Immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren zur Errichtung und zum Betrieb einer WEA - Kollision von Landesrecht mit BundesrechtLeitsätze 1. Es spricht Überwiegendes dafür, dass § 36 Abs. 3 LPlG NRW (juris: LPLG NW 2005) gegen § 73 BImSchG verstößt und daher nach der Kollisionsregel des Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht“) nichtig sein dürfte. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob es sich bei § 10 Abs. 6a BImSchG um eine abschließende Regelung handelt. 2. 36 Abs. 3 LPlG NRW (juris: LPLG NW 2005) erfordert eine Entscheidung im Einzelfall, die nicht durch eine pauschalierende Feststellung einer (vermeintlichen) Gefährdung der regionalplanerischen Steuerung durch „hundertfache“ Genehmigungen ersetzt werden kann, weil die Norm erheblich über sonstige Plansicherungsinstrumente hinausgeht, indem sie den Planungsprozess als solchen, nicht aber bestimmte Planinhalte schützt und damit zum einen deutlich weiter in die Grundrechte (Art. 12, 14 GG) der Betroffenen eingreift und zum anderen sich vom verfassungsrechtlichen Fundament einer solchen Sperre - der Sicherung einer konkreten Planung insbesondere zum Schutz der kommunalen Planungshoheit, nicht aber der Planungsmöglichkeit an sich - entfernt. 3. Es bleibt offen, ob die Genehmigung einer Windenergieanlage die vom Gesetzgeber in Abkehr von der bisherigen Planungssystematik des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB geforderte - und damit auch nur zugelassene - reine Positivplanung überhaupt tangieren kann. In diesem Zusammenhang dürfte es allerdings zumindest bedenklich sein, wenn die Bezirksregierung sich insbesondere auf die Vereitelung des planerischen Anliegens stützt, Windenergieanlagen nur in den von ihr ausgewählten Windenergiebereichen zuzulassen (Bündelungs- oder Steuerungsfunktion). 4. Zumindest das Planungskonzept der sich in Erarbeitung befindlichen 19. Änderung des Regionalplans Arnsberg - Teilbereich Kreis Soest und Hochsauerlandkreis - lässt die Feststellung einer wesentlichen Erschwerung oder Vereitelung aufgrund später erteilter Einzelgenehmigungen - von Ausnahmen abgesehen - regelmäßig nicht zu. 5. Zu den Anforderungen an eine bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 Abs. 3 LPlG NRW (juris: LPLG NW 2005) erforderliche rechtmäßige Ermessensabwägung. - A.
Problemstellung Kern des Streits ist die Frage, inwieweit die Planung von Windenergiegebieten der Zulassung von Windenergieanlagen (WEA) im Außenbereich entgegenstehen kann.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Mit dem Antrag wehrt sich der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Entscheidung der Genehmigungsbehörde, seinen im Übrigen entscheidungsreifen Antrag auf Genehmigung einer WEA für die Dauer der Überarbeitung des Regionalplans zurückzustellen. Die Genehmigungsbehörde stützt sich dabei auf eine für sie bindende Weisung der Bezirksregierung. Diese ist der Auffassung, durch die Zulassung der – außerhalb des Plangebiets belegenen – WEA werde die Durchführung der Planung des Regionalplans zur Ausweisung von Windenergiegebieten unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert. Das OVG Münster hat dem Antrag stattgegeben. Der Senat nutzt die – trotz manchmal sehr sperriger Formulierungen lesenswerte – Entscheidung, um die nach dem „Wind-an-Land“-Gesetzespaket nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeit der Versagung von Genehmigungen von WEA im Außenbereich exemplarisch „auszubuchstabieren“. Zentraler Ausgangspunkt der Ausführungen des Senats ist dabei die Abschaffung der Konzentrationszonen für WEA im Außenbereich. Aus dieser weggefallenen Einschränkungsmöglichkeit für die Zulassung von WEA leitet der Senat in sich stimmig und vollständig ab, welche Folgen sich daraus für die raumordnerische Planung von WEA im Allgemeinen und im speziellen Fall ergeben und wie sich diese auf die einzelnen Zulassungsverfahren auswirken. Zunächst weist der Senat – ohne dass es für die Entscheidung darauf ankäme – zutreffend darauf hin, dass die Norm des § 36 Abs. 3 LPlG NRW, die als Reaktion auf die bundesgesetzliche Neuregelung des Planungsrechts für WEA eine Aussetzung des Genehmigungsverfahrens im Einzelfall zur Sicherung der Sicherung der Regionalplanung vorsieht, schon aus Kompetenzgründen verfassungswidrig seien dürfte. Das Verwaltungsverfahren für die Zulassung von Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz sei, ausnahmsweise und ausdrücklich ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder, vom Bund geregelt und umfasse auch die – beschleunigte – Dauer von Genehmigungsverfahren. Die Aussetzung eines einzelnen Genehmigungsverfahrens während der Aufstellung von Raumordnungsplänen habe der Bund – anders als in § 245e Abs. 2 BauGB für den Schutz von gemeindlichen Flächennutzungsplänen geregelt – gerade nicht vorgesehen. Damit sei es dem Land verwehrt, selbst entsprechende Regelungen zu treffen, um – wie der Senat zutreffend formuliert – bewusste Beschleunigungsentscheidungen des Bundesgesetzgebers im immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren ebenso bewusst auszubremsen. Unabhängig von der Wirksamkeit der Norm lägen auch ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Denn die Zulassung einer WEA könne den Planungsprozess zur Ausweisung einer Windenergiefläche schon abstrakt kaum je stören und tue dies auch im konkreten Fall nicht. Außerhalb des Plangebiets neu zuzulassende Bauwerke könnten die Planung des Gebiets selbst generell nicht in besonderem Maße gefährden. Damit, dass sich die Umgebung des Plangebiets während der Planungsphase fortentwickle und die Planung daran anzupassen sei, müsse der Planer stets leben. Ein besonderes Sicherungsbedürfnis, das die Zurückstellung dieser Vorhaben rechtfertigen könnte, ergebe sich daraus nicht. Zudem erfolge nach der bundesgesetzlichen Konzeption eine Entprivilegierung von WEA außerhalb des Plangebiets erst nach (erfolgreicher) Ausweisung der geplanten Windenergieflächen. Aber auch nach diesem Zeitpunkt würden Anträge auf Zulassung von WEA außerhalb des Gebiets kaum je zurückgewiesen werden können, weil sie dort – wenn auch nicht mehr privilegiert – regelmäßig zulässig seien. Aus diesen Gründen berücksichtige auch die hier konkret zu schützende Planung für die Windenergiefläche weder die vorhandenen noch die in Aufstellung befindlichen WEA, so dass schon aus diesem Grund eine Gefährdung dieser Planung ausscheide. Zudem sei die Zulassung einer einzelnen WEA mit drei Einzelanlagen ohnehin nicht geeignet, die – großflächige – Regionalplanung zu gefährden. Schließlich fehlten der Aussetzungsentscheidung nahezu sämtliche einzelfallbezogenen Ermessenserwägungen, insbesondere eine Auseinandersetzung damit, dass das Vorhaben offensichtlich genehmigungsreif und die Genehmigungsfrist bereits seit längerem überschritten war.
- C.
Kontext der Entscheidung Durch das „Wind-an-Land-Gesetz“ ist für die Zulassung von WEA ein Paradigmenwechsel eingetreten. Zwar waren WEA im Außenbereich auch zuvor grundsätzlich privilegiert zulässig. Faktisch war jedoch ein Großteil des Außenbereichs für WEA gesperrt, weil die Ausweisung von Konzentrationszonen für Windenergie in Regional- und Flächennutzungsplänen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB dazu führte, dass außerhalb dieser Konzentrationszonen WEA nicht mehr zulässig waren. Dabei stand bei vielen Plangebern weniger die gesteuerte Zulassung von WEA an einer dafür besonders geeigneten Stelle des Plangebiets im Vordergrund, als vielmehr die Absicht einer Verhinderung von WEA im Übrigen. Ein großer Teil der Rechtsstreitigkeiten über die Zulassung von WEA wurde daher über die Frage geführt, ob vorhandene oder in Aufstellung befindliche Planungen für Konzentrationszonen die Zulassung von WEA am beantragten Standort verhinderten. Diese Regelungssystematik hat der Bundesgesetzgeber durch die Neuregelung grundlegend geändert. Zwar ist weiterhin die Ausweisung von besonderen Windenergiegebieten vorgesehen, um für WEA ausreichend geeignete Flächen zur Verfügung zu stellen. In diesen Windenergiegebieten können die Anlagen dann – weil ein Teil insbesondere der naturschutzrechtlichen Prüfung bereits im Zuge der Planaufstellung erfolgt – in einem erleichterten Verfahren zugelassen werden (§ 6 Abs. 1 WindBG). Auswirkungen auf die Zulässigkeit von WEA außerhalb dieser Flächen hat dies jedoch zunächst nicht. Erst wenn der regionale oder landesweite Zielwert an Windenergiegebieten erreicht wird, entfällt die allgemeine Privilegierung von WEA im Außenbereich. Auch das heißt jedoch nicht, dass WEA im Außenbereich dann ausgeschlossen wären. Vielmehr können diese im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihnen keine öffentlichen Belange entgegenstehen. Davon