftlichkeit im engeren Sinne).
Sodann rekurriert der Senat allerdings darauf, dass die wirtschaftliche Verordnung mit der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung zu vergleichen sei. Dies spreche für ein Vergleichspaar aus zulasten der GKV verordnungsfähigen Leistungen, die sich lediglich im Preis oder in der Menge unterscheiden. Wenn auch nicht ausdrücklich so geregelt, sei es bisher so gewesen, dass bei lediglich zu teuren Verordnungen eine Beschränkung auf den Differenzbetrag stattgefunden habe. Demgegenüber sei dafür kein Raum, wenn unzulässige Verordnungen erfolgt seien.
Das BSG misst letztlich systematischen Erwägungen entscheidende Bedeutung zu.
Dabei bezieht es sich zunächst auf die Regelung des §106 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nach der die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung überwachen. Der Begriff der Wirtschaftlichkeit könne in diesem Zusammenhang nicht anders verstanden werden als der Begriff der Wirtschaftlichkeit nach den §§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Dabei betont es die Verzahnung zwischen Leistungsrecht einerseits und Leistungserbringungsrecht andererseits.
Diese Parallelität sieht das BSG wegen der Steuerungsfunktion des Verordnungsregresses auch in § 106b Abs. 2a SGB V fortgesetzt. Was ein Versicherter leistungsrechtlich nicht beanspruchen könne, könne nicht im Wege der Differenzkostenregelung zugunsten des Vertragsarztes berücksichtigt werden, der diese Leistung nicht erbringen dürfe. Regelungen, die der Qualitätssicherung dienen, würden ebenso leerlaufen wie Verordnungsausschlüsse. Sollte ein solcher grundlegender Systemwechsel erfolgen, müsse das im Gesetz jedenfalls klar zum Ausdruck gebracht werden. Daran fehle es aber bei dieser Regelung.
Zudem hätte ein solcher Systemwechsel erhebliche Folgen für die Umsetzbarkeit der Regelungen zum Verordnungsregress (vgl. so schon die Anmerkung von Schüttler zum Urteil des SG München in jurisPRMedizinR 4/2023 Anm. 5 unter D.).
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ist ein wesentlicher Punkt einer Entwicklung, die mit dem TSVG und der damit einhergehenden Einführung des § 106b Abs. 2a SGB V ihren Anfang nahm und nun nach über die Instanzen unterschiedlichen Auffassungen einen klaren Ausgang genommen hat.
Der Verfasser hatte zunächst noch der Rechtsprechung des SG München zugestimmt, welches eine am Wortlaut orientierte überzeugende Auslegung vorgenommen hatte.
Dagegen haben sich das LSG München und das BSG mit den besseren Argumenten gestellt.
Nach Ansicht des LSG München ist die Folge der allein am Wortlaut orientierten Auslegung, dass die Krankenkassen letztlich für nicht zulässige ärztlich verordnete Leistungen doch leistungspflichtig werden. Das ist systemfremd und wird nicht beabsichtigt gewesen sein. Deshalb hat es die Auslegung des Gesetzes im Lichte von Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers vorgenommen und kam so dazu, den nach seiner Auffassung eindeutigen, aber zu weit gefassten Wortlaut teleologisch einzuschränken.
Das BSG hat sich demgegenüber auf die Begründung gestützt, dass die wirtschaftliche verordnete Leistung nur eine solche sein könne, die rechtmäßig verordnet werden könne. Denn was nicht rechtmäßig verordnet werden könne, sei unwirtschaftlich. Nach Ansicht des BSG ist der Wortlaut gerade nicht eindeutig, so dass es keiner teleologischen Reduktion bedarf.