juris PraxisReporte

Autor:Dr. Hanns-Christian Fricke, RA und FA für Verwaltungsrecht
Erscheinungsdatum:01.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 42a VwVfG, § 30 BBauG, § 35 BBauG
Fundstelle:jurisPR-ÖffBauR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Fricke, jurisPR-ÖffBauR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Novellierung der Niedersächsischen Bauordnung - Ein Überblick über die zum 01.07.2024 in Kraft getretenen Änderungen

I. Einleitung

Die Niedersächsische Bauordnung (NBauO) ist mit Wirkung zum 01.07.2024 novelliert worden (Nds. GVBl 2024, Nr. 51). Vor dem Hintergrund, dass die mit dieser Novellierung vorgenommenen Änderungen weitreichend sind, sollen sie in diesem Beitrag überblicksartig dargestellt werden. Es würde jedoch zu weit führen, hier auf alle beschlossenen Änderungen im Detail einzugehen. Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich deshalb auf eine Darstellung der wichtigsten Änderungen.

II. Hintergrund der beschlossenen Änderungen

Als Reaktion auf die anhaltende Krise in der Bau- und Wohnungswirtschaft haben sich die Bundesregierung und die Bundesländer am 06.11.2023 auf den „Bau-Turbo-Pakt“ geeinigt, mit dem der Wohnungsbau in Deutschland angekurbelt und beschleunigt werden soll. Dieser Pakt sieht diverse „Turbo-Maßnahmen“ vor. So soll beispielsweise bundesweit in den Landesbauordnungen eine Genehmigungsfiktion für Wohnungsbaugenehmigungen eingeführt werden. Außerdem wollen die Länder Nutzungsänderungen von Dachgeschossen zu Wohnzwecken in größerem Umfang genehmigungsfrei stellen und die Verpflichtung zur Schaffung von Parkplätzen bei Umbauten und Aufstockungen von Wohnraum abschaffen. Die Bundesregierung plant ferner die Einführung von Leitlinien für einen kostengünstigen und einfachen Gebäudetyp E („E“ wie einfach) bis Ende des Jahres. Um die Form des seriellen, modularen und systemischen Bauens zu fördern, wollen die Länder überdies regeln, dass bereits einmal erteilte Typengenehmigungen bundesweite Gültigkeit erhalten.

III. Die wichtigsten Änderungen im Überblick

Der niedersächsische Gesetzgeber hat die mit dem „Bau-Turbo-Pakt“ vereinbarten Maßnahmen mit der am 17.06.2024 beschlossenen NBauO-Novelle 2024 umgesetzt. Mit der Gesetzesänderung werden insbesondere Erleichterungen für Baumaßnahmen bei bestehenden Gebäuden geschaffen. Die Neuregelungen wurden als „Umbauordnung“ in die NBauO integriert (LT-Drs. 19/3975, S. 10).

1. Erleichterungen bei Umbaumaßnahmen und Nutzungsänderungen

In der Praxis hat sich herausgestellt, dass insbesondere bei baulichen Änderungen, wie zum Beispiel Aufstockungen und dem Einziehen von neuen Wänden, an Schnittstellen zwischen alter Bausubstanz und neu hinzukommenden Bauteilen Schwierigkeiten bezüglich der jeweils geltenden Anforderungen bestanden haben. Diese Hemmnisse sollen durch den neuen § 85a NBauO beseitigt werden, der das zentrale Regelungselement für Umbaumaßnahmen und Nutzungsänderungen darstellt (LT-Drs. 19/3975, S. 35 und LT-Drs. 19/4618, S. 14 ff.).

