juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 01.08.2024 - VI R 34/21
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:20.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 34 EStG, § 19 EStG, § 175 AO 1977, § 38 EStG, § 50d EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 3/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 3/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nur punktuelle Änderungsmöglichkeit nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG



Leitsatz

Die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids nach § 50d Abs. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) setzt voraus, dass die Arbeitnehmereinkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen wegen der Verletzung der in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG normierten Nachweispflichten abkommenswidrig in die zu ändernde Einkommensteuerveranlagung einbezogen worden sind.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Steuerbescheid nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG geändert werden kann.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger wohnten im Streitjahr (2014) ausschließlich im Inland. Der Kläger ist britischer Staatsbürger. Er arbeitete bis zum 22.01.2014 als Soldat für die britischen Streitkräfte und war im Inland stationiert. Für diese Tätigkeit erhielt er im Streitjahr laufenden Arbeitslohn, eine Abfindung sowie eine Pension. Nach seinem Ausscheiden (ab dem 23.01.2014) war er bei einem anderen Arbeitgeber als Bürokraft beschäftigt. In der Einkommensteuererklärung führten die Kläger zu seinen ausländischen Einkünften wie folgt aus:
Das Besteuerungsrecht betreffend den laufenden Arbeitslohn bis zum Ausscheiden und die Pensionszahlungen stehe nach Art. 18 DBA-Großbritannien dem Kassenstaat Großbritannien zu. Sowohl der laufende Arbeitslohn als auch die Pension seien dort versteuert worden und daher in Deutschland steuerfrei.
Die Abfindungszahlung sei nach britischem Steuerrecht in voller Höhe steuerfrei. Nach der Rückfallklausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien 2010 habe Deutschland deshalb das Besteuerungsrecht. Die Abfindungszahlung sei nach § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern. Die Kläger wurden 2016 erklärungsgemäß veranlagt. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Im Jahr 2018 beantragten die Kläger unter Vorlage eine Bescheinigung der britischen Steuerbehörde, nach der die Abfindung in Großbritannien nicht besteuert worden sei, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach § 50d Abs. 8 EStG zu ändern und auch die Abfindung in Deutschland steuerfrei zu stellen. Vergütungen im öffentlichen Dienst nach Art. 18 Abs. 1 DBA-Großbritannien dürften nur vom Staat des Dienstherrn besteuert werden. Das FA lehnte den Änderungsantrag ab. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sei zwar fehlerhaft. Die Abfindungszahlung hätte nicht in Deutschland besteuert werden dürfen. Die Voraussetzungen der Rückfallklausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien hätten nicht vorgelegen. Das FA sei der anderslautenden Erklärung der Kläger zu Unrecht gefolgt. Die bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzung für 2014 sei jedoch nicht zu ändern. Die Abfindung sei nicht wegen fehlender Nachweise nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, sondern wegen der rechtsfehlerhaften Anwendung der Rückfallklausel in Art. 23 DBA-Großbritannien besteuert worden. Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG teilweise statt. Das FA habe die Änderung des angefochtenen Steuerbescheids zu Unrecht abgelehnt. Dieser sei insoweit zu ändern, als die Abfindungszahlung nicht (wie bisher) bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, sondern lediglich bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen sei (FG Münster, Urt. v. 28.10.2021 - 8 K 939/19 E - EFG 2022, 116). Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass die (unstreitig bestandskräftige) Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG geändert werden könne.


C.
Kontext der Entscheidung
Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens gemäß § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur Einkommensteuer einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG zu ändern. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO ist entsprechend anzuwenden (§ 50d Abs. 8 Satz 3 EStG). Aufgrund von Wortlaut und Regelungszusammenhang kann die Berichtigungsnorm in Satz 2 nicht isoliert von Satz 1 in den Blick genommen werden. Sie dient nur als Korrektiv für den Fall, dass die Arbeitnehmereinkünfte des Steuerpflichtigen (allein) deshalb zu Unrecht in die Veranlagung einbezogen werden, weil der Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt nicht nachgewiesen hat, dass der besteuerungsberechtigte Staat auf sein Besteuerungsrecht verzichtet oder die von diesem festgesetzten Steuern entrichtet worden sind. § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG ermöglicht deshalb – entgegen der Auffassung des FG – keine vollumfängliche, nachträgliche abkommensrechtliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen betreffend die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit, sondern nur eine punktuelle Korrektur in Bezug auf Arbeitnehmereinkünfte, die (zumindest auch) mangels Nachweises bestandskräftig besteuert wurden und bei denen der von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderte Nachweis erst im Änderungsverfahren geführt wird oder werden kann.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Nachweispflicht gemäß § 50d Abs. 8 EStG besteht allerdings erst in der Veranlagung. Für das Lohnsteuerabzugsverfahren gilt sie nicht (vgl. BMF-Schreiben vom 08.10.2024, BStBl I 2024, 1308 Rn. 27). Das Betriebsstättenfinanzamt kann daher unverändert auf Antrag des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers (§ 38 EStG) ein Lohnsteuerabzugsmerkmal nach § 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG dahin gehend erteilen, dass der von einem Arbeitgeber gezahlte Arbeitslohn nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Lohnsteuer freigestellt wurde. In der Bescheinigung über die Freistellung des Arbeitslohns vom Steuerabzug aufgrund eines DBA ist ein Hinweis auf die abschließende Prüfung im Rahmen der Veranlagung enthalten (BMF vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179 Rn. 63). In diesem sind die Finanzbehörden gehalten, die Steuer unter Einbeziehung der betroffenen Einkünfte festzusetzen, soweit die erforderlichen Nachweise (vgl. dazu BMF vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179 Rn. 61 ff., Rn. 74f.) nicht oder nicht vollständig vorgelegt werden (BMF vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179 Rn. 77). Der Einkommensteuerbescheid ist jedoch gemäß § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, sobald die tatsächliche Besteuerung oder der Verzicht auf die Besteuerung im Ausland nachgewiesen wird. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem der Nachweis erbracht wird (§ 50d Abs. 8 Satz 3 EStG). Die Verzinsung richtet sich nach § 233a Abs. 1 und 2 AO. Rechtsfehlern bei der abkommensrechtlichen Beurteilung können hingegen ausweislich der Besprechungsentscheidung (nur) im Rahmen eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens korrigiert werden. Allerdings gewähren die Finanzbehörden aus Vereinfachungsgründen die Freistellung von der deutschen Einkommensteuer unter Progressionsvorbehalt auch ohne das Erbringen von Nachweisen, wenn der maßgebende, nach deutschem Recht ermittelte Arbeitslohn, der nach einem oder mehreren DBA freizustellen wäre, in dem jeweiligen VZ insgesamt nicht mehr als 10.000 Euro beträgt. Diese Bagatellgrenze gilt nicht pro Staat, sondern insgesamt nur einmal je Veranlagungszeitraum (BMF vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179 Rn. 78)



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