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Anmerkung zu:LSG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 05.04.2024 - L 4 AS 153/23 D
Autor:Prof. Dr. Marc Sieper
Erscheinungsdatum:08.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 7 SGB 2, § 19 SGB 2, § 1 SGB 2, Art 1 GG, § 20 SGB 2, § 22 SGB 2, § 37 SGB 2, § 23 SGB 2, § 21 SGB 2, § 31 SGB 12, § 24 SGB 2
Fundstelle:jurisPR-SozR 16/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Sieper, jurisPR-SozR 16/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Abgrenzung der Ersatzausstattung zur Erstausstattung nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II



Orientierungssatz zur Anmerkung

Schädlingsbefall (hier: Bettwanzen) stellt einen außergewöhnlichen Umstand für einen speziellen Bedarf auf Neuanschaffung eines nach Schädlingsbekämpfung entsorgten Sofas dar, der nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II geltend gemacht werden kann. Es handelt sich dann um eine Erstausstattung und nicht um eine Ersatzausstattung.



A.
Problemstellung
Das LSG Hamburg hat sich mit der Abgrenzung einer Erstausstattung zur Ersatzausstattung im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende befasst und einen Anspruch auf einen Zuschuss zu einer Erstausstattung bezogen auf die Anschaffung eines Sofas bejaht, der durch die Entsorgung des bisher vorhandenen Möbelstücks infolge eines Schädlingsbefalls (hier: Bettwanzen) bedingt war (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Streitig war die Frage der Gewährung von Leistungen für die Neuanschaffung eines Sofas.
Es klagte eine aus vier Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft, die laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhielt. Anfang 2022 wurde in der von der Bedarfsgemeinschaft bewohnten Wohnung ein massiver Schädlingsbefall durch Bettwanzen festgestellt, der professionell durch die Firma S. GmbH mit vier Einsätzen bekämpft wurde. Im Zuge dessen wurden zahlreiche Möbel entsorgt und mussten neu angeschafft werden, u.a. ein Sofa. Die Kläger beantragten beim zuständigen Leistungsträger die Kostenübernahme für diese Neuanschaffung als Zuschuss, welches dieser unter Verweis darauf, dass es sich um eine Ersatzbeschaffung und nicht um eine Erstausstattung handle, ablehnte. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren – auch gegen eine zwischenzeitlich gewährte darlehensweise Leistungsgewährung – erhoben die Kläger Klage auf Leistungsgewährung der Kostenübernahme als Zuschuss zum SG Hamburg, wo die Verfahren die Az.: S 17 AS 2019/22 D und S 17 AS 2422/22 D führten. Das SG Hamburg folgte der behördlichen Einschätzung und wies die Klagen am 26.05.2023 mit zwei Gerichtsbescheiden ab. Die Kläger legten sodann gegen beide Entscheidungen Berufung ein. Das LSG Hamburg hat beide Berufungsverfahren unter Führung des Az.: L 4 AS 153/23 D zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.
Im Berufungsverfahren verfolgten die Kläger ihr Begehr auf Leistungsgewährung der Kosten für die Neuanschaffung mittels Zuschusses weiter und legten verschiedene Nachweise vor, u.a. eine Quittung über die Zahlung eines Betrages i.H.v. 450 Euro für ein gebrauchtes Sofa. Der Berufungssenat befragte den Inhaber der Firma S. GmbH, welche die Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen durchgeführt hatte, schriftlich als Zeuge, u.a. zur Frage, ob und wenn ja, welche Möbel und Gegenstände so stark befallen gewesen seien, dass sie trotz der durchgeführten Maßnahmen hätten entsorgt werden müssen, was der Zeuge am 06.12.2023 nur bezogen auf das Sofa bejahte. Auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis bezogen auf einen Betrag i.H.v. 115 Euro für die Beschaffung des Sofas ab, welches die Kläger annahmen, allerdings unter Verweis darauf, dass sie an ihrem Begehr der Übernahme der gesamten für das Sofa aufgewendeten Kosten i.H.v. 450 Euro als Zuschuss festhielten.
Nachdem sich der Streitgegenstand des Verfahren im Nachgang zur schriftlichen Zeugenvernehmung auf die restliche Kostenerstattung für die Neuanschaffung des Sofas reduzierte und die Kläger ihr Begehr auf zuschussweise Übernahme der Kosten für die Anschaffung weiterer Einrichtungsgegenstände nicht mehr aufrechterhalten hatten, hat das LSG Hamburg der Klage unter Abänderung der beiden Gerichtsbescheide vom 26.05.2023 sowie der Ausgangsbescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide und des angenommenen Teilanerkenntnisses der klägerischen Berufung teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, den Klägern Leistungen für die Anschaffung eines Sofas i.H.v. insgesamt 200 Euro als Zuschuss zu gewähren.