Wird ein bestehendes Gebäude baulich durch Aufstockung, Umbau oder Ausbau oder in seiner Nutzung geändert, so müssen die von der Baumaßnahme betroffenen vorhandenen und neuen Bauteile, insbesondere Wände, Stützen, Decken, Böden, Dächer und Treppen, nach § 85a Abs. 1 Satz 1 NBauO nur die Anforderungen nach § 3 Abs. 1 NBauO erfüllen, insbesondere müssen die von der Baumaßnahme betroffenen vorhandenen und neuen tragenden Bauteile geeignet sein, zusätzlich entstehende Lasten aufzunehmen (§ 12 NBauO), und der Brandschutz muss gewährleistet sein (§ 14 NBauO). Die Erleichterung, die vorgenommen wurde, besteht darin, dass bei den genannten Maßnahmen eine Abkopplung von den zur Konkretisierung des § 3 Abs. 1 NBauO und der §§ 12 und 14 NBauO ergangenen Vorschriften vorgenommen wurde; diese müssen nach § 85a Abs. 1 Satz 2 NBauO für die in Satz 1 genannten Bauteile nicht erfüllt sein.

Erfüllen die von der Baumaßnahme betroffenen Bauteile im Bestand für die vorgesehene Nutzung höhere Anforderungen, so gelten diese nach § 85a Abs. 1 Satz 3 NBauO auch für die Bauteile nach Satz 1. Der vorhandene Baustandard soll also durch die in Satz 1 genannten Maßnahmen nicht herabgesetzt werden.

In § 85a Abs. 2 NBauO werden Ausnahmen aufgeführt, bei denen § 85a Abs. 1 NBauO nicht gilt. Danach gilt der Absatz 1 nicht für bauliche Änderungen bestehender Gebäude durch Anbauten (Nr. 1), für Trennwände und Decken zum Abschluss von Räumen mit Explosions- oder erhöhter Brandgefahr (Nr. 2), für Gebäude, die nach Durchführung der Änderung Hochhäuser oder sonstige Sonderbauten i.S.d. § 2 Abs. 5 NBauO sind (Nr. 3) und für Baumaßnahmen, für die nach § 62 Abs. 10 NBauO auf Verlangen des Bauherrn ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wird (Nr. 4).

In § 85a Abs. 3 NBauO wird geregelt, was der Entwurfsverfasser in den Bauvorlagen darzustellen und was er nachzuweisen hat. Von ihm muss dargestellt werden, inwieweit das Gebäude nach Durchführung der Änderung die Anforderungen nach den zur Konkretisierung des § 3 Abs. 1 NBauO und der §§ 12 und 14 NBauO ergangenen Vorschriften nicht erfüllt. Die Nachweispflicht orientiert sich in § 85a Abs. 3 Satz 2 NBauO am neuen Maßstab des § 85a Abs. 1 NBauO.

Eingeschränkt wird die neue Vorschrift in § 85a Abs. 4 NBauO, der in seinem Satz 1 vorschreibt, dass die Anforderungen an Gebäude und Bauteile zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung aufgrund anderer Rechtsvorschriften erfüllt sein müssen. Nach § 85a Abs. 4 Satz 2 NBauO gilt gleiches für alle nutzungsbedingten Anforderungen (§§ 43 ff. NBauO) sowie die sonstigen Anforderungen des öffentlichen Baurechts, die nicht nur von Bauteilen zu erfüllen sind. Die geschaffenen Erleichterungen beziehen sich mithin nur auf „Bauteile“.

Für die Erleichterungen, die nach § 85a NBauO genutzt werden, bedarf es keiner Abweichung (§ 66 Abs. 1 Satz 5 NBauO). Die Abweichungen sind bereits von Gesetzes wegen erlaubt (LT-Drs. 19/3975, S. 35).

