Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung betrifft die straßenrechtliche Teileinziehung in der Weißenburger Straße in München. Die Stadtregierung verfolgt das Ziel, jährlich Parkplätze abzubauen und durch Fahrradabstellflächen oder Aufenthaltszonen zu ersetzen. Diese Maßnahmen stoßen bei Gewerbetreibenden und Anwohnern auf Widerstand, da sie Umsatzeinbußen und Existenzgefährdungen befürchten.
Die Antragsgegnerin, die Landeshauptstadt München, ordnete die befristete Teileinziehung eines Abschnitts der Weißenburger Straße zur Einrichtung einer Fußgängerzone an. Ziel der Maßnahme war es, die Aufenthaltsqualität in diesem Bereich zu verbessern und den motorisierten Individualverkehr einzuschränken. Gegen diese Anordnung wandten sich mehrere Antragsteller, darunter die Betreiberin eines Einzelhandelsgeschäfts, ein ortsansässiger Arzt sowie Anwohner der betroffenen Straße. Sie machten geltend, dass die Maßnahme unter anderem ihre Berufsausübung in unzumutbarer Weise beeinträchtige und insbesondere die wirtschaftliche Grundlage ihrer Betriebe gefährde.
Der Konflikt erregte schließlich regionales Aufsehen und fand seinen Weg in die BILD-Zeitung, die den Fall in ihrer Berichterstattung aufgriff. Mit emotionalen Schlagzeilen und eindringlichen Bildern schilderte das Blatt die Verzweiflung der Geschäftsinhaber und Anwohner, die sich durch die Sperrung in ihrer Existenz bedroht sahen. Die genaue örtliche Situation wurde plakativ dargestellt – leere Schaufenster, ein Rückgang der Laufkundschaft und Patienten, sowie Berichte über Umsatzeinbrüche prägten die öffentliche Wahrnehmung. Die wirtschaftlichen und emotionalen Befindlichkeiten der Betroffenen wurden so einem breiten Publikum zugänglich gemacht und verstärkten den Druck auf die Landeshauptstadt, die Maßnahme nochmals zu überdenken.
Trotz der medialen Aufmerksamkeit hielt die Stadt an der Maßnahme fest und verwies auf die langfristigen Vorteile für die Lebensqualität und Umwelt in der Umgebung. Die öffentliche Debatte verdeutlichte jedoch, dass solche Maßnahmen nicht nur juristisch, sondern auch gesellschaftlich und politisch sensibel sind und oft zu einer starken Polarisierung führen.
Ein Anwohner fürchtet zudem den Verkehrslärm, da die verdrängten Autos nun an seiner Wohnung vorbeifahren und es dort zu verkehrswidrigem Verhalten und Konflikten der Verkehrsteilnehmer kommen könne.
Eine solche Konfliktlage dürfte in Zukunft häufiger auftreten, da in vielen Großstädten sowohl die Bevölkerung als auch die Politik dem motorisierten Individualverkehr zunehmend kritisch gegenüberstehen. Gleichzeitig geraten Geschäftsleute des Einzelhandels und Kleingewerbes – insbesondere in einem sich verschärfenden wirtschaftlichen Umfeld und im Wettbewerb mit dem Internethandel – verstärkt unter Druck. Diese gegensätzlichen Entwicklungen lassen erwarten, dass vergleichbare Fälle verstärkt Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen werden.
Das Gericht setzt sich zwar mit den Einwänden der Betroffenen auseinander, vermag jedoch keinem der vorgebrachten Argumente entscheidendes Gewicht beizumessen. Gleichwohl liegt die Sache nicht so eindeutig, wie es die Entscheidung suggeriert. Die Abwägung berührt wesentliche Spannungsfelder im Kontext der Grundrechte – insbesondere zwischen der Schutzpflicht des Staates für individuelle Freiheitsrechte und dem übergeordneten Allgemeinwohl. Diese Konfliktlage ist in parallelen Fällen wiederholt Gegenstand kontroverser rechtlicher Würdigung gewesen. Im Folgenden soll es daher nicht um die eher zufälligen formalen Quisquilien des Falles, sondern den Kern der materiellen Argumentation gehen. Dazu werden sowohl für als auch gegen die Position der Betroffenen sprechende Argumente vertieft betrachtet werden, um den grundrechtlichen Dimensionen und der Bedeutung für vergleichbare Sachverhalte angemessen Rechnung zu tragen.
