juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 4. Senat, Urteil vom 07.08.2024 - IV R 9/22
Autor:Dieter Steinhauff, RiBFH a.D.
Erscheinungsdatum:13.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 15a EStG, § 2b EStG, § 48 FGO, § 10d EStG, § 2 EStG, § 15b EStG, § 181 AO 1977, § 169 AO 1977, § 118 FGO, § 149 AO 1977, § 170 AO 1977, § 40 FGO, § 101 FGO, § 125 AO 1977, § 124 AO 1977, § 119 AO 1977, § 133 BGB, § 157 BGB, § 164 AO 1977, § 171 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 2/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Steinhauff, jurisPR-SteuerR 2/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Hemmung der Verjährung durch Abgabe einer Feststellungserklärung nach Ergehen eines Schätzbescheids unter Vorbehalt der Nachprüfung



Leitsätze

1. Gibt der Steuerpflichtige nach Ergehen eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Gewinnfeststellungsbescheids erstmals eine inhaltlich abweichende Feststellungserklärung ab, so liegt darin zugleich ein Änderungsantrag gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Dieser führt, wird er vor Ablauf der Feststellungsfrist gestellt, gemäß § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO zu einer Ablaufhemmung.
2. Eine auf den erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids nach § 15b Abs. 4 EStG gerichtete Klage ist in der Regel mangels Beschwer unzulässig.



A.
Problemstellung
Der BFH stellt mit der Entscheidung erstmals – in Übereinstimmung mit finanzgerichtlicher Rechtsprechung – klar, dass trotz der gesetzlichen Verpflichtung zur Abgabe einer Feststellungserklärung in Fällen, in denen zuvor ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender Schätzungsbescheid erlassen war, in der Abgabe der Erklärung zugleich ein Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO liegen kann. Damit grenzt er den Fall vom Normalfall ab, wonach in der bloßen gesetzlich bestimmten Einreichung der Erklärung nach § 149 AO grundsätzlich kein zusätzlicher Antrag enthalten ist, der zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO führt.
Ist nach den Umständen des Falles nicht erkennbar, in welchem Verhältnis ein Änderungsbescheid zu einem geänderten Bescheid steht, so kann dies zur Nichtigkeit des Änderungsbescheides führen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist ein Dachfonds in der Rechtsform einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG. An ihr waren im Streitjahr 2009 als Komplementärin die H-GmbH sowie als Kommanditisten die A-GmbH (als Treuhänderin) sowie 15 weitere Direktanleger beteiligt. Mittelbar über die A-GmbH als Treuhänderin waren 245 Anleger (Treugeber) beteiligt. Diese wurden aufgrund eines Treuhandvertrags im Innenverhältnis so behandelt, als seien sie direkt an der Klägerin beteiligt. Zu einem geringen Anteil hielt die Treuhänderin die Beteiligung auf eigene Rechnung.
Im Streitjahr erzielte die Klägerin ausschließlich Einkünfte aus Beteiligungen an vier Personengesellschaften. In den für diese Personengesellschaften ergangenen Gewinnfeststellungsbescheiden wurden für die Klägerin jeweils Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Anwendung des § 15b EStG i.H.v. 0 Euro festgestellt. Vor Anwendung des § 15b EStG ergaben sich dort jeweils negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Da die Klägerin zunächst keine Steuererklärungen für das Streitjahr abgab, schätzte das beklagte FA die Besteuerungsgrundlagen. Im Bescheid vom 18.01.2012 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Gewinnfeststellung) für 2009 und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG auf den 31.12.2009 wies das FA Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 0 Euro aus und stellte einen verrechenbaren Verlust nach § 15a EStG i.H.v. 0 Euro fest. Der Bescheid war an die H-GmbH als Empfangsbevollmächtigte für die Klägerin gerichtet. Er erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wies die Steuernummer …/0651 aus. Als Feststellungsbeteiligte wurden die Komplementärin H-GmbH, die A-GmbH als Kommanditistin erfasst. Einen verrechenbaren Verlust nach § 15b EStG auf den 31.12.2009 stellte das FA nicht fest.
