I. Einleitung
Mit der zweiten Novelle des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG),1 die der Bundestag am 26.04.2024 beschlossen hat,2 soll das deutsche Klimaschutzrecht nach der Intention des Gesetzgebers „vorausschauender und effizienter“ gestaltet werden.3 Die Verantwortung für die Herstellung von Klimaneutralität, zu der Art. 20a GG den Staat verpflichtet,4 soll „stärker als bisher als kollegiale Gemeinschaftsaufgabe der Bundesregierung begriffen“ werden.5 Die Einhaltung der nationalen Klimaschutzziele wird künftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft. Basis hierfür ist das jährliche Monitoring durch das Umweltbundesamt (UBA) und den Expertenrat für Klimafragen (ERK), der in seiner Bedeutung für die wissenschaftliche Überprüfung der deutschen Klimaschutzpolitik eine Aufwertung erfährt. Der vorliegende Beitrag stellt die wesentlichen Neuregelungen der Novelle dar und zeigt, dass die Handlungsspielräume für die Bundesregierung – früher oder später – in allen Sektoren kleiner werden. An diesem Befund hat sich durch die Neuregelungen nichts geändert, wohl aber an dem Weg, der Deutschland zur Klimaneutralität führen soll.
II. Neuausrichtung der Pflicht zur Nachsteuerung: vom Rückblick zum Ausblick
Kern der Novelle ist eine grundlegende Neuausrichtung der Nachsteuerungsmechanismen des KSG. In Zukunft wird in § 4 Abs. 1 Satz 1 KSG statt auf eine reaktive Nachsteuerung bei Überschreiten der Sektorziele im Vorjahr mittels Sofortprogramm auf eine „sektorübergreifende und mehrjährige Gesamtrechnung“ gesetzt. Dazu werden Jahresemissionsgesamtmengen festgelegt. Nach der neuen Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 KSG wird eine Pflicht zur Nachsteuerung ausgelöst, wenn „in zwei aufeinanderfolgenden Jahren“ die (prognostizierte) Summe der Treibhausgasemissionen in den Jahren 2021 bis einschließlich 2030 in allen Sektoren zusammen die Summe der Jahresemissionsgesamtmengen aus der neuen Anlage 26 überschreitet. Der Gesetzgeber begründet das neue Regelungskonzept damit, dass sich der bisherige Nachsteuerungsmechanismus mit seinem retrospektiven und sektorspezifischen Ansatz in der Praxis „als schwierig erwiesen“ habe.7 Gemeint sein dürfte v.a. der Verkehrssektor, bei dem in der laufenden Legislaturperiode trotz einer signifikanten Verfehlung der Zielwerte keine ausreichende Nachjustierung erfolgt ist.8
Ausschlaggebend ist von nun an ein Blick in die Zukunft, über mehrere Jahre und alle Sektoren hinweg. Der neue Nachsteuerungsmechanismus wird hierfür auf den Zeitraum bis 2040 erstreckt. Die „zentrale Rolle bei der Auslösung weiterer Maßnahmen spielen“ die sog. Projektionsdaten,9 die vom UBA erstellt werden. Dies sind, wie sich aus der neuen Definition in § 2 Nr. 10 KSG ergibt, „quantitative Abschätzungen zu künftigen anthropogenen Treibhausgasemissionen aus Quellen und zum Abbau solcher Gase durch Senken, bei denen die Auswirkungen von verabschiedeten und in Kraft gesetzten Politiken und Maßnahmen berücksichtigt werden“.10 Die Projektionsdaten werden nach dem neuen § 5a KSG „jährlich auf Grundlage aktuell verfügbarer Emissionsdaten“ erstellt. Dabei sind, wenig überraschend, auch die Vorgaben der Europäischen Governance-Verordnung11 zu beachten.