I. Schutzbereich und Eingriffsqualifikation nach Art. 12 Abs. 1 GG
Der VGH München lehnte bereits einen Eingriff der Maßnahme in die Berufsfreiheit der betroffenen Antragsteller ab. Er konnte sich dabei auf die gefestigte Rechtsprechung des BVerfG stützen, wonach Art. 12 Abs. 1 GG „die individuelle berufliche Tätigkeit und deren Rahmenbedingungen“ schützt. Dieser Grundrechtsschutz greift nicht bei jeder Maßnahme, die sich faktisch auf die Berufsausübung auswirkt. Entscheidend ist, ob die Regelung wenigstens eine objektiv berufsregelnde Tendenz aufweist oder spezifisch auf die Berufstätigkeit als solche zielt.
Das Gericht verneinte bereits die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 12 Abs. 1 GG. Die straßenrechtliche Teileinziehung stelle nicht einmal eine objektiv berufsregelnde Maßnahme dar, sondern betreffe alle Nutzer der Straße gleichermaßen und nur zufällig die Antragsteller. Dies unterscheidet sich nach Ansicht des Gerichts von Maßnahmen, die gezielt berufliche Tätigkeiten reglementieren oder faktisch bestimmte Berufe erschweren. Damit verzichtete der VGH München auf eine Einordnung nach der Stufentheorie, die ansonsten zur Abwägung von Berufsausübungsregelungen herangezogen hätte werden müssen.
Dies ist nicht nur zutreffend, sondern auch vorentscheidend, da Eingriffe in die Berufsfreiheit selbst dann nur gerechtfertigt sind, wenn sie der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dienen. Die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit sind hier besonders hoch, um die grundrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung nicht unverhältnismäßig zu beschränken.
Demgegenüber gilt für Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein deutlich milderer Maßstab. Hier reicht es aus, dass der Eingriff einem vernünftigen Gemeinwohlzweck dient und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Zweck steht. Eine konkrete Gefahr oder ein herausragendes Schutzgut ist nicht erforderlich; vielmehr genügt eine sachliche, nicht willkürliche Grundlage, die auf nachvollziehbaren Erwägungen beruht. Diese niedrigere Eingriffsschwelle trägt dem Umstand Rechnung, dass die allgemeine Handlungsfreiheit ein weiter gefasstes Auffanggrundrecht ist, dessen Schutzbereich leichteren Einschränkungen zugänglich ist als spezifischere Grundrechte wie die Berufsfreiheit. Gerade deshalb ergibt die Differenzierung zwischen Art. 12 und Art. 2 GG nur dann Sinn, wenn man sich die unterschiedlichen Rechtfertigungsmaßstäbe vergegenwärtigt.
Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine mittelbare und nicht zielgerichtete Beeinträchtigung der Berufsausübung keine strengen Anforderungen an die Rechtfertigung stellt, sofern die Maßnahme in ihrer Gesamtabwägung verhältnismäßig und sachlich gerechtfertigt erscheint. Die bloße Rückwirkung auf wirtschaftliche Interessen der Betroffenen reicht nicht aus, um von einem Eingriff in die Berufsfreiheit zu sprechen – eine Abwägung auf der Ebene der allgemeinen Handlungsfreiheit ist hier ausreichend und rechtlich tragfähig.
II. Bedeutung von Art. 14 GG (Eigentumsschutz) und Auslegung der einschlägigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des BayStrWG
Das Gericht sieht das Eigentum der Antragsteller im vorliegenden Fall lediglich im Sinne des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs betroffen. Die getroffenen Maßnahmen – etwa Zufahrtsbeschränkungen oder die Umwidmung von Straßen – berühren nicht die Substanz des Eigentums, sondern wirken sich allenfalls mittelbar auf die wirtschaftliche Nutzbarkeit der Gewerbebetriebe aus. Eine solche Beeinträchtigung wird nach ständiger Rechtsprechung nicht als Eingriff in Art. 14 GG gewertet, sondern fällt unter die Kategorie der Inhalts- und Schrankenbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
Während ein Eingriff unmittelbar auf die Substanz des Eigentums oder die Verfügungsbefugnis zielt, regeln Inhalts- und Schrankenbestimmungen die Rahmenbedingungen der Nutzung und die Reichweite der Eigentümerbefugnisse. Diese allgemeine Ausgestaltung der Eigentumsordnung ist regelmäßig Ausdruck sozialer Bindung und gemeinwohlorientierter Nutzungspflichten und trifft Eigentümer unterschiedslos.
