I. Einleitung
In der Praxis sehen sich Genehmigungsbehörden zunehmend mit Anträgen auf Erteilung von Vorbescheiden für Windenergieanlagen (im Folgenden „WEA“) nach § 9 Abs. 1a BImSchG konfrontiert. Dies betrifft insbesondere Projekte außerhalb ausgewiesener oder geplanter Windenergiegebiete, was zu Konflikten mit Anwohnern, Kommunen und der Landespolitik führen kann.
Als Reaktion darauf hat der Bundestag am 31.01.2025 das Gesetz für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergieausbau (auch als „Lex Sauerland“ bezeichnet) verabschiedet. Das Gesetz ist am 28.02.2025, am Tag nach der Verkündung, in Kraft getreten. Die Gesetzesänderung zielt darauf ab, den Bau von WEA außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete einzuschränken, indem für diese das berechtigte Interesse für den Erhalt eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids entfällt. Zeitgleich dazu ist auch der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber aktiv geworden und hat in § 36a Landesplanungsgesetz NRW (LPlG NRW) ein Moratorium für die Windenergie in Nordrhein-Westfalen verabschiedet. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über den Hintergrund, das Gesetzgebungsverfahren sowie die Auswirkungen der neuen Regelungen auf die Steuerung und Akzeptanz des Windenergieausbaus.
II. Anlass und Zielsetzung des Gesetzes für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergieausbau
Auslöser für die Debatte rund um das „Lex Sauerland“ – als solches bezeichnet, weil im Fokus der Diskussionen die Situation im Hochsauerlandkreis stand – war die zweite Änderung des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalens. Ziel dieser Änderung war es, durch die Anpassung der Regionalpläne 1,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie auszuweisen. Bis zum Inkrafttreten sollte eine Übergangsregelung im Landesentwicklungsplan für Planungssicherheit sorgen, die den Bezirksregierungen die Möglichkeit gab, die Fortführung von Genehmigungsverfahren zeitweise zu untersagen. Dadurch wurde der Zubau von WEA außerhalb der vorgesehenen Windenergiegebiete faktisch verhindert.
Nachdem das OVG Münster (Urt. v. 16.02.2024 - 22 D 150/22.AK) den entsprechenden Plansatz unter anderem wegen eines Widerspruchs zum zwischenzeitlich in § 245e Abs. 1 BauGB geregelten Paradigmenwechsel für rechtswidrig befunden hatte, unternahm der Landtag einen neuerlichen Versuch, eine rechtssichere Übergangsregelung zu schaffen. Dazu wurde § 36 LPlG NRW um einen dritten Absatz ergänzt. Dieser erlaubt es den Genehmigungsbehörden, laufende Genehmigungsverfahren für Bauanträge für Windenergieanlagen bis zum Inkrafttreten der Regionalpläne auszusetzen, wenn das konkrete Vorhaben die Durchführung der Regionalplanung unmöglich machen oder wesentlich erschweren würde.
Doch auch hierin sah das OVG Münster (Beschl. v. 26.09.2024 - 22 B 727/24.AK) keine zufriedenstellende Ausformung der vom Landtag erstrebten Übergangsregelung. Das Gericht erkannte in der Regelung des § 36 Abs. 3 LPlG NRW einen Verstoß gegen Bundesrecht. Diese laufe den Bestimmungen zum Verwaltungsverfahren im BImSchG zuwider, insbesondere solchen zum zeitlichen Ablauf des Verwaltungsverfahrens, wie beispielsweise § 10 Abs. 6a BImSchG. Derweil statuiere § 73 BImSchG, dass von den im BImSchG getroffenen Regelungen zum Verwaltungsverfahren sowie denjenigen, die aufgrund des BImSchG getroffen wurden, gerade nicht durch Landesrecht abgewichen werden dürfe. Eine Vorlage an das BVerfG blieb allerdings mangels Entscheidungserheblichkeit aus.
In Reaktion darauf entwickelte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die CDU/CSU-Fraktion einen Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/14234). Ziel war es, durch eine bundesrechtliche Regelung sicherzustellen, dass immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ausgesetzt werden können, wenn sie einer geordneten Flächenplanung entgegenstehen. Dabei wurde die Notwendigkeit einer bundesrechtlichen Regelung auf die Annahme gestützt, dass eine breite Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort nur durch eine gezielte Steuerung mittels klar ausgewiesener Windenergiegebiete erreicht werden könne (BT-Drs. 20/14234, S. 1).
