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Anmerkung zu:BFH 10. Senat, Urteil vom 31.01.2024 - X R 7/22
Autor:Martin Figatowski, LL.M., RA
Erscheinungsdatum:26.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 170 StPO, § 31 OWiG 1968, § 378 AO 1977, § 384 AO 1977, § 102 StPO, § 105 StPO, § 169 AO 1977, § 78 StGB, § 78c StGB, § 33 OWiG 1968, § 164 AO 1977, § 171 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 34/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Figatowski, jurisPR-SteuerR 34/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anforderungen an einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung und zur Auslösung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO



Leitsätze

1. Nur Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrechen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) die Verfolgungsverjährung, nicht aber Anordnungen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
2. Durchsuchungsanordnungen müssen angesichts ihrer Grundrechtsrelevanz inhaltliche Mindestanforderungen erfüllen (unter anderem tatsächliche Angaben über den Tatvorwurf, Angabe der Art und des denkbaren Inhalts der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt). Sind diese inhaltlichen Mindestanforderungen nicht erfüllt, hat eine Durchsuchungsanordnung nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung.
3. Wenn es für die Frage, ob eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 der Abgabenordnung eingetreten ist, auf die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Durchsuchungsanordnung ankommt, hat das Finanzgericht Feststellungen zu treffen, ob darin die genannten inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt sind. Dies darf nicht als gegeben unterstellt werden.
4. Zwar ist im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich nicht überprüfbar. Die Tatbestandswirkung tritt aber nur ein, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde. Das setzt voraus, dass überhaupt Gelegenheit zur Anfechtung des Beschlusses bestanden hat.