Am 04.08.2014 reichte die Klägerin unter der Steuernummer …/0651 für das Streitjahr eine Erklärung zur Gewinnfeststellung ein. Auf dem Mantelbogen war in Zeile 13 die Angabe „Bei der Gesellschaft (…) handelt es sich um eine Gesellschaft/eine Gemeinschaft/ein ähnliches Modell i.S.d. §§ 2b/15b EStG“ angekreuzt. Aus der Erklärung ergaben sich laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin i.H.v. ./. 1.262.513,15 Euro sowie ein verrechenbarer Verlust nach § 15b Abs. 4 EStG in derselben Höhe. Der Erklärung waren mehrere von der Klägerin erstellte Anlagen beigefügt, in denen 266 Anleger angegeben sowie die Verteilung des steuerlichen Ergebnisses vor und nach Anwendung des § 15b EStG berechnet und auf die einzelnen Beteiligten verteilt wurden. Eine Unterscheidung in Direktanleger und mittelbar beteiligte Anleger ergab sich nicht. Ein Begleitschreiben war der Erklärung nicht beigefügt.
Das FA wies die Klägerin darauf hin, dass bei ihr ein verdecktes Treuhandverhältnis vorliege, in den eingereichten Listen zum steuerlichen Ergebnis aber nicht zu erkennen sei, bei welchen Anteilseignern es sich um Treugeber oder um Direktbeteiligte handle. Es wurden deshalb die Treuhandverträge sowie eine Aufstellung angefordert, aus der diese Unterscheidung ersichtlich sei.
Das FA erließ am 01.12.2016 unter der Steuernummer …/0720 einen Gewinnfeststellungsbescheid für die Klägerin, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 0 Euro auswies. In den Erläuterungen wies es darauf hin, dass die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden seien, da die Klägerin keine Steuererklärung eingereicht habe. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Er war an die Komplementärin H-GmbH als Empfangsbevollmächtigte für die Klägerin gerichtet. Als Beteiligte wurden die Komplementärin H-GmbH (Eintritt: 01.06.2009), die Kommanditisten S (Eintritt: 01.06.2009) sowie die A-GmbH (Eintritt: 01.06.2009) erfasst. Einen verrechenbaren Verlust nach § 15b EStG stellte das FA nicht fest.
Am 21.11.2017 reichte die Klägerin bei dem FA weitere Feststellungserklärungen für das Streitjahr zu den Steuernummern …/0651 und …/0720 ein. Die Erklärungen unterschieden sich insbesondere in der Bezeichnung der Klägerin, indem der Zusatz „Treugeber“ oder „Treuhänder“ aufgenommen war.
Mit an die Klägerin gerichtetem Bescheid vom 07.12.2017 lehnte das FA unter dem Betreff „Ihre Steuererklärungen vom 04.08.2014 und 21.11.2017 über die gesonderten und einheitlichen Feststellungen von Einkünften und § 15b EStG und Gewerbesteuer für das Jahr 2009 zu den Steuernummern …/0720 und …/0651“ die „beiden Änderungen der Feststellungsbescheide für 2009“ ab. Zur Begründung verwies es darauf, dass eine Änderung wegen Ablaufs der Feststellungsfrist ausgeschlossen sei.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch vom 15.12.2017. Die am 04.08.2014 abgegebene Feststellungserklärung stelle einen Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO dar. Dieser Änderungsantrag löse die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO aus.
Das FA erläuterte der Klägerin in einem Schreiben vom 26.07.2018, dass die neue Steuernummer …/0720 für die Feststellung auf Ebene der Direktbeteiligten sowie der Treuhänderin vergeben worden sei. Unter der Steuernummer …/0651 sei die Feststellung von den Treuhändern auf die Treugeber fortgeführt worden.
Mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 zur Steuernummer …/0720 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Es wies unter anderem darauf hin, dass die Klägerin aufgefordert worden sei, für die Feststellung im zweistufigen Verfahren, einmal für die Ebene der Direktbeteiligten sowie für die zweite Ebene zur Verteilung des Ergebnisses der Treuhänderin auf die Treugeber, entsprechende Feststellungserklärungen einzureichen. Der dagegen erhobenen Klage gab das FG Düsseldorf mit Urt. v. 23.02.2021 (10 K 3480/18 F - EFG 2021, 708) statt.