Die Projektionsdaten sind „über die künftige Emissionsentwicklung insgesamt und in den einzelnen Sektoren nach § 5a Satz 1 KSG für sämtliche nachfolgenden Jahre bis einschließlich zum Jahr 2030“ sowie – schon heute – „zumindest für die Jahre 2035, 2040 und 2045“ zu erstellen; ab dem Jahr 2029 erstellt das UBA sie „für sämtliche nachfolgenden Jahre bis einschließlich zum Jahr 2040 sowie zumindest für das Jahr 2045“. Der neue Mechanismus funktioniert nur, wenn „für jedes einzelne Jahr spezifische Projektionsdaten vorliegen“12 und gilt nach § 8 Abs. 4 KSG deshalb, ab dem Jahr 2030, auch für den Zeitraum von 2031 bis 2040. § 5a Satz 2 KSG sieht vor, dass das UBA für die Erstellung der Projektionsdaten ein Forschungskonsortium beauftragt, über dessen Zusammensetzung mit dem Bundeskanzleramt und sechs Bundesministerien „Einvernehmen hergestellt wird“. Die Regelung soll „den Charakter als Gemeinschaftsaufgabe der Bundesregierung“ betonen,13 birgt aber die Gefahr von Verzögerungen und Blockaden.14
Der Wechsel hin zu einer vorausschauenden Gesamtbetrachtung soll laut Gesetzesbegründung ein früheres Nachsteuern „mit weniger einschneidenden Maßnahmen“ und „mehr Flexibilität in der Reaktionsweise auf Überschreitung der Summe der Jahresemissionsgesamtmengen“ ermöglichen.15 Der Fokus wird nicht mehr auf einzelne Jahre gelegt, sondern auf die insgesamt kumulierte Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre. Eine solche, „stärker vorausschauende Sichtweise“ hatte der ERK in seinem Gutachten von 2022 empfohlen.16 Der Gesetzgeber trägt dem insoweit Rechnung, als die nun vorgesehene Prognose mit mehrjährigen Betrachtungsräumen ein früheres Eingreifen möglich macht. Das Kind, so der Gedanke, ist dann (hoffentlich) noch nicht in den Brunnen gefallen. Ausgehend davon, dass die Intensität der Nachsteuerungsmaßnahmen in diesem Fall geringer ist, dürfte sich diese Herangehensweise in der Tendenz zugunsten einer „Schonung künftiger Freiheit“ auswirken.17 Unklar bleibt, warum der Nachsteuerungsmechanismus erst dann eingreift, wenn die Jahresemissionsgesamtmenge in zwei aufeinanderfolgenden Jahren überschritten wird. Konsequenz dieser zweijährigen Betrachtungsweise ist, dass auch im Fall von bereits absehbaren Zielverfehlungen ein ganzes Jahr – sehenden Auges – nicht nachgesteuert wird. Gemessen an dem eigenen Anspruch des Gesetzgebers, das deutsche Klimaschutzrecht „effizienter“ zu machen, ist diese Entscheidung nur schwer nachvollziehbar. Verzögerungen auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität sind dadurch vorprogrammiert.
III. Gesamtverantwortung und Flexibilisierung statt Ressortverantwortlichkeiten
Der Gesetzgeber verbindet mit der Novelle die „Erwartung“, dass die Verantwortlichkeit für den Klimaschutz „stärker als bisher als kollegiale Gemeinschaftsaufgabe der Bundesregierung begriffen wird“.18 Klimaschutz soll „zu einer echten Querschnittsaufgabe der Bundesregierung“ werden.19 Ob sich die Erwartung einer kollegialen Zusammenarbeit erfüllt, bleibt abzuwarten. Fest steht: Ergeben die Berechnungen, dass in zwei aufeinanderfolgenden Jahren mit einer Überschreitung der Jahresemissionsgesamtmenge zu rechnen ist, müssen nach § 8 Abs. 2 Satz 1 KSG „alle zuständigen Bundesministerien“ innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage der Bewertung der Projektionsdaten durch den ERK „Vorschläge für Maßnahmen in den jeweiligen ihrer Verantwortlichkeit unterfallenden Sektoren“ vorlegen. Das gilt „insbesondere“ für diejenigen Ministerien, „in deren Zuständigkeitsbereich die Sektoren liegen, die zur Überschreitung beitragen“. Die Vorschläge können nach § 8 Abs. 2 Satz 2 KSG „auch sektorübergreifende Maßnahmen enthalten“.
§ 8 Abs. 2 Satz 3 KSG sieht vor, dass die Entscheidung „über die zu ergreifenden Maßnahmen“ und die Frage, in welchen Sektoren sie getroffen werden (müssen), „schnellstmöglich, spätestens innerhalb desselben Kalenderjahres“ zu treffen ist. Dabei kann die Bundesregierung nach § 8 Abs. 2 Satz 4 KSG „die bestehenden Spielräume“ des Europäischen Klimagesetzes (EKG)20 „berücksichtigen“ und die Jahresemissionsmengen der Sektoren durch Rechtsverordnung nach § 5 Abs. 4 KSG ändern. Die Rechtsverordnung bedarf der Zustimmung des Bundestages. Vor Erstellung der Beschlussvorlage über die Maßnahmen sind dem ERK nach § 8 Abs. 2 Satz 5 KSG „die den Maßnahmen zugrunde gelegten Annahmen zur Treibhausgasreduktion zur Prüfung zu übermitteln“. § 8 Abs. 2 Satz 6 KSG sieht vor, dass das Prüfungsergebnis „der Beschlussvorlage beigefügt“ wird. Eine rechtliche Bindungswirkung folgt daraus nicht.
