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Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 16.05.2024 - VI R 31/21
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:02.09.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 12 ATGV, § 8 AO 1977, § 1 EStG, § 19 EStG, § 3 EStG, § 9a BBesG, § 3c EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 35/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 35/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Inländische Steuerpflicht von EU-Geldern im Rahmen von Frontex-Einsätzen



Leitsatz

Gelder der Europäischen Union, die an einen Polizeibeamten mit Wohnsitz im Inland für dessen Tätigkeit im Rahmen von Frontex-Einsätzen in Griechenland gezahlt werden, unterliegen der inländischen Steuerpflicht.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob Gelder der Europäischen Union (Tagegelder, Fahrt- sowie Unterkunftskosten), die an einen Polizeibeamten mit inländischem Wohnsitz für dessen Tätigkeit im Rahmen von Frontex-Einsätzen in Griechenland gezahlt werden, im Inland steuerpflichtig sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger, ein Beamter der Landespolizei A, hatte in den Streitjahren (2015 bis 2017) seinen Wohnsitz im Inland. Er war in diesem Zeitraum jährlich für vier bis sechs Wochen an das Bundespolizeipräsidium (BPOLP) abgeordnet. Das BPOLP wies den Kläger seinerseits der griechischen Küstenwache zu, um diese bei Frontex-Einsätzen als „Finger-print Expert zgl. Escort Officer“ auf der Insel C zu unterstützen. Das Bundesland A zahlte die laufenden Dienstbezüge des Klägers während der Auslandseinsätze weiter. Außerdem hatte der Kläger Anspruch auf Auslandstrennungsgeld nach § 12 Abs. 7 der Auslandstrennungsgeldverordnung. Daneben erhielt er für seine Auslandseinsätze durch Frontex Gelder von der EU. Diese wurden dem BPOLP, zur Weiterleitung an den Kläger zur Verfügung gestellt und von diesem an den Kläger ausgezahlt.
Das BPOLP meldete dem FA im Wege der Verwaltungshilfe die weitergeleiteten EU-Gelder und rechnete diese auf die Reisekostenvergütungen des Klägers nach nationalem Recht an.
Bei den Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre behandelte das FA die EU-Gelder insoweit als steuerpflichtig, als sie die vom BPOLP angesetzten Reisekosten nach nationalem Recht überstiegen. Die Einsprüche des Klägers, die darauf zielten, die EU-Gelder in voller Höhe als steuerfreie Einnahmen zu behandeln, waren nur insoweit erfolgreich als das FA auf die EU-Gelder fiktive steuerfreie Reisekostenerstattungen nach § 3 Nr. 13 EStG und steuerfreie Auslandsdienstbezüge gemäß § 3 Nr. 64 EStG steuermindernd anrechnete. Soweit keine Reisekostenerstattungen durch das BPOLP errechnet worden waren, aber ein Werbungskostenabzug der vom Kläger getragenen Aufwendungen für die Auslandseinsätze möglich war, berücksichtigte das FA dies ebenfalls steuermindernd. Die gleichwohl erhobene Klage wies das FG ab (FG Gotha, Urt. v. 14.10.2020 - 3 K 483/19 - EFG 2021, 436).