A.
Problemstellung
Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem BFH war u.a. die Frage, welche Überzeugungsbildung für das Instanzgericht von einem (nicht mehr vorhandenen) Durchsuchungsbeschluss notwendig ist, um eine Verjährungsunterbrechung im Falle einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG und zugleich die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO zu begründen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtsgang ausschließlich darum, ob ein Änderungsbescheid zur Einkommensteuer nach einer Steuerfahndungsprüfung noch innerhalb der verlängerten Festsetzungsfrist erlassen worden ist.
Auf den Namen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 2001 ein gewerbliches Einzelunternehmen („X“) angemeldet. Steuerberater dieses Unternehmens war der Bruder der Klägerin; Geschäftsführerin die Ehefrau des Bruders. Die Klägerin reichte ihre Einkommensteuererklärung 2001 im Jahr 2002 ein. Der erklärungsgemäße erstmalige Einkommensteuerbescheid 2001 wurde am 06.03.2003 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen und galt am 10.03.2003 (Montag) als bekannt gegeben. Am 28.01.2010 erging der im vorliegenden Verfahren angefochtene Änderungsbescheid, der verfahrensrechtlich auf § 164 Abs. 2 AO gestützt wurde. Darin wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb erheblich erhöht, weil Beträge, die die Klägerin als Betriebsausgaben erklärt hatte, nicht mehr gewinnmindernd berücksichtigt wurden.
Am 03.05.2006 hatte eine Durchsuchung in den Geschäftsräumen der X stattgefunden, die sich zunächst nicht gegen die Klägerin, sondern gegen eine dritte Person richtete. Nachdem der Steuerfahndungsbeamte die Überzeugung gewonnen hatte, dass er gegen die falsche Person ermittelte, leitete er gegen die Klägerin am selben Tag ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer für 2001 ein, ohne jedoch die Einleitung der Klägerin förmlich bekannt zu geben.
Ferner ordnete er am selben Tag in dieser Ermittlungssache gegen die Klägerin wegen Gefahr im Verzug „als Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft“ die „Durchsuchung der Geschäftsräume der Fa. <X>“ an.
Die Akten des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sind bereits vernichtet worden und standen dem Finanzgericht daher nicht zur Verfügung. Der Fahndungsprüfer und sein Sachgebietsleiter haben bei ihren schriftlichen Befragungen durch das Finanzgericht angegeben, sich an Einzelheiten des Vorgangs nicht mehr erinnern zu können.
Am 13.01.2010 wurde das gegen die Klägerin geführte steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Am 19.07.2012 wurde gegen sie wegen leichtfertiger Steuerverkürzung eine Geldbuße festgesetzt.
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Der BFH entschied, dass die Revision begründet ist und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung führt. Nach dem BFH hat das Finanzgericht zu Unrecht eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO im Hinblick auf einen Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 bejaht.
Das Finanzamt hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 2001 im Streitfall mit Ablauf des Jahres 2002 begonnen hat und grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2007 endete, da wegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung die fünfjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO anzuwenden war. Allerdings endet gemäß § 171 Abs. 7 AO in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist. Die Verfolgungsverjährung beginnt, sobald die Handlung beendet ist, jedoch nicht vor dem Eintritt des Erfolgs (§ 31 Abs. 3 OWiG). Der Erfolg ist hier mit der Bekanntgabe des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids 2001 am 10.03.2003 eingetreten. Da die Verfolgungsverjährungsfrist bei Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. § 378 AO fünf Jahre beträgt (§ 384 AO), wäre die reguläre Verfolgungsverjährung am 10.03.2008 eingetreten, sofern nicht zuvor ein Unterbrechungstatbestand verwirklicht worden wäre.
Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG wird die Verfolgungsverjährung unter anderem durch Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrochen. Beschlagnahmeanordnungen von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft lösen die verjährungsunterbrechende Wirkung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG allerdings nicht aus.
Im Streitfall streiten die Beteiligten darüber, ob am 27.10.2006 ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss (§§ 102 f., 105 StPO) in dem Strafverfahren gegen die Klägerin ergangen ist. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH muss ein Durchsuchungsbeschluss tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten, wofür die lediglich schlagwortartige Bezeichnung der jeweiligen Straftat nicht genügt. Ferner muss der Beschluss die Art sowie den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lassen
Da der nicht auffindbare Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts N vom 27.10.2006 drei Blätter in den Akten umfassen soll, ist davon auszugehen, dass es sich um einen schriftlichen Beschluss handelt. Im Ausgangspunkt zutreffend weist das Finanzamt zwar auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hin, wonach im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich – vorbehaltlich besonders schwerer Mängel – nicht überprüfbar ist. Dies gilt allerdings nur, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde.
Vorliegend ist weder festgestellt noch feststellbar, dass beziehungsweise ob der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluss vom 27.10.2006 der Klägerin überhaupt bekannt gegeben oder ob er vollzogen worden ist und die Klägerin damit Gelegenheit hatte, den Beschluss anzufechten. Es besteht keine tatsächliche Vermutung dahin, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss bekannt gegeben wurde. Eine Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen zum Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses ist wegen der Vernichtung aller maßgeblichen Akten und des fehlenden Erinnerungsvermögens der vom Finanzgericht befragten Beamten nicht möglich. Dies geht zulasten des Finanzamtes, so dass die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO als nicht erwiesen anzusehen sind.
Da das Finanzgericht – aus seiner Sicht folgerichtig – ausdrücklich offengelassen hat, ob die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erfüllt sind, geht die Sache zur Nachholung der hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurück.


