Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Streit war eine Erstattungsforderung im Rahmen einer abschließenden Entscheidung für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016.
Die Klägerin war selbstständig tätig; zusätzlich bezog sie eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Das Jobcenter bewilligte der Klägerin für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016 im Hinblick auf „zukünftige bzw. noch nicht nachgewiesene Einkünfte“ mit Bescheid vom 04.07.2016 vorläufig Arbeitslosengeld II. Die vorläufige Bewilligung enthielt unter Bezugnahme auf die Mitwirkungsobliegenheiten gemäß den §§ 60 ff. SGB I den Hinweis, dass die abschließende Entscheidung auf der Grundlage der abschließenden Angaben der Klägerin im Vordruck „EKS“ (Anlage zur vorläufigen oder abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft im Bewilligungszeitraum) erfolgen werde. Das Jobcenter sei berechtigt, das Einkommen für den abgelaufenen Zeitraum zu schätzen, wenn die Erklärung der Klägerin nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums vorliege.
Die Klägerin erhob zunächst gegen die vorläufige Bewilligung Klage. Diese wurde vom Sozialgericht abgewiesen; dieses Verlangen verfolgte sie dann nicht weiter.
Parallel legte sie dem Beklagten Unterlagen zu ihren Einnahmen und Ausgaben im streitigen Zeitraum vor und übersandte die Anlage EKS, in der sie ankreuzte, es handle sich um abschließende Angaben. Im Rahmen eines Erörterungstermins gab das Sozialgericht dem Beklagten auf mitzuteilen, ob eine abschließende Entscheidung möglich sei oder unmittelbar bevorstehe. Die Klägerin antwortete auf eine entsprechende Aufforderung des Beklagten sodann wie folgt: „Wie eben telefonisch besprochen erhalten Sie in der Anlage noch einmal die abschl. Angaben für das 2. HJ 2016. Sie hatten gesagt, dass dies das einzige ist, was Ihnen für die Erstellung des abschließenden Bescheides noch fehlt und Ihnen sämtliche Unterlagen für die abschließende Bearbeitung für das 1. HJ 2016 vorliegen. Dann kann ja jetzt endlich die abschließende Bearbeitung vorgenommen werden“. Im Anschluss erfolgten noch mehrere Aufforderungsschreiben des Beklagten im Hinblick auf ein Privatdarlehen, auf die die Klägerin zuletzt am 09.03.2018 antwortete.
Mit Bescheid vom 07.05.2018 setzte das Jobcenter die Leistungen für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016 abschließend fest und forderte die Klägerin auf, aufgrund zu hoher vorläufiger Leistungen einen Betrag i.H.v. 843,70 Euro zu erstatten.
Das Sozialgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht änderte hat das Urteil ab und hob den Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 07.05.2018 auf. Hiergegen wandte sich das beklagte Jobcenter mit seiner vom Landessozialgericht zugelassenen Revision. Das LSG habe § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II verletzt, denn bei der Einreichung des Formulars „EKS“ mit abschließenden Angaben handle es sich um einen Antrag i.S.d. § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II. Entscheidend sei allein, wie das Verhalten der Klägerin objektiv zu werten sei. Das Ergebnis könne nicht davon abhängen, ob die Klägerin eine Nachzahlung erwarten könne oder eine Überzahlung zu erstatten habe. Im Übrigen habe die Klägerin ursprünglich höhere Leistungen gewollt.
Das BSG hat die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts zurückgewiesen.
Rechtsgrundlage des Festsetzungs- und Erstattungsbescheids sei § 41a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 SGB II, wonach die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch entscheiden, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspreche oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantrage und Überzahlungen, die nach der Anrechnung der vorläufigen auf die abschließend festgesetzten Leistungen fortbestehen, zu erstatten seien. Für diesen Fall sei gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II die Regelung des § 41a SGB II anzuwenden auf die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.08.2016 noch nicht beendet seien.
Die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage liegen allerdings nicht (mehr) vor. Denn § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II setze voraus, dass zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung noch eine vorläufige Bewilligung bestehe, die ersetzt werden könne. Dies sei nicht der Fall gewesen, weil die vorläufig bewilligten Leistungen zu diesem Zeitpunkt bereits als abschließend festgesetzt gegolten haben (§ 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II).
§ 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II bestimme, dass die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt gelten, wenn innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach § 41a Abs. 3 SGB II ergehe. Vorliegend habe die Jahresfrist am 31.12.2017 geendet, weil der Bewilligungszeitraum, für den Leistungen vorläufig bewilligt waren, am 31.12.2016 abgelaufen sei. Eine abschließende Entscheidung habe das Jobcenter allerdings erst am 07.05.2018 erlassen.