Das LSG Hamburg hat zunächst einen Anspruch aus § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II dem Grunde nach bejaht. Es handle sich zwar bei der Anschaffung des Sofas nicht um einen Fall der erstmaligen Erstanschaffung, weil ein Sofa ja bereits zuvor in der klägerischen Wohnung vorhanden gewesen sei, gleichwohl sei ein Fall der Erstausstattung und keine Ersatzbeschaffung, die aus dem Regelbedarf zu bestreiten gewesen wäre, gegeben.
Der Berufungssenat schloss sich der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 06.08.2014 - B 4 AS 57/13 R) an, dass ein auf § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II gestützter Anspruch auch bei der Notwendigkeit einer erneuten Beschaffung von bereits vorhanden gewesenen Einrichtungsgegenständen in Betracht komme, wenn der konkrete Bedarf durch außergewöhnliche Umstände bzw. ein besonderes Ereignis entstanden sei, ein „spezieller Bedarf“ vorliege und ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beidem bestehe. Dies grenze den Fall vom Ersatzbedarf ab. Der Schädlingsbefall stelle einen außergewöhnlichen Umstand in diesem Sinne dar, der sich von einem Verschleiß durch gewöhnlichen Gebrauch grundlegend unterscheide. Der Schädlingsbefall sei auch ursächlich für den Bedarf gewesen, da dieser durch die Entsorgung des früheren Sofas entstanden sei. Der Bedarf sei auch ein spezieller gewesen, weil die Notwendigkeit der Neuanschaffung eines Sofas infolge eines Schädlingsbefalls keinen typischen durchschnittlichen Bedarf darstelle.
Soweit es die Höhe des Anspruchs angehe, hat das LSG Hamburg festgestellt, dass sich dieser nicht auf die im Wege des angenommenen Teilanerkenntnis gewährte Pauschale i.H.v. 115 Euro beschränke, die in der Anlage zur Fachanweisung der Freien und Hansestadt Hamburg zu § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II vorgesehen sei. Dort werde dieser Betrag zwar für einen Zweipersonenhaushalt für eine Couchgarnitur genannt.
Das LSG Hamburg hat zunächst auf § 24 Abs. 3 Satz 5 SGB II hingewiesen, dass die Erstausstattungsleistungen zwar in Pauschalbeträgen erbracht werden könne, wobei nach § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II für deren Bemessung geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen seien. Es ist in diesem Zusammenhang schließlich dem Urteil des BSG vom 19.08.2010 (B 14 AS 36/09 R) gefolgt, wonach die Festsetzung der Höhe der Pauschalen der richterlichen Kontrolle unterliege. Im Zuge dieser richterlichen Kontrolle begegne die in der Fachanweisung festgelegte Pauschale Bedenken, weil sie keine Erhöhung vorsehe, wenn die Bedarfsgemeinschaft aus mehr als zwei Personen bestehe. Auch markiere die Fachanweisung den Stand zum 01.05.2015 und berücksichtige die zwischenzeitliche Preisentwicklung nicht.
Das LSG Hamburg hat sodann auch die Frage geprüft, ob für den pauschalen Betrag i.H.v. 115 Euro überhaupt ein für eine vierköpfige Familie geeignetes Sofa auf dem Markt erwerbbar sei. Erforderlich sei ein Dreisitzersofa. Soweit der Beklagte die Kläger auf den Gebrauchtmöbelmarkt verwiesen hatte, begegne dies aus Sicht des LSG Hamburg dem Grunde nach keinen rechtlichen Bedenken. Ein empirisch hinreichend abgesicherter Betrag für den Gebrauchtmarkt für Sofas sei jedoch nicht zufriedenstellend ermittelbar, was u.a. am fluktuierenden Angebot und einer größeren Spannbreite bei den Preisen liege. Auch stehen Möbel in Sozialkaufhäusern nicht durchgängig zu bestimmten Preisen zur Verfügung. Folglich hat sich das LSG Hamburg an dem günstigsten konkret ermittelten Angebot eines Möbelhändlers für Neuware orientiert, welches der Senat im Frühjahr 2024 durchführte und welches ein Dreisitzersofa zu einem Preis von 200 Euro auswies. Mangels anderer Anhaltspunkte hat der Berufungssenat daraus geschlossen, dass auch zum Zeitpunkt des Abschlusses der Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen im September 2022 ein solches Sofa käuflich zur Verfügung gestanden hätte. Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätten, dass das alte Sofa mit einer Schlaffunktion ausgestattet und somit höherwertiger gewesen sei, hat sie das LSG Hamburg auf eine einfache Wohnungsausstattung verwiesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II sowie die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen erhalten nach Maßgabe der §§ 19 ff. SGB II Leistungen zum Lebensunterhalt, die sich nicht nur auf den Regelbedarf nach den §§ 20, 23 SGB II beschränkt. Nach den Umständen des Einzelfalls kommen mehrere Leistungen in Betracht, damit entsprechend der Zielrichtung des § 1 Abs. 1 SGB II diese Personen ein Leben in Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) führen können. Durch das Ineinandergreifen verschiedener Leistungen wird das menschenwürdige Existenzminimum sichergestellt. Hier gilt es, den Bedarf der einzelnen leistungsberechtigten Personen genau zu ermitteln, damit die Leistungen bedarfsdeckend erbracht werden können. Bedarfe, die regelmäßig bei allen Menschen in etwa gleich anfallen, werden einheitlich durch die Regelbedarfe nach den §§ 20, 23 SGB II abgedeckt; hier wird jeder Person eine Regelbedarfsstufe zugeordnet. Der Regelbedarf deckt aber nicht alle Bedarfe ab, so dass hier insbesondere in den dort beschriebenen Fällen Mehrbedarfe nach § 21 SGB II sowie Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II geltend gemacht werden können.