Der BFH entschied, die Revision des FA sei zulässig. Die Revision sei auch begründet, soweit das FG das FA verpflichtet habe, den Antrag der Klägerin auf Erlass einer Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG zu bescheiden. Das Urteil des FG sei insoweit aufzuheben, denn die Klage sei mangels Beschwer unzulässig.
I. Die Klägerin sei zwar gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. bzw. § 48 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a FGO i.d.F. des Art. 27 des Ges. v. 22.12.2023 (BGBl. 2023 I Nr. 411) befugt gewesen, im Zusammenhang mit der begehrten Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 zugleich eine auf den erstmaligen Erlass einer Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG gerichtete Klage zu erheben (z.B. BFH, Urt. v. 06.2019 - IV R 7/16 Rn. 17 - BStBl II 2019, 513, zur Anfechtungsklage).
Allerdings fehle es in Bezug auf diese Klage an einer Beschwer. Eine Rechtsverletzung könne dann vorliegen, wenn ein Zusammenhang zwischen der angegriffenen – unmittelbar – begünstigenden Steuerfestsetzung oder Feststellung der Einkünfte und einem den Kläger – mittelbar – benachteiligenden anderen Verwaltungsakt bestehe (vgl. BFH, Urt. v. 16.12.2021 - IV R 7/19 Rn. 35 f. - BStBl II 2023, 378). Einen solchen Zusammenhang habe die Klägerin jedoch nicht dargetan.
II. Rechtsfolge der Feststellung von Verlusten im Zusammenhang mit Steuerstundungsmodellen nach § 15b Abs. 4 EStG sei gemäß § 15b Abs. 1 Satz 1 EStG das Verbot, diese Verluste mit anderen Einkünften auszugleichen und nach § 10d EStG abzuziehen. Lediglich eine Minderung der in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielten Einkünfte sei zulässig (§ 15b Abs. 1 Satz 2 EStG). Damit würden Einschränkungen bei der Berücksichtigung von (steuermindernden) Verlusten bei der Bestimmung der Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) wie auch bei dem Verlustabzug nach § 10d EStG bewirkt.
Führte die Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG jedoch zu einer Beschränkung der Verlustverrechnungs- beziehungsweise Verlustabzugsmöglichkeiten, so sei eine Rechtsverletzung durch eine (bisher) unterlassene Feststellung nach § 15b Abs. 4 EStG nicht erkennbar.
Da das FG dies bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe, sei seine Entscheidung insoweit aufzuheben gewesen und die Klage, soweit diese auf die Bescheidung des Antrags auf Erlass einer Verlustfeststellung nach § 15b Abs. 4 EStG gerichtet gewesen sei, als unzulässig abzuweisen.
III. Im Übrigen sei die Revision unbegründet. Das FG sei zu Recht von einem Verpflichtungsbegehren der Klägerin ausgegangen. Auch habe es zutreffend entschieden, dass der begehrten Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 der Eintritt der Feststellungsverjährung nicht entgegenstehe und das FA somit zur Bescheidung des Änderungsantrags der Klägerin vom 04.08.2014 betreffend die Gewinnfeststellung 2009 verpflichtet sei, da das FA über diesen Antrag auch nicht durch Erlass des Gewinnfeststellungsbescheids 2009 vom 01.12.2016 entschieden habe.
1, Das FG habe in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Klägerin mit der vorliegenden Klage den Erlass eines Bescheidungsurteils erstrebt habe. Denn Gegenstand des Klageverfahrens sei allein die Frage gewesen, ob das FA wegen Eintritts der Feststellungsverjährung bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert sei, eine Änderung der Gewinnfeststellung für das Streitjahr vorzunehmen.
2. Das FG habe zutreffend entschieden, dass der begehrten Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids 2009 vom 18.01.2012 der Eintritt der Feststellungsverjährung nicht entgegenstehe. Die Klägerin habe mit der Abgabe der Feststellungserklärung 2009 am 04.08.2014 zugleich eine Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 gemäß § 164 Abs. 2 AO begehrt. Dieser Antrag habe gemäß § 171 Abs. 3 AO zu einer Ablaufhemmung geführt.