2. Wegfall der Stellplatzflicht bei Wohnungen

Die in § 47 Abs. 1 Satz 1 NBauO normierte Pflicht, bei der Errichtung von baulichen Anlagen für die notwendige Zahl von Kraftfahrzeug-Einstellplätzen zu sorgen, sowie die in § 47 Abs. 1 Satz 2 NBauO geregelte Pflicht, im Falle einer Nutzungsänderung einen ggf. erforderlichen Mehrbedarf an Einstellplätzen herzustellen, wurde für den durch Wohnungen verursachten Bedarf oder Mehrbedarf aufgehoben (§ 47 Abs. 1 Satz 3 NBauO) (LT-Drs. 19/3975, S. 2, S. 22). Erfasst werden damit auch Gebäude mit verschiedenen Nutzungen hinsichtlich der darin befindlichen Wohnungen (LT-Drs. 19/3975, S. 24). Damit ist auch für die Kommunen die Möglichkeit entfallen, durch örtliche Bauvorschriften bzw. Satzungen die erforderliche Zahl an Stellplätzen festzulegen (LT-Drs. 19/3975, S. 6).

3. Neue Genehmigungsfiktion

Zur Umsetzung des „Bau-Turbo-Pakts“ hat der Gesetzgeber im neuen § 70a NBauO für bestimmte Baumaßnahmen zur Herstellung von Wohnraum eine Genehmigungsfiktion vorgeschrieben (LT-Drs. 19/3975, S. 6). Erfasst werden Bauanträge für folgende drei, in § 70a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 NBauO aufgeführte, Baumaßnahmen: die Errichtung oder Änderung eines Wohngebäudes oder eines Gebäudes, das überwiegend dem Wohnen dient, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 63 NBauO (Nr. 1), Nutzungsänderungen von Räumen oder eines Gebäudes, durch die Wohnraum geschaffen werden soll, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 63 NBauO (Nr. 2), oder Maßnahmen zur Errichtung oder Änderung von Antennen einschließlich der Masten und dazugehöriger Anlagen (Nr. 3). Für diese Baumaßnahmen gilt die Genehmigungsfiktion gemäß § 42a VwVfG, die sich, soweit durch Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt wird, nach § 42a Abs. 2 Satz 1 VwVfG auf drei Monate beläuft.

In begründeten Einzelfällen kann die untere Bauaufsichtsbehörde – sofern die Schwierigkeit der Angelegenheit dies rechtfertigt – die Frist einmalig angemessen verlängern. Maßgeblich ist das Vorliegen von Umständen, die die Schwierigkeit der Angelegenheit begründen, und nicht die Einschätzung der Behörde (Schemmer in: BeckOK VwVfG, 63. Ed. 01.04.2024, § 42a Rn. 13). Ein hinreichender Grund für die Fristverlängerung kann nicht die Überlastung der Behörde sein (Schemmer in: BeckOK VwVfG, § 42a Rn. 13; Schoch/Schneider/Baer/Wiedmann, VwVfG, 4. Erg.-Lfg. November 2023, § 42a Rn. 42). Vielmehr bedarf es atypischer Umstände, und die Bearbeitung muss einen höheren Zeitbedarf erfordern als das typische Verfahren zur Prüfung der beantragten Genehmigung (Schoch/Schneider/Baer/Wiedmann, VwVfG, § 42a Rn. 42). Wenn die Verlängerungsvoraussetzungen nicht vorliegen, tritt die Genehmigungsfiktion mit Ablauf der Entscheidungsfrist ohne Weiteres ein (Schemmer in: BeckOK VwVfG, § 42a Rn. 13.).

4. Genehmigungsfreie Baumaßnahmen ausgeweitet

Bisher waren nach § 62 Abs. 1 NBauO a.F. lediglich Baumaßnahmen im Geltungsbereich von Bebauungsplänen i.S.d. § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen genehmigungsfrei. Außerhalb der qualifizierten und der vorhabenbezogenen Bebauungsplangebiete war dagegen ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach § 63 NBauO oder – soweit durch den Dachgeschossausbau das Gebäude zu einem Sonderbau wurde – das reguläre Baugenehmigungsverfahren nach § 64 NBauO erforderlich.