wird im Regelfall ausgegangen werden können, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt (§ 2 EEG) und ihnen auch artenschutzrechtliche Gründe (§ 45b BNatSchG) oder Abstandsvorschriften (§ 249 Abs. 9 BauGB) nur noch eingeschränkt entgegenstehen können. Diese bundesrechtliche Neuregelung dürfen die Länder nicht dadurch unterlaufen, dass sie das Freihalten des Außenbereichs von WEA außerhalb der neu auszuweisenden Windenergiegebiete nunmehr als Ziel der Raumordnung definieren – und damit die Regelung des für WEA abgeschafften § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in neuem Gewande wieder auferstehen lassen. Darauf hatte der hier erkennende Senat bereits in einer früheren Entscheidung (OVG Münster, Urt. v. 16.02.2024 - 22 D 150/22.AK Rn. 288) im Hinblick auf eine entsprechende Regelung des Landesentwicklungsplans NRW ausrücklich hingewiesen. Diesen Hinweis hatte der Gesetzgeber jedoch im Gesetzgebungsverfahren bewusst als „nicht einschlägig“ ( LT-Drs. 18/8882, S. 3) ignoriert, obwohl klar war, dass die neu eingeführte Regelung des § 36 Abs. 3 LPlG NRW über die Zurückstellung von Anträgen auf Zulassung von WEA ausschließlich auf die Sicherung des landesplanerischen Ziels zugeschnitten war, außerhalb der Windenergiegebiete keine WEA mehr zulassen zu wollen. Anders lässt sich nämlich, wie der Senat zutreffend und ausführlich darlegt, ein planerisches Sicherungsbedürfnis gar nicht begründen: Mit der Planung für die später auszuweisenden Windenergiegebiete selbst kommen die außerhalb des Plangebiets belegenen WEA nämlich gar nicht in Konflikt – sehr wohl aber mit dem (unzulässigen) landesplanerischen Ziel, außerhalb der Windenergiegebiete keine WEA mehr zulassen zu wollen. Dies erklärt auch, weshalb, trotz der eigentlich im Gesetz vorgesehenen Einzelfallprüfung, die Genehmigungen von WEA nicht in Einzelfällen, sondern letzlich flächenhaft mit nahezu gleichlautender Begründung zurückgestellt und in dementsprechend zahlreichen Eilverfahren beim OVG anhängig gemacht wurden.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung dürfte zunächst Auswirkungen auf die Entwicklung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen haben. Die Opposition, die bereits im Gesetzgebungsverfahren auf die voraussichtliche Rechtswidrigkeit der Vorschrift hingewiesen hatte ( LT-Drs. 18/9282), hat bereits einen Gesetzantrag auf Aufhebung des § 36 Abs. 3 LPlG NRW gestellt (LT-Drs. 18/10884), dessen Begründung sich maßgeblich auf die Entscheidung des Senats stützt. Zudem dürfte die Entscheidung nicht nur im entschiedenen Einzelfall, sondern in ähnlicher Weise auch für die weiteren 17 Parallelverfahren beim OVG Münster sowie für die weiteren landesweit zurückgestellten Genehmigungsverfahren gelten. Darüber hinaus lässt sich die Entscheidung ohne weiteres auch auf die nahezu gleichlautende Regelung des § 17a des Thüringer Landesplanungsgesetzes übertragen. Auch diese Regelung dürfte verfassungswidrig sein. Bedeutsamer dürfte jedoch die Klarstellung sein, dass es der Landesplanung generell verwehrt ist, entgegen der bundesgesetzlichen Neuregelung Teile des Außenbereichs durch raumplanerische Festsetzungen erneut allgemein von WEA freizuhalten. Vielmehr bleibt es bei der gesetzgeberischen Entscheidung, dass WEA in ausgewiesenen Windenergiegebieten privilegiert zulässig sind und – auch soweit die Flächenausweisungsziele erreicht werden – außerhalb dieser Gebiete ebenfalls ohne planerische Einschränkungsmöglichkeit im Einzelfall zugelassen werden können. Dies dürfte in grundsätzlich gleicher Weise auch für neu aufzustellende Flächennutzungspläne gelten. Zwar hat der Gesetzgeber den Gemeinden mit der Zurückstellung von Genehmigungsverfahren nach § 245e Abs. 2 BauGB für einen Übergangszeitraum ein Instrument zur Sicherung ihrer durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie geschützten Planungen gewährt. Da nach dem 01.02.2024 wirksam werdende Pläne die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB a.F. nicht mehr erzielen (§ 245e Abs. 1 Satz 1 BauGB), kann die Zulassung von WEA außerhalb des Plangebiets die Planungen für neue Windenergiegebiete nicht mehr gefährden. Die Zulassung von WEA im Außenbereich kann daher als „Positivplanung“ durch die Ausweisung von Windenergiegebieten erleichtert, jedoch nicht verhindert werden.
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