III. Gesetzgebungsverfahren
Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah Änderungen sowohl im Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) als auch im BauGB vor. Verabschiedet hat der Bundestag letztendlich aber ausschließlich eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes.
1. Ursprünglich vorgesehene Änderungen im WindBG
Änderungen waren nach der ursprünglichen Fassung des Änderungsgesetzes unter anderem hinsichtlich der Vorschriften des § 1 Abs. 2 WindBG und des § 4 Abs. 3 Satz 2 WindBG vorgesehen.
§ 1 Abs. 2 WindBG sollte um einen Satz ergänzt werden, der klarstellt, dass dem überragenden öffentlichen Interesse am Ausbau der Windenergie an Land nach § 2 EEG 2023 Rechnung getragen wird, sofern die Flächenziele nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 und 2 WindBG erreicht sind. Diese Ergänzung sollte verdeutlichen, dass § 2 EEG 2023 – solange und soweit das Erreichen der Flächenbeitragswerte festgestellt ist –, ohne Einfluss auf die grundsätzliche Systematik des § 35 BauGB inklusive der Abwägung nach § 35 Abs. 2 BauGB sowie auf die Abwägungen nach § 1 Abs. 7 BauGB und § 7 Abs. 2 ROG bleiben soll.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 4 Abs. 3 Satz 2 WindBG ließ die anteilige Anrechnung von Rotor-innerhalb-Flächen auf Flächenbeitragswerte nur noch für solche Pläne zu, die nach dem 01.02.2024 wirksam geworden sind, anstatt – wie bisher – unabhängig von einem Stichtag. Diese Änderung zielte auf eine schnellere Erreichung der Flächenbeitragswerte, so dass in der Folge auch die Entprivilegierung von Windenergieanlagen zügiger eintreten sollte. Im Ergebnis hätte dies zu einer Verkleinerung der für Windenergie zur Verfügung stehenden Flächen geführt.
2. Ursprünglich vorgesehene Änderungen im BauGB
Die Absicherung zukünftiger Planungen sollte neben Änderungen im WindBG auch durch Änderungen im BauGB umgesetzt werden, insbesondere durch Neufassung des § 245e Abs. 2 BauGB.
Danach sollte die Untersagung von Vorhaben längstens bis zum Ablauf des Stichtags für den Flächenbeitragswert möglich sein, wenn (1.) ein Verfahren zur Aufstellung eines Raumordnungs- oder Bauleitplans, mit dem der jeweilige Flächenbeitragswert i.S.d. § 3 Abs. 1 WindBG oder ein daraus abgeleitetes Teilflächenziel erreicht werden soll, förmlich eingeleitet wurde, und (2.) der Vorhabenstandort außerhalb eines ausgewiesenen oder in Planung befindlichen Windenergiegebiets liegt. Dabei sollten Zurückstellungen nach der bisherigen Fassung des § 245e Abs. 2 BauGB als Untersagungen nach der neuen Fassung bei Vorliegen der Voraussetzungen fortgelten. Landesrechtliche Vorschriften, die vor der Neufassung in Kraft getreten sind, sollten von dieser nicht berührt werden.
Die beabsichtigten Maßnahmen sollten dazu beitragen, die Regelungsintention des Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergie zu unterstreichen. Diese habe gerade nicht darin bestanden, dazu zu animieren, vordergründig Genehmigungen für Windenergieanlagen an Standorten außerhalb der sich in Planung befindlichen Windenergiegebiete zu beantragen, denn hierdurch würde Planungsprozessen bewusst entgegengewirkt. Außerdem sollte durch die bundesrechtliche Regelung die Gefahr der Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das BImSchG gebannt werden.
Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte nach der Neufassung des § 245e Abs. 2 BauGB die Möglichkeit einer Untersagung auch in Bezug auf Vorhaben bestehen, für die der Zulassungsantrag bereits vor Einleitung des Planverfahrens eingegangen war.