Der Anwendungsbereich der Norm ist nunmehr im Hinblick auf Umbaumaßnahmen und Nutzungsänderungen erweitert worden. Ein neu eingefügter Absatz 1a beinhaltet verfahrensrechtliche Erleichterungen für Umbaumaßnahmen nach § 85a NBauO, für die beim Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 2 nur ein Mitteilungsverfahren nach § 62 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 NBauO durchzuführen ist. Der Bauherr kann allerdings nach § 62 Abs. 10 NBauO verlangen, dass für eine Baumaßnahme nach § 62 Abs. 1 oder Abs. 1a NBauO das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren durchgeführt wird. Tut er dies, greifen zu seinen Gunsten die Erleichterungen des § 85a Abs. 1 Satz 1 bis Satz 3 NBauO nicht (§ 85 Abs. 2 Nr. 4 NBauO).

Eine Baumaßnahme nach § 62 Abs. 1a Satz 2 NBauO ist auch die Nutzungsänderung des Dachgeschosses eines Gebäudes zu Wohnzwecken sowie die damit verbundene Errichtung von Dachgauben, wenn für sie Erleichterungen nach § 85a Abs. 1 NBauO gelten (§ 62 Abs. 1a Satz 2 NBauO).

In § 62 Abs. 1a Satz 3 NBauO werden für den neuen Absatz 1a die Regelungen in Absatz 1 Sätze 3 bis 5 für entsprechend anwendbar erklärt. Damit gilt das Mitteilungsverfahren u.a. nicht für Sonderbauten nach § 2 Abs. 5 NBauO. Für diese ist das reguläre Baugenehmigungsverfahren nach § 64 NBauO erforderlich (LT-Drs. 19/3975, S. 3).

Neu konzipiert wurde auch § 62 Abs. 2 NBauO. Es werden in der Norm u.a. die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Absatz 1 und Absatz 1a unterfallenden Baumaßnahmen aufgeführt. Die Genehmigungsfreiheit gilt nicht mehr nur im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans i.S.d. § 30 Abs. 1 BauGB bzw. eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans i.S.d. § 30 Abs. 2 BauGB. In den Fällen des neu aufgenommenen § 62 Abs. 1a NBauO ist eine Baumaßnahme genehmigungsfrei, wenn das Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans – ein einfacher nach § 30 Abs. 3 BauGB reicht aus – liegt und dessen Festsetzungen nicht widerspricht oder notwendige Ausnahmen oder Befreiungen bereits erteilt sind (§ 62 Abs. 2 Nr. 1b NBauO) oder innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils i.S.d. § 34 BauGB oder im Außenbereich i.S.d. § 35 BauGB liegt, dort nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig ist und die Bauaufsichtsbehörde dies festgestellt hat (§ 62 Abs. 2 Nr. 1c NBauO). In § 62 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 4 NBauO werden weitere Voraussetzungen aufgeführt. Entfallen ist die vormals in § 62 Abs. 2 Nr. 4 NBauO a.F. geregelte Vorgabe, erforderlichenfalls die Eignung der Rettungswege zu prüfen und zu bestätigen.

5. Verfahrensfreistellungen ausgeweitet

Mit einer neuen Formulierung in § 60 Abs. 2 Nr. 1 NBauO ist die Verfahrensfreistellung von Nutzungsänderungen deutlich ausgeweitet worden. Nach der bisher geltenden Formulierung, nach der die Änderung der Nutzung einer baulichen Anlage verfahrensfrei war, wenn das öffentliche Baurecht an die neue Nutzung weder andere noch weiter gehende Anforderungen stellte, führte in der Praxis dazu, dass zu viele Nutzungsänderungen von der Verfahrensfreistellung ausgenommen waren und damit genehmigungspflichtig wurden, weil das öffentliche Baurecht an eine neue – bisher nicht genehmigte – Nutzung fast immer andere Anforderungen stellte (LT-Drs. 19/3975, S. 25). Die neue Regelung ist nicht mehr auf das gesamte öffentliche Baurecht einschließlich seiner vielen dazugehörigen Fachgesetze, sondern lediglich auf das städtebauliche Planungsrecht sowie auf die NBauO und die darauf ergangenen Verordnungen bezogen (LT-Drs. 19/3975, S. 3, S. 25). Die Änderung der Nutzung einer baulichen Anlage ist nunmehr verfahrensfrei, wenn das städtebauliche Planungsrecht keine anderen und die NBauO sowie die Vorschriften aufgrund der NBauO keine weiter gehenden Anforderungen an die neue Nutzung stellen.

