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Anmerkung zu:OLG Frankfurt Vergabesenat, Beschluss vom 21.11.2024 - 11 Verg 6/24
Autor:Prof. Dr. Lutz Horn, RA und FA für Vergaberecht
Erscheinungsdatum:14.01.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 171 GWB, § 160 GWB, § 155 GWB, § 80 VwVfG, § 91 ZPO, § 182 GWB
Fundstelle:jurisPR-VergR 1/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:Horn, jurisPR-VergR 1/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch Antragsgegner vor Vergabekammer



Leitsätze

1. Für die Frage der Notwendigkeit der Heranziehung eines Rechtsanwalts ist eine differenzierte Betrachtung des Einzelfalls erforderlich.
2. Gegen die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts kann es sprechen, wenn die noch nicht anwaltlich beratene Vergabestelle bereits vorgerichtlich umfassend zu den später im Nachprüfungsverfahren erörterten Sach- und Rechtsfragen Stellung nimmt.



A.
Problemstellung
Der Vergabesenat des OLG Frankfurt hatte sich im Beschluss vom 21.11.2024 erneut mit der Frage zu befassen, wann die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner notwendig i.S.d. § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB und seine außergerichtlichen Kosten – Anwaltskosten – damit erstattungsfähig waren.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsgegner, ein großer Landesbetrieb des Landes Hessen, hatte Bauleistungen, namentlich vorgehängte belüftete Fassaden sowie Tischler-, Metallbau-, Zimmer-, Holzbau- und Verglasungsarbeiten, europaweit ausgeschrieben. An dieser Ausschreibung hatte sich die Antragstellerin mit einem Angebot beteiligt, war jedoch aus formalen Gründen zwingend gemäß § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A vom Verfahren ausgeschlossen worden. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag.
Vor der Vergabekammer stritten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit dieses Ausschlusses: Der Antragsgegner hatte in Ziffer 8 des verwendeten Formblattes 211 EU (Aufforderung zur Angebotsabgabe) für die Form der Angebotsabgabe lediglich „Elektronisch“ angekreuzt, also von den weiteren Alternativen „mit fortgeschrittener/m Signatur/Siegel“ und „mit qualifizierter/m Signatur/Siegel“ keinen Gebrauch gemacht. Darüber hinaus hatte er in Ziffer 10 des Formblattes 211 EU festgelegt, dass mit dem Angebot einzureichende bepreiste Leistungsverzeichnisse zwingend als „GAEB-Datei“ in bestimmten Formaten vorgelegt werden müssten und darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss vom Verfahren erfolgt, wenn diese Vorgabe nicht beachtet würde. Die Antragstellerin gab mit dem Angebot die einzureichenden Preisangaben sowohl als GAEB-Datei als auch im PDF ab. Bei der Prüfung der Angebote hatte sich allerdings herausgestellt, dass in der GAEB-Datei zahlreiche Preisangaben aus technischen Gründen, die unstreitig in der Risikosphäre der Antragstellerin gelegen haben, nicht übernommen worden waren. Die PDF-Datei war vollständig ausgepreist. Danach wäre das Angebot der Antragstellerin das preisgünstigste Angebot gewesen. Die Antragstellerin machte vor der Vergabekammer geltend, die Beschränkung der zugelassenen Dateiformate sei vergaberechtswidrig. Aber selbst wenn nicht, hätte jedenfalls die von ihr zusätzlich eingereichte vollständige PDF-Datei gewertet werden müssen. Denn nach Ziffer 8 der Aufforderung zur Angebotsabgabe sei die Vorlage von Angebotsunterlagen lediglich in elektronischer Form gefordert worden, was auch das PDF umfasse.
Auf Hinweis der Vergabekammer, wonach der Nachprüfungsantrag im Hinblick auf die behauptete Unzulässigkeit der vorgegebenen Dateiformate sowie die angebliche Widersprüchlichkeit der Formvorgabe in Ziffer 8 der Aufforderung zur Angebotsabgabe wegen Rügeverfristung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB und wegen Fristablaufs gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB unzulässig und im übrigen wegen der 104 fehlenden Preisangaben gemäß § 16a EU Abs. 2 Satz 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A unbegründet sei, nahm die Antragstellerin den Antrag zurück.
In ihrem Einstellungsbeschluss sprach die 2. VK Darmstadt die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner aus und begründete diese Entscheidung ausführlich. Dagegen wandte sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Mit Erfolg:
Der Vergabesenat des OLG Frankfurt stellt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsmittels fest: Als Bestandteil der Kostenentscheidung könne auch die Entscheidung über die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten isoliert gemäß § 171 