Die maßgeblichen Regelungen ergeben sich aus den Art. 8 und 17 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG). Die Vorschriften regeln recht umfassend die Rechte und Pflichten von Anliegern in Bezug auf Zufahrten und Zugänge zu öffentlichen Straßen. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG regelt die Möglichkeit der Teileinziehung einer Straße, wenn überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls eine nachträgliche Beschränkung der Widmung erforderlich machen. Dabei kann die Nutzung der Straße auf bestimmte Benutzungsarten, -zwecke oder -zeiten eingeschränkt werden, ohne die Straße vollständig einzuziehen. Flankiert wird diese Vorschrift durch Art. 17 BayStrWG ergänzt, der einen Anspruch auf einen (bestimmten) Zugang des eigenen Grundstücks durch eine Straße grundsätzlich verneint. Der Regelungskomplex ermöglicht es, flexibel auf veränderte Bedürfnisse zu reagieren, indem bestimmte Verkehrsarten ausgeschlossen werden oder die Nutzung auf bestimmte Zeiten begrenzt wird, während die Straße für andere Zwecke weiterhin zur Verfügung steht.
Sie begrenzt den Umfang des Anliegergebrauchs so, dass Anlieger den Zugang zu ihrem Grundstück zwar nutzen dürfen, jedoch keinen Anspruch auf eine Straße, uneingeschränkten Verkehr oder bestimmte Verkehrsführungen haben.
Insbesondere der Bezug auf den einfachrechtlichen Anliegergebrauch nach Art. 17 BayStrWG ist hierbei von zentraler Bedeutung. Die Norm ist bereits im Ansatz deutlich und lautet in Absatz 1 wörtlich:
„Den Eigentümern oder Besitzern von Grundstücken, die an einer Straße liegen (Straßenanlieger), steht kein Anspruch darauf zu, dass die Straße nicht geändert oder eingezogen wird.“
Das Gesetz wird allerdings in den folgenden Absätzen des Art. 17 abgeschwächt: Besonders relevant sind dabei die Absätze 2 bis 5, die Entschädigungsansprüche und Zumutbarkeitsgrenzen bei Einschränkungen durch Einziehungen oder Straßenbaumaßnahmen definieren.
Absatz 2 legt fest, dass bei dauerhafter Unterbrechung oder erheblicher Erschwerung von Zufahrten durch Einziehungen oder Änderungen von Straßen der Träger der Straßenbaulast entweder angemessenen Ersatz schaffen oder Entschädigung leisten muss. Dies gilt jedoch nur, wenn keine anderweitige ausreichende Verbindung zum öffentlichen Wegenetz besteht. In der Praxis bedeutet dies, dass der Anspruch auf Entschädigung entfällt, wenn ein Grundstück weiterhin – auch auf Umwegen – erreichbar bleibt.
Absatz 3 betrifft temporäre Einschränkungen durch Straßenarbeiten. Eine Entschädigungspflicht besteht nur dann, wenn die Unterbrechung länger andauert, keine Behelfsmaßnahmen greifen und dadurch die wirtschaftliche Existenz eines Betriebs gefährdet wird. Dieser Schutzmechanismus setzt eine erhebliche Betroffenheit voraus und stellt hohe Anforderungen an die Nachweispflicht des Betroffenen.
Absatz 4 erweitert den Entschädigungsanspruch auf Fälle, in denen durch den Bau oder die Änderung einer Straße der Zutritt von Licht oder Luft zu einem Grundstück dauerhaft beeinträchtigt wird. In diesen Fällen ist der Vermögensnachteil auszugleichen.
Absatz 5 gibt der Straßenbaubehörde die Möglichkeit, Zugänge und Zufahrten zu ändern, zu verlegen oder zu schließen, wenn dies zur Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs erforderlich ist. Auch hier wird auf anderweitige Verbindungsmöglichkeiten abgestellt – sofern diese vorhanden sind, entfällt ein Entschädigungsanspruch.
Restriktive Auslegung durch das Gericht: Das Gericht hat die Vorschrift restriktiv interpretiert. Trotz der klaren Regelung in Absatz 2, wonach eine erhebliche Erschwerung der Zufahrt durch Teileinziehung der Straße einen Entschädigungsanspruch auslösen kann, wurde im konkreten Fall davon ausgegangen, dass keine rechtlich relevante Beeinträchtigung vorliegt. Das Gericht stützte sich dabei maßgeblich auf die Klausel, dass die Verpflichtung zur Schaffung von Ersatz oder Entschädigung entfällt, wenn eine „anderweitige ausreichende Verbindung“ besteht.
