EuGH zu Verrechnungspreisanpassung in der Mehrwertsteuer (Weatherford Atlas Gip)Orientierungssätze 1. Art. 168 der Richtlinie 2006/112/EG steht einer nationalen (hier: rumänischen) Regelung oder Praxis, wonach die Steuerverwaltung das Recht auf Abzug der Vorsteuer, die ein Steuerpflichtiger beim Erwerb von Dienstleistungen von anderen, derselben Unternehmensgruppe angehörenden Steuerpflichtigen entrichtet hat, mit der Begründung versagt, dass diese Dienstleistungen gleichzeitig an andere Gesellschaften dieser Gruppe erbracht worden seien und ihr Erwerb nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sei, entgegen, wenn erwiesen ist, dass der Steuerpflichtige diese Dienstleistungen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet. 2. Diese Vorabentscheidung ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits über eine Entscheidung der Steuerverwaltung, das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zu versagen, die als Vorsteuer für den Erwerb von innerhalb einer Unternehmensgruppe erbrachten Verwaltungsdienstleistungen entrichtet wurde. - A.
Problemstellung Eine Entscheidung des EuGH in einem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen hätte ungeklärte Rechtsfragen der mehrwertsteuerlichen Behandlung von Verrechnungspreisen beantworten können. Leider löst der EuGH die Problematik nur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Dennoch lohnt ein Blick in die Entscheidung.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Weatherford Atlas Gip, ein rumänisches Unternehmen, übernahm im Jahr 2016 eine rumänische Gesellschaft, Foserco SA, im Wege einer Verschmelzung durch Aufnahme. Foserco hatte 2015 und 2016 an zwei Kunden in Rumänien Erdölbordienstleistungen ausgeführt. Foserco bezog von außerhalb Rumäniens ansässigen Gesellschaften der Weatherford-Gruppe allgemeine Verwaltungsdienstleistungen, v.a. für IT, Personalwesen, Marketing, Buchhaltung und Beratung. Für diese bezogenen Leistungen wurde Mehrwertsteuer nach dem Grundsatz der Umkehr der Steuerschuldnerschaft („Reverse Charge“) erhoben und der Vorsteuerabzug geltend gemacht. Bei einer Steuerprüfung versagte die Steuerverwaltung den Vorsteuerabzug mit der Begründung, es fehle ein Dokument, das den Zusammenhang zwischen den erworbenen Dienstleistungen und der Tätigkeit des von der Prüfung betroffenen Steuerpflichtigen nachweise. Außerdem seien weder die Art der erbrachten Dienstleistungen noch die Identität der Personen, die diese Dienstleistungen erbracht hätten, noch der Zeitraum, in dem sie erbracht worden seien, noch die Notwendigkeit dieser Dienstleistungen für Foserco erkennbar. Nach erfolglosem Einspruch erhob Weatherford Atlas Gip eine Anfechtungsklage beim Tribunalul Prahova (Regionalgericht Prahova, Rumänien), dem vorlegenden Gericht. Dieses legte dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH formuliert die ersten beiden Fragen teilweise um und bezieht sie auf das Vorsteuerabzugsrecht nach Art. 168 MwStSystRL bei konzerninternen Leistungen, die der Steuerverwaltung zufolge gleichzeitig an andere Gesellschaften einer Gruppe erbracht worden seien und deren Erwerb nicht erforderlich oder zweckmäßig gewesen sei. Die dritte Frage bewertet der EuGH als unzulässig, da sie für den Rechtsstreit unerheblich sei. Grundsätzlich sei das Vorsteuerabzugsrecht ein integraler Bestandteil des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Nach ständiger Rechtsprechung solle ein Steuerpflichtiger vollständig von der gezahlten Mehrwertsteuer auf Vorleistungen entlastet werden, wenn er diese für die wirtschaftliche Tätigkeit verwende (Rn. 21). Voraussetzung sei aber, dass der entsprechende Umsatz selbst der Mehrwertsteuer unterliege, d.h. es müsse sich um eine entgeltliche Leistung handeln. Das vorlegende Gericht müsse prüfen, ob die streitgegenständlichen Verwaltungsdienstleistungen der Mehrwertsteuer unterliegende Umsätze seien, und ob zwischen diesen Dienstleistungen und dem von Foserco gezahlten Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe (Rn. 24). Weiterhin müsse das Gericht prüfen, ob jene Konzerngesellschaften, welche die Dienstleistungen erbracht haben, sowie Foserco selbst Steuerpflichtige i.S.d. Mehrwertsteuerrichtlinie seien, und ob Foserco die Leistungen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für die Zwecke ihrer eigenen besteuerten Umsätze verwendet habe (Rn. 26). Der EuGH vermutet, dass vorliegend keine Mehrwertsteuergruppe (Art. 11 MwStSystRL) bestehe, da die leistenden Gesellschaften außerhalb Rumäniens ansässig gewesen seien, eine Mehrwertsteuergruppe aber zwangsläufig auf das Gebiet ein und desselben Mitgliedstaats beschränkt sei (Rn. 27, EuGH, Urt. v. 11.03.2021 - C-812/19 - UR 2021, 356 = MwStR 2021, 379 „Danske Bank“). Der Vorsteuerabzug sei auch möglich, wenn Leistungen allgemeine Aufwendungen eines Steuerpflichtigen bildeten (Rn. 29, EuGH, Urt. v. 04.10.2024 - C-475/23 „Voestalpine Giesserei Linz“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 50/2024 Anm. 5; m.w.N.). Soweit Ausgaben eines Steuerpflichtigen nicht mit den vom Steuerpflichtigen selbst bewirkten Umsätzen, sondern mit Umsätzen eines Dritten zusammenhingen, bestehe dagegen kein Abzugsrecht (Rn. 31, EuGH, Urt. v. 01.10.2020 - C-405/19 - UR 2020, 883 = MwStR 2020, 1007 „Vos Aannemingen“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 8/2021 Anm. 5 und EuGH, Urt. v. 08.09.2022 - C-98/21 - MwStR 2022, 738 „Finanzamt R“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 44/2022 Anm. 5). Hierzu müsse das vorlegende Gericht insbesondere anhand der Dienstleistungsverträge sowie der wirtschaftlichen und geschäftlichen Gegebenheiten ermitteln, inwieweit die betreffenden Dienstleistungen tatsächlich erbracht wurden, um es dem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, seine besteuerten Umsätze zu bewirken (Rn. 33). Bei Leistungen für mehrere Empfänger müsse festgestellt werden, dass der vom Steuerpflichtigen getragene Anteil der Kosten für diese Dienstleistungen tatsächlich den Dienstleistungen entspreche, die der Steuerpflichtige für die Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze in Anspruch genommen habe (Rn. 34). Auf die Erforderlichkeit oder Zweckmäßigkeit der Verwaltungsdienstleistungen komme es dagegen nicht an, denn die MwStSystRL mache die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht von einem Kriterium der wirtschaftlichen Rentabilität des Eingangsumsatzes abhängig (Rn. 35). Die Beweislast liege beim Steuerpflichtigen (Rn. 36).
- C.
Kontext der Entscheidung Gerade in internationalen Konzernen sind sog. Konzernumlageverträge üblich. Viele Funktionen (z.B. Rechtsabteilung, Forschung, Steuern, Konzerncontrolling, Strategie, Marketing) werden nicht in jeder Gesellschaft selbst vorgehalten, sondern in zentralen Gesellschaften des Konzerns. Diese legen dann die entstehenden Kosten mit einem angemessenen Gewinnaufschlag auf jene Konzerngesellschaften um, welche die Leistungen benötigen. Bei Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens bestand die Erwartung, nunmehr vom EuGH deutliche Aussagen zur Behandlung entsprechender Vorgänge zu erhalten. Diese Hoffnung wurde nicht erfüllt. Der EuGH bleibt bei seiner allgemeinen Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug. Vorausgesetzt, eine Leistung wird gegen Entgelt erbracht – und dies sollte auch bei Umlagen der Fall sein – und sie dient den besteuerten Umsätzen der empfangenden Gesellschaft, berechtigt sie grundsätzlich zum Vorsteuerabzug. Der EuGH macht abermals deutlich, dass es für den Vorsteuerabzug – anders als für den ertragsteuerlichen Betriebsausgabenabzug – nicht auf die Höhe der Entgelte ankommt, und auch nicht auf die Frage, ob eine Leistung wirklich benötigt wurde. Hier fällt die sehr klare Aussage auf, die Rentabilität spiele keine Rolle. In der Tat entschied der EuGH bereits vor einigen Jahren, dass ein Vortrag einer Steuerbehörde, Leistungen seien zu einem überhöhten Preis („überteuert“) bezogen und für einen Steuerpflichtigen „nutzlos“ gewesen, für den Vorsteuerabzug keine direkte Rechtsfolge nach sich zieht (EuGH, Urt. v. 25.11.2021 - C-334/20 - DStR 2021, 2902 „Amper Metal“; Anm. Prätzler, jurisPR-SteuerR 6/2022 Anm. 5). Die MwStSystRL gestattet zwar Mitgliedstaaten, die sog. Mindestbemessungsgrundlage (Art. 80 Abs. 1 Buchst. a und b MwStSystRL) oder Höchstbemessungsgrundlage ((Art. 80 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) für Transaktionen mit bestimmten nahestehenden Personen einzuführen (Deutschland: § 10 Abs. 4 und 5 UStG, nur Mindestbemessungsgrundlage). Dabei geht es aber lediglich darum, die Bemessungsgrundlage einer weitergegebenen Leistung auf einen Mindestwert oder Höchstwert in Höhe der entstandenen Kosten anzupassen, um missbräuchliche Vorsteuergestaltungen zu verhindern. Um einen Fremdvergleichspreis („arm’s length principle“) wie im Ertragsteuerrecht handelt es sich nicht. In Deutschland entschied der BFH folgerichtig mehrfach, dass eine rein ertragsteuerliche abweichende Bewertung von Transaktionen (konkret als verdeckte Gewinnausschüttung nach § 8 KStG) umsatzsteuerlich nicht dazu führt, dass der Vorsteuerabzug zu kürzen ist (BFH, Urt. v. 25.11.1987 - X R 12/81 - BStBl II 1988, 210, im UStAE falsch zitiert als „X R 12/87“, und BFH, Beschl. v. 23.07.2019 - XI B 29/19; Anm. Fischer, jurisPR-SteuerR 4/2020 Anm. 1). Dies ist ebenso Verwaltungsmeinung (Abschn. 10.1 Abs. 2 UStAE). Eine Entscheidung des EuGH zur Nichtberücksichtigung nachträglicher Verrechnungspreisanpassungen betrifft nur den Zollwert, nicht aber die Mehrwertsteuer (EuGH, Urt. v. 20.12.2017 - C-529/16 - ZfZ 2018, 68 = RIW 2018, 16 „Hamamatsu“, zur Anwendung in Deutschland BFH, Urt. v. 17.05.2022 - VII R 2/19; Anm. Möller, jurisPR-SteuerR 46/2022 Anm. 5 sowie FG München, Urt. v. 27.10.2022 - 14 K 588/20, Anm. Weymüller, jurisPR-SteuerR 14/2023 Anm. 7, Rev. anh. Az. des BFH: VII R 36/22).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Der EuGH macht deutlich, dass es für den Vorsteuerabzug nicht auf die Rentabilität ankommt, sehr wohl aber auf die Frage, ob eine Leistung für das Unternehmen des Steuerpflichtigen (und nicht eines anderen) erbracht wurde. Dies ist jedoch nicht neu. Unklar bleibt, inwieweit die ertragsteuerlich verbreiteten nachträglichen Verrechnungspreisanpassungen Auswirkungen auf die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage ausgeführter Warenlieferungen (§ 17 UStG) haben könnten. Hierzu könnte der EuGH allerdings in einem weiteren rumänischen Vorabentscheidungsersuchen (C-726/23) konkrete Aussagen treffen. Dort wird u.a. gefragt, ob es sich mehrwertsteuerlich um Dienstleistungen handelt. Auch das anhängige schwedische Vorabentscheidungsersuchen in der Rs. C-898/23 betrifft Verrechnungspreise und konkret deren Verhältnis zu Art. 80 MwStSystRL.
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