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Anmerkung zu:BFH 11. Senat, Beschluss vom 16.07.2024 - XI B 37/23
Autor:Dieter Steinhauff, RiBFH a.D.
Erscheinungsdatum:28.10.2024
Quelle:juris Logo
Normen:Art 20 GG, § 233a AO 1977, § 238 AO 1977, Art 3 GG, § 240 AO 1977, § 116 FGO, § 115 FGO, § 11 FGO
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 43/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Steinhauff, jurisPR-SteuerR 43/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Klärungsbedürftigkeit hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen



Leitsätze

1. Die Frage, ob sich die Grundsätze zur Vereinbarkeit der nach der AO festzusetzenden Zinsen mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfG, Beschl. v. 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 - BVerfGE 158, 282) auch auf Säumniszuschläge übertragen lassen, hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
2. In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Säumniszuschlags keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen
3. Durch die - im Hauptsacheverfahren ergangenen - Entscheidungen sind die verschiedentlich geäußerten Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge überholt.



A.
Problemstellung
Der XI. Senat des BFH schließt sich der in mehreren Hauptsacheentscheidungen anerkannten Verfassungsmäßigkeit der Höhe der gesetzlichen Säumniszuschläge nach § 240 AO an.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das FG Münster (Urt. v. 23.05.2023 - 6 K 2067/20 AO - n.v.) hat die Klage wegen der gesetzlichen Höhe der Säumniszuschläge abgewiesen. Gegen das Urteil legte der Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wegen mehrerer behaupteter Zulassungsgründe ein. Der BFH wies die Beschwerde zurück. Die Beschwerde sei unzulässig.
Der Kläger habe den geltend gemachten Revisionszulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
Der Beschwerdeführer habe die zwei folgenden Rechtsfragen aufgeworfen:
„1. Dürfen in der strukturellen Niedrigzinsphase Zinsen von 6% p.a. (aus unionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht) erhoben werden und spielt es dabei aus unionsrechtlicher Sicht eine Rolle, ob das Bundesverfassungsgesetz die Weitergeltung einer Norm anordnet?
2. Darf für die sachliche Frage, dass zu hohe Zinsen erhoben werden, der Rechtsweg für den Bürger dahin gehend 'gespalten' werden, dass Fragen nationalen Rechts, insbesondere solche nach der Verfassungswidrigkeit, im Wege der Anfechtung des Abrechnungsbescheids geklärt werden müssen, aber die europarechtliche Fragestellung, ob die Erhebung von Zinsen verhältnismäßig ist, im Rahmen der Anfechtung einer Erlassentscheidung durchzuführen ist?“
Diese Rechtsfragen wären in einem künftigen Revisionsverfahren voraussichtlich schon nicht klärungsfähig. So bezögen sich beide Rechtsfragen ausweislich ihres Wortlauts auf Zinsen, nicht auf die im Streit stehenden Säumniszuschläge. Der Ausgang eines möglichen Revisionsverfahrens hänge auch nicht davon ab, ob – wie mit der zweiten Frage aufgeworfen – der Rechtsweg „gespalten“ werden dürfe. Vielmehr käme es in einem Revisionsverfahren insoweit auf die inhaltlichen Fragen der Recht- und Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen an, die nach gefestigter, höchstrichterlicher Rechtsprechung nur im Rahmen eines Abrechnungsbescheids überprüft werden könnten (vgl. etwa BFH, Beschl. v. 09.10.2020 - VIII B 162/19 Rn. 6 - BFH/NV 2021, 289; BFH, Urt. v. 23.08.2023 - X R 30/21 Rn. 20 - BStBl II 2024, 215).
Dem Beschwerdevorbringen fehle es aber auch an einer hinreichenden Darlegung rechtlicher Zweifel, insbesondere an einer Auseinandersetzung mit der einschlägigen BFH-Rechtsprechung und Literatur.
Im Kern möchte der Kläger mit der von ihm aufgeworfenen ersten Rechtsfrage klären lassen, ob das Erheben von Säumniszuschlägen verfassungsrechtlich deshalb (teilweise) unzulässig ist, weil die vom BVerfG in seinem Beschluss v. 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 - BVerfGE 158, 282) herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach den §§ 233a, 238 AO i.H.v. 0,5% pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei, auf Säumniszuschläge zu übertragen seien. Die Beschwerdebegründung lasse substanziierte Angaben dazu vermissen, inwieweit diese Frage – vor allem mit Blick auf das allein im Streit stehende Jahr 2018 – klärungsbedürftig sei. Der Kläger führe zwar aus, die „vorgelagerte Rechtsfrage, ob Säumniszuschläge einen Zinsanteil enthielten, sei steuerrechtlich noch nicht abschließend und einheitlich geklärt“ , erwähne als Beleg hierfür indes lediglich den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 04.05.2022 (2 BvL 1/22 - BFH/NV 2022, 895) sowie die Entscheidung des BFH vom 23.08.2022 (VII R 21/21 - BStBl II 2023, 304), ohne weiter darzulegen, dass diese Entscheidungen – unter Verweis auf andere BFH-Entscheidungen und Veröffentlichungen in der Literatur – Anlass zu rechtlichen Zweifeln gäben. Substanziierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes und der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der von ihm thematisierten verfassungsrechtlichen Problematik enthalte die Beschwerdebegründung ebenso wenig. Gleiches gelte für die Auseinandersetzung mit Literaturmeinungen.
Hinsichtlich der zweiten Rechtsfrage zur „Aufspaltung des Rechtswegs“ sei die Klärungsbedürftigkeit ebenfalls nicht dargelegt. Insoweit fehle es an jedweden Ausführungen zu (verfassungs-)rechtlichen Zweifeln.
Den darüber hinaus geltend gemachten Revisionszulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Gestalt einer Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) habe der Kläger ebenfalls nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
Zwar beziehe sich der Kläger auf verschiedene Entscheidungen insbesondere des BFH, die zueinander und zur angegriffenen Entscheidung (teilweise) in Divergenz stünden. Er formuliere aber jedenfalls keine tragenden und abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den von ihm angeführten, vermeintlichen Divergenzentscheidungen andererseits. Außerdem lege er nicht hinreichend dar, dass dem Streitfall ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liege wie den angeblichen Divergenzentscheidungen. Hierfür wäre es nämlich erforderlich zumindest aufzuzeigen, inwieweit die in Bezug genommenen Entscheidungen ebenfalls Säumniszuschläge für das Jahr 2018 beträfen, die im angefochtenen Urteil allein im Streit stünden.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Der Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist ein Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (vgl. z.B. BFH, Beschl. v. 12.05.2020 - XI B 59/19 Rn. 7 - BFH/NV 2020, 909). Beide Zulassungsgründe verlangen substanziierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten – abstrakt beantwortbaren – Rechtsfrage.
Im Einzelnen muss dargelegt werden, dass die Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall voraussichtlich klärungsfähig (entscheidungserheblich) und ihre Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit der einschlägigen Rechtsprechung, insbesondere des BFH sowie den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen. Im Einzelnen sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (vgl. u.a. BFH, Beschl. v. 12.06.2019 - XI B 71/18 Rn. 6 - BFH/NV 2019, 1329; BFH, Beschl. v. 03.05.2023 - IX B 10/22 Rn. 3 - BFH/NV 2023, 818).
II. Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf eine im Streitfall einschlägige Norm geltend, erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung darüber hinaus eine substanziierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes und der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik (vgl. z.B. BFH, Beschl. v. 18.04.2017 - V B 147/16 Rn. 8 - BFH/NV 2017, 1052; BFH, Beschl. v. 13.11.2019 - VIII B 42/19 Rn. 5; jeweils m.w.N. - BFH/NV 2020, 234).
Ergänzend hat der XI. Senat des BFH darauf hingewiesen, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen in der Rechtsprechung des BFH – jedenfalls für das hier allein streitige Jahr 2018 – geklärt ist. Eine Klärungsbedürftigkeit besteht deshalb auch in der Sache nicht. So hat der VII. Senat des BFH mit dem vom Kläger erwähnten Urteil vom 23.08.2022 (VII R 21/21 Rn. 38 ff.- BStBl II 2023, 304) und nachfolgend durch Urt. v. 15.11.2022 (VII R 55/20 - BStBl II 2023, 621 Rn. 19 ff.; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 22/2023 Anm. 1) umfassend begründet, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Säumniszuschlags keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
III. Die vom III., V. und VIII. Senat des BFH im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung (AdV) geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge (vgl. BFH, Beschl. v. 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV) Rn. 29 ff. - BFHE 276, 535; BFH, Beschl. v. 11.11.2022 - VIII B 64/22 (AdV) Rn. 20 ff. - BFHE 278, 36; BFH, Beschl. v. 28.12.2022 - III B 48/22 (AdV) Rn. 13 ff. - BFH/NV 2023, 970) sind nach Auffassung des beschließenden Senats durch die im Hauptsacheverfahren ergangenen Entscheidungen des VII. Senats überholt. Darüber hinaus hat nunmehr der X. Senat im Hauptsacheverfahren erkannt, dass gegen die Höhe der Säumniszuschläge ausdrücklich auch für Zeiträume nach dem 31.12.2018 keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BFH, Urt. v. 23.08.2023 - X R 30/21 Rn. 51 f. - BStBl II 2024, 215). Dies entspricht im Übrigen auch der Auffassung des beschließenden Senats (vgl. BFH, Beschl. v. 13.09.2023 - XI B 52/22 (AdV) Rn. 18 - BFH/NV 2024, 273; BFH, Beschl. v. 13.09.2022 - XI B 38/22 (AdV) Rn. 17 - BStBl II 2024, 214 für die Jahre 2016 und 2017). Die vom VIII. Senat im AdV-Verfahren weiterhin geäußerten Zweifel (vgl. BFH, Beschl. v. 22.09.2023 - VIII B 64/22 (AdV) Rn. 20 ff. - DStRK 2023, 335; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 4/2023 Anm. 2) sind nach Ansicht des Senats durch die Hauptsacheentscheidung des X. Senats überholt. Unabhängig davon bezogen sich die Zweifel des VIII. Senats auf Säumniszuschläge für die Zeit ab dem 01.01.2019, die vorliegend gerade nicht im Streit stehen.
IV. Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert unter anderem, dass das Finanzgericht (FG) seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. BFH, Beschl. v. 31.08.2023 - XI B 89/22 Rn. 16 - BFH/NV 2023, 1322; BFH, Beschl. v. 25.10.2023 - XI B 25/23 Rn. 3 - BFH/NV 2024, 30).
Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angebliche Divergenzentscheidung genau zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt (vgl. BFH, Beschl. v. 25.01.2022 - XI B 60/20 Rn. 4 - BFH/NV 2022, 827; BFH, Beschl. v. 31.01.2024 - IX B 120/22 Rn. 5 - BFH/NV 2024, 409).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Verfahrensrechtlich macht die Besprechungsentscheidung deutlich, dass die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde die genaue Kenntnis und Beachtung der strikten Anforderungen an die Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Darlegung der Voraussetzungen für die einzelnen Zulassungsgründe in § 115 Abs. 2 Nr. 1-3 FGO, voraussetzt.
Nahezu zeitgleich mit der Besprechungsentscheidung hat der X. Senat des BFH, (Beschl. v. 17.07.2024 - X B 79/23 - BFH/NV 2024, 1144; Anm. Thum, jurisPR-SteuerR 37/2024 Anm. 2) unter Bezugnahme auf seine im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung BFH, Urt. v. 23.08.2023 - X R 30/21 Rn. 48 ff. - BStBl II 2024, 215 in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren daran festgehalten, dass die Höhe der Säumniszuschläge für die Zeit nach dem 31.12.2018 verfassungskonform sei.
Darüber hinaus bestätigt er erneut, dass lediglich in einem summarischen Verfahren von einem anderen BFH-Senat geäußerte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge keine Vorlagepflicht an den Großen Senat des BFH nach § 11 Abs. 2 FGO begründet.
Das beim VIII. Senat des BFH unter Az. VIII R 2/23 anhängige Verfahren bezüglich Säumniszuschläge betrifft, soweit ersichtlich, den Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit und nicht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zinsanteils der Säumniszuschläge und wird danach ebenfalls keine Vorlagepflicht wegen Divergenz (vgl. § 11 Abs. 2 FGO) begründen.



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