Die restriktive Haltung überrascht insofern, als man durchaus hätte argumentieren können, dass die Teileinziehung die Zufahrt rechtlich erheblich erschwert – insbesondere im Hinblick auf mögliche wirtschaftliche Nachteile für Gewerbetreibende. Die Auslegung des Begriffs der „ausreichenden Verbindung“ erfolgte jedoch zugunsten der öffentlichen Hand, was zum Beispiel die ohnehin hohe Schwelle für Entschädigungsansprüche zusätzlich anhebt.
Das Gericht hat die Vorschriften der Art. 8 und 17 BayStrWG auch im speziellen Kontext der Einrichtung einer Fußgängerzone restriktiv ausgelegt (vgl. dazu auch vgl. BVerwG, Urt. v. 08.09.1993 - 11 C 38/92 Rn. 12 ff. - BVerwGE 94, 136). Entscheidend für die ablehnende Haltung gegenüber den Einwänden der Betroffenen war, dass die Zufahrten nicht vollständig unterbunden wurden. Vielmehr sah die Regelung verschiedene Ausnahmetatbestände vor – etwa für Bewohner, Lieferanten und Patienten der ansässigen Arztpraxis.
Für die Gewerbetreibenden stellt dies jedoch nur einen schwachen Trost dar. Ihr Hauptproblem liegt weniger im eingeschränkten Lieferverkehr, sondern vielmehr im Wegbleiben der mobilen Kundschaft, die durch die Fußgängerzone und die damit verbundenen Hürden abgeschreckt wird. Besonders betroffen sind Arztpraxen, deren Patienten durch die bürokratische Notwendigkeit, im Einzelfall eine Zufahrtsgenehmigung zu beantragen, abgeschreckt werden könnten. Dies birgt für die Praxis die reale Gefahr, substanziell Patienten zu verlieren.
Die Ausnahmen bzw. Entschädigungsregelungen nach von Art. 17 Abs. 2 bis 5 BayStrWG müssen jedoch stets im Lichte des programmatischen Absatzes 1 interpretiert werden. Dieser Absatz legt den Grundsatz fest, dass Anlieger kein Recht auf eine bestimmte Verkehrsführung oder uneingeschränkten Zugang zu ihrem Grundstück haben. Dies ist eine zentrale Linie der Rechtsprechung (vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 10.06.2009 - 1 BvR 198/08; BVerwG, Urt. v. 25.06.1969 - IV C 77.67 - BVerwGE 32, 222), auch wenn anderweitiger Auslegungsspielraum durchaus bestünde.
Interessant ist, dass sich diese restriktive Auslegung der Anliegerrechte in ein gesellschaftspolitisches Bild einfügt: Während beispielsweise der Zugang zu schnellem Internet aufgrund eines zunehmenden Bedarfs gesetzlich gestärkt wird – etwa durch verbesserte Verpflichtungsregelungen im Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) – schlägt dem Bedürfnis nach motorisiertem Individualverkehr der Wind ins Gesicht. Die Rechtsprechung reflektiert diesen gesellschaftlichen Wandel und zeigt sich zurückhaltend, wenn es um die Ausweitung von Rechten im Bereich des Verkehrs geht.
Letztlich wird deutlich, dass sich die Gerichte an der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung orientieren und der motorisierte Individualverkehr zunehmend hinter andere Belange – etwa Klimaschutz, nachhaltige Mobilität und die Attraktivität innerstädtischer Bereiche – zurücktritt. Die Auslegungspraxis verdeutlicht, dass Eigentümer und Gewerbetreibende sich darauf einstellen müssen, dass die Rechtsprechung auch künftig keinen umfassenden Schutz vor verkehrslenkenden Maßnahmen bieten wird, solange diese nicht zu einer vollständigen Enteignung oder existenziellen Gefährdung führen.