Es gibt aber auch Bedarfe, die nicht regelmäßig und laufend bestehen, sondern nur einmalig auftreten und dann auch eher seltener. Diese Bedarfe werden bei Ermittlung der Regelbedarfe aufgrund ihrer speziellen Seltenheit nicht berücksichtig und ziehen nach § 24 SGB II eine abweichende Erbringung von Leistungen nach sich. Sie werden nach § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB II gesondert gewährt, wenn sie anfallen und geltend gemacht werden. Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB II müssen diese Bedarfe gesondert beantragt werden.
Welche nicht vom Regelbedarf umfassten Bedarfe erbracht werden, ergibt sich aus § 24 Abs. 3 SGB II. Dies sind zum einen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II Bedarfe für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten, nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II für Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten. Nach § 24 Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II ist eine Leistungserbringung auch möglich, wenn im Übrigen keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung erbracht werden, die leistungsberechtigten Personen den besonderen Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln aber nicht in vollem Umfang decken können.
Die Leistungen für Bedarfe nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II können nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden. Der Bedarf muss ferner nach § 24 Abs. 1 SGB II unabweisbar sein, was unter Heranziehung der Definition des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II zu beantworten ist (Behrend/König in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 24 Rn. 40). Von der Unabweisbarkeit ist dann auszugehen, wenn der Mehrbedarf insbesondere nicht durch Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der leistungsberechtigten Personen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (Behrend/König in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 24 Rn. 40 m.w.N.).
In dem vom LSG Hamburg entschiedenen Fall ging es um ein Möbelstück, namentlich ein Sofa, so dass der Anwendungsbereich des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II eröffnet war. Diese Bestimmung gewährt Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräte. Soweit es sich um Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung handelt, bezieht sich dieses auf wohnraumbezogene Gegenstände, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen (BSG, Urt. v. 16.12.2008 - B 4 AS 49/07 R). Es werden aber nur die grundlegenden Bedürfnisse wie Essen, Schlafen und Aufenthalt, aber keine Freizeitbeschäftigungen erfasst (Behrend/König in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 24 Rn. 57). Über § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II beansprucht werden können insbesondere Möbel und Lampen (Blüggel in: Harich/Luik, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 24 Rn. 98 m.w.N.), wozu auch ein Jugendbett gehört, wenn das Kleinkind dem Kinderbett entwachsen ist (BSG, Urt. v. 23.05.2013 - B 4 AS 79/12 R).
Dass sich das streitgegenständliche Sofa, auf welches sich der Rechtsstreit am Ende reduzierte, vom Grundsatz her als ein über § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II beanspruchbarer Gegenstand darstellte, war zwischen den Parteien nicht streitig. Entscheidungserheblich war lediglich die Frage, ob es sich um eine Erstausstattung oder eine Ersatzausstattung handelte, da vor dem Schädlingsbefall durch Bettwanzen in der von der Bedarfsgemeinschaft bewohnten Wohnung bereits ein Sofa vorhanden gewesen war. Vom Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II bezieht sich diese Vorschrift nur auf Erstausstattungen, d.h. die erstmalige Anschaffung. Es stellte sich aber die Frage, ob in dieser besonderen Konstellation gleichwohl die Neuausstattung einer Erstausstattung gleichzusetzen ist. Insoweit wäre dann vom Wortlaut des Gesetzes abzuweichen.
