juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 2. Senat, Urteil vom 08.11.2023 - II R 22/20
Autor:Prof. Dr. Matthias Loose, RiBFH
Erscheinungsdatum:24.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 13a ErbStG 1974, § 164 AO 1977, § 172 AO 1977, § 16 ErbStG 1974, § 25 ErbStG 1974, § 68 FGO, § 119 AO 1977, § 157 AO 1977, § 44 AO 1977, § 47 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 25/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Loose, jurisPR-SteuerR 25/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nichtigkeit eines Schenkungsteuerbescheids



Leitsätze

1. Entrichtet der Schenker die ihm gegenüber festgesetzte Schenkungsteuer in vollem Umfang, so erlischt diese auch mit Wirkung gegenüber dem Bedachten als weiteren Gesamtschuldner und kann daher diesem gegenüber nicht mehr festgesetzt werden.
2. Ein Schenkungsteuerbescheid ist nichtig, wenn ihm auch nach verständiger Auslegung nicht mit hinreichender Sicherheit die Höhe der festgesetzten Schenkungsteuer entnommen werden kann.



A.
Problemstellung
Streitig war die richtige Festsetzung der Schenkungsteuer gegenüber dem Beschenkten, wenn der Schenker die ihm gegenüber als Gesamtschuldner festgesetzte Schenkungsteuer bereits getilgt hat.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Vater des Klägers war zu 15% als geschäftsführender und zur alleinigen Vertretung berechtigter Gesellschafter an verschiedenen Personen- und Kapitalgesellschaften (eine KG, zwei GmbHs, eine GbR) beteiligt. Mit notariell beurkundetem Vertrag schenkte er dem Kläger eine Beteiligung von 6,5% an diesen vier Gesellschaften. Der Kläger war zum damaligen Zeitpunkt als Minderjähriger durch einen Ergänzungspfleger vertreten. Der Vater behielt sich das lebenslange Nießbrauchrecht vor.
Mit Bescheid vom 09.10.2009 setzte das Finanzamt erklärungsgemäß Schenkungsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Dabei gewährte das FA die Vergünstigungen des § 13a ErbStG a.F. sowohl für die KG-Beteiligung als auch für die GmbH-Beteiligungen. Der Bescheid erging „für Herrn [Vater] als Träger der Schenkungsteuer für Herrn [Kläger]“. Gegen diesen Bescheid wurde kein Einspruch eingelegt. Der Vater zahlte die fällige Steuer fristgerecht.
Mit Bescheid vom 26.10.2010 setzte das FA erneut Schenkungsteuer fest. Dabei gewährte es die Vergünstigungen des § 13a ErbStG a.F. nur noch für die GmbH-Beteiligungen. Hinsichtlich der Übertragung der KG-Beteiligung sei die Begünstigung nicht zu gewähren, da der Kläger nicht Mitunternehmer geworden sei. Der Bescheid erging „für Herrn [Vater] als gesetzlicher Vertreter von Herrn [Kläger]“. Im einleitenden Text heißt es wörtlich: „Der Bescheid ändert den Bescheid vom 09.10.2009 gemäß - § 164 ABS. 2 AO.“ In der Abrechnung, auf die der Bescheid auch Bezug nahm, erging eine Zahlungsaufforderung über 3.333.507 Euro (abzurechnen sind 10.031.640 Euro, bereits getilgt 6.698.133 Euro). Der Vater zahlte erneut den fälligen Betrag. Der Bescheid wurde durch die damalige bevollmächtigte Kanzlei mit dem Einspruch angefochten.
Im Verlauf des Einspruchsverfahrens ergingen am 16.12.2013 und am 03.02.2014 weitere Änderungsbescheide. Mit Schreiben vom 21.01.2016 teilte das FA mit, es beabsichtige eine Verböserung insoweit, als auch die Verschonung für die GmbH-Beteiligungen nicht mehr gewährt werden solle (Beteiligung nur zu 15%, statt der geforderten 25%). Mit Einspruchsentscheidung vom 05.01.2017 über „den Einspruch vom 23.11.2010 des [Vaters]“ gewährte das FA die Verschonung auch für die GmbH-Beteiligungen nicht mehr und setzte die Steuer entsprechend herauf.
Sowohl der Vater als auch der Kläger erhoben Klage. Sie trugen vor, die Bescheide vom 26.10.2010, 16.12.2013 und 03.02.2014 hätten den gegenüber dem Vater ergangenen Bescheid vom 09.10.2009 nicht geändert, da sie nicht an den Vater, sondern nur an den Kläger gerichtet gewesen seien. In der Sache machten sie weiter geltend, der Kläger sei Mitunternehmer der KG geworden, so dass die Verschonung insoweit zu gewähren sei. Das Verfahren des Vaters wurde nach Aufhebung der gegen ihn gerichteten Einspruchsentscheidung vom 05.01.2017 abgetrennt und erledigt. Das FA erließ am 19.01.2018 eine erneute Einspruchsentscheidung.
Das Finanzgericht wies die Klage, mit welcher der Kläger die Aufhebung sämtlicher Bescheide und der Einspruchsentscheidung begehrte, ab. Die Bescheide seien inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Bescheid vom 26.10.2010 könne in einen Erstbescheid gegen den Kläger umgedeutet werden. Dagegen richtete sich die Revision des Klägers.
Der BFH vertrat eine andere Auffassung als das FG. Mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2022 hob er alle gegenüber dem Kläger erlassenen Bescheide auf. Die drei Änderungsbescheide könnten nicht in einen Erstbescheid gegenüber dem Kläger umgedeutet werden, weil diese Bescheide auch als Erstbescheide rechtswidrig gewesen wären. Beim ersten Bescheid habe das FA sein Ermessen bezüglich der Inanspruchnahme mehrerer Gesamtschuldner nicht ausgeübt. Bei den übrigen Bescheiden habe es nicht berücksichtigt, dass ein Teil der Steuerschuld bereits getilgt worden sei und daher nicht hätte festgesetzt werden dürfen.
Das FA hat mündliche Verhandlung beantragt, am 10.05.2023 alle Bescheide nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgehoben und am selben Tag gegenüber dem Kläger einen neuen Bescheid erlassen. Im Tenor des neuen Schenkungsteuerbescheids vom 10.05.2023 wurde die gesamte Steuer i.H.v. 15.800.340 Euro gegen den Kläger festgesetzt. Nachfolgend erfolgte unter der Überschrift „Berechnung des steuerlichen Erwerbs“ die Zusammenrechnung des Werts des Erwerbs, des Vermögens aus Vorerwerben und der vom Vater übernommenen Schenkungsteuer. Ausgehend von dem Gesamtbetrag des Erwerbs, abzüglich des persönlichen Freibetrags nach § 16 ErbStG a.F., wurde der steuerpflichtige Erwerb mit 52.667.800 Euro angegeben. Sodann erfolgte unter der Überschrift „Steuerfestsetzung“ eine nähere Erläuterung der Festsetzung. Ausgehend von dem zuvor ermittelten steuerpflichtigen Erwerb wurde unter Berücksichtigung des maßgeblichen Steuersatzes die im Tenor des Bescheids genannte Steuer i.H.v. 15.800.340 Euro ermittelt. Von diesem Betrag wurde zunächst die nach § 25 ErbStG a.F. gestundete Steuer (5.667.690 Euro) abgezogen und der Ablösungsbetrag (3.394.946,31 Euro) wieder hinzugerechnet. Sodann wurde die durch den Vater (Schenker) bereits geleistete Zahlung (6.698.133 Euro) abgezogen und eine „festgesetzte Steuer“ i.H.v. 6.829.463,31 Euro aufgeführt. Danach erfolgte ein Ausgleich durch Verrechnung i.H.v. 6.829.463,31 Euro, so dass die Aufstellung mit „Noch zu zahlen“ i.H.v. 0 Euro endete.
Der BFH hob auch diesen Bescheid auf. Seiner Auffassung nach ist der Bescheid zwar Gegenstand des Verfahrens geworden. Dieser neue Bescheid sei jedoch zu unbestimmt und daher nichtig. Aus dem Bescheid gehe für den Kläger nicht eindeutig hervor, in welcher Höhe die Schenkungsteuer gegen ihn festgesetzt wurde.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung birgt eine Reihe sehr interessanter verfahrensrechtlicher Fragen. Zunächst stellt sich die Frage, ob das FA nach Ergehen des Gerichtsbescheids und dem Antrag auf mündliche Verhandlung den angefochtenen Bescheid aufheben und zugleich einen neuen – korrigierten – Bescheid erlassen durfte. Diese Frage ist mit dem BFH zu bejahen. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (§ 68 Satz 1 FGO). Die Vorschrift gilt nach § 121 Satz 1 FGO auch im Revisionsverfahren. Die Begriffe „geändert“ und „ersetzt“ sind weit auszulegen. Eine Änderung oder Ersetzung setzt voraus, dass der mit der Klage angefochtene Verwaltungsakt partiell oder seinem ganzen Inhalt nach durch Erlass eines anderen Verwaltungsakts geändert oder aus formellen Gründen aufgehoben und durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt wird (Krumm in: Tipke/Kruse, § 68 FGO Rn 8 f.). Ausreichend für die Anwendung des § 68 FGO ist es, wenn beide Bescheide „dieselbe Steuersache“, das heißt dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen (BFH, Urt. v. 10.11.2020 - VII R 8/19 Rn. 50 m.w.N. - BFH/NV 2021, 1091).
Die andere Frage betraf die Bestimmtheit des neuen Bescheids. Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO). Er ist nichtig und damit nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam, wenn er inhaltlich nicht so bestimmt ist, dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird (vgl. BFH, Urt. v. 15.04.2010 - IV R 67/07 Rn. 17 f. - BFH/NV 2010, 1606). Für die Frage, ob ein Steuerbescheid inhaltlich hinreichend bestimmt ist, kommt es grundsätzlich auf die Überschrift und den verfügenden Teil (Tenor) des Bescheids an. Die Begründung des Bescheids kann zwar bei der Auslegung des Tenors herangezogen werden. Widerspricht die Begründung jedoch dem verfügenden Teil des Bescheids, kann der Bescheid jedenfalls aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht aufrechterhalten werden.
Im Streitfall ging aus dem Bescheid für den Kläger nicht eindeutig hervor, in welcher Höhe die Schenkungsteuer gegen ihn festgesetzt wurde, vor allem deshalb, weil der Tenor des Schenkungsteuerbescheids im Widerspruch zu dessen Begründung steht. Es wird ausdrücklich zunächst Schenkungsteuer i.H.v. 15.800.340 Euro gegen den Kläger im Tenor festgesetzt und sodann in der Begründung unter der Überschrift „Steuerfestsetzung“ ein niedrigerer Betrag als „festgesetzte Steuer“ i.H.v. 6.829.463,31 Euro ausgewiesen. Das ist widersprüchlich und führt dazu, dass die festgesetzte Steuer, die eines der Kernelemente eines Steuerbescheids (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO) ausmacht, für den Kläger als Adressaten des Steuerbescheids nicht hinreichend bestimmbar ist.


D.
Auswirkungen für die Praxis
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass die Schenkungsteuer (zunächst) gegen den Schenker (z.B. ein Elternteil) und nicht gegen den Beschenkten festgesetzt wird. Erwerber und Schenker sind nach § 44 Abs. 1 Satz 1 AO Gesamtschuldner. Sie schulden nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Erfüllung der Steuerschuld durch einen Gesamtschuldner wirkt nach § 44 Abs. 2 Satz 1 AO auch für die übrigen Schuldner. Entrichtet also der Schenker die ihm gegenüber festgesetzte Schenkungsteuer, erlischt diese gemäß § 47 AO i.V.m. § 44 Abs. 2 Satz 1 AO auch mit Wirkung gegenüber dem Beschenkten und kann daher diesem gegenüber insoweit nicht mehr festgesetzt werden. Will das Finanzamt die Steuer dann – in geänderter Höhe – gegen den Beschenkten festsetzen, muss aus dem Tenor unmissverständlich deutlich werden, dass die Steuer bereits insoweit erloschen ist, als der Schenker sie entrichtet hat. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Frage der Abrechnung der noch zu entrichtenden Schenkungsteuer, sondern um die konkrete Steuerfestsetzung.



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