Die sektorale Betrachtung bleibt im Monitoring als Orientierungsgrundlage erhalten.21 Künftig kommt es aber nicht mehr auf einen einjährigen Rückblick bezüglich der Treibhausgasemissionen in einem einzelnen Sektor an. Zur Überprüfung, ob die Minderungsziele des § 3 Abs. 1 KSG eingehalten werden und Deutschland „on track“ ist, sind in Zukunft die zusammengerechneten Emissionsmengen aller Sektoren ausschlaggebend. Gegenstand der prospektiven Betrachtung ist eine mehrjährige Gesamtrechnung. Dazu werden in der Anlage 2 Jahresemissionsgesamtmengen festgelegt. Diese wiederum bilden die Grundlage für die Überprüfung, ob die Klimaschutzziele eingehalten werden (können). Auf diese Weise, so der Gesetzgeber, soll „planvoller und effizienter reagiert werden“ können.22
IV. Beibehaltung voller Transparenz für alle klimaschutzrelevanten Sektoren
Die Menge der Treibhausgasemissionen in den einzelnen Sektoren bleibt dennoch relevant. Trotz Umstellung auf eine mehrjährige und sektorübergreifende Gesamtbetrachtung der Emissionswerte soll „volle Transparenz“ über die Emissionsentwicklung insgesamt und in den einzelnen Sektoren hergestellt werden.23 Dadurch soll gewährleistet werden, dass das gesetzliche Regelungskonzept auch weiterhin den vom BVerfG formulierten Anforderungen an die „Orientierungs- und Planungsfunktion“ des KSG gerecht wird.24 Hierzu wird das Monitoring der Emissionsdaten neu geregelt. Das UBA erstellt weiterhin die Daten der Treibhausgasemissionen insgesamt und auch in den einzelnen Sektoren für das zurückliegende Kalenderjahr. Davon umfasst sind nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KSG die „jeweiligen Jahresemissionsmengen“ für die einzelnen Sektoren „bis einschließlich zum Jahr 2030“, die sich nach Anlage 2a richten. Ziel ist es, weiterhin eine transparente Bewertung der einzelnen Sektoren zu ermöglichen.25 In Abgrenzung dazu werden die Jahresemissionsgesamtmengen nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 KSG für „alle Sektoren aggregiert“ dargestellt.
§ 5 Abs. 3 KSG stellt klar, was im Grunde eine Selbstverständlichkeit ist:26 „Alle für die Sektoren verantwortlichen Bundesministerien haben ihren angemessenen Beitrag zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele nach § 3 Abs. 1 KSG zu leisten.“ Im Innenverhältnis gilt weiterhin das Ressortprinzip. Zur Bewertung der „Verantwortlichkeit für einen angemessenen Beitrag“ des jeweiligen Ministeriums werden die Jahresemissionsmengen für den jeweiligen Sektor nach Anlage 2a herangezogen.27 Auch die Darstellung der zukünftigen Emissionsentwicklung nach § 5a KSG soll „auf möglichst aktueller und plausibler Datengrundlage“ zur Transparenz beitragen.28 Im (justiziablen) Außenverhältnis ist die Bundesregierung demgegenüber gemeinsam für die Einhaltung der Jahresemissionsgesamtmengen verantwortlich.