Das LSG Hamburg hat zutreffend darauf hingewiesen, dass auch bei der Notwendigkeit einer erneuten Beschaffung von bereits vorhandenen Einrichtungsgegenständen eine „Wohnungserstausstattung“ vorliegen kann und bezieht sich auf die Rechtsprechung des BSG (BSG, Urt. v. 06.08.2014 - B 4 AS 57/13 R; kritisch hierzu: Sommer, jurisPR-SozR 5/2015 Anm. 1: „es gibt wie im Leben kein zweites erstes Mal“). Es müssen somit außergewöhnliche Umstände vorliegen bzw. ein besonderes Ereignis gegeben sein, wodurch ein spezieller Bedarf entsteht. Zu Recht hat das LSG Hamburg in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Verschleiß von Möbelstücken durch den üblichen Gebrauch keinen solchen außergewöhnlichen Umstand darstellt (so auch: Blüggel in: Harich/Luik, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 24 Rn. 98). Es müssen „von außen“ einwirkende außergewöhnliche Umstände bzw. besondere Ereignisse gegeben sein (Behrend/König in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 24 Rn. 67). Erfordert wird eine atypische Bedarfslage, die wertungsmäßig der Erstausstattung gleichsteht (Blüggel in: Harich/Luik, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 24 Rn. 93). Nach der seinerzeitigen Gesetzesbegründung zu § 31 SGB XII, der Parallelnorm im Sozialhilferecht, hat die Gesetzgebung als Beispiele für Situationen, in denen Erstausstattungen zu gewähren sind, auch Wohnungsbrände genannt (BT-Drs. 15/1514, S. 60). Das BSG hat derartige außergewöhnliche Umstände, die einen speziellen Bedarf auslösen, die zu einem Anspruch auf die „zweite Erstausstattung“ führen, u.a. bei der Neubegründung eines Haushalts infolge einer Trennung von (Ehe-)Partnern (BSG, Urt. v. 19.09.2008 - B 14 AS 64/07 R) sowie bei einem vom Grundsicherungsträger veranlassten Umzug in eine angemessene Wohnung gesehen, wenn die bisherigen Ausstattungsgegenstände allein durch diesen Umzug unbrauchbar geworden sind (BSG, Urt. v. 01.07.2009 - B 4 AS 77/08 R), gesehen. Entsprechendes gilt, wenn die Wohnungseinrichtung der leistungsberechtigten Person bei einem Rückumzug aus dem Ausland im Ausland untergegangen ist (BSG, Urt. v. 27.09.2011 - B 4 AS 202/10 R). In den Fachlichen Weisungen der BA wird zudem Diebstahl als ein Grund für eine (erneute) Erstausstattung genannt (Nr. 24.5 der Fachliche Weisungen zu § 24 SGB II, Stand 01.07.2023).
Das LSG Hamburg hat diese außergewöhnlichen Umstände nun um den Fall eines massiven Schädlingsbefalls (hier: Bettwanzen) erweitert. Werden Einrichtungsgegenstände und Möbel hierdurch für die normale, bestimmungsgemäße Nutzung unbrauchbar, kommt eine „zweite Erstausstattung“ in Betracht.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Werden vorhandene Einrichtungsgegenstände, die zwingend für das Grundbedürfnis Wohnen erforderlich sind, durch von außen kommende außergewöhnliche Umstände unbrauchbar, können bedürftige Personen über § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II vom zuständigen Grundsicherungsträger eine zweite Erstausstattung beanspruchen, wenn ein spezieller Bedarf besteht. Dies gilt, obwohl der Wortlaut der Bestimmung eigentlich gegen die Zweitausstattung spricht. Die Abweichung vom Wortlaut ist nur gerechtfertigt, wenn sie auf außergewöhnliche Umstände beschränkt bleibt. Denn der mit der normalen Benutzung verbundene Verschleiß von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen muss weiterhin aus dem Regelbedarf bestritten werden. Wann außergewöhnliche Umstände und eine wertungsmäßig der Erstausstattung vergleichbaren atypische Bedarfslage vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls.
Möchte der Grundsicherungsträger von der nach § 24 Abs. 3 Satz 5 SGB II bestehenden Möglichkeit, die Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II pauschalisiert zu erbringen, Gebrauch machen, ist nicht nur darauf zu achten, dass die pauschalen Sätze in regelmäßigen Abständen der allgemeinen Preisentwicklung angepasst werden. Es müssen zudem nach § 24 Abs. 3 Satz 6 SGB II bei der Bemessung der Pauschalbeträge geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte berücksichtigt werden. Dies bedingt auch eine detaillierte Berücksichtigung aller möglicherweise in Betracht kommenden pauschal zu gewährenden Bedarfe. Die Regelungen müssen fortlaufend anhand konkreter Erfahrungen fortgeschrieben und ergänzt werden, um letztlich einer gerichtlichen Kontrolle standzuhalten.



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