3. Die beschlossene Fassung – Änderung des BImSchG
Das Änderungsgesetz stieß jedoch in den Ausschussberatungen und der öffentlichen Anhörung nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Dementsprechend reichten die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU einen Änderungsantrag ein, wonach statt den Regelungen des WindBG und des BauGB das BImSchG geändert werden sollte: Nach dem neuen § 9 Abs. 1a Satz 2 BImSchG soll das berechtigte öffentliche Interesse für einen Antrag auf Vorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB nicht vorliegen, wenn der Vorhabenstandort außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete oder in Planung befindlicher Windenergiegebiete i.S.d. § 2 Nr. 1 WindBG liegt.
Die Zielrichtung der Änderung gleicht derjenigen der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfs. Bestätigt werden sollte die gesetzgeberische Intention, die Errichtung von WEA auf nach den planerischen Kriterien der Länder festgelegte Windenergiegebiete zu konzentrieren. Hierzu wurde die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten bei den Behörden mittels der Neufassung des § 9 Abs. 1a Satz 2 BImSchG als notwendig erachtet. Außerdem seien § 9 Abs. 1a BImSchG und das WindBG nicht darauf ausgerichtet, die Sicherung von Anlagenstandorten zu ermöglichen, die mit Erreichen der Flächenbeitragswerte tatsächlich nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung stünden. Ausgenommen von der Regelung sind Repowering-Vorhaben.
Der Bundestag hat die Änderung am 31.01.2025 mit dem Gesetz für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergie-Ausbau beschlossen. Mit Beschluss vom 14.02.2025 hat der Bundesrat darauf verzichtet, einen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses zu stellen.
IV. Auswirkungen des Gesetzes für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergieausbau auf die Praxis
Das Gesetz für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergieausbau hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis.
Vor allem entfällt mit dem neuen § 9 Abs. 1a Satz 2 BImSchG die Möglichkeit der Sicherung von Anlagenstandorten auf Flächen, die nicht innerhalb von in bereits aufgestellten oder in sich noch in Aufstellung befindlichen Plänen ausgewiesenen Vorranggebieten liegen, vollständig. Besonders für Vorhaben, für die bereits Genehmigungsanträge gestellt worden sind und entsprechende Investitionen getätigt wurden, birgt die Neuregelung das Risiko, dass diese Aufwendungen übergangslos ins Leere laufen.
Die erneute Anpassung des Rechtsrahmens innerhalb von nur sechs Monaten sorgt damit für fehlende Planungssicherheit aufseiten der Vorhabenträger. Ein Vergleich mit dem ursprünglichen Entwurf zeigt jedoch, dass weitreichendere Eingriffe in das bisher bestehende Regelungssystem verhindert wurden. So ist insbesondere hervorzuheben, dass die neue Regelung lediglich Vorbescheide und gerade nicht auch Vollgenehmigungsanträge betrifft. Der Möglichkeit der Standortsicherung ist damit zwar ein Riegel vorgeschoben worden. Ein Eingriff in die bundesweite Rechtssystematik der Ausbaubeschleunigung blieb jedoch letztlich aus, so dass die Gefahr einer weitreichenden Ausbauverzögerung aus praktischer Sicht zunächst verhindert werden konnte.
Ob das Gesetz tatsächlich in der Lage ist, zur Akzeptanzsteigerung beizutragen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilen.
Sollte weiterhin die Errichtung von WEA außerhalb von Windenergiegebieten angestrebt werden, kann auf die Regelung des § 245e Abs. 5 BauGB zurückgegriffen werden, der es Gemeinden ermöglicht, zusätzliche Windenergiegebiete auszuweisen. Ein frühzeitiger Dialog mit der Gemeinde ist klar zu befürworten und ist aus praktischer Sicht entscheidend, um die Akzeptanz des Vorhabens zu erhöhen.
V. Moratorium für die Windenergie in Nordrhein-Westfalen (§ 36a LPlG NRW)
Trotz der Bemühungen auf Bundesebene, den Konflikten zwischen Planungssicherheit und laufenden Genehmigungsverfahren zu begegnen, unternahm der nordrhein-westfälische Landtag zeitgleich mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Landesplanungsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 11.02.2025 einen dritten Anlauf zur Schaffung einer Regelung, die den Bau von Windenergieanlagen außerhalb von bereits ausgewiesenen Vorrangflächen sowie solchen, die sich in Planung befinden, verhindern soll. Diese Regelung ist am 15.02.2025 in Kraft getreten.
