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Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 05.06.2024 - VI R 20/22
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:12.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 19 EStG, § 38 EStG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 11 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 32/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 32/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei beherrschendem Gesellschafter-Geschäftsführer



Leitsätze

1. Einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer fließen Einnahmen aus Tantiemeforderungen gegen seine Kapitalgesellschaft bereits bei Fälligkeit zu (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. Fällig wird der Tantiemeanspruch mit der Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbart haben.
3. Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen sind, fließen dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, auch wenn eine dahin gehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den (festgestellten) Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen (a.A. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12.05.2014, BStBl I 2014, 860).



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob nicht ausgezahlten Tantiemen als Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit anzusetzen sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Für seine Tätigkeit erhält er ein monatliches Bruttogehalt. Daneben ist ihm eine Tantieme i.H.v. 20% des Jahresgewinns zugesagt, die einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung zu zahlen ist. Die Tantiemen wurden dem Kläger in den Streitjahren (2015 bis 2017) weder von der GmbH ausgezahlt noch hat diese den Jahresabschlüssen entsprechende Passivposten gebildet. In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gab der Kläger Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit an. Tantiemen erklärte er nicht. Das FA veranlagte ihn zunächst erklärungsgemäß. Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH ging das FA davon aus, dass auch die nicht ausgezahlten Tantiemen in der vereinbarten Höhe vom Kläger als Arbeitslohn zu versteuern seien. Bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer gälten Tantiemen zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung als zugeflossen. Ob sie tatsächlich ausgezahlt worden seien, sei unerheblich, da es der Gesellschafter-Geschäftsführer selbst in der Hand habe, sich die Tantiemen auszahlen zu lassen. Es änderte die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre daher entsprechend. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das FG statt. Vereinbarte, aber nicht ausgezahlte Tantiemen flössen auch einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, wenn bei der Gesellschaft keine entsprechende Verbindlichkeit passiviert worden sei und sich die Tantiemen deshalb weder in den Streitjahren noch in späteren Zeiträumen mindernd auf das Einkommen der Gesellschaft ausgewirkt hätten (FG Stuttgart, Urt. v. 30.06.2022 - 12 K 58/20 - EFG 2023, 193). Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG könne der Senat nicht beurteilen, ob die dem Kläger nicht ausgezahlten Tantiemen in den Streitjahren als Einnahmen aus nichtselbstständiger Tätigkeit anzusetzen seien.


C.
Kontext der Entscheidung
Tantiemen gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Ihre Besteuerung setzt allerdings voraus, dass sie als sonstiger Bezug dem Arbeitnehmer nach den §§ 11 Abs. 1 Satz 4, 38a Abs. 1 Satz 3 EStG zugeflossen sind. Der Zufluss tritt mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein (z.B. BFH, Urt. v. 28.04.2020 - VI R 44/17 - BStBl II 2021, 392 m.w.N.; Geserich, jurisPR-SteuerR 42/2020 Anm. 4). Das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs. Geldbeträge fließen danach zu, wenn sie dem Empfänger bar ausbezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden (z.B. BFH, Urt. v. 22.02.2018 - VI R 17/16 - BStBl II 2019, 496 m.w.N.; Geserich, jurisPR-SteuerR 27/2018 Anm. 1). Der BFH geht zudem in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen auch ohne Zahlung oder Gutschrift vorliegen kann. Danach fließt dem alleinigen oder jedenfalls beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu. Denn ein beherrschender Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben (BFH, Urt. v. 12.07.2021 - VI R 3/19 - BFH/NV 2022, 9 und BFH, Urt. v. 28.04.2020 - VI R 44/17 - BStBl II 2021, 392, jeweils m.w.N.; Geserich, jurisPR-SteuerR 42/2020 Anm. 4; a.A. BMF vom 12.05.2014 - BStBl I 2014, 860). Überdies kann der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird (BFH, Beschl. v. 09.06.1997 - GrS 1/94 - BStBl II 1998, 307). Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet, ohne dass der Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhält, und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Letztere Voraussetzung ist gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht eingeräumt hätte (BFH, Urt. v. 15.05.2013 - VI R 24/12 - BStBl II 2014, 495 m.w.N.; Bleschick, NWB 2013, 3372). Als verdeckte Einlage sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens. Ob als Voraussetzung für eine verdeckte Einlage das Vermögen der Kapitalgesellschaft durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens vermehrt ist, bestimmt sich nach Bilanzrecht. Insofern ist maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre (vgl. BFH, Urt. v. 15.05.2013 - VI R 24/12 - BStBl II 2014, 495 und BFH, Urt. v. 15.06.2016 - VI R 6/13 - BStBl II 2016, 903; Geserich, jurisPR-SteuerR 42/2016 Anm. 1).


