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Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 01.08.2024 - VI R 52/20
Autor:Dr. Stephan Geserich, RIBFH
Erscheinungsdatum:09.12.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 9 KSchG, § 10 KSchG, § 1 EStG, § 49 EStG, § 24 EStG, § 19 EStG, § 2 AO 1977, § 50d EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 49/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 49/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Besteuerung von Abfindungen nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 - Grenzgängerregelung



Leitsatz

Dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland betreffend eine Entschädigung für die Auflösung eines Dienstverhältnisses nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 steht - jedenfalls, soweit die Abfindung auf die Zeit entfällt, in der der (damals unbeschränkt steuerpflichtige) Arbeitnehmer im Inland gewohnt und gearbeitet hat - die sogenannte Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 nicht entgegen.



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob Deutschland das Besteuerungsrecht betreffend eine Entschädigung für die Auflösung eines Dienstverhältnisses nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 zusteht.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger hatte bis zum Oktober 2005 seinen Wohnsitz im Inland. Seither ist sein ausschließlicher Wohnsitz in Frankreich (nahe der Grenze zu Deutschland) belegen. Von Februar 1995 bis Juni 2015 (245 Monate) stand er in einem Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen des A Konzerns in Deutschland. Für den Zeitraum Februar 1995 bis Oktober 2005 (129 Monate) führte der Arbeitgeber aufgrund des inländischen Wohnsitzes des Klägers die einbehaltene Lohnsteuer und sonstigen Lohnsteuerabzugsbeträge an das zuständige Finanzamt ab. Von November 2005 bis einschließlich Juni 2015 (116 Monate) wurde der Kläger aufgrund entsprechender Freistellungsbescheinigungen des FA als sogenannter Grenzgänger gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 von der deutschen Lohnsteuer freigestellt. Zum 30.09.2015 kündigte der Arbeitgeber das bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers. Im anschließenden Kündigungsschutzprozess schlossen Arbeitgeber und Kläger einen Vergleich. Danach endete das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2015 und war bis dahin ordnungsgemäß abzurechnen. Zudem hatte der Arbeitgeber an den Kläger eine Abfindung i.H.v. 180.000 Euro brutto in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG zu zahlen. Mit „Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug 2015 bei beschränkter Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 4 i.V.m. § 39 Abs. 2 und 3 EStG“ bescheinigte das FA dem Arbeitgeber, dass von einem steuerpflichtigen Arbeitslohn i.H.v. 94.775,51 Euro (= 129/245 von 180.000 Euro) Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag unter Anwendung der Steuerklasse I einzubehalten seien. Auf dieser Bescheinigung vermerkte das FA: „Steuerfrei sind 116/245 von 180.000 Euro = 85.224,49 Euro.“ Dementsprechend behielt der Arbeitgeber des Klägers von dem Abfindungsbetrag Lohnsteuer sowie Solidaritätszuschlag ein und führte diese Beträge im Streitjahr (2015) an das FA ab. Daraufhin beantragte der Kläger beim FA die Freistellung von diesen Abzugsbeträgen. Sein Arbeitgeber habe die Lohnsteuer und sonstigen Lohnsteuerabzugsbeträge zu Unrecht einbehalten und an das FA abgeführt. Denn als Grenzgänger sei er mit seinen inländischen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit in Frankreich und nicht in Deutschland steuerpflichtig. Das FA lehnte den Antrag ab. Der Abfindungsbetrag sei entsprechend der Dauer des Innehabens des inländischen Wohnsitzes im Verhältnis zur Dauer des Dienstverhältnisses aufzuteilen und insoweit (129/245) im Inland steuerbar. Der anteilige Lohnsteuer-Einbehalt sei daher zu Recht erfolgt. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab (FG Stuttgart, Urt. v. 11.02.2020 - 6 K 1055/18 - EFG 2020, 1469). Die Revision des Klägers hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine weitere steuerliche Freistellung der Abfindung, als vom FA bislang gewährt, habe. Denn dem (nur insoweit ausgeübten) Besteuerungsrecht Deutschlands betreffend die streitige Abfindung nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 steht – jedenfalls, soweit die Abfindung auf die Zeit entfällt, in der der (damals unbeschränkt steuerpflichtige) Arbeitnehmer im Inland gewohnt und gearbeitet hat – die sogenannte Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 nicht entgegen.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Kläger unterliegt mit seinen inländischen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 4 EStG, da er seit dem 01.11.2005 in Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG sind inländische Einkünfte auch solche Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, die als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben. Von § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG werden daher auch Entschädigungen erfasst, die – wie vorliegend – (wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes) gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. Damit steht Deutschland nach innerstaatlichem Recht das Besteuerungsrecht für die streitgegenständliche Abfindung jedenfalls insoweit zu, als die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben und damit soweit die Abfindungszahlung anteilig auf den Zeitraum der Beschäftigung des Klägers beim A Konzern entfällt, in dem er (ausschließlich) einen Wohnsitz im Inland innehatte und insoweit auch dort (weil unbeschränkt steuerpflichtig) besteuert wurde.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht für die streitgegenständliche Abfindung ist – jedenfalls in dem Umfang, in dem es vom FA ausgeübt wurde – nicht nach Maßgabe des DBA-Frankreich 1959/2001 ausgeschlossen.
I. Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 können Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit vorbehaltlich etwaiger (hier nicht einschlägiger) Sonderregelungen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird (Satz 1). Als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit gelten nach Satz 2 der Regelung insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Art. 14 DBA-Frankreich 1959/2001 bezeichneten Personen (das sind bestimmte öffentliche Kassen) gezahlt oder gewährt werden. Eine Entschädigungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes wird folglich vom objektiven Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBA-Frankreich 1959/2001 erfasst (BFH, Urt. v. 24.07.2013 - I R 8/13 - BStBl II 2014, 929).
II. Zwar sind Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nach den auf Art. 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 OECD MustAbk basierenden DBA nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern. Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem innerstaatlichen Recht Arbeitslohn (§ 19 EStG) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i.S.d. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD MustAbk. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern für den Verlust des Arbeitsplatzes (BFH, Urt. v. 02.09.2009 - I R 111/08 - BStBl II 2010, 387 und BFH, Urt. v. 24.07.2013 - I R 8/13 - BStBl II 2014, 929; s.a.: BMF v. 14.09.2006, BStBl I 2006, 532, dort Tz 6.3). Hieran hält auch der erkennende – seit dem 01.01.2024 insoweit sachlich zuständige – Senat uneingeschränkt fest.
III. Etwas anderes gilt nach ständiger Rechtsprechung des I. Senats des BFH, der sich der erkennende Senat ebenfalls anschließt, wegen des von Art. 15 Abs. 1 OECD MustAbk abweichenden Wortlauts nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001. Danach steht das Besteuerungsrecht für Abfindungen grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat und damit im Streitfall Deutschland zu. Indem diese Regelung zur Abgrenzung ihres sachlichen Gegenstands ausdrücklich auf die zahlende Person abstellt (Satz 2) und für die Zuordnung auf den Ort der persönlichen Tätigkeit verweist, „aus der die Einkünfte herrühren“, lässt sie einen – wie vorliegend – lediglich kausalen Zusammenhang („Anlasszusammenhang“) zwischen einem Arbeitsverhältnis und der Zahlung durch einen Arbeitgeber ausreichen (BFH, Urt. v. 24.07.2013 - I R 8/13 - BStBl II 2014, 929).
IV. Demnach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zustehenden Besteuerungsrecht betreffend die Abfindung steht – jedenfalls soweit der Abfindungsbetrag auf die Zeit entfällt, in der der Kläger seinen Wohnsitz sowie Arbeitsort im Inland hatte und auch dort besteuert wurde – die sogenannte Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 nicht entgegen.
1. Zwar können danach Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaats (hier: Deutschland) arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaats haben („Grenzgänger“) – abweichend vom Grundsatz des Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 und von Art. 15 Abs. 1 OECD MustAbk – nur in diesem anderen Staat (hier: Frankreich) besteuert werden.
2. Allerdings kommt eine Besteuerung der Abfindung in Frankreich, soweit diese (rechnerisch) auf die 129 Monate entfällt, in denen der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hatte und auch dort seine Tätigkeit ausübte, vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger in diesem Zeitraum nicht unter das DBA-Frankreich 1959/2001 fiel. Er unterlag mit seinen in diesem Zeitraum erzielten Einkünften ausschließlich der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland.
3. Soweit der Abfindungsbetrag (rechnerisch) auf die Zeit entfällt, in der der Kläger seine Tätigkeit als Grenzgänger i.S.d. Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 ausgeübt hat, hat das FA von einer Besteuerung abgesehen. Damit kann der Senat offenlassen, ob Abfindungszahlungen – entgegen der Rechtsauffassung des FG – jedenfalls in diesem Umfang von der Grenzgängerregelung in Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 erfasst werden oder ob durch diese Regelung lediglich das Besteuerungsrecht für Vergütungen des Grenzgängers für eine tatsächlich im anderen Vertragsstaat (hier: Deutschland) ausgeübte Tätigkeit dem Ansässigkeitsstaat (hier: Frankreich) zugewiesen wird (s. a. BMF vom 12.12.2023, BStBl I 2023, 2179 Rn. 268).
V. Die „Abfindungsrechtsprechung (Besteuerung im Ansässigkeitsstaat nicht im Tätigkeitsstaat)“ des I. Senats des BFH, nach der es sich bei Abfindungen nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i.S.d. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD MustAbk, sondern um eine Zahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes handelt (BFH, Urt. v. 02.09.2009 - I R 111/08 - BStBl II 2010, 387; BFH, Urt. v. 10.06.2015 - I R 79/13 - BStBl II 2016, 326, Märtens, jurisPR-SteuerR 45/2015 Anm. 1, und BFH, Urt. v. 11.04.2018 - I R 5/16 - BStBl II 2018, 761, Märtens, jurisPR-SteuerR 45/2018 Anm. 2) hat der Gesetzgeber mit der Einführung von § 50d Abs. 12 EStG zum VZ 2017 überschrieben (Gosch in: Kirchhof/Seer, EStG, 23. Aufl. § 50d Rn. 52). Nunmehr gelten Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden (Entlassungsentschädigungen), nach § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als für frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Dies gilt nicht, soweit das Abkommen in einer gesonderten, ausdrücklich solche Abfindungen betreffenden Vorschrift eine abweichende Regelung trifft (§ 50d Abs. 12 Satz 2 EStG). § 52 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG sowie Rechtsverordnungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 AO bleiben nach § 50d Abs. 12 Satz 3 EStG unberührt. Ab dem VZ 2017 sind daher Abfindungen insoweit im ehemaligen Tätigkeitsstaat des Arbeitnehmers zu besteuern, als diesem für die frühere Tätigkeit nach Art. 15 Abs. 1 OECD-MA ein Besteuerungsrecht zusteht (§ 50d Abs. 12 Satz 1 EStG). Hierzu finden sich im BMF-Schreiben vom 12.12.2023 zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen umfangreiche Ausführungen (BStBl I 2023, 2179 Tz. 254 ff.).



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