Wenn der Gesetzgeber bereits auf einfachgesetzlicher Ebene den Umfang der Anliegerrechte klar regelt und diese Rechte selbst als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums konzipiert, lässt sich kaum argumentieren, dass verkehrsrechtliche Maßnahmen einen Eingriff in das Eigentum darstellen. Vielmehr wird hier nur die Reichweite der bestehenden Eigentumsposition präzisiert – ein Vorgehen, das die Rechtsprechung des BVerfG in vergleichbaren Fällen durchgängig bestätigt hat. Es ist seit langem anerkannt, dass Regelungen wie Zufahrtsbeschränkungen oder Änderungen der Verkehrsführung, die lediglich reflexartige Auswirkungen auf die Erreichbarkeit oder Attraktivität eines Gewerbebetriebs haben, nicht als Eingriff in die Substanz des Eigentums gewertet werden.
Vor diesem Hintergrund ist es kaum nachvollziehbar, wie die Antragsteller ernsthaft eine abweichende Rechtsauffassung vertreten konnten. Die rechtlichen Maßstäbe sind hinreichend geklärt, und es besteht eine breite Judikatur, die solche Maßnahmen regelmäßig als zumutbare und verhältnismäßige Beschränkungen des Gemeingebrauchs einstuft. Die Argumentation der Antragstellerin stand von vornherein auf tönernen Füßen, da dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Ausgestaltung des Eigentums ein weitreichender Gestaltungsspielraum zugebilligt wird und hier ersichtlich keine substanzielle Beeinträchtigung des Eigentums vorliegt.
Die einzigen halbwegs tragfähigen Angriffspunkte lagen im Versuch, eine fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts geltend zu machen, was aber wegen der bekannten restriktiven Auslegung des Straßen- und Wegerechts durch die Gerichte ebenfalls misslang. Letztlich bleibt die Rüge eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit gleichsam als Notnagel zu erörtern.
III. Bedeutung von Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit)
Im Ergebnis wenig überraschend ist, dass der VGH München auch eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG verneinte.
Es ist jedoch durchaus bedenklich, dass der VGH München hierbei der Ansicht zuzuneigen scheint, dass Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit, etwa durch straßenrechtliche Maßnahmen, nicht den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG eröffnen. Dies steht im Kontrast zur berühmten Entscheidung „Reiten im Walde“ des BVerfG, in der ein weiter Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit definiert wurde. Weil das BVerfG damals betonte, dass das Reiten auf Waldwegen unter Art. 2 Abs. 1 GG fällt, erscheint es bedenklich, dass der VGH München in der Nutzung von Straßen durch Kraftfahrzeuge offenbar keinen vergleichbaren Schutzbereich erkennen mag. Zur Verdeutlichung sei auf diesen verfassungsrechtliche Klassiker hingewiesen: Die „Reiten im Walde“-Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 06.06.1989 - 1 BvR 921/85 - BVerfGE 80, 137) befasste sich mit der Frage, ob das Reiten im Wald auf bestimmte Wege beschränkt werden dürfte und ob eine solche Beschränkung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Das BVerfG entschied, dass das Reiten als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt ist und entschied sich damit grundsätzlich für einen weiten Begriff der allgemeinen Handlungsfreiheit. Allerdings können danach gesetzliche Beschränkungen, die das Reiten im Wald nur auf ausgewiesenen Wegen erlauben, gerechtfertigt sein, wenn sie dem Schutz des Waldes und der Erholung anderer Waldbesucher dienen. Solche Beschränkungen stellen demnach keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar.
In Bezug auf die Entscheidung des VGH München zur Teileinziehung der Weißenburger Straße muss eigentlich in Konsequenz des weiten Begriffs der allgemeinen Handlungsfreiheit argumentiert werden, dass die Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs die allgemeine Handlungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer berührt. Auch das nützt freilich den Antragstellern wenig, denn die Maßnahme dient dem öffentlichen Interesse, so insbesondere der Verbesserung der Aufenthaltsqualität und der Reduzierung von Verkehrslärm, und kann somit als gerechtfertigt angesehen werden, wenn die Interessen der betroffenen Anwohner geringer zu gewichten sind.
Das Gericht misst den wirtschaftlichen Nöten der gewerbetreibenden Anwohner und des freiberuflich handelnden Arztes offenkundig nur eine untergeordnete Bedeutung bei. Die Entscheidung legt nahe, dass diese Aspekte in der Abwägung kaum ins Gewicht fallen – eine Haltung, die zwar der etablierten Rechtsprechung entspricht, gleichwohl aber den Eindruck erweckt, als nehme das Gericht die konkreten individuellen Belastungen der Betroffenen nicht ernst genug. Eine vertiefte Prüfung der allgemeinen Handlungsfreiheit wäre daher angebracht gewesen, um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu bewerten.