V. Stärkung der Prüfungskompetenzen des Expertenrates für Klimafragen
Die Novelle stärkt die Rolle des ERK. Dieser stellt auf der Grundlage der Projektionsdaten gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 KSG „für alle Sektoren aggregiert“ fest, inwieweit die Jahresemissionsgesamtmengen eingehalten werden können. Eine negative Feststellung des ERK löst damit die Nachsteuerungspflicht des § 8 Abs. 1 KSG aus.29 Wie sich aus § 5a Satz 4 KSG ergibt, wird der ERK in Zukunft nicht nur die Emissionsdaten, sondern auch die Projektionsdaten einer „unabhängigen wissenschaftlichen Prüfung“ unterziehen.30 Aufgrund der neuen Regelung des § 12 Abs. 5 Satz 1 KSG kann sich der ERK zukünftig auch eigeninitiativ31 durch Gutachten „auf Basis der Emissions- sowie Projektionsdaten“ zur Weiterentwicklung geeigneter Klimaschutzmaßnahmen äußern. Diese Gutachten werden von der Bundesregierung nach § 12 Abs. 5 Satz 2 KSG „berücksichtigt“. Dies „erfordert eine Auseinandersetzung mit den Darlegungen und Vorschlägen“ des ERK, stellt aber „nicht das Primat der Politik infrage“.32
VI. Stärkung der Informationsrechte des Bundestages in ESR-Angelegenheiten
Die Bundesregierung wirkt nach dem neuen § 7 Abs. 3 KSG „mit aller Kraft“33 darauf hin, einen Ankauf von Emissionszuweisungen zur Einhaltung der Vorgaben des EKG „zu vermeiden“. Hierfür werden die Informationsrechte des Bundestages in Angelegenheiten gestärkt, die der EU-Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation – ESR)34 unterfallen. Damit soll „das Parlament als Ort der politischen Debatte“ gestärkt werden.35 Nach § 7 Abs. 4 KSG unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag, wenn die Projektionsdaten nach der Feststellung des ERK zeigen, dass die festgelegten Zuweisungen des EKG für die Jahre 2021 bis 2030 überschritten werden. Zudem nimmt die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag zu den möglichen Auswirkungen nach Art. 8 EKG Stellung. Muss die Bundesregierung nach Maßgabe dieser Regelung einen Plan für Abhilfemaßnahmen vorlegen, so beschließt sie ihn nach § 7 Abs. 5 KSG innerhalb der dreimonatigen Frist, die durch das Europarecht vorgegeben wird, und leitet ihn „unverzüglich“ dem Bundestag zu. Sollte die Bundesregierung einem Standpunkt der Europäischen Kommission nicht Rechnung tragen, ist die Begründung hierfür ebenfalls dem Bundestag zu übermitteln.
VII. Fortschreibung von Klimaschutzprogrammen zu Beginn einer Legislaturperiode
Der neue § 9 Abs. 1 Satz 1 KSG regelt, dass die Bundesregierung „spätestens zwölf Kalendermonate nach Beginn einer Legislaturperiode“ ein Klimaschutzprogramm beschließt. Dadurch soll gewährleistet werden, „dass sich jede neue Regierung frühzeitig mit der Fortschreibung von Klimaschutzprogrammen befasst“ und diese „die politische Verantwortung dafür übernimmt“.36 Zudem prüft die Bundesregierung „nach jeder Fortschreibung des Klimaschutzplans, ob ein neues Klimaschutzprogramm beschlossen werden soll“. Letztlich ist jede Bundesregierung aber nur ein einziges Mal in vier Jahren verpflichtet, ein solches Programm vorzulegen. Die aktuelle Bundesregierung hat ihr Klimaschutzprogramm im Jahr 2023 vorgelegt und muss bis zum Ende der Legislaturperiode dementsprechend nicht mehr über Anpassungen nachdenken.
In jedem Klimaschutzprogramm legt die Bundesregierung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSG „unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Projektionsdaten“ fest, welche „Maßnahmen sie in den einzelnen Sektoren sowie sektorübergreifend zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele“ ergreifen wird. Maßstab hierfür ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 KSG die Einhaltung der Jahresemissionsgesamtmengen. Dabei ist auch § 5 Abs. 3 KSG und somit die spezifische Verantwortlichkeit der einzelnen Sektoren zu beachten. Diese Regelung zielt erkennbar darauf ab, der Gefahr einer Verantwortungsdiffusion innerhalb der Bundesregierung entgegenzuwirken. An dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Novelle eine Gratwanderung zwischen der Gesamtverantwortung der Bundesregierung und der Ressortzuständigkeit der einzelnen Ministerien vollzieht.
VIII. Fazit und Ausblick auf den neuen Weg hin zur Klimaneutralität
Mit der zweiten Novelle des KSG wird die bisherige Verpflichtung zur reaktiven Nachsteuerung mittels Sofortprogramm aufgehoben. Der darauf abzielende Tenor der Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg vom 30.11.202337 ist damit Makulatur. An die Stelle tritt nun eine prospektive Betrachtung, die auf eine Einhaltung von sektorübergreifenden Jahresemissionsgesamtmengen zielt. Ob dieser Weg der bessere ist, um die – unveränderten – Klimaschutzziele des § 3 Abs. 1 und 2 KSG zu erreichen, bleibt abzuwarten.38 Das Europarecht steht einer solchen Vorgehensweise jedenfalls nicht entgegen.39
Allerdings nimmt das Gewicht des verfassungsrechtlichen Klimaschutzgebots „in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu“.40 Die Handlungsspielräume werden mit fortschreitendem Klimawandel deshalb zwangsläufig kleiner. Was dem Verkehrssektor droht, hat das BVerfG in seinem Klimabeschluss als „Vollbremsung“ bezeichnet.41 Die Fahrverbote, die der Bundesverkehrsminister im Vorfeld der Einigung über die Novelle des KSG ins Spiel gebracht hatte, könnten bei einem „Weiter so“ Wirklichkeit werden – und dann umso drastischer ausfallen.42 Dass solche Verbote unter bestimmten Voraussetzungen ein zulässiges Mittel sind, um die Klimaschutzziele einzuhalten, kann mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerwG43 und des BVerfG44, wie auch immer man dazu rechtspolitisch steht, kaum überraschen.