6. Grenzabstandsvorgaben reduziert

Zur Erleichterung von Baumaßnahmen bei Gebäuden im Bestand und für die Neuerrichtung von baulichen Anlagen wurde der grundsätzliche Grenzabstand von 0,5 H auf 0,4 H und in Gewerbe und Industriegebieten sowie in Gebieten, die nach ihrer baulichen Nutzung diesen Baugebieten entsprechen, von 0,25 H auf 0,2 H reduziert (§ 5 Abs. 2 Satz 1 NBauO). Zudem wurde der für Windenergieanlagen im Außenbereich oder in Sondergebieten für Windenergie geltende Grenzabstand ebenfalls von 0,25 H auf 0,2 H reduziert. Die Reduzierung des Grenzabstandes auf 0,4 H übernimmt die Regelung der Musterbauordnung (MBO) und entspricht den Regelungen der meisten Bundesländer (LT-Drs. 19/3975, S. 19).

7. Abweichungen leichter zu erlangen

Nach der bisherigen Regelung des § 66 NBauO stand es im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, auf Antrag des Bauherrn Abweichungen von Anforderungen der oder aufgrund der NBauO erlassenen Verordnungen zuzulassen, wenn die Abweichungen unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen nach § 3 Abs. 1 NBauO, vereinbar sind. Der Absatz 1 der Vorschrift hat einen neuen Satz 2 erhalten, der vorsieht, dass Abweichungen unter den Voraussetzungen des Satzes 1 in folgenden Konstellationen zuzulassen sind: Bei Nutzungsänderungen (Nr. 1), bei Baumaßnahmen, die der Modernisierung, dem Ausbau oder dem Erhalt bestehender Gebäude dienen (Nr. 2) und bei Baumaßnahmen zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen (Nr. 3). Bei diesen drei Baumaßnahmen sind Abweichungen zuzulassen, es besteht also kein Ermessen (LT-Drs. 19/3975, S. 30). Die in § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO aufgeführten Belange und Anforderungen müssen weiterhin gegeben sein. Zur praktischen Erprobung neuer Bau- und Wohnformen im Wohnungsbau zählen insbesondere Bauvorhaben, die nach dem sog. „Gebäudetyp E“ (einfach und experimentell) gebaut werden sollen, sowie die „Tiny Houses“ (LT-Drs. 19/3975, S. 11, S. 18).

In § 66 Abs. 1 Satz 4 NBauO wurde verdeutlicht, dass diese Vorschrift zu dem neu aufgenommenen § 85a NBauO subsidiär ist. Das bedeutet, dass keine Abweichungsentscheidungen erforderlich sind, wenn der Regelungsmechanismus des § 85a NBauO greift.