Es bleibt jedoch anzuerkennen, dass die Antragsgegnerin sich im Vorfeld mit den wirtschaftlichen Auswirkungen auseinandergesetzt hat. Dass das Gericht letztlich die politische Dimension der Entscheidung respektiert und sich einer Überdehnung rechtlicher Kontrollmechanismen enthält, erscheint im Lichte der Gewaltenteilung und des demokratischen Prozesses konsequent und ist in Zeiten zunehmender „Verrechtlichung“ politischer Entscheidungen im Ergebnis begrüßenswert.
Abschließend ist festzuhalten, dass der VGH München in seiner Entscheidung die allgemeine Handlungsfreiheit zwar formal berücksichtigt, jedoch keine detaillierte Auseinandersetzung mit deren Eingriffsqualität vorgenommen hat. Diese Vorgehensweise entspricht der gängigen Rechtsprechung, wonach straßenrechtliche Maßnahmen regelmäßig als gerechtfertigte Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit angesehen werden, sofern sie auf einer rechtmäßigen Ermessensausübung basieren und dem Allgemeinwohl dienen.
In der Rechtsprechung wird dabei anerkannt, dass Einschränkungen des Gemeingebrauchs, wie etwa das Einrichten von Fußgängerzonen oder die Umwidmung von Verkehrsflächen, in die allgemeine Handlungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer eingreifen. Allerdings handelt es sich hierbei um Eingriffe, die regelmäßig gerechtfertigt sind, da sie dem Allgemeinwohl dienen und im Rahmen der Planungshoheit der Kommunen vorgenommen werden.
Der VGH München stellte weiter klar, dass die mit der Teileinziehung verbundenen Verkehrsverlagerungen und etwaige Beeinträchtigungen der Anwohner in benachbarten Straßen keine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG darstellen. Verkehrsverlagerungen und eine damit verbundene Erhöhung der Lärmbelastung seien eine typische Folge städtebaulicher Maßnahmen und müssten von den betroffenen Anwohnern hingenommen werden. Das Gericht führte aus, dass ein Anspruch auf eine unveränderte Verkehrssituation nicht besteht und es sich hierbei um ein allgemeines Lebensrisiko handelt, das keine rechtliche Schutzposition begründet.
Im konkreten Fall hatte ein Anwohner der Weißenburger Straße geltend gemacht, dass durch die Teileinziehung der Verkehr in benachbarte Straßen verdrängt werde, was zu erhöhtem Lärm und verkehrswidrigem Verhalten führe. Der VGH München wies darauf hin, dass solche Verlagerungseffekte nicht ausreichen, um eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit zu begründen. Weiter argumentiert das Gericht, dass zu erwartendes rechtswidriges Verhalten der Verkehrsteilnehmer nicht zu berücksichtigen sei, vielmehr sei dem ggf. mit ordnungsrechtlichen Mitteln entgegenzutreten. Auch dieses Argument lässt ein wiederkehrendes Begründungsmuster im Straßen- und Wegerecht erkennen und überrascht daher nicht. Allerdings sei kritisch angemerkt, dass nach meiner Erfahrung in derartigen Fällen ordnungsrechtlich weder immer angemessen reagiert wird noch immer angemessen reagiert werden kann, so dass den Betroffenen damit häufig Steine statt Brot gegeben werden dürfte. Rechtspraktisch ist allerdings keine Erschütterung dieser Verlagerung der Probleme ins Ordnungsrecht zu erwarten.
Der Anwohner kann nach alledem nur eine ermessensfehlerfreie Abwägung seiner Interessen verlangen. Die Stadt München hatte in der Begründung zur Teileinziehung ausdrücklich auf diese Verlagerungseffekte hingewiesen und festgestellt, dass diese in einem verträglichen Rahmen blieben.
In der Entscheidung betonte der VGH München, dass die allgemeinen Lärm- und Verkehrseinwirkungen, die durch die Verdrängung des Verkehrs entstehen, nicht in einem Ausmaß vorliegen, das die Schwelle einer Gesundheitsgefährdung oder einer unzumutbaren Belastung überschreitet. Daher sah das Gericht keinen Anlass für eine vertiefte Prüfung möglicher Abwehrrechte des betroffenen Anwohners. Auch dies ist gut vertretbar und genau das, was nach der Linie der Rechtsprechung in diesem Bereich zu erwarten war.