Für das zweite Sorgenkind der deutschen Energiewende, den Gebäudesektor, hat der Bundesgesetzgeber mit der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG)45 und dem Wärmeplanungsgesetz (WPG)46, die am 01.01.2024 in Kraft getreten sind, mittlerweile die Weichen für die Dekarbonisierung gestellt. Nur so kann, in den Worten des BVerfG, „ein Planungshorizont entstehen, vor dem Anreiz und Druck erwachsen, die erforderlichen, teils langwierigen Entwicklungen in großer Breite in Gang zu setzen“.47 Am Ende steht und fällt der Erfolg der Energiewende aber mit der Umsetzung von konkreten Maßnahmen. Insoweit rücken zunehmend die Anforderungen in den Fokus, die auf der Vorhabenebene zu beachten sind.
Für Verwaltungsentscheidungen gelten über das allgemeine Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG dieselben Maßstäbe wie vor der Novelle.48 Dass CO2-intensive Verhaltensweisen einzelner Grundrechtsbetroffener sich in der Abwägung mit dem überragenden Gemeinwohlinteresse des Klimaschutzes nach Art. 20a GG sowie gleichgelagerten Schutzpflichten aus den Grund- und Menschenrechten49 in Zukunft noch durchsetzen können, ist mit Blick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung und gesetzliche Abwägungsdirektiven zum Vorrang50 erneuerbarer Energien wie § 2 Satz 2 EEG und § 1 Abs. 3 Satz 2 GEG nur schwer vorstellbar. Für Klimaschutzprogramme nach § 9 KSG ist in diesem Zusammenhang auf die jüngste Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg hinzuweisen, wonach die bislang festgelegten Maßnahmen nicht ausreichen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.51
Weil der politische Prozess über Wahlperioden in einer Demokratie „strukturell Gefahr läuft schwerfälliger auf langfristig zu verfolgende ökologische Belange zu reagieren“ und weil die vom Klimawandel „besonders betroffenen künftigen Generationen heute naturgemäß keine eigene Stimme im politischen Willensbildungsprozess haben“, ist der Klimaschutz in Art. 20a GG „zur Angelegenheit der Verfassung gemacht“ worden.52 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Aufgaben im Kontext mit dem Klimaschutz „funktionsadäquat zwischen den Gewalten verteilt werden“.53 Die Stärkung der Rolle des ERK als unabhängiges Beratungsgremium kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die langfristige Aufgabe des Klimaschutzes ein Stück weit dem kurzfristigen Diktat von Wahlperioden zu entziehen.54 Das führt ebenso wenig wie Gerichtsentscheidungen im Bereich des Klimaschutzes zu einer Machtverschiebung im System der Gewaltenteilung, sondern ermöglicht eine neutrale Kontrolle dessen, was die Politik versprochen und in Gesetze gegossen hat.55
Am Ende ist und bleibt es aber die ureigene Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, was passieren muss, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.56 Dabei hat er, wie das BVerfG immer wieder hervorgehoben hat, einen weiten Gestaltungsspielraum.57 Mit der zweiten Novelle des KSG hat der deutsche Gesetzgeber von diesem Spielraum Gebrauch gemacht, wobei die Regierungsparteien fast schon gebetsmühlenartig betont haben, dass dadurch „kein Gramm CO2 mehr“ ausgestoßen werden darf.58 Weil einem in Diskussionen um den „richtigen“ Weg zur Erreichung von Klimaneutralität politische Argumente immer wieder in einem verfassungsrechtlichen Gewand begegnen, sei in diesem Zusammenhang an die konstitutive Trennung von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik erinnert.59 Insoweit braucht es für einen effektiven Klimaschutz im Sinne des Grundgesetzes am Ende auch ein Grundvertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse.