juris PraxisReporte

Autoren:Dr. Peter Kersandt, RA und FA für Verwaltungsrecht,
Anil Abay, RA
Erscheinungsdatum:20.09.2024
Quelle:juris Logo
Normen:Anhang 1 BImSchV 4, § 10 BImSchG, § 1 KSpG, § 2 KSpG, § 11 KSpG, § 13 KSpG, § 4 KSpG, § 3 KSpG, § 65 UVPG, BJNR102050990BJNE002437360, § 57 BNatSchG, § 43a EnWG 2005, § 43d EnWG 2005, § 43f EnWG 2005, § 113b EnWG 2005, § 44c EnWG 2005, § 1 NABEG, § 1 BBPlG, § 11c EnWG 2005, § 2 EEG 2009, § 3 KSG, EUV 2021/1119, EGV 401/2009, EGV 2018/1999
Fundstelle:jurisPR-UmwR 9/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Ferdinand Kuchler, RA
Dr. Martin Spieler, RA
Zitiervorschlag:Kersandt/Abay, jurisPR-UmwR 9/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes

I. Einleitung

Am 29.05.2024 hat das Bundeskabinett unter der Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen Gesetzentwurf zur Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG)1 beschlossen.2 Die Novelle sieht umfassende Änderungen der bestehenden Gesetzeslage zur CO2-Abscheidung und -Speicherung vor. Nachfolgend werden die wesentlichen Neuerungen zusammenfassend vorgestellt.

II. Zum Hintergrund

1. CCS/CCU

Die Grundidee beim zukünftigen Umgang mit Industrieemissionen besteht in der Speicherung oder Nutzung von in Industrieprozessen entstehendem CO2. Maßgeblich hierfür sind derzeit zwei Technologien:

Bei der CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) werden Industrieemissionen vor ihrer Freisetzung in die Atmosphäre abgeschieden. Das abgeschiedene CO2 wird anschließend zu Lagerstätten transportiert und dort langfristig gespeichert.3 Die CO2-Speicherung kann sowohl terrestrisch als auch im Meeresuntergrund erfolgen.4

Bei der CO2-Abscheidung und -Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) wird abgeschiedenes CO2 zur Verwendung in kohlenstoffbasierten Prozessen (z.B. für Bauprodukte, synthetische Kraftstoffe, Kunststoffe oder andere Chemikalien) genutzt.5

Der Transport des abgeschiedenen CO2 zu den Speicher- oder Nutzungsstätten kann über Rohrleitungen, die Straße, die Schiene und über den Seeweg erfolgen, wobei aufgrund der großen Mengen an CO2, die in Zukunft anfallen werden, der Transport von CO2 per Lkw und Bahn keine realistische Option darstellt.6

CCS gilt heute als eine verlässliche, sichere Technologie7 und kommt bereits in mehreren Ländern, beispielsweise in Norwegen8, zum Einsatz. Entscheidend für die Sicherheit der CO2-Speicherung ist die Wahl des Standorts. Das Deckgestein muss geologisch als wirksame Abdichtung dienen können. In einer numerischen Modellierung der potenziellen Leckage-Risiken für gut regulierte Speicherstätten wurden potenzielle Leckage-Raten von 0,00005% bis 0,003% pro Jahr berechnet; demnach würden nach 10.000 Jahren noch 98% des eingeleiteten CO2 in der Speicherstätte verbleiben.9

2. Aktuelle Rechtslage

Hinsichtlich des aktuellen rechtlichen Rahmens für CCS/CCU in Deutschland ist zu differenzieren:

Die Abscheidung des CO2 wird maßgeblich durch das BImSchG und die 4. BImSchV bestimmt. Eigenständig betriebene Anlagen zur Abscheidung von CO2-Strömen aus nach Anhang 1 4. BImSchV genehmigungsbedürftigen Anlagen zum Zwecke der dauerhaften geologischen Speicherung, soweit sie in Spalte d mit dem Buchstaben „E“ gekennzeichnet sind (sog. IE-Anlagen), sind gemäß Nr. 10.4 Anhang 1 4. BImSchV für sich genommen immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig, und zwar im förmlichen Genehmigungsverfahren gemäß § 10 BImSchG (mit Öffentlichkeitsbeteiligung).

Für den Transport und die Speicherung des CO2 gilt das KSpG. Zwar ist das KSpG noch in Kraft, die Errichtung und der Betrieb von CO2-Speicheranlagen zu Erprobungs-, Demonstrations- und Forschungszwecken10 ist jedoch auf Grundlage des Gesetzes derzeit nicht möglich. Anträge für die Genehmigung der Errichtung und den Betrieb eines CO2-Speichers konnten gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 KSpG nur bis zum 31.12.2016 gestellt werden.

Die Errichtung und der Betrieb eines CO2-Speichers bedürfen der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens.11 Der Plan darf nur festgestellt oder genehmigt werden, wenn die kumulativen Voraussetzungen des § 13 KSpG erfüllt sind,12 der einen Maßstab höchster Umwelt- und Sicherheitsstandards festlegt.13

Auch die Errichtung und der Betrieb von CO2-Leitungen für CCS sind bereits im KSpG geregelt. Nach § 4 KSpG unterliegen sie ebenfalls der Planfeststellungspflicht, wobei sich das Planfeststellungsverfahren gemäß § 4 Abs. 2 KSpG teilweise nach den Vorgaben des EnWG richtet. Da das EnWG seit Inkrafttreten des KSpG einige Änderungen erfahren hat, sind die Verweise darauf nicht mehr in allen Fällen zutreffend.14

Nicht im KSpG geregelt ist der gesamte CCU-Prozess für die Errichtung von CO2-Leitungen.15 In dieser Hinsicht besteht eine spezialgesetzliche Regelungslücke: So müssen CCU-CO2-Leitungen derzeit nach den §§ 65 ff. UVPG planfestgestellt oder plangenehmigt werden, soweit sie den Nummern 19.3 bis 19.9 Anlage 1 UVPG unterfallen. Unklar ist zudem, nach welchem Gesetz aktuell „gemischt“ (für CCS und CCU) genutzte CO2-Leitungen geplant und genehmigt werden sollen.16

III. Zu der geplanten Novelle des KSpG

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht zahlreiche Änderungen des KSpG vor. Bereits die Umbenennung des Gesetzes in „Kohlendioxid-Speicherungs-und-Transportgesetz“ (KSpTG) zeigt den ganzheitlichen Regelungsansatz: Zu der Speicherung von CO2 tritt der leitungsgebundene Transport von CO2 als gleichwertiger Regelungsgegenstand hinzu.17

1. Kohlendioxidspeicher

§ 2 soll vollständig neu gefasst werden: Die Beschränkung der Antragsfrist auf den 31.12.2016 wird aufgehoben, so dass nach In-Kraft-Treten der Novelle CO2-Speicher unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 wieder – und von nun auch zu wirtschaftlichen Zwecken –zulassungsfähig sind. Der Standort ist auf den Offshore-Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) und des Festlandsockels beschränkt.18

Jedoch ist gemäß § 2 Abs. 5 KSpTG-E eine sog. Opt-in-Klausel für die Länder enthalten, damit einzelne Bundesländer auf ihrem Gebiet eine Onshore-Speicherung von CO2 zulassen können. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, hierfür im weiteren Gesetzgebungsverfahren bundeseinheitliche Rahmenbedingungen zu definieren, um Verantwortlichkeiten und Finanzierungen verbindlich zu klären sowie negative Auswirkungen auf die Umwelt (also auf das Festland) so weit wie möglich auszuschließen.19

Die Voraussetzungen für die Planfeststellung bzw. die Erteilung der Plangenehmigung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 sollen um zwei Tatbestände erweitert werden. Zum einen wird klargestellt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien gegenüber CCS Priorität hat;20 nach der neu eingefügten Nr. 8 dürfen CO2-Speicher nur erlaubt werden, soweit es zu keiner Beeinträchtigung des Baus und Betriebs von Windenergieanlagen auf See und Offshore-Anbindungsleitungen, sonstigen Energiegewinnungsanlagen zur Erzeugung von Wasserstoff sowie von Wasserstoffleitungen kommt.21