Die Klägerin habe keine abschließende Entscheidung beantragt. Bei der ggf. erforderlichen Auslegung eines Antrags sei – unter Berücksichtigung aller Umstände – der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers maßgebend. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränke sich deshalb allein darauf, ob das Berufungsgericht auf Grundlage seiner Feststellungen die Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet und nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen habe. Soweit das Landessozialgericht entschieden habe, dass es sich weder bei der mit Schreiben der Klägerin erfolgten Übersendung des EKS-Formulars mit der angekreuzten Option „abschließende Angaben“ noch bei der mit E-Mail erfolgten Äußerung, dann könne „ja jetzt endlich die abschließende Bearbeitung vorgenommen werden“, um einen Antrag auf eine abschließende Entscheidung handle, sei dies revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Zudem handelt es sich nach Auffassung des BSG beim Ankreuzen der Option „abschließende Angaben“ um eine „typische“ Erklärung, die bundesweit in großer Zahl identisch abgegeben werde und deren Auslegung deshalb der uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliege.
Mit der Übersendung des Formulars erfülle die Klägerin nur ihre Mitwirkungsobliegenheiten. Der Wille, mit einem eigenen Antrag gemäß § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II eine abschließende Entscheidung herbeizuführen oder auch nur höhere Leistungen zu beanspruchen als vorläufig bewilligt, sei hierin nicht erkennbar.
Zwar habe das Jobcenter zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf abschließende Entscheidung für den Leistungsberechtigten vorteilhaft wäre und hierdurch „durch die Hintertür“ eine Art „Vertrauensschutzprüfung“ eingeführt würde. Allerdings könne die Auslegung, ob ein Antrag vorliege, nicht vom Ergebnis des Verfahrens (hier: „Spitzabrechnung“ im Rahmen der abschließenden Entscheidung) abhängen. Das BSG fordert insoweit, dass das Jobcenter den Leistungsberechtigten über die Auswirkungen eines Antrags berate, um zu wissen, ob ein solcher für ihn von Vorteil sei. Vor diesem Hintergrund könne allein das Ankreuzen der Option „abschließende Angaben“ im EKS-Formular die spezifischen Rechtsfolgen des § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II jedoch nicht auslösen.
Ein Fall der Rückausnahme (§ 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SGB II) liege nicht vor. Hiernach trete die Fiktionswirkung dann nicht ein, wenn der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II anzugebenden Grund nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen bestehe und das Jobcenter über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheide. Dies sei schon deswegen nicht der Fall, weil „zukünftige bzw. noch nicht nachgewiesene Einkünfte“ als Grund der Vorläufigkeit angegeben wurden. Sollte sich dies nur auf Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bezogen haben und nicht auf das Renteneinkommen der Klägerin, sei die abschließende Entscheidung jedenfalls nicht innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Rentenerhöhung erfolgt.
Die vorherige Klageerhebung hindere den Eintritt der Fiktionswirkung nicht. Es sei unerheblich, ob das Jobcenter sich um die vollständige Aufklärung des leistungserheblichen Sachverhalts hinreichend bemüht oder die leistungsberechtigte Person die fehlende Aufklärung verschuldet habe. Verletze der Leistungsberechtigte seine Auskunfts- und Nachweispflichten (vgl. § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II), setze das Jobcenter den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden, und stelle im Übrigen fest, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe (§ 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II). Erfolge dies nicht innerhalb der Jahresfrist, gelten die vorläufig bewilligten Leistungen gleichwohl als abschließend festgesetzt.
Die abschließende Entscheidung könne auch nicht im Sinne einer Aufhebungsentscheidung gemäß den §§ 45 ff. SGB X ausgelegt oder in eine solche umgedeutet werden.
Zwar seien die Regelungen über die nachträgliche Änderung von Verwaltungsakten auf die fiktive abschließende Entscheidung anwendbar. Jedoch liege mit in der im Irrtum des Jobcenters über den Eintritt der Fiktionswirkung erfolgten abschließenden Entscheidung keine Aufhebung der Bewilligung vor. Eine ausdrückliche Aufhebungsentscheidung enthalte der Bescheid nicht und diese könne auch nicht im Wege der Auslegung ermittelt werden. Denn es sei nicht erkennbar, dass dem Jobcenter überhaupt (erkennbar) bewusst gewesen sei, dass die ursprünglich vorläufige Bewilligung bereits als abschließend festgesetzt gegolten hätte.
Letztlich könne die abschließende Entscheidung auch nicht in eine Entscheidung über die Aufhebung umgedeutet werden. Denn eine Umdeutung scheide bereits deshalb aus, weil die Aufhebung gemäß den §§ 45 ff. SGB X einerseits und die abschließende Entscheidung gemäß § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II andererseits nicht auf das gleiche Ziel gerichtet seien. Dies setze voraus, dass der Verwaltungsakt, in den umgedeutet werde, die gleiche materiell-rechtliche Tragweite habe, wie sie dem fehlerhaften Verwaltungsakt zukommen sollte, und Regelungszweck und Regelungswirkungen im Wesentlichen gleichartig seien. Während die §§ 45 ff. SGB X bezwecken, das Spannungsverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit einerseits und Rechtssicherheit andererseits ggf. mit der Folge der Durchbrechung der Bindungswirkung aufzulösen, gehe es hierum bei der abschließenden Entscheidung gerade nicht, weil die vorläufige Entscheidung ihrem Wesen nach auf Ersetzung durch einen abschließenden Verwaltungsakt angelegt sei, ohne dass von ihr Bindungswirkungen ausgehen oder der Leistungsempfänger auf ihren Inhalt vertrauen könnte.