8. Prüferleichterungen beim zweiten Rettungsweg

Anders als der erste Rettungsweg muss der zweite Rettungsweg für eine Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum, die nicht zu ebener Erde liegt, nicht zwingend über eine notwendige Treppe führen, er kann auch über eine mit den Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit führen (§ 33 Abs. 2 Satz 2 NBauO). Der zweite Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr ist jedoch nur zulässig, wenn keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen (§ 33 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 NBauO). Nach der alten Rechtslage musste die Geeignetheit des zweiten Rettungsweges über Rettungsgeräte der Feuerwehr bei anderen Nutzungseinheiten als Wohnungen bei mehr als zehn Personen je Geschoss geprüft werden (LT-Drs. 19/3975, S. 20). Nach § 33 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 NBauO gilt nunmehr folgende Vermutungsregel: Ist die bauliche Anlage, in der sich die Nutzungseinheit befindet, kein Sonderbau und hat die Nutzungseinheit kein Geschoss, das für die Nutzung durch mehr als 30 Personen bestimmt ist, so ist davon auszugehen, dass keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen.

9. Ausnahmen in Bezug auf Aufzüge ausgeweitet

Gebäude mit Aufenthaltsräumen, deren Fußboden mehr als 12,25 m über der Eingangsebene liegt, mussten bisher Aufzüge in ausreichender Zahl und Anordnung haben (§ 38 Abs. 2 Satz 1 NBauO a.F.). Dies galt nicht für Gebäude, die vor dem 31.12.1992 errichtet oder genehmigt wurden, wenn das oberste Geschoss durch eine Nutzungsänderung zur Wohnnutzung umgestaltet wird oder nachträglich nicht mehr als zwei Geschosse errichtet werden und diese Geschosse danach zu Wohnzwecken genutzt werden (§ 38 Abs. 2 Satz 2 NBauO a.F.). Diese Einschränkung sollte den nachträglichen Dachgeschossausbau erleichtern (Spennes/Otto/Schulz in: BeckOK BauordnungsR Nds, 29. Ed. 01.08.2023, § 38 NBauO Rn. 6). Der Anwendungsbereich dieser Ausnahme wurde erweitert, indem das maßgebliche Stichtagsdatum auf den 31.12.2023 gelegt wurde. Es werden damit Gebäude aus einem Zeitraum von weiteren 30 Jahren in den Regelungsgehalt der Vorschrift eingebunden (LT-Drs. 19/3975, S. 3, S. 19).

10. Erleichterungen bei Kinderspielplätzen ausgeweitet

Die Regelung in § 9 Abs. 3 Satz 3 NBauO wurde gestrichen. Nach dieser Vorschrift konnte bei einem bestehenden Gebäude mit mehr als fünf Wohnungen die Herstellung eines Spielplatzes für Kinder im Alter bis zu sechs Jahren verlangt werden. Einschränkungen ergaben sich in diesem Zusammenhang bereits aus dem Niedersächsischen Gesetz zur Erleichterung der Schaffung von Wohnraum. Mit der Streichung des § 9 Abs. 3 Satz 3 NBauO wurde dies nun zur weiteren Stärkung des Bestandsschutzes auf alle bestehenden Gebäude mit mehr als fünf Wohnungen ausgedehnt (LT-Drs. 19/3975, S. 3, S. 19).

11. Pflicht zur Errichtung von Fahrradabstellanlagen ausgeweitet

In § 48 Abs. 1 NBauO a.F., der für bestimmte bauliche Anlagen eine Ausstattung mit Fahrradabstellanlagen fordert, waren Wohngebäude ausgenommen, weil deren Ausstattung mit Fahrradabstellanlagen in § 44 Abs. 4 Nr. 1 NBauO besonders geregelt wird. Dort wird für Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen u.a. für Fahrräder ein „leicht erreichbarer und gut zugänglicher Abstellraum […]“ im Gebäude oder auf dem Baugrundstück gefordert. Die Ausnahme in § 48 Abs. 1 NBauO a.F. bezüglich der Wohngebäude ist entfallen. Es müssen nunmehr ergänzend zu der Regelung in § 44 Abs. 4 Nr. 1 NBauO nicht nur für die ständigen Benutzerinnen und Benutzer von Wohnungen ausreichend Fahrradabstellanlagen zur Verfügung stehen, sondern auch einfach erreichbare Abstellanlagen für Besucherinnen und Besucher (LT-Drs. 19/3975, S. 24).