Nach dem neuen § 36a LPlG NRW gilt, dass über die Zulässigkeit von Vorhaben zur Windenergienutzung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB für sechs Monate ab Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des Landesplanungsgesetzes Nordrhein-Westfalen nicht entschieden werden darf, wenn sich ein Raumordnungsplan zur Erreichung der Flächenziele des WindBG in Aufstellung befindet und der jeweilige Vorhabenstandort außerhalb der in dem jeweiligen Entwurf des entsprechenden Raumordnungsplans vorgesehenen Windenergiegebiete liegt.
Im Unterschied zu der bundesgesetzlichen Regelung sind davon alle Vorhaben umfasst mit Ausnahme von Repowering-Vorhaben i.S.d. § 16b Abs. 1 und 2 BImSchG sowie Vorhaben, für die bis zum Datum zehn Monate vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vollständige Genehmigungsunterlagen bei der Genehmigungsbehörde vorlagen.
In § 36a Abs. 4 LPlG NRW ist vorgesehen, dass die Bezirksregierungen auf Antrag des Vorhabenträgers ein Vorhaben durch Erklärung gegenüber der zuständigen Genehmigungsbehörde von der Untersagung befreien können, wenn ausnahmsweise eine Störung der Durchführung der Planung ausgeschlossen ist.
Diese Befreiungsmöglichkeit wird durch den Erlass des Landeswirtschaftsministeriums vom 14.02.2025 weiter konkretisiert. Danach haben grundsätzlich die Vorhabenträger den Ausschluss einer solchen Störung nachzuweisen, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist. Für eine Befreiung kommen zum einen insbesondere Vorhaben in räumlicher Nähe zu einem Windenergiegebiet oder großen Industrieanlagen in Betracht, wobei für die räumliche Nähe zu einem Windenergiegebiet die Kriterien des § 2 Abs. 5 UVPG herangezogen werden sollen. Zum anderen sind Vorhaben innerhalb bestehender oder in Aufstellung befindlicher kommunaler Planungen (Positivplanungen oder Windkonzentrationszonen) im Regelfall befreiungsfähig.
Der Sechs-Monats-Zeitraum basiert auf der Annahme der Landesregierung, dass die Aufstellung neuer Regionalpläne in allen fünf Regierungsbezirken und im Ruhrgebiet in sechs Monaten abgeschlossen sein wird. Ob dies in diesem Zeitraum allerdings tatsächlich geschehen wird, ist fraglich.
Auch ansonsten findet die Regelung des § 36a LPlG NRW bei verschiedensten Beteiligten wenig Anklang. Die Bedenken vonseiten der Praxis sind spiegelbildlich zu denjenigen zu der Gesetzesänderung auf Bundesebene. So wird die Neuerung im LPlG NRW als Verletzung des Vertrauens in den Investitionsstandort Nordrhein-Westfalen betrachtet, da sie sich auch auf Projekte auswirkt, für die bereits vollständige Antragsunterlagen eingereicht und entsprechende Investitionen in beträchtlicher Höhe getätigt worden sind. Problematisch ist die Regelung auch, da nach dem reinen Wortlaut Vorhaben innerhalb kommunaler Positivplanungen ebenfalls ausgeschlossen sind. Hier erhofft sich die Branche über den zuvor benannten Erlass Klärung, ob das Gesetz tatsächlich einen so weitreichenden Ausschluss – auch von kommunaler Positivplanung – beabsichtigt hat.
VI. Fazit
Das Gesetz für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergieausbau hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis. Es bleibt dabei abzuwarten, ob es dem gesetzgeberischen Ziel der Akzeptanzsteigerung tatsächlich gerecht werden wird. Die zeitgleich in Nordrhein-Westfalen verabschiedete Neuregelung des § 36a LPlG NRW stößt derweil bei verschiedensten Beteiligten als auch in der Politik auf Ablehnung. Im Bundestag bezeichnet man das nordrhein-westfälische Moratorium zuweilen als Missachtung der Einigung, die auf Bundesebene erzielt wurde. Sicherlich wird sich das OVG Münster auch in diesem Fall kurzfristig mit einer Einschätzung zur neuen Regelung im LPlG NRW äußern.