C.
Kontext der Entscheidung
Der Kläger, der seinen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung) im Inland hat, ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Bei den von ihm in den Streitjahren bezogenen EU-Geldern im Zusammenhang mit seinen Einsätzen in Griechenland auf der Insel C handelt es sich um Arbeitslohn (Drittlohn) gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Die EU-Gelder sind mangels Zahlung aus (inländischen) „öffentlichen Kassen“ nicht gemäß § 3 Nr. 64 Satz 1 EStG oder § 3 Nr. 13 EStG steuerfrei. Die Steuerfreiheit der EU-Gelder nach § 3 Nr. 64 Satz 2 EStG scheidet ebenfalls aus. Denn der Kläger stand nach dem insoweit maßgeblichen nationalen Recht, das grundsätzlich von einem zivilrechtlichen Arbeitgeberbegriff ausgeht (vgl. BFH, Urt. v. 04.11.2021 - VI R 22/19 - BStBl II 2022, 562 m.w.N.; Geserich, jurisPR-SteuerR 18/2022 Anm. 1), nicht in einem Dienstverhältnis zu Frontex, sondern zum Bundesland A. Außerdem hat § 3 Nr. 64 Satz 2 EStG zur weiteren Voraussetzung, dass der Arbeitslohn nach den Grundsätzen des Bundesbesoldungsgesetzes ermittelt wird, was bei den hier streitigen EU-Geldern ebenfalls nicht der Fall ist. Die dem Kläger in den Streitjahren ausgezahlten EU-Gelder sind auch nicht aufgrund EU-Recht steuerbefreit. Danach sind lediglich Beamte und sonstige Bedienstete der EU sowie in Leitungsfunktionen abgeordnete Bedienstete von innerstaatlichen Steuern auf die von der EU gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit. Unter diesen Personenkreis fällt der Kläger als (nach Griechenland für Frontex-Einsätze abgeordneter „Fingerprint Expert zgl. Escort Officer“ ohne leitende Funktion) Beamter des Bundeslands A nicht. Die EU-Gelder sind des Weiteren nicht nach Art. XVII Abs. 2 Nr. 1 DBA-Griechenland i.V.m. Art. XI DBA-Griechenland steuerfrei. Vielmehr steht danach im Streitfall Deutschland als Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht zu. Zum einen war der Kläger in den Streitjahren nur vorrübergehend, d.h. nicht länger als jeweils 183 Tage in Griechenland tätig. Zum anderen ist Frontex, als der Arbeitgeber des Klägers im abkommensrechtlichen Sinne nicht in Griechenland, sondern in Polen ansässig. Außerdem verfügt Frontex in Griechenland nicht über eine Betriebsstätte oder eine feste Einrichtung, von deren Gewinn die Vergütungen des Klägers abgezogen wurden. Denn Frontex ist in Griechenland weder einer unternehmerischen noch einer selbstständigen Tätigkeit nachgegangen. Eine dahin gehende Tätigkeit des die Vergütung zahlenden Arbeitgebers ist Voraussetzung dafür, dass (seine) Einrichtungen als Betriebsstätten oder als feste Einrichtungen im abkommensrechtlichen Sinne angesehen werden können.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Gleichwohl sind EU-Tagegelder nicht in vollem Umfang zu versteuern. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass steuerfreie Auslandsdienstbezüge und EU-Tagegeld aufgrund der besoldungsrechtlich vorgeschriebenen Anrechnung grundsätzlich nicht in voller Höhe nebeneinander gezahlt werden (§ 9a Abs. 2 BBesG). Nach Auffassung der Finanzbehörden (BMF v. 12.04.2006 - IV B 3-S 1311-75/06 - BStBl I 2006, 340 unter 5) ist deshalb nur der Teil des EU-Tagegeldes steuerbar, der die steuerfreien Auslandsdienstbezüge, die dem Steuerpflichtigen gezahlt würden, wenn er kein EU-Tagegeld erhalten hätte, übersteigt. Bei der Berechnung dieses Teils ist die Höhe der steuerfreien Auslandsdienstbezüge, die dem Steuerpflichtigen ohne Zahlung von EU-Tagegeld zustehen würden, zu ermitteln und von dem insgesamt gezahlten EU-Tagegeld abzuziehen, auch wenn der Steuerpflichtige tatsächlich keine steuerfreien Auslandsdienstbezüge erhält (fiktive Anrechnung). Zudem können im Zusammenhang mit der Auslandstätigkeit Werbungskosten zu berücksichtigen sein. Insoweit gelten die allgemeinen Regeln. Insbesondere ist § 3c Abs. 1 EStG zu beachten. Dementsprechend sind FA und FG im Besprechungsfall verfahren. Dagegen hat der Kläger im Revisionsverfahren keine Einwendungen erhoben. Rechtsfehler zu seinem Nachteil konnte der BFH insoweit auch nicht erkennen.



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