12. Anerkennung der Typengenehmigungen anderer Länder

Typengenehmigungen anderer Länder gelten nach § 73a Abs. 5 NBauO (nunmehr) auch in Niedersachsen. Mit der Anerkennung dieser Genehmigungen anderer Länder wird in Kauf genommen, dass bestimmte Anforderungen der NBauO möglicherweise nicht eingehalten werden müssen, wenn in dem anderen Bundesland geringere bauordnungsrechtliche Anforderungen gelten (LT-Drs. 19/3975, S. 34). Die Änderung bedeutet jedoch eine Vereinfachung für das serielle Bauen.

13. Ortsveränderliche Wohngebäude erhalten Bestandsschutz

Die neu aufgenommene Regelung des § 85b NBauO schafft einen Bestandsschutz für rechtmäßig errichtete ortsveränderliche kleine Wohngebäude, wie sog. „Mobile Tiny Houses“, wenn diese später an einem anderen Ort aufgestellt werden. Der Bestandsschutz bezieht sich auf die grundstücksunabhängigen, das Gebäude selbst betreffenden, Regelungen. Ziel der Regelung ist es, dass im Fall einer späteren Aufstellung des Wohngebäudes an einem anderen Ort, in dem auch dann erforderlichen bauaufsichtlichen Verfahren keine zusätzlichen grundstücksunabhängigen Anforderungen gestellt werden (Gesetzesentwurf des MW, Referat 63, S. 17). Nach § 85 Satz 3 NBauO bleibt die Regelung des § 85 Abs. 2 NBauO unberührt. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde eine Anpassung verlangen, wenn dies zur Erfüllung der Anforderungen des § 3 Abs. 1 NBauO erforderlich ist. Dies wird insbesondere bei der Gefährdung von Leben und Gesundheit der Fall sein.

14. Änderungen beim Anhang zu § 60 Abs. 1 NBauO

Es ist eine Reihe von Änderungen beim Anhang zu § 60 Abs. 1 NBauO zu den verfahrensfreien Baumaßnahmen, also bei den Baumaßnahmen, bei denen weder eine Baugenehmigung noch eine Mitteilung erforderlich ist, beschlossen worden. Diese beziehen sich auf die Nutzung einer Wohnung einer Kindertagespflegeperson für die Betreuung von bis zu fünf gleichzeitig anwesenden, fremden Kindern im Rahmen der Kindertagespflege (Nr. 1.9), auf Feuerungsanlagen sowie Anlagen zur Energieerzeugung und Energiebereitstellung (Nr. 2), auf Brennstoffzellen (Nr. 2.6), auf Anlagen zur Wasserstofferzeugung (Nr. 2.7), auf Anlagen zur Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff (Nr. 2.8), auf Antennen einschließlich der Masten (Nr. 4.6, Nr. 4.9 und Nr. 4.10), auf erdgeschossige betretbare Verkaufs- und Schaugeschäfte (Nr. 11.2), auf Tribünen und Podien (Nr. 11.5), auf die Unterbringung schutzsuchender Menschen (Nr. 11.9), auf Behelfsbauten zur Tierseuchenbekämpfung (Nr. 11.10) und auf Dächer von vorhandenen Gebäuden (Nr. 13.6).

IV. Ausblick – Evaluation der NBauO

Ob die beschlossenen Änderungen die erhoffte Wirkung entfalten, ist ungewiss – das weiß auch der Gesetzgeber, der mit dem Änderungsgesetz eine Evaluation beschlossen hat. Danach hat die Landesregierung dem Landtag bis zum 31.12.2028 einen Bericht über die tatsächliche Wirksamkeit des § 47 NBauO, des § 73a Abs. 5 NBauO und des neuen § 85a NBauO vorzulegen (Nds. GVBl 2024, Nr. 51 v. 20.06.2024, S. 9).


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