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Anmerkung zu:OLG Karlsruhe 19. Zivilsenat, Urteil vom 25.05.2023 - 19 U 64/22
Autor:Prof. Dr. Christian Döring, RA
Erscheinungsdatum:06.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 634 BGB, § 281 BGB, § 280 BGB, § 254 BGB, § 278 BGB
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Döring, jurisPR-PrivBauR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Haftung des Tragwerkplaners bei Umplanungen im Bestand



Leitsatz

Übernimmt ein Tragwerksplaner zur Vorbereitung der geplanten Aufstockung eines Gebäudes vertraglich die Untersuchung einer Bestandsdecke, schuldet er auch die Untersuchung, inwieweit die mögliche Traglast durch den Bestandsbau bereits verbraucht ist.



A.
Problemstellung
Das OLG Karlsruhe beschäftigt sich in seiner Entscheidung mit den Leistungspflichten eines Tragwerkplaners, der mit der Umplanung und Überprüfung einer Bestandsimmobilie im Rahmen einer beabsichtigten Gebäudeaufstockung beauftragt worden ist. Es stellt im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 15.05.2013 - VII ZR 257/11) das berechtigte Interesse des Auftraggebers an einer Statik unter Berücksichtigung der konkreten, objektbezogenen Verhältnisse vor Ort heraus.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Zur Umsetzung einer beabsichtigten Gebäudeaufstockung einer Bestandsimmobilie beauftragte der Kläger den Beklagten mit Leistungen der Tragwerksplanung für das „BV Umbau Wohnhaus A., K.“. Als Leistungen sieht der Vertrag die „Statische Berechnung für die geplante Aufstockung mit Untersuchung der OG-Decke, Ausführungspläne für die tragenden Teile des neuen Dachgeschosses“ vor.
Im Rahmen der Abarbeitung des erteilten Auftrags hat der Beklagte die Ausführungspläne für die tragenden Teile des neuen Dachgeschosses, die nicht im Streit stehen, gefertigt und im Übrigen lediglich die Traglast der Bestandsdecke, wie sie sich aus den Bestandplänen ergibt, mitgeteilt, und zwar ohne den Hinweis, dass die Bestandsdecke aufgrund des mit ihr verbundenen 15 cm starken Bimsbetons ihre Traglast bereits erreicht hat und für den geplanten Fußbodenaufbau ungeeignet ist. Die Ungeeignetheit der Bestandsdecke für den beabsichtigten Fußbodenaufbau ohne weitere bauliche Maßnahmen trat während der Ausführung zu Tage, weshalb das Bauvorhaben eingestellt wurde.
Im folgenden Prozess begehrt der Kläger Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die darauf zurückzuführen sind, dass der Beklagte nicht darauf hingewiesen hat, dass die Traglast der Bestandsdecke aufgrund des Bimsbetons in den Deckenfeldern bereits ausgeschöpft ist und ohne zusätzliche Maßnahmen der aufzubringende Bodenaufbau die Traglast der Decke übersteigt. Der Beklagte tritt dem Ansinnen entgegen. Er ist der Auffassung, dass er keine Hinweispflichten verletzt habe. Von dem beabsichtigten Fußbodenaufbau zum Ausbau einer Wohnung habe er keine Kenntnis gehabt und aus diesem Grund habe er auch nicht darauf hinweisen müssen, dass die Traglast der Decke aus statischen Gründen für jeglichen Fußbodenaufbau ungeeignet sei.
Das OLG Karlsruhe bejaht die Zulässigkeit der Feststellungsklage, da das Bauvorhaben noch nicht abgeschlossen, sondern derzeit eingestellt ist. Der Kläger sei, wenn bei Klageerhebung bereits ein Teil des Schadens entstanden, aber weiterer Schaden zu erwarten ist, nicht gehalten seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten.