Zum anderen wird der Schutz der Meeresumwelt und -natur aufgenommen, zu dem die Staaten gemäß den Art. 192, 194 Abs. 5 SRÜ auch in der AWZ und auf dem Festlandsockel verpflichtet sind. So dürfen nach der neu eingefügten Nr. 9 im Bereich der AWZ und des Festlandsockels keine CO2-Speicher errichtet werden, die sich in einem nach § 57 Abs. 2 BNatSchG geschützten Meeresschutzgebiet befinden. Ferner sieht Nr. 9 einen besonderen Schutz des Schweinswals vor: Beim Bau und Betrieb von CO2-Speichern sind Rammungen und lärmintensive seismische Untersuchungen in der Zeit von Mai bis August im Hauptkonzentrationsgebiet des Schweinswals22 nicht erlaubt.23

2. Kohlendioxidleitungen

Erweitert werden soll die Legaldefinition der Kohlendioxidleitung nach § 3 Nr. 6. Dadurch werden neben Leitungen zum Transport von Kohlendioxid zu einem CO2-Speicher auch CO2-Leitungen für jegliche andere Zwecke – also auch die Nutzung von CO2 (CCU) – erfasst.24

Hinsichtlich des Planfeststellungsverfahrens von CO2-Leitungen wird in § 4 Abs. 1 Satz 2 KSpTG-E klargestellt, dass die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Für diese Abwägung stellt der Gesetzgeber Wertungen auf: Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 KSpTG-E ist zu berücksichtigen, dass CO2-Leitungen dem Klimaschutz dienen und dazu beitragen, die Emission von CO2 in Deutschland dauerhaft zu vermindern. Soll die Errichtung, der Betrieb oder die wesentliche Änderung von CO2-Leitungen weit überwiegend in oder unmittelbar neben einer Trasse erfolgen, die Wasserstoffleitungen enthält oder für solche Leitungen genutzt werden, so ist davon auszugehen, dass die Einfügung einer solchen CO2-Leitung keine zusätzliche Beeinträchtigung anderer Belange darstellt, die über die alleinige Verlegung der Wasserstoffleitung hinausgeht, soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen (§ 4 Abs. 1 Satz 4 KSpTG-E).

Ferner soll § 4 Abs. 1 Satz 6 KSpTG-E die Behörde verpflichten, aktiv darauf hinzuwirken, dass der Träger des Vorhabens die Öffentlichkeit über das planfeststellungspflichtige Vorhaben, insbesondere über den Standort, die Ausmaße und die Technologie der Kohlendioxidleitung, möglichst vor Antragstellung informiert.25

Neu eingefügt werden soll ein Beschleunigungsgebot in § 4 Abs. 2 KSpTG-E, nach dem die beteiligten Behörden „bestrebt“ sind, den Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahren für CO2-Leitungen Vorrang bei der Bearbeitung einzuräumen. Bei der Bearbeitung dieser Anträge soll andererseits das Beschleunigungsinteresse von Vorhaben, die im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen, zu beachten sein.

Nicht zuletzt sollen mit der Novelle Verweisungen auf das EnWG aktualisiert und das Planfeststellungsverfahren für CO2-Leitungen so dem Verfahren für Leitungsvorhaben nach dem EnWG wieder angeglichen werden. Die Verweise in das EnWG betreffen u.a. das Anhörungsverfahren (§ 43a EnWG), die Planänderungen vor Fertigstellung eines Vorhabens (§ 43d EnWG) sowie Änderungen im Anzeigeverfahren (§ 43f EnWG). Neu aufgenommen werden zudem Verweise, um die Umwidmung von Erdgasleitungen für den CO2-Transport zu erleichtern (§ 113b EnWG) und in bestimmten Fällen den vorzeitigen Baubeginn zu ermöglichen (§ 44c EnWG).26 Durch die enge Anlehnung an das EnWG sollen sowohl die Verwaltung als auch die Vorhabenträger davon profitieren, dass sie bei der Planung und Genehmigung von CO2-Leitungen auf ihre Erfahrungen mit Verfahren nach dem EnWG zurückgreifen können.27

3. Vorgaben für die Abwägung („öffentliches Interesse“)

Die Errichtung, der Betrieb und die wesentliche Änderung von CO2-Leitungen sollen im öffentlichen Interesse liegen; bei der Abwägung im Rahmen von Planfeststellungsverfahren ist zudem besonders zu berücksichtigen, dass CO2-Leitungen dem Klimaschutz dienen und dazu beitragen, die Emission von CO2 in Deutschland dauerhaft zu vermindern (§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 KSpTG-E). Insoweit ist bemerkenswert, dass die Bundesregierung lediglich auf das „öffentliche Interesse“ abstellt und nicht, wie im Energie- und Infrastrukturrecht vielfach geschehen,28 auf das „überragende öffentliche Interesse“.

Der Gesetzgeber bringt mit Regelungen, nach denen einzelne Vorhaben im überragenden öffentlichen Interesse liegen, zum Ausdruck, dass er diesen eine besonders hohe Bedeutung beimisst. Im Falle einer Abwägung mit anderen Belangen wird diese Wertung regelmäßig berücksichtigt, wobei sich die im überragenden öffentlichen Interesse liegenden Vorhaben typischerweise gegenüber anderen Belangen durchsetzen und einfacher zur Zulassung gelangen (sollen). Die Rechtsprechung zu § 2 EEG jedenfalls geht dahin, dass diese Regelung so zu verstehen ist, dass bei den einzelnen Schutzgüterabwägungen in der Regel ein Übergewicht zugunsten der erneuerbaren Energien besteht. Das überragende öffentliche Interesse an der Errichtung von Windenergieanlagen sowie das öffentliche Sicherheitsinteresse können nur in atypischen Ausnahmefällen überwunden werden, die fachlich anhand der besonderen Umstände der jeweiligen Situation zu begründen sind.29 In Bezug auf CO2-Leitungen hat die Bundesregierung nun eine andere Grundentscheidung getroffen, die bereits auf Kritik des Bundesrates gestoßen ist.30

4. Ausschluss von CO2 aus der Kohleverstromung

Für Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, also sowohl aus Kohlekraftwerken als auch Kohle-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, soll der Zugang zu CO2-Leitungen und CO2-Speichern ausgeschlossen werden (§ 33 Abs. 5 KSpTG-E). Begründet wird dies mit dem Anliegen, keine weiteren Anreize zur Verbrennung fossiler Energieträger zu setzen. Es soll sichergestellt werden, dass der gesetzlich geregelte Kohleausstieg nicht durch den Einsatz von CCS und CCU tangiert oder hinausgezögert wird.31 Die Nutzung zum Transport von CO2 aus Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern oder Biomasse wird zwar ermöglicht, aber bei fossilen Energieträgern zumindest nicht gefördert. Der Förderschwerpunkt soll ohnehin vorrangig auf Industrien mit schwer oder nicht vermeidbaren Emissionen (z.B. Kalk- und Zementproduktion, Abfallwirtschaft) gelegt werden.32

5. Erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts

§ 39a KSpTG-E schafft nach dem Vorbild der Gesetzgebung in anderen bedeutenden Infrastrukturbereichen eine umfassende neue Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte im ersten Rechtszug. Die Zuständigkeit soll sämtliche Planfeststellungs- und Planfeststellungsgenehmigungen sowie Genehmigungen nach dem KSpTG-E umfassen. Das Beschleunigungspotenzial dieser und vergleichbarer Regelungen für den Verwaltungsprozess kann derzeit noch schwer abgeschätzt werden.

IV. Fazit

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 29.05.2024 ist grundsätzlich zu begrüßen und stellt einen ersten wichtigen Schritt dar, um die industrielle CO2-Reduktion voranzutreiben. Für den Aufbau einer CO2-Transportinfrastruktur ist ein erheblicher zeitlicher Vorlauf nötig. Aus Sicht von Investoren sind die mit der Detailplanung potenzieller CO2-Leitungen verbundenen Kosten nur dann tragbar, wenn der Gesetzgeber eine rechtssichere und wirtschaftliche Perspektive zur beschleunigten Umsetzung bietet. Dies hat die Bundesregierung im Prinzip erkannt.33

Zu berücksichtigen ist auch der langfristige Nutzen der Technologie: Zwar ist die Vermeidung von Emissionen, z.B. durch die Elektrifizierung von Prozessen, den Einsatz von Wasserstoff auf Basis erneuerbarer Energien oder die Substitution von Materialien, der Nutzung oder Speicherung des abgeschiedenen CO2 im Grundsatz vorzuziehen.34 Mit der CCS/CCU-Technik können jedoch Industriezweige adressiert werden, die derzeit schwer oder nicht vermeidbare CO2-Emissionen, vor allem in der Kalk- und Zementproduktion sowie der Abfallverbrennung, hervorrufen.

Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass das Erreichen der Netto-Null-Ziele ohne die Integration von CCS und CCU praktisch unmöglich und zur Erreichung tiefgreifender Emissionsreduzierungen ein umfassendes Technologieportfolio (Energieeffizienz, erneuerbare Energien, CCS/CCU) erforderlich sein wird.35 So hat sich die EU mit dem „Europäischen Klimaschutzgesetz“36 das verbindliche Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gesetzt; als Zwischenziel sollen die Netto-Treibhausgasemissionen bereits bis 2030 um 55% gesenkt werden. In Deutschland soll gemäß § 3 Abs. 2 KSG37 bis zum Jahr 2045 Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden. Ohne CCS/CCU wären somit noch viel umfassendere Verhaltensänderungen, etwa bei Produktion, Ernährung, Mobilität und Wohnen, als ohnehin schon notwendig und in den gezeigten Klimaneutralitätsszenarien bereits berücksichtigt sind.38

Die gesetzgeberische Wertung, dass die Errichtung und der Betrieb von CO2-Leitungen (lediglich) im öffentlichen Interesse und nicht im überragenden öffentlichen Interesse liegen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 KSpTG-E), könnte sich als hinderlich für den angestrebten beschleunigten Aufbau der CO2-Transportinfrastruktur erweisen. Der Bundesrat hat dies erkannt und angeregt, für die Errichtung, den Betrieb und die wesentliche Änderung von CO2-Leitungen, analog zu den Regelungen für Wasserstoffleitungen, das überragende öffentliche Interesse festzustellen.39

Mit den zusätzlichen kumulativen Voraussetzungen für die Planfeststellung bzw. Plangenehmigung von CO2-Speichern werden die insoweit geltenden hohen Umwelt- und Sicherheitsstandards fortgeschrieben und erweitert. Es bleibt abzuwarten, ob bzw. wie sich die zusätzlichen Vorgaben zum Meeresnaturschutz und zur prioritären Berücksichtigung von Offshore-Windenergie- und anderen Energiegewinnungsanlagen in der Zulassungspraxis bewähren. Wie bei allen anderen Transformationsherausforderungen wird es auch bei der CO2-Abscheidung, -Speicherung und -Nutzung darauf ankommen, die neuen Instrumente beschleunigt und rechtssicher in den dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren anzuwenden.40


Fußnoten


1)

Vom 17.08.2012 (BGBl, 1726), zuletzt geändert durch Art. 22 des Gesetzes vom 10.08.2021 (BGBl I, 3436).

2)

BMWK, Pressemitteilung vom 29.05.2024, Kabinett macht Weg frei für CCS in Deutschland – Habeck: „Entscheidung für CCS ist Richtungsentscheidung für die Industrie in Deutschland.“ abrufbar unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/05/20240529-entscheidung-ccs-industrie-deutschland.html (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

3)

BMWK, FAQ zu CCS und CCU, Stand 29.05.2024, S. 3, Ziff. 1.1, abrufbar unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/F/faq-ccs-ccu.pdf?__blob=publicationFile&v=40 (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

4)

Umweltbundesamt, Positionspapier „Carbon Capture and Storage Diskussionsbeitrag zur Integration in die nationalen Klimaschutzstrategien“, 2023, S. 21, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/230919_uba_pos_ccs_bf.pdf (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

5)

BMWK, FAQ zu CCS und CCU, S. 3, Ziff. 1.1.

6)

Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE), Beitragsreihe Carbon Management: Wie kann CO2 transportiert werden?, 2024, abrufbar unter: https://www.ffe.de/veroeffentlichungen/beitragsreihe-carbon-management-ccs-wie-kann-co2-transportiert-werden/ (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

7)

BT-Drs. 20/11585 vom 03.06.2024, S. 6.

8)

Im Rahmen des „Northern Lights“-Projekts verfolgt Norwegen die erstmalige Umsetzung einer vollständigen CCS-Prozesskette auf industriellem Niveau, die alle Schritte von der CO2-Abscheidung über den Transport bis zur geologischen Speicherung umfasst. Internetseite zum Projekt: Northern lights JV DA, https://norlights.com/ (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

10)

Vgl. § 1 Satz 2 KSpG. Ein wirtschaftlich orientierter Betrieb einer CO2 Speicherstätte ist nach aktueller Rechtslage nicht möglich.

11)

§ 11 Abs. 1 Satz 1 KSpG. Anstelle eines Planfeststellungsbeschlusses kann eine Plangenehmigung nach § 74 Abs. 6 VwVfG erteilt werden, vgl. § 11 Abs. 2 KSpG.

12)

Es muss u.a. sichergestellt sein, dass der CO2-Speicher das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt, überwiegende private Belange nicht entgegenstehen, keine Gefahren für Mensch und Umwelt hervorgerufen werden, die Langzeitsicherheit gewährleistet ist, die erforderliche Vorsorge gegen Beeinträchtigungen getroffen wird und keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, vgl. § 13 Abs. 1 KSpG.

13)

Bosecke, Carbon Capture and Storage – rechtliche Regelung einer neuen Klimaschutztechnologie, in: Bosecke/Kersandt/Täufer, Meeresnaturschutz, Erhaltung der Biodiversität und andere Herausforderungen im „Kaskadensystem“ des Rechts, 2012, S. 227, 249.

14)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 3.

15)

Vgl. den auf den CCS-Prozess beschränken Begriff der Kohlendioxidleitungen in § 3 Nr. 6 KSpG.

16)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 2.

17)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 3.

18)

Dazu wird das künftige KSpTG nach Maßgabe des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (SRÜ) auch im Bereich der AWZ und des Festlandsockels für anwendbar erklärt, vgl. § 2 Abs. 2 und Abs. 3 KSpTG-E.

19)

Vgl. BR-Drs. 266/24 vom 05.07.2024, S. 9.

20)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 24.

21)

§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 KSpTG-E.

22)

Das Hauptkonzentrationsgebiet stellt Abbildung 15 im Anhang der Anlage zur Verordnung über die Raumordnung in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee und in der Ostsee (AWZROV) vom 26.08.2021 (BGBl I, 3886) dar. Vgl. zum Schutz der Kleinwale allgemein Czybulka, Der Schutz unserer Meere, 2024, S. 283.

23)

§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 KSpTG-E.

24)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 36 zu Nr. 5 b).

25)

§ 4 Abs. 1 Satz 6 KSpTG-E.

26)

§ 4 Abs. 2 und 3 KSpTG-E.

27)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 3.

28)

Vgl. § 1 Satz 3 NABEG, § 1 Abs. 1 Satz 2 BBPlG und § 14d EnWG für den Netzausbau auf den verschiedenen Spannungsebenen und § 11c EnWG für Anlagen zur Speicherung elektrischer Energie.

29)

Birkner, NVwZ 2024, 138, 139, unter Verweis auf die Rechtsprechung, u.a. des OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14.06 2023 - OVG 3a A 30/23 Rn. 33.

30)

BR-Drs. 266/24 vom 05.07.2024, S. 11.

31)

BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 24.

32)

Fn. 2.

33)

Vgl. BT-Drs. 20/11900 vom 21.06.2024, S. 23.

34)

Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien, CCU-Technologie – Auf dem Weg zur klimaneutralen Industrie, abrufbar unter: https://www.klimaschutz-industrie.de/themen/technologien-und-querschnittsthemen/ccu-technologie/ (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

35)

International Energy Agency, Is carbon capture too expensive?, 2021, abrufbar unter: https://www.iea.org/commentaries/is-carbon-capture-too-expensive (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

36)

Verordnung (EU) 2021/1119 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.06.2021 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999 (ABl Nr. L 243 vom 09.07.2021).

37)

Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12.12.2019 (BGBl I, 2513), geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15.07.2024 (BGBl 2024 I Nr. 235).

38)

Pfeiffer/Erlach et al., Kohlenstoffmanagement integriert denken: Anforderungen an eine Gesamtstrategie aus CCS, CCU und CDR, 2024, S. 16, abrufbar unter: https://energiesysteme-zukunft.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/PDFs/ESYS_Impuls_Kohlenstoffmanagement.pdf (zuletzt abgerufen am 10.09.2024).

39)

BR-Drs. 266/24 vom 05.07.2024, S. 11.

40)

Kersandt, Beschleunigung durch Gesetzgebung? Was Vorhabenträger und Behörden tun können, in: Mann/Mainzer/Kersandt/Spieler, Recht und Verantwortung, Festschrift für Andrea Versteyl, 2023, S. 169 ff.


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