Die Frist zur Vornahme, Aufhebung oder Änderung einer Feststellung betreffend die Einkommensteuer betrage nach den §§ 181 Abs. 1 Satz 1, 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Der Beginn der Frist werde nach § 170 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bis zum Ablauf des Jahres, in dem die Feststellungserklärung abgegeben werde, gehemmt; sie beginne jedoch spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folge, in dem die Steuer entstanden sei. Danach beginne die Verjährungsfrist im Streitfall mit Ablauf des 31.12.2012. Die erst am 04.08.2014 eingereichte Feststellungserklärung habe keinen Einfluss auf den Fristbeginn. Die Feststellungsfrist wäre daher mit Ablauf des 31.12.2016 abgelaufen, wenn keine Ablaufhemmung nach § 171 AO bewirkt worden wäre.
Die von der Klägerin am 04.08.2014 bei dem FA eingereichte Feststellungserklärung stelle indes zugleich einen Antrag auf Änderung der Gewinnfeststellung dar. Sie habe damit eine Hemmung des Ablaufs der Feststellungsfrist bewirkt.
Die Regelung über die Ablaufhemmung in § 171 Abs. 3 AO sei nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO auch für das Feststellungsverfahren entsprechend anwendbar (BFH, Urt. v. 22.02.2006 - I R 125/04 - BStBl II 2006, 400, unter II.3.f).
3. Ein vor Ablauf der Feststellungsfrist gestellter Antrag des Steuerpflichtigen auf Änderung einer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellung löse die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO aus (Seer in: Tipke/Kruse, § 164 AO Rn. 44). Dies sei bereits deshalb geboten, um dem FA die in § 164 Abs. 2 Satz 3 AO eingeräumte Möglichkeit zu geben, die Entscheidung über den Antrag bis zu einer abschließenden Prüfung des Steuerfalls hinauszuschieben, ohne den Anspruch des Steuerpflichtigen auf Entscheidung über seinen Antrag in der Sache zu vereiteln.
4. Für einen wirksamen Antrag des Steuerpflichtigen auf Änderung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellung bedürfe es keiner bestimmten Form (Seer in: Tipke/Kruse, § 164 AO Rn 44); die Vorschrift erfasse alle – ausdrücklich oder konkludent vorgetragenen – Begehren oder Bitten an die Finanzbehörde auf ein entsprechendes Verwaltungshandeln (BFH, Urt. v. 15.05.2013 - IX R 5/11 Rn. 21 - BStBl II 2014, 143), und zwar auch dann, wenn der Antrag auf Maßnahmen abziele, welche die Behörde – wie die Steuerfestsetzung – von Amts wegen vornehmen müsse (BFH, Urt. v. 22.01.2013 - IX R 1/12 Rn. 19 - BStBl II 2013, 663; Anm. Steinhauff in jurisPR-SteuerR 20/2013 Anm. 1).
Ob und mit welcher Reichweite ein Antrag nach § 171 Abs. 3 AO vorliege, habe das FG im Wege der Auslegung zu ermitteln. Der BFH sei an dessen tatsächliche Würdigung nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden, wenn sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und aufgrund der festgestellten Tatsachen möglich sei, die Grundsätze der Auslegung von Willenserklärungen beachtet seien sowie weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze verstoße (BFH, Urt. v. 23.09.2020 - XI R 1/19 Rn. 36, 41 - BStBl II 2021, 341).
5. Nach der Rechtsprechung des BFH stelle eine Steuererklärung oder Feststellungserklärung, zu deren Abgabe der Steuerpflichtige nach § 149 AO im Rahmen seiner allgemeinen Mitwirkungspflichten verpflichtet sei, allerdings keinen Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO dar. Die Abgabe entsprechender Erklärungen führe damit nicht zur Ablaufhemmung. Mit der Erklärungsabgabe komme der Steuerpflichtige lediglich seiner gesetzlichen Verpflichtung nach. Insoweit seien die Auswirkungen des Einreichungszeitpunkts von Steuererklärungen auf die Festsetzungsfrist abschließend in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (Anlaufhemmung) geregelt. Wäre die Steuererklärung als Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO anzusehen, führte dies zu einer Bevorzugung des pflichtwidrig handelnden gegenüber dem gesetzestreuen Bürger (vgl. BFH, Urt. v. 15.05.2013 - IX R 5/11 Rn. 21 - BStBl II 2014, 143; BFH, Urt. v. 12.08.2015 - I R 63/14 Rn. 24 - BFH/NV 2016, 161; BFH, Urt. v. 28.07.2021 - X R 35/20 Rn. 21 - BFH/NV 2022, 1; Anm. Reddig, jurisPR-SteuerR 1/2022 Anm. 1). Anderes gelte jedoch dort, wo eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung nicht bestehe und ihr daher ein doppelter Zweck zukomme (BFH, Urt. v. 20.01.2016 - VI R 14/15 Rn. 15 - BStBl II 2016, 380; BFH, Urt. v. 23.09.2020 - XI R 1/19 Rn. 33 - BStBl II 2021, 341).
Mache der Steuerpflichtige mit der Abgabe der Steuer- beziehungsweise Feststellungserklärung jedoch zugleich von seinem Recht Gebrauch, auf Grundlage eines bestehenden Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO eine geänderte Festsetzung beziehungsweise Feststellung durch das FA zu beantragen, liege hierin ein Antrag gemäß § 171 Abs. 3 AO (zustimmend Paetsch in: Gosch, § 171 AO Rn. 26.1).
6. Da ein Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO nicht an eine bestimmte Form gebunden sei, könne er auch durch schlüssiges Handeln, also konkludent gestellt werden. Es sei deshalb nicht ausgeschlossen, dass der Steuerpflichtige nach den Umständen des Einzelfalls mit der (erstmaligen) Einreichung einer Steuererklärung zugleich einen Antrag auf Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheids gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO stelle (so auch FG Nürnberg, Urt. v. 11.09.2003 - VI 322/2002 - EFG 2003, 1751; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 09.02.2017 - 7 K 7110/16), und zwar auch dann, wenn der Steuererklärung kein Begleitschreiben beigefügt sei, das einen ausdrücklichen Änderungsantrag enthalte.
Die gesetzlichen Regelungen in den §§ 171 Abs. 3, 164 Abs. 2 Satz 2 AO sähen keine Einschränkungen vor, die einer solchen Auslegung des Handelns des Steuerpflichtigen entgegenstünden. Stehe ein Verwaltungsakt unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, so stehe es der Behörde frei, den Bescheid umfassend zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen zu ändern (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO). In vergleichbarer Weise habe auch der Steuerpflichtige ein korrespondierendes Recht, die Vornahme einer Änderung ohne weitere Voraussetzungen zu beantragen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 AO).
7. Es bestehe auch kein Grund dafür, einen für den Empfänger erkennbaren, konkludenten Antrag des Steuerpflichtigen auf Änderung nur deshalb nicht als solchen anzuerkennen, weil er damit zugleich seiner Pflicht zur Abgabe einer Feststellungserklärung nachkomme (so im Ergebnis auch FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 09.02.2017 - 7 K 7110/16 Rn. 22; a.A. FG München, Urt. v. 20.10.2015 - 12 K 1733/11 - EFG 2016, 8, Rn. 24; FG München, Urt. 06.05.2020 - 12 K 225/19 Rn. 18). Für eine solche Differenzierung finde sich auch im Wortlaut des § 164 Abs. 2 AO kein Anhalt.
Es wäre reine Förmelei ohne rechtlichen Mehrwert, einen Änderungsantrag nur anzuerkennen, wenn zusätzlich ein solcher ausdrücklich – etwa in einem Begleitschreiben oder Vermerk – gestellt werde.
8. Dieses Verständnis stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH zur Einlegung eines Einspruchs durch (kommentarlose) Abgabe einer Steuererklärung. Danach sei im Zweifel vom Vorliegen eines Einspruchs auszugehen, wenn nach Ergehen eines Bescheids auf Grundlage einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der Steuerpflichtige (ohne weitere Begründung, innerhalb der Einspruchsfrist) eine Steuererklärung einreiche (z.B. BFH, Urt. v. 27.02.2003 - V R 87/01 Rn. 23 - BStBl II 2003, 505; BFH, Urt. v. 24.08.2004 - VIII R 7/04 Rn. 33 - BFH/NV 2005, 11).
9. Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Feststellung des FG, wonach die Klägerin mit der Abgabe der Feststellungserklärung vom 04.08.2014 zugleich einen Änderungsantrag gemäß § 164 Abs. 2 AO gestellt habe, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Entgegen der Ansicht des FA sei bei dem aufgezeigten Normverständnis nicht von einer ungerechtfertigten Benachteiligung eines Steuerpflichtigen, der seine Steuererklärungen rechtzeitig abgegeben habe, gegenüber demjenigen, der dies zunächst unterlassen und deshalb bereits eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen verursacht habe, auszugehen. Denn die verfahrensrechtliche Position des Steuerpflichtigen, gegen den bereits eine Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sei, sei nicht mit der Situation desjenigen vergleichbar, für den noch keine (regelmäßig belastende) steuerliche Festsetzung erfolgt sei. Im ersten Fall könne das FA jederzeit seine schon bestehende Festsetzung zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen ändern, ohne dass der Steuerpflichtige dies – etwa durch Rücknahme eines Rechtsbehelfs in einem Einspruchsverfahren – verhindern könnte. Im anderen Fall bestehe noch keine Belastung des Steuerpflichtigen mit Ausnahme der allgemeinen Verpflichtung zur Abgabe einer Steuer- beziehungsweise Feststellungserklärung.
10. Das FG habe schließlich zutreffend erkannt, dass der Antrag der Klägerin v. 04.08.2014 auf Änderung der Gewinnfeststellung nicht bereits bestandskräftig durch den Gewinnfeststellungsbescheid 2009 vom 01.12.2016 beschieden und damit erledigt sei (vgl. BFH, Urt. v. 07.11.2006 - VI R 14/05 Rn. 19 - BStBl II 2007, 236). Denn dieser Bescheid sei nichtig und damit unwirksam; der gestellte Änderungsantrag sei unverändert wirksam.
Es sei für die Klägerin als Empfängerin nicht erkennbar gewesen, in welchem Verhältnis der Gewinnfeststellungsbescheid 2009 vom 01.12.2016 zu dem bereits bestandskräftigen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Gewinnfeststellungsbescheid 2009 vom 18.01.2012 gestanden habe. So sei nicht nur ein Hinweis in den Erläuterungen auf den vorhergehenden Gewinnfeststellungsbescheid 2009 unterblieben, aus dem sich hätte ergeben können, dass der ältere Bescheid durch den zeitlich nachfolgenden Bescheid habe ersetzt werden sollen. Auch die Bezugnahme auf § 164 Abs. 1 AO lege nahe, dass ein Erstbescheid habe ergehen sollen und keine Änderung des unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Gewinnfeststellungsbescheids vom 18.01.2012 nach § 164 Abs. 2 AO beabsichtigt gewesen sei. Schließlich erschließe sich weder aus dem Bescheid vom 01.12.2016 noch aus den eingereichten Unterlagen, weshalb S erstmals als Feststellungsbeteiligter aufgenommen worden sei und welchen Hintergrund die Verwendung einer anderen Steuernummer als im Bescheid v. 18.01.2012 beziehungsweise in der Feststellungserklärung gehabt habe.
Das FG habe deshalb zu Recht das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 07.12.2017, soweit dieser die Gewinnfeststellung 2009 betreffe, und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung v. 16.11.2018 nach § 101 Satz 2 FGO zur Bescheidung des Antrags auf Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids v. 18.01.2012 verpflichtet. Aus Gründen der Rechtsklarheit habe es zudem den nichtigen Gewinnfeststellungsbescheid vom 01.12.2016 aufheben dürfen.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Nach § 40 Abs. 1 Alt. 2 FGO kann durch eine Klage die Verurteilung des FA zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. Die Verpflichtungsklage ist die statthafte Klageart für das Begehren, die vom FA abgelehnte Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Verwaltungsakts zu erreichen (vgl. BFH, Urt. v. 27.10.2020 - VIII R 30/17 Rn. 33 - BStBl II 2021, 927).
Neben einer Vornahmeklage, die auf den Erlass des beantragten und abgelehnten Bescheids gerichtet ist (Verpflichtungsklage im engeren Sinne), kann auch eine Bescheidungsklage zulässig sein (vgl. § 101 Satz 2 FGO). Diese zielt darauf, das FA zu verpflichten, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (Rauda in: Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp - § 101 FGO Rn. 46).
II. Die Regelung in § 171 Abs. 3 AO dient zum einen dem Schutz des Steuerpflichtigen. Der Erfolg eines einmal gestellten Antrags soll nicht von der Arbeitsweise und Geschwindigkeit der Finanzbehörde bei der Bearbeitung des Antrags abhängen. Eine antragsgemäße Entscheidung soll nicht allein daran scheitern, dass die Behörde die Prüfung des Antrags nicht innerhalb der nach anderen Vorschriften zu bestimmenden Festsetzungsfrist abschließt. Zum anderen soll die Vorschrift auch sicherstellen, dass entsprechende Anträge nicht durch Ablauf der regulären Festsetzungsfrist gegenstandslos werden, sondern unabhängig von der Dauer der Bearbeitungszeit einer Sachentscheidung durch die Verwaltung zugänglich bleiben (BFH, Urt. v. 23.09.2020 - XI R 1/19 Rn. 29 f. m.w.N. - BStBl II 2021, 341; Anm. Steinhauff in jurisPR-SteuerR 11/2021 Anm. 1).
III. Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO). Während ein nur rechtswidriger Verwaltungsakt noch im Einspruchsverfahren geheilt werden kann, ist dies bei einem nichtigen Verwaltungsakt ausgeschlossen (BFH, Urt. v. 12.05.2016 - II R 17/14 Rn. 23 - BStBl II 2016, 822; Anm. Loose in jurisPR-SteuerR 40/2016 Anm. 2).
Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Einem Verwaltungsakt muss der Regelungsinhalt eindeutig zu entnehmen sein. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu ermitteln. Entscheidend sind der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Empfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Zur Auslegung ist das Revisionsgericht befugt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des FG insoweit ausreichend sind (BFH, Urt. v. 21.06.2017 - V R 3/17 Rn. 18 m.w.N. - BStBl II 2018, 372).
IV. Ein Steuerbescheid ist mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit nichtig, wenn er für einen Veranlagungszeitraum ergeht, für den bereits ein wirksamer Steuerbescheid gegenüber demselben Adressaten erlassen wurde, ohne dass sich nach dem Wortlaut des Bescheids oder im Wege der Auslegung ergibt, in welchem Verhältnis der zuletzt ergangene zu dem zuvor ergangenen Bescheid steht (BFH, Urt. v. 23.08.2000 - X R 27/98 Rn. 25 ff. - BStBl II 2001, 662; BFH, Urt. v. 18.04.2023 - VII R 59/20 Rn. 31 - BStBl II 2023, 950). Der Empfänger muss erkennen können, in welcher Hinsicht und in welchem Umfang eine bisherige Festsetzung geändert wurde. Hierzu genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, aus dem Zusammenhang, aus der durch die Behörde gegebenen Begründung oder aus den dem Empfänger bekannten, näheren Umständen des Erlasses des Bescheids im Wege einer am Grundsatz von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann. Nicht allein entscheidend ist insoweit jedenfalls, dass das Datum des geänderten Bescheids nicht genannt wird (BFH, Urt. v. 12.05.2011 - V R 25/10 Rn. 30 m.w.N. - BFH/NV 2011, 1541).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Auch wenn der BFH in der Besprechungsentscheidung in der Abgabe einer Feststellungserklärung nach Erlass eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Schätzungsbescheides darin zugleich einen Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO gesehen hat, der zu einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO führt, dürfte es sich empfehlen, dass ein derartiger Änderungsantrag nicht nur konkludent, sondern ausdrücklich in Form eines beigefügten Antrags oder Begleitschreibens gestellt wird, um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden.



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