juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 8. Senat, Urteil vom 07.11.2023 - VIII R 16/22
Autor:Dr. Franziska von Freeden, Ri’inBFH
Erscheinungsdatum:01.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 32d EStG, § 346 BGB, § 348 BGB, § 118 FGO, § 2 EStG, § 22 EStG, § 21 EStG, § 20 EStG, § 23 EStG, § 357a BGB, § 357b BGB, EGRL 48/2008, EWGRL 102/87
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 26/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:von Freeden, jurisPR-SteuerR 26/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags



Leitsätze

1. Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre erzielt wird.
2. Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.
3. Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.



A.
Problemstellung
Die Besprechungsentscheidung betrifft, ebenso wie die Besprechungsentscheidung VIII R 7/21, die Steuerbarkeit einer Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen, die die Darlehensnehmer im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrages nach Widerruf von der darlehensgewährenden Bank erhielten. Es geht um eine Fallgestaltung, die unter dem Schlagwort „Widerrufsjoker“ in den vergangenen Jahren bereits den BGH und den EuGH beschäftigt hatte, wobei es in den dortigen Verfahren um die Frage ging, unter welchen Voraussetzungen sich Bankkunden aufgrund fehlerhafter Widerrufsbelehrungen von einem Darlehensvertrag lösen konnten.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger, gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, schlossen im Jahr 2007 zwei Darlehensverträge mit der X-Bank. Ein Darlehen diente der Finanzierung einer vermieteten Wohnung und das andere Darlehen der Anschaffung einer von den Klägern selbstgenutzten Wohnung. Im August 2014 widerriefen die Kläger wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrung jeweils ihre auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Die X-Bank hielt die Widerrufserklärungen jeweils für unwirksam. Hinsichtlich des Darlehens zur Finanzierung der vermieteten Wohnung führten die Kläger deshalb einen Rechtsstreit gegen die X-Bank.
Das Oberlandesgericht wies in diesem Rahmen darauf hin, dass die Kläger die Darlehensvereinbarung wirksam widerrufen hätten und die X-Bank den Klägern im Rahmen der Rückabwicklung die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen sowie die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen der vermuteten Nutzung der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen durch die Bank schulde. Danach hätten die Kläger gegen die X-Bank einen Anspruch auf die geleisteten Raten und einen darauf entfallenden Nutzungswertersatz i.H.v. 4.087,79 Euro. Aufgrund dieses Hinweises endete das Verfahren mit diesem Ergebnis. Hinsichtlich des Darlehensvertrags für die privatgenutzte Wohnung einigten sich die Kläger und die X-Bank außergerichtlich auf eine Rückabwicklung und dabei auf einen Nutzungsersatzanspruch der Kläger i.H.v. 3.582,63 Euro.
Die Kläger gaben in den Anlagen KAP in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr keine Kapitalerträge aufgrund des Nutzungsersatzes aus dem Darlehen für die selbstgenutzte Wohnung an, erklärten aber (ohne nähere Angaben) sonstige Einnahmen i.H.v. 4.087 Euro bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Das Finanzamt setzte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 27.12.2018 (erklärungsgemäß) sonstige Einnahmen i.H.v. 4.087 Euro bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an. Weiter berücksichtigte es aufgrund einer Mitteilung der X-Bank über die Zahlung von „unversteuerten Nutzungsentschädigungen“ an die Kläger einen Betrag i.H.v. 7.692,94 Euro (je zur Hälfte beim Kläger und bei der Klägerin) neben weiteren nicht streitigen Kapitalerträgen als Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterlagen. Es zog beim Kläger und bei der Klägerin jeweils den Sparer-Pauschbetrag i.H.v. 801 Euro ab.
Gegen den Einkommensteuerbescheid erhoben die Kläger Einspruch. Während des Einspruchsverfahrens erließ das Finanzamt am 19.07.2019 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr und berücksichtigte die bisher angesetzten sonstigen Einnahmen i.H.v. 4.087 Euro nicht mehr bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Nach der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020 betrugen die Kapitalerträge aufgrund des Nutzungsersatzes 7.670,42 Euro.
Die hiergegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht beurteilte den Nutzungsersatz i.H.v. 3.582,63 Euro aus der Rückabwicklung des Darlehensvertrags für die selbstgenutzte Wohnung als nicht steuerbar. Der erhaltene Nutzungsersatz i.H.v. 4.087,79 Euro aus dem Widerruf des Darlehensvertrags zur Finanzierung der vermieteten Wohnung stelle zwar keinen steuerpflichtigen Kapitalertrag i.S.v. § 20 EStG dar, sei aber als Einnahme aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu erfassen.
Das hiergegen vom Finanzamt geführte Revisionsverfahren hatte keinen Erfolg.
Der VIII. Senat des BFH sah den im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrags für die selbstgenutzte Wohnung von der X-Bank an die Kläger geleisteten Nutzungsersatz nicht als steuerbaren Kapitalertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG an. Die Rückabwicklung dieses Darlehensvertrags führe bei den Klägern auch nicht zu Einkünften aus Leistungen i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG. Die Revision hatte auch keinen Erfolg, soweit das Finanzgericht den Nutzungsersatz für den rückabgewickelten Darlehensvertrag hinsichtlich der vermieteten Immobilie den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zugeordnet hatte.
1. Hinsichtlich des Nutzungsersatzes aus dem widerrufenen Darlehensvertrag für die selbstgenutzte Wohnung führte der VIII. Senat des BFH im Einzelnen aus:
a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage. Unter den Begriff der Kapitalforderung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen, deren Steuerbarkeit sich nicht bereits aus einem anderen Tatbestand i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder Nr. 8 bis 11 EStG ergibt.
Der Rechtsgrund der Kapitalüberlassung ist dabei ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, ob die zugrunde liegende Kapitalforderung selbst steuerbar ist. Auch eine nicht freiwillige, sondern erzwungene Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (BFH, Urt. v. 26.06.1996 - VIII R 67/95 - BFH/NV 1997, 175; BFH, Urt. v. 13.11.2007 - VIII R 36/05 - BFHE 220, 35 = BStBl II 2008, 292; BFH, Urt. v. 24.05.2011 - VIII R 3/09 Rn. 14 - BFHE 235, 197 = BStBl II 2012, 254; BFH, Urt. v. 09.06.2015 - VIII R 18/12 - BFH/NV 2015, 1616; BFH, Urt. v. 20.10.2015 - VIII R 40/13 Rn. 25 - BFHE 252, 260 = BStBl II 2016, 342). Zu Einnahmen aus Kapitalvermögen können ferner grundsätzlich auch Nutzungen als nach gesetzlichen Ansprüchen geleistete Zahlungen gehören.
b) Wie die Einkünfteerzielung im Rahmen aller anderen Einkunftsarten setzt die Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen im Grundsatz eine erwerbsgerichtete Tätigkeit voraus. Das gilt auch nach Einführung der Abgeltungsteuer. Auch innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte ist zwischen der Erwerbssphäre und der nicht steuerbaren Privatsphäre zu unterscheiden. Der aufgrund des Rückgewährschuldverhältnisses nach dem Widerruf des Darlehensvertrags an die Kläger gezahlte Nutzungsersatz fällt nicht innerhalb der Erwerbssphäre an, da die Rückabwicklung des Darlehensvertrags aus der Perspektive der Kläger keine erwerbsgerichtete Tätigkeit ist.
c) Zivilrechtlich führt der Widerruf der auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen durch den Darlehensnehmer dazu, dass sich der Vertrag mit Zugang der Widerrufserklärung ex nunc in ein Rückgewährschuldverhältnis wandelt (BGH, Beschl. v. 12.01.2016 - XI ZR 366/15 Rn. 7 - WM 2016, 454). Nach der früheren und im Streitjahr noch geltenden Fassung der §§ 357, 346 ff. BGB hat der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber die Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf (Teil-)Tilgungen (§ 346 Abs. 1 HS. 1 BGB) sowie einen Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta herauszugeben (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB). Der Darlehensgeber schuldet dem Darlehensnehmer die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen (§ 346 Abs. 1 HS. 1 BGB) sowie die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (§ 346 Abs. 1 HS. 2 BGB). Die wechselseitigen Rückgewähransprüche stehen sich zivilrechtlich als eigenständige Ansprüche gegenüber (BGH, Urt. v. 30.06.2017 - V ZR 134/16 Rn. 13 - BGHZ 215, 157). Sie sind Zug um Zug zu erfüllen (§ 348 Satz 1 BGB). Der jeweilige Rückgewährgläubiger kann seine Ansprüche auch ohne Rücksicht auf etwaige Gegenansprüche durchsetzen, solange der Rückgewährschuldner keine Gegenansprüche erhebt (vgl. BGH, Urt. v. 25.04.2017 - XI ZR 108/16 Rn. 19 - NJW 2007, 2102).
d) Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Darlehensvertrags vollzieht sich (unabhängig von der zivilrechtlichen Einordnung) außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre, denn das Rückgewährschuldverhältnis ist allein darauf gerichtet, den ursprünglichen Leistungsaustausch rückgängig zu machen. Es unterscheidet sich darin vom Darlehensvertrag, der als Dauerschuldverhältnis eine Vielzahl in die Zukunft gerichteter Pflichten statuiert, die durch den Austausch von Zahlungen nicht vollständig abgebildet werden können. Die im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses vom Darlehensnehmer vereinnahmten Leistungen liegen für ihn jedenfalls dann außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre, wenn es sich um ein reines Rückabwicklungsverhältnis handelt. Daran würde es fehlen, wenn die wechselseitig erbrachten Leistungen nicht nur die Rückabwicklung des ursprünglichen Vertrags bewirken, sondern auch noch anderen Zwecken dienen sollten. Ob das der Fall ist, hat das Finanzgericht auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls festzustellen. Handelt es sich nach den Feststellungen des Finanzgerichts um ein reines Rückabwicklungsverhältnis, kommt es nicht darauf an, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen worden ist. Im Streitfall hat das Finanzgericht den zwischen den Klägern und der X-Bank geschlossenen Vergleich mit gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindender Wirkung dahin gehend ausgelegt, dass in ihm ausschließlich die wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens erledigt werden sollten.
e) Der von den Klägern vereinnahmte Nutzungsersatz ist auch nicht isoliert zu sehen und deshalb als steuerbar zu behandeln, weil sich die Situation aus Sicht der Kläger nach dem Widerruf des Darlehensvertrags so darstellt, als hätten die Kläger der X-Bank entgeltlich Kapital in Höhe der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen überlassen. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Die zivilrechtlich selbstständigen wechselseitigen Ansprüche des Rückgewährschuldverhältnisses stehen wirtschaftlich in so enger Verbindung zueinander, dass sich ihre isolierte Betrachtung als künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs darstellen würde. Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungsersatz ist nicht ohne den gegenläufigen Anspruch auf Herausgabe von Wertersatz denkbar. Die Einzelansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis haben für sich genommen, da sie sämtlich auf Geld gerichtet sind und sich aufrechenbar gegenüberstehen, keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung. Vor diesem Hintergrund kann der vom Darlehensnehmer vereinnahmte Nutzungsersatz auch nicht als Gegenleistung für eine unfreiwillige Kapitalüberlassung in Form der vom Darlehensgeber zurückzugewährenden Zins- und Tilgungsleistungen angesehen werden (vgl. zur Fallgruppe der unfreiwilligen Kapitalüberlassung z.B. BFH, Beschl. v. 01.08.2023 - VIII R 8/21 - BFHE 281, 57 = BStBl II 2023, 1043; zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Abgeltungsteuer auch BFH, Urt. v. 24.05.2011 - VIII R 3/09 Rn. 15 - BFHE 235, 197 = BStBl II 2012, 254). Auf der Grundlage der gebotenen Einheitsbetrachtung sind die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis nicht für sich betrachtet Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit, was auch daraus deutlich wird, dass der ehemalige Darlehensnehmer im typischen Fall der Rückabwicklung (bei Saldierung der wechselseitigen Ansprüche) keinen Gesamtüberschuss erzielen kann. Wirtschaftlich bewirkt die Rückabwicklung des Darlehensvertrags aus der Sicht des Darlehensnehmers bei globaler Betrachtung letztlich nur eine Verringerung der bis zum Widerruf auf das Darlehen zu zahlenden Zinsen oder des Wertersatzes für die Gebrauchsvorteile.
f) Der von der X-Bank geschuldete Nutzungsersatz ist nicht nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar. Gemäß § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte solche aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 EStG) noch zu den Einkünften i.S.d. Nr. 1, 1a, 2 oder 4 gehören, wie beispielsweise Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände. Eine (sonstige) Leistung im Sinne dieser Vorschrift ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und das eine Gegenleistung auslöst. § 22 Nr. 3 EStG erfasst, ergänzend zu den übrigen Einkunftsarten, das Ergebnis einer erwerbsgerichteten Tätigkeit (Leistung) und setzt wie diese die allgemeinen Merkmale des Erzielens von Einkünften nach § 2 EStG voraus (BFH, Urt. v. 10.11.2020 - IX R 32/19 Rn. 32 - BFHE 271, 218 = BStBl II 2023, 169). Der Annahme eines steuerbaren Leistungsaustauschs steht danach auch bei der Anwendung von § 22 Nr. 3 EStG entgegen, dass die bei der gebotenen Einheitsbetrachtung aus der Rückabwicklung des Darlehensvertrags vereinnahmten Einzelleistungen nicht in der Erwerbssphäre angefallen sind. Dies kann im Rahmen von § 22 Nr. 3 EStG nicht anders beurteilt werden als im Anwendungsbereich des § 20 EStG.
2. Bezüglich des Nutzungswertersatzes für das rückabgewickelte Darlehen hinsichtlich der vermieteten Immobilien und dessen Zuordnung zu den steuerbaren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG führte der BFH im Einzelnen aus:
a) Die Revision des Finanzamtes kann mit dessen Begründung, dass der Nutzungsersatz aus der Rückabwicklung dieses Darlehensvertrags ebenso wie der Nutzungsersatz aus dem widerrufenen Darlehensvertrag für die selbstgenutzte Wohnung den steuerbaren Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zuzuordnen sei, keinen Erfolg haben. Der Nutzungsersatz aus dem widerrufenen Darlehensvertrag für die vermietete Wohnung könnte bei einer vorrangigen Zuordnung zu den Kapitaleinkünften ebenfalls nicht zu steuerbaren Kapitaleinkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen.
b) Es kann dahinstehen, ob die Zuordnung der Einnahmen aus dem Nutzungsersatz zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung durch das Finanzgericht zutreffend ist. Wäre dies rechtsfehlerhaft, wäre die Entscheidung des Finanzgerichts nur zulasten der Kläger unzutreffend, denn es hat den Nutzungsersatz bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuererhöhend berücksichtigt. Ein etwaiger Zuordnungsfehler des Finanzgerichts könnte aber nicht – wie für den Erfolg der Revision des Finanzamtes aber erforderlich wäre – zu einer höheren Steuerfestsetzung als nach der Vorentscheidung führen.


C.
Kontext der Entscheidung
1. Neben dem Verfahren VIII R 16/22 waren beim BFH mehrere Verfahren zur Steuerbarkeit des Nutzungsersatzes aus rückabgewickelten Verbraucherkreditverträgen anhängig, vgl. insbesondere das Urteil des BFH vom selben Tag im Verfahren VIII R 7/21.
2. Der BGH hatte die Rechtsstellung des (ehemaligen) Darlehensnehmers zivilrechtlich dahin gehend eingeordnet, dass dieser im Hinblick auf die erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (rückwirkend) so gestellt werde, als hätte er von Anfang an „eine verzinsliche Wertanlage“ erworben (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 12.01.2016 - XI ZR 366/15 Rn. 20 - NJW 2016, 2428). Dieser Betrachtung erteilt der VIII. Senat des BFH für das Steuerrecht eine klare Absage: Aufgrund der steuersystematisch wie auch wirtschaftlich gebotenen Einheitsbetrachtung des Rückgewährschuldverhältnisses könne der vom Darlehensnehmer vereinnahmte Nutzungsersatz nicht als Gegenleistung für eine unfreiwillige Kapitalüberlassung in Form der von der Bank als Darlehensgeberin zurück zu gewährenden Zins- und Tilgungsleistungen angesehen werden.
3. Der VIII. Senat des BFH zieht in der Besprechungsentscheidung außerdem Parallelen zur Rechtsprechung des IX. Senats zur Rückabwicklung von Beteiligungen an geschlossenen Immobilienfonds. Der IX. Senats des BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass Zahlungen bei der Rückabwicklung von Immobilienfonds in ein steuerpflichtiges Veräußerungsentgelt und eine nicht steuerbare Entschädigungsleistung aufzuteilen sein können. Nach der Rechtsprechung des IX. Senats fehlt es bei der Rückabwicklung des Erwerbs einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds an einem marktoffenbaren Vorgang und an einem Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Der Ausgleich der gezogenen Nutzungen stellt danach wie die Rückgabe der zuvor erworbenen Rechtspositionen in diesem Zusammenhang keinen Vorgang innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre, sondern nur einen notwendigen Teilakt im Rahmen der Rückabwicklung des ursprünglichen Leistungsaustauschs dar (vgl. nur BFH, Urt. v. 06.09.2016 - IX R 27/15 Rn. 22 - BStBl II 2018, 335; BFH, Urt. v. 31.01.2017 - IX R 26/16 Rn. 14 - BStBl II 2018, 341).
4. Die Zuordnung der Einnahmen aus dem Nutzungsersatz aus dem Darlehen für eine vermietete Wohnung zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung konnte der BFH in der Besprechungsentscheidung mangels Entscheidungserheblichkeit offenlassen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Reichweite der dargestellten Entscheidung wird durch eine zivilrechtliche Rechtsänderung, die im Streitfall noch nicht zum Tragen kam, deutlich eingeschränkt. Im Zuge der Reform des Verbraucherschutzrechts wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 (BGBl I 2013, 3642) in Umsetzung von Art. 14 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB a.F. (jetzt § 357b BGB) in das BGB eingefügt. Die Vorschrift, die erstmals auf nach dem 12.06.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar ist (vgl. Art. 229 § 32 Abs. 1 EGBGB), beseitigt unter anderem den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz.



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