C.
Kontext der Entscheidung
Gerade in Steuerfahndungsfällen stellen sich einige verfahrensrechtliche Besonderheiten, da diese Verfahren für gewöhnlich längere Zeit in Anspruch nehmen.
Ausgehend von § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die reguläre Festsetzungsfrist vier Jahre, welche in den Fällen einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf fünf Jahre verlängert ist. Als besondere Ablaufhemmungen kommt in Steuerfahndungsfällen § 171 Abs. 7 und Abs. 5 AO in Betracht.
Die Vorschrift des § 171 Abs. 7 AO sieht eine Ablaufhemmung vor, solange die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit nicht verjährt ist. Mithin knüpft § 171 Abs. 7 AO insoweit an die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verjährungsvorschriften des § 78 StGB und des § 31 OWiG an. Besondere Relevanz haben bei Handlungen der Strafverfolgungsbehörden die Vorschriften über die Unterbrechung der Verjährung (§ 78c StGB im Strafverfahren und § 33 OWiG im OWiG-Verfahren). Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von vorne. Allerdings sieht dieses Gesetz eine Begrenzung der Verjährung auf das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist vor (§ 78c Abs. 3 StGB und § 33 Abs. 3 OWiG).
Die Anforderungen dieser straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Vorschriften müssen grundsätzlich durch das Instanzgericht selbstständig festgestellt werden.
Für die besondere Unterbrechungsvorschriften bei Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen durch die Verfolgungsbehörde und den Richter nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB und § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG hat die Rechtsprechung bestimmte Mindestanforderungen an die inhaltliche Bestimmbarkeit von Beschlagnahme- und Durchsuchungsbeschlüssen aufgestellt (vgl. zur konkreten Bestimmung der Tat BGH, Beschl. v. 05.04.2000 - 5 StR 226/99; zur Darstellung der Tatsachengrundlagen für den Vorwurf BGH, Beschl. v. 27.05.2003 - 4 StR 142/03; zur Bestimmung des Tatzeitraums BVerfG, Beschl. v. 04.04.2017 - 2 BvR 2551/12). Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass Durchsuchungsanordnungen von Ermittlungspersonen der Verfolgungsbehörde, welche auf Gefahr im Verzug gestützt werden, eine Unterbrechung der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verjährung gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB und § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG gerade nicht begründen können.
Aufgrund der Vernichtung des streitgegenständlichen Beschlusses durch die Finanzverwaltung konnte das Instanzgericht keine eigenen Feststellungen zu diesen Mindestanforderungen treffen sowie insbesondere dazu, ob die Kläger Gelegenheit hatten, gegen den Durchsuchungsbeschluss vorzugehen. Wie der BFH zutreffend entschieden hat, kann ohne diese Feststellungen regelmäßig nicht von einer Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte ausgegangen werden, welche im finanzgerichtlichen Verfahren einer erneuten Überprüfung grundsätzlich entzogen sind. Im Ergebnis lagen damit auch die Voraussetzungen für eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 3 OWiG nicht vor mit der Folge, dass eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO ausschied.
Alternativ kommt in Steuerfahndungsfällen eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO in Betracht, wenn u.a. die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beginnen. Die Festsetzungsfrist läuft insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass Ermittlungshandlungen noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden. Zudem muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten gegen ihn ermittelt wird (vgl. dazu auch die Entscheidung des FG Düsseldorf, Urt. v. 24.05.2024 - 3 K 2297/20 E).
Verfahrensrechtlich hinzuweisen ist ferner darauf, dass der Vorbehalt der Nachprüfung im Fall des § 171 Abs. 5 AO – anders als bei der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO – nicht nach vier Jahren entfällt und fortdauert (vgl. § 164 Abs. 4 Satz 2 AO).
Mangels Feststellungen zu § 171 Abs. 5 AO durch das Instanzgericht, hat der BFH dies Sache (erneut) an das FG Münster zurückverwiesen. Es bleibt abzuwarten, wie das FG Münster diesen rechtlichen Gesichtspunkt im dritten Rechtsgang beurteilen wird.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BFH ist besonderes für die Beratungspraxis im Zusammenhang mit Steuerfahndungsprüfungen und Steuerstrafverfahren von Bedeutung, da sie das Zusammenspiel zwischen Straf- und Bußgeldverfahren sowie Besteuerungsverfahren im Rahmen der Prüfung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO beleuchtet.
Nach dem BFH hat das Finanzgericht im Besteuerungsverfahren für die Frage, ob eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO vorliegt, zu prüfen, ob die in Rede stehende Durchsuchungsanordnung die rechtlichen Mindestanforderungen erfüllt. Die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses kann jedenfalls dann nicht unterstellt werden, wenn unklar ist, ob für den Steuerpflichtigen überhaupt Gelegenheit zur Anfechtung des Durchsuchungsbeschlusses bestanden hat.



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