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Anmerkung zu:BFH 7. Senat, Beschluss vom 24.04.2024 - VII R 57/20
Autor:Dr. Fabian Schmitz-Herscheidt, LL.M., RiBFH
Erscheinungsdatum:22.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 3 AnfG 1999, § 191 AO 1977, § 1964 BGB, § 268 AO 1977, § 2 AnfG 1999, § 768 BGB, § 278 AO 1977, § 1 AnfG 1999, § 228 AO 1977, § 47 AO 1977, § 232 AO 1977, § 231 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 29/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Schmitz-Herscheidt, jurisPR-SteuerR 29/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kein Erlöschen des Anfechtungsrechts infolge einer Fiskalerbschaft



Leitsätze

1. Für einen Duldungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung fehlt es grundsätzlich an einem vollstreckbaren Schuldtitel i.S.d. § 2 des Anfechtungsgesetzes (AnfG), wenn der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis erloschen ist.
2. Im Falle einer Fiskalerbschaft bewirkt der Akzessorietätsgrundsatz des § 2 AnfG jedoch nicht, dass das Anfechtungsrecht erlischt und der Duldungsanspruch untergeht. Die Steuerschuld gilt in diesem Fall als fortbestehend.



A.
Problemstellung
Das Besprechungsurteil betrifft die Frage, ob eine Vereinigung von Gläubiger- und Schuldnerstellung (sog. Konfusion) infolge einer Fiskalerbschaft das Anfechtungsrecht im Rahmen eines Duldungsbescheids erlöschen lässt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Gegenüber dem FA hatte die Schuldnerin S verschiedene Steuerschulden. Das FA betrieb die Zwangsvollstreckung, u.a. durch eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Kurz darauf veräußerte S an die Klägerin ein Grundstück mit Gebäude, das sie mit ihrem Ehemann selbst bewohnte. S und die Klägerin waren Schwägerinnen. Der Kaufvertrag enthielt einige ungewöhnliche Regelungen, u.a. erhielt S für sich und ihren Ehemann ein lebenslanges dingliches Wohnrecht und zudem eine Zusage, dass ihr Sohn von der Klägerin ein unwiderrufliches Verkaufsangebot erhalten würde.
Daraufhin nahm das FA die Klägerin durch Duldungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 AO in Anspruch und erklärte die Anfechtung des Erwerbsvorgangs gemäß den §§ 1, 3 AnfG. Während des Einspruchsverfahrens verstarb die S. Ihr Ehemann und ihr einziger Sohn als gesetzliche Erben schlugen das Erbe aus. Ob auch ein weiterer gesetzlicher Erbe, der Bruder (B), das Erbe ausschlug, blieb ungeklärt. Im Klageverfahren wies das FG Düsseldorf mit Urteil vom 31.10.2019 (9 K 1482/17 AO - EFG 2021, 166) die Klage ab.
II. Der BFH bestätigte diese Entscheidung und wies die Revision zurück.
1. Das FG sei zutreffend davon ausgegangen, dass das FA vor dem Versterben der S einen Duldungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO i.V.m. den §§ 1 ff. AnfG habe erlassen können. Nach den Feststellungen des FG habe die von S vorgenommene Grundstücksveräußerung das FA als Gläubiger benachteiligt (§ 1 Abs. 1 AnfG). Bei Erlass des Duldungsbescheids habe das FA als Gläubiger auch einen vollstreckbaren Schuldtitel gehabt, und die Abgabenforderungen seien fällig i.S.d. § 2 AnfG gewesen.
2. Der Duldungsbescheid sei nach dem Versterben der S auch nicht aufzuheben. Dabei könne dahinstehen, ob es infolge des Versterbens der S zu einer Fiskalerbschaft gekommen sei, die nämlich vom zuständigen Nachlassgericht nicht gemäß § 1964 Abs. 1 BGB festgestellt worden war und an der es wegen der fehlenden Erbausschlagung des Bruders B Zweifel gab. Selbst wenn es aber zu einer Fiskalerbschaft gekommen und die zugrunde liegende Abgabenschuld der S gemäß § 47 AO infolge einer Vereinigung von Forderung und Schuld (sog. Konfusion) erloschen wäre, so der BFH, sei jedenfalls der materielle Duldungsanspruch nicht untergegangen.
3. Gemäß § 2 Halbsatz 1 AnfG ist zur Anfechtung jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist (sog. Grundsatz der Akzessorietät). An einem vollstreckbaren Schuldtitel i.S.d. § 2 AnfG fehle es grundsätzlich, wenn der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis erloschen sei (BFH, Urt. v. 10.11.2020 - VII R 55/18 Rn. 35 - BFHE 271, 312).
4. Jedoch bewirke der Akzessorietätsgrundsatz des § 2 AnfG im Falle einer Fiskalerbschaft nicht, dass das Anfechtungsrecht erlösche und der Duldungsanspruch untergehe, so der BFH (BFH, Beschl. v. 24.04.2024 - VII R 57/20 Rn. 26). Nach dem BFH-Urteil vom 07.03.2006 (VII R 12/05 - BFHE 212, 388 = BStBl II 2006, 584) stehe der Inanspruchnahme des Empfängers einer unentgeltlichen Zuwendung von Vermögensgegenständen im Falle des § 278 Abs. 2 AO durch Duldungsbescheid nicht entgegen, dass sich die Steuerschuld durch Konfusion erledigt habe. Soweit das Bestehen der Steuerschuld Voraussetzung für die Realisierung des gesetzlichen Zugriffsrechts nach § 278 Abs. 2 Satz 1 AO sei, fingiere die Regelung inzident deren Fortbestehen.
Das zitierte Urteil vom 07.03.2006 (VII R 12/05) betreffe den Fall einer Aufteilung der Steuerschuld von zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten gemäß den §§ 268 ff. AO. Die Aufteilung habe gemäß § 278 Abs. 1 AO zur Folge, dass danach die Vollstreckung nur nach Maßgabe der auf die einzelnen Schuldner entfallenden Beträge durchgeführt werden dürfe. § 278 Abs. 2 Satz 1 AO bestimme aber, dass, wenn einem Steuerschuldner von einer mit ihm zusammen veranlagten Person in oder nach dem Veranlagungszeitraum, für den noch Steuerrückstände bestünden, unentgeltlich Vermögensgegenstände zugewendet würden, der Empfänger für einen bestimmten Zeitraum bis zur Höhe des gemeinen Wertes dieser Zuwendung für die Steuer in Anspruch genommen werden könne.
Bei der zitierten Entscheidung habe sich der Senat von der Erwägung leiten lassen, dass die uneingeschränkte Akzessorietät der Verpflichtung des zusammen veranlagten Zuwendungsempfängers im Falle der Konfusion der Steuerschuld bei einer Fiskalerbschaft dem Zweck des § 278 Abs. 2 Satz 1 AO zuwiderliefe, dem Steuergläubiger im Gegenzug zur Vollstreckungsbegrenzung durch Aufteilungsbescheid nach § 278 Abs. 2 Satz 1 AO den Zugriff auf die Vermögenswerte zu bewahren, die dem Vermögen des Erblassers durch unentgeltliche Übertragung auf den zusammen veranlagten anderen Ehegatten entzogen worden seien (BFH, Urt. v. 07.03.2006 - VII R 12/05 - BFHE 212, 388 = BStBl II 2006, 584, unter II.2.b bb (3) der Gründe). Von einer solchen Interessenlage sei auch im Falle einer Anfechtung gemäß den §§ 1 ff. AnfG auszugehen. Denn dem Anfechtungsrecht liege der Zweck zugrunde, dem Gläubiger den Zugriff auf die Vermögenswerte zu bewahren, die dem Vermögen des Schuldners durch Übertragung auf eine andere Person entzogen worden seien. Diese Interessenlage bestehe im Falle des Versterbens des Schuldners mit der Folge einer Fiskalerbschaft fort. Daher sei es aufgrund des Sicherungszwecks geboten, auch in diesem Fall das Fortbestehen der Steuerschuld zu fingieren (BFH, Beschl. v. 24.04.2024 - VII R 57/20 Rn. 30).


C.
Kontext der Entscheidung
I. Vereinigen sich im Falle eines auf einer Anfechtung beruhenden Duldungsbescheids die Steuerforderung und die Steuerschuld (sog. Konfusion) aufgrund einer Fiskalerbschaft, so ist der Grundsatz der Akzessorietät gemäß § 2 AnfG eingeschränkt. Diese Einschränkung, die bereits die Vorentscheidung des FG Düsseldorf vom 31.10.2019 - 9 K 1482/17 AO zugrunde gelegt und die der BFH nun bestätigt hat, ist im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen (z.B. Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 191 AO Rn. 251; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Rn. 154; Rüsken in: Klein, AO, 17. Aufl. § 191 Rn. 34).
Maßgeblich hierfür ist die Erwägung, dass sich die Steuerforderung durch die Konfusion nur insoweit erledigt, als in das Vermögen des Steuerschuldners beziehungsweise seines Rechtsnachfolgers nicht vollstreckt werden kann, weil er selbst Gläubiger geworden ist. Die Steuerforderung besteht jedoch fort, soweit sie Grundlage für die Vollstreckung in schuldnerfremdes Vermögen ist (Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 191 AO Rn. 251). Hat der Steuerschuldner durch seine – nach dem AnfG anfechtbaren – Rechtshandlungen den Zugriff auf sein Vermögen vereitelt, indem er Vermögen veräußert, weggegeben oder aufgegeben hat, gelten nach seinem Tod trotz der Konfusion aufgrund der Fiskalerbschaft seine Steuerschulden für Zwecke der Vollstreckung in das weggegebene Vermögen fort; eine uneingeschränkte Akzessorietät würde dem Zweck des Anfechtungsgesetzes widersprechen (vgl. BFH, Beschl. v. 24.04.2024 - VII R 57/20 Rn. 37; Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 191 AO Rn. 251).
II. Durch diese Entscheidung des BFH wird ein Gleichlauf zum Bürgschaftsrecht hergestellt. Nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Bürge die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Stirbt der Hauptschuldner, so kann sich der Bürge gemäß § 768 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet. Diese gesetzlich angeordnete Durchbrechung der Akzessorietät hat der BFH auf die Anfechtung nach dem AnfG übertragen. Dass im AnfG eine dem § 768 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechende Regelung nicht existiert, bedeutet jedoch nicht, dass eine Einschränkung bzw. Durchbrechung der Akzessorietät bei der Anfechtung ausgeschlossen wäre (BFH, Beschl. v. 24.04.2024 - VII R 57/20 Rn. 39).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Frage einer Einschränkung der Akzessorietät im Falle einer Fiskalerbschaft war bislang nur für den Fall der Inanspruchnahme des Empfängers einer unentgeltlichen Zuwendung von Vermögensgegenständen im Falle des § 278 Abs. 2 AO geklärt (BFH, Urt. v. 07.03.2006 - VII R 12/05 - BFHE 212, 388 = BStBl II 2006, 584). Nunmehr hat der BFH diese Grundsätze auf den Fall einer Anfechtung nach den §§ 1 ff. AnfG übertragen, so dass für diese Konstellation nun ebenfalls Rechtssicherheit besteht.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Weiter befasste sich der BFH mit Fragen der Zahlungsverjährung. Für die Steuerrückstände der S war im Ergebnis keine Zahlungsverjährung (§ 228 Satz 1 AO) eingetreten, der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis war nicht erloschen (§§ 47, 232 AO).
Die Verjährung war nämlich durch eine Vollstreckungsmaßnahme nach § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO unterbrochen worden. Das FA hatte in früheren Jahren eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Bezug auf Bankkonten der S erlassen. Diese bezog sich sowohl auf einen pfändbaren Betrag als auch auf künftige Forderungen. Damit entstand, wie der BFH erklärte, nicht nur ein Pfändungspfandrecht i.S.d. § 231 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO an dem pfändbaren Betrag, sondern die Pfändung künftiger Forderungen bewirkte auch eine dauerhafte Unterbrechung der Verjährung. Diese Wirkung bestand bis zum Abschluss der Kontoabwicklung nach dem Tode der S. Erst mit Ablauf dieses Jahres begann gemäß § 231 Abs. 3 AO eine neue Verjährungsfrist (BFH, Beschl. v. 24.04.2024 - VII R 57/20 Rn. 48, 49). Diese Frist war im Streitfall nicht abgelaufen.



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