Es tenoriert auch die begehrte Feststellung, da dem Kläger ein solcher Schadensersatzanspruch aus den §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB dem Grunde nach zustehe. Ausgehend von dem Vertrag mit der Kennzeichnung „BV Umbau Wohnhaus A., K..“ und den Leistungspflichten „Statische Berechnung für die geplante Aufstockung mit Untersuchung der OG-Decke, Ausführungspläne für die tragenden Teile des neuen Dachgeschosses“ ordnet es den erteilten Auftrag richtigerweise im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BGH als Werkvertag ein. Neben den nicht im Streit stehenden Ausführungsplänen für das neue Dachgeschoss hält es fest, dass auch eine Untersuchung der Decke über dem Obergeschoss geschuldet sei. Die Auffassung des Beklagten, es handle sich hierbei lediglich um die Bestimmung der potenziellen Traglast der Decke bzw. der entsprechenden Übernahme aus den Bestandsplänen, ohne hierbei festzustellen, inwieweit die Traglast schon verbraucht ist, teilt das OLG Karlsruhe nicht. Dies ergebe sich bereits aus der Vertragsauslegung. Der Vertrag formuliert ausdrücklich „Untersuchung der Decke“, was nicht als Übernahme von Werten aus Bestandsplänen verstanden werden könne. Des Weiteren wird unter Hinweis auf BGH (Urt. v. 15.05.2013 - VII ZR 257/11) festgehalten, dass grundsätzlich der Auftraggeber einer Tragwerksplanung kein Interesse daran hat, eine Statik ohne Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse vor Ort zu erhalten, was auch dem Tragwerksplaner ersichtlich ist. Dies bedeutet vorliegend, dass ein Umbau über einer Decke naturgemäß und erkennbar voraussetzt zu wissen, wieviel von deren potenzieller Traglast tatsächlich bereits verbraucht ist. Mit dieser zutreffenden Einordnung verneint das OLG Karlsruhe das Vertragsverständnis des Beklagten.
Zudem ordnet das OLG Karlsruhe die Planung, da unvollständig, zutreffend als mangelhaft ein. Eine mangelhafte Planung liegt vor, wenn vertraglich vereinbarte Beschaffenheiten fehlen. Welche Beschaffenheiten die Parteien vereinbart haben, ergibt die Auslegung des Vertrages (BGH, Urt. v. 15.05.2013 - VII ZR 257/11). Neben der geschuldeten statischen Untersuchung der Decke gehören zur vereinbarten Beschaffenheit alle Eigenschaften des Werkes, die den vertraglichen geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Der vertraglich geschuldete Erfolg richtet sich auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Parteiwillen erfüllen soll. Wird der mit dem Vertrag verfolgte Zweck nicht erfüllt und wird das Werk seiner vereinbarten Funktion nicht gerecht, liegt ein Abweichen von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit und damit ein Mangel vor. Die Funktion, eine Entscheidungsgrundlage über die statischen Verhältnisse des Bestandes für die geplante Aufstockung zu erhalten, war auch dem Beklagten bekannt; der Vertrag weist ausdrücklich auf die Baumaßnahme „BV Umbau Wohnhaus“ hin. Bei Unklarheiten hätte der Beklagte sich erforderliche Information beschaffen und nachfragen müssen. Im Ergebnis hält das OLG Karlsruhe richtigerweise fest, dass die Planung des Beklagten mangelhaft, da unvollständig ist. Im Folgenden beschäftigt sich das OLG Karlsruhe mit der Feststellung eines Schadens dem Grunde nach, insbesondere mit der Frage, wie sich der Kläger bei vertragsgerechter Untersuchung der OG-Decke verhalten hätte, um Feststellungen zu einem (Mindest-)Schaden treffen zu können. Der Kläger konnte darlegen, dass er die Baumaßnahme bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht ausgeführt hätte und die fehlende Traglast der Decke auch der Grund für die Arbeitseinstellung des Innenausbaus gewesen ist. Das OLG Karlsruhe konnte somit einen Schaden und die Feststellung der Ersatzpflicht bejahen. Weitere Anspruchsvoraussetzungen wie Fristsetzung zur Nacherfüllung (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB – entbehrlich) und das Verschulden des Beklagten konnten gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bejaht werden. Ein Mitverschulden der Kläger kam vorliegend nicht in Betracht, da der Kläger keine Obliegenheit durch Überlassung fehlerhafter Unterlagen verletzt hat. Das OLG Karlsruhe hat zu Recht die Schadensersatzpflicht des Tragwerkplaners festgestellt.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung folgt der ständigen Rechtsprechung des BGH der jüngeren Jahre. Im Urteil vom 15.05.2013 hat der BGH (VII ZR 257/11 - BGHZ 197, 252) festgestellt, dass die Statik für ein Gebäude mangelhaft ist, wenn sie den vereinbarten Zweck, die Standfestigkeit des Gebäudes unter Berücksichtigung des Baugrundes und seiner Tragfähigkeit zu gewährleisten, nicht erfüllt. Sie muss erforderliche Maßnahmen aufgrund der konkreten Boden- und Grundwasserverhältnisse enthalten und vorsehen. Dies ergibt die Auslegung des Planungsvertrages zur Ermittlung der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit, um damit den Werkerfolg zu kennzeichnen. Hierzu gehören alle Eigenschaften des Werkes, die den Werkerfolg herbeiführen sollen. Es kommt damit auch auf die Funktion des Werkes nach dem Parteiwillen an. Wird dieser Zweck nicht erreicht und kann die Funktion nicht erfüllt werden, ist die vereinbarte Beschaffenheit nicht erfüllt und das Werk ist mangelhaft (vgl. BGH, Urt. v. 14.02.2001 - VII ZR 176/99 - BGHZ 147, 1). Folgerichtig hat daher das OLG Karlsruhe entschieden, dass der Auftrag zur Aufstockung einer Bestandsimmobilie auch die Traglast der Decke für die zukünftige Nutzung als Wohnung berücksichtigen muss.
Richtig ist auch, dass den Auftraggeber in diesen Fällen grundsätzlich die Obliegenheit trifft, dem Tragwerksplaner, dem planenden Architekten oder auch anderen Fachplanern die für die mangelfreie Planung erforderlichen Unterlagen und Informationen zu übergeben. Es liegt in seinem eigenen Interesse, den jeweiligen Planer vollständig zu informieren. Tätigt er falsche Angaben, die in der Folge zu einer mangelhaften Planung führen, ist er bei einem daraus entstandenen Schaden mithaftbar wegen Verschuldens gegen sich selbst (BGH, Urt. v. 15.05.2013 - VII ZR 257/11 - BGHZ 197, 252).
Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Angaben anderer bei dem Bauvorhaben tätiger Planer. Stammen die fehlerhaften Angaben an den Fachplaner beispielsweise vom Architekten des Auftraggebers, muss sich der Auftraggeber dessen Verschulden, §§ 254, 278 BGB, zurechnen lassen (BGH, Urt. v. 15.05.2013 - VII ZR 257/11 - BGHZ 197, 252; BGH, Urt. v. 14.07.2016 - VII ZR 193/14).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Bedeutung der Entscheidung des OLG Karlsruhe als auch die genannten jüngeren BGH-Entscheidungen dürfen hinsichtlich ihrer praktischen Auswirkung nicht unterschätzt werden. Gerade bei dem momentanen gesellschaftlichen Umbruch durch die Energiewende einerseits und dem damit häufig verbundenen Eingriff in Bestandsimmobilien als auch durch die städtebauliche Nachverdichtung zur Schaffung von Wohnraum andererseits und dem wiederum erforderlichen Eingriff in Bestandsimmobilien kommt es bei den notwendigen Planungsverträgen der Objekt- und Fachplaner auf die sorgfältige Vereinbarung der Leistungspflichten an. Auch der Zweck und die Funktion der Zielmaßnahme sollten eindeutig beschrieben werden. Nur so können vertraglich vereinbarte Beschaffenheiten eindeutig erkannt, geregelt und umgesetzt und damit das Haftungsrisiko der Vertragspartner begrenzt werden.



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