D.
Auswirkungen für die Praxis
I. Ein Zufluss der nicht ausgezahlten Tantiemen kann vorliegend nicht auf die Zuflussfiktion gestützt werden. Hier hat die GmbH die Tantiemeforderungen des Klägers in ihren Jahresabschlüssen nicht als Verbindlichkeit abgebildet. Diese Jahresabschlüsse hat die Gesellschafterversammlung der GmbH entsprechend (unverändert) festgestellt. Folglich waren die streitigen Tantiemeansprüche nicht fällig. Denn der Anspruch auf Tantiemen wird, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbaren, erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses fällig (BFH, Urt. v. 28.04.2020 - VI R 44/17 - BStBl II 2021, 392 m.w.N.; Geserich, jurisPR-SteuerR 42/2020 Anm. 4). Ob die dahin gehenden Verbindlichkeiten nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung hätten passiviert werden müssen, ist insoweit unerheblich (a.A. BMF-Schreiben vom 12.05.2014, BStBl I 2014, 860). Ein dahin gehender Pflichtenverstoß vermag die Fälligkeit einer im festgestellten Jahresabschluss nicht enthaltenen Tantiemeforderung nicht zu begründen. Deshalb ist insoweit auch ohne Bedeutung, ob die fehlende Passivierung einer Verbindlichkeit einem Buchungsfehler geschuldet war, oder ob eine Bilanzierung aus anderen Gründen von vornherein nicht in Betracht kam, etwa weil die Tantiemezusage vor der Entstehung der darin vereinbarten Tantiemeansprüche einvernehmlich aufgehoben worden ist.
II. Ob dem Kläger die Forderungswerte der Tantiemeansprüche zugeflossen sind, weil er durch einen Verzicht auf seine Tantiemeansprüche eine verdeckte Einlage in die GmbH erbracht hat, lässt sich auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht beurteilen. Warum die Tantiemen nicht ausgezahlt beziehungsweise entsprechende Forderungen des Klägers nicht als Verbindlichkeiten passiviert worden sind, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht zu erkennen, ob der Kläger einvernehmlich mit der GmbH die Tantiemezusage vor der Entstehung der Tantiemeansprüche zum jeweiligen Jahresende aufgehoben hat, oder ob der Kläger auf die bereits entstandenen Tantiemeansprüche verzichtet hat. Nur in letzterem Fall wäre eine verdeckte Einlage der Forderungswerte der Tantiemeansprüche in die GmbH zu bejahen. Der Steuerpflichtige ist daher gut beraten, den Zeitpunkt und Inhalt einer entsprechenden Aufhebungsvereinbarung belastbar zu dokumentieren. Zwar kann der Umstand, dass (Gehalts-)Ansprüche dem Arbeitnehmer über mehrere Jahre hinweg unverändert weder ausbezahlt noch in der Gewinnermittlung des Arbeitgebers als Aufwand erfasst wurden, für eine konkludente Aufhebung der Ansprüche – hier der Tantiemen – sprechen und damit gegen eine den Zufluss begründende verdeckte Einlage streiten. Zwingend ist dies jedoch nicht. Vielmehr ist entscheidend, ob das Verhalten der Beteiligten als ein dahin gehendes planvolles Vorgehen zu würdigen ist. Denn nur dann lässt sich die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer als Annahme der Vertragsänderung nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers gemäß den §§ 133, 157 BGB ansehen (BFH, Urt. v. 15.05.2013 - VI R 24/12 - BStBl II 2014, 495 m.w.N.).
Verzichtet der Geschäftsführer hingegen auf einen bereits entstandenen Tantiemeanspruch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen, erbringt er insoweit, als seine Forderung im Zeitpunkt des Verzichts werthaltig ist, eine bei ihm zum Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) führende verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft. Dies gilt auch dann, wenn die Gehaltsverbindlichkeit nicht passiviert worden ist. Denn insoweit ist maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre (z.B. BFH, Urt. vom 15.05.2013 - VI R 24/12 - BStBl II 2014, 495 und BFH, Urt. v. 15.06.2016 - VI R 6/13 - BFHE 254, 134 = BStBl II 2016, 903; Geserich, jurisPR-SteuerR 42/2016 Anm. 1).
Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob und, falls ja, wann der Kläger auf die in dem Geschäftsführervertrag vereinbarten Tantiemeansprüche gegenüber der GmbH verzichtet hat.
Für den umgekehrten Fall, dass eine Gesellschaft einen Anspruch gegen einen beherrschenden Gesellschafter hat, gilt die Zuflussfiktion im Übrigen nicht. Denn in einem solchen Fall liegt gerade keine die Zuflussfiktion rechtfertigende „Beherrschungssituation“ vor. Der beherrschende Gesellschafter beherrscht die Gesellschaft, die beherrschte Gesellschaft aber nicht den beherrschenden Gesellschafter. Die beherrschte Gesellschaft hat es insbesondere regelmäßig nicht in der Hand, sich Beträge, die ihr der beherrschende Gesellschafter schuldet, auszahlen zu lassen. Dementsprechend kann nicht davon ausgegangen werden, dass der beherrschten Gesellschaft Forderungen gegen den beherrschenden Gesellschafter z.B. auf Rückzahlung überzahlten Arbeitslohns bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs zugeflossen sind. Auch bei einem beherrschenden Gesellschafter ist der Abfluss einer Arbeitslohnrückzahlung folglich erst im Zeitpunkt der Leistung gegeben. Deshalb ist auch bei einem beherrschenden Gesellschafter der Abfluss einer Arbeitslohnrückzahlung folglich erst im Zeitpunkt der Leistung und nicht bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit der Rückforderung anzunehmen (BFH, Urt. v. 14.04.2016 - VI R 13/14 - BStBl II 2016, 778; Geserich, jurisPR-SteuerR 38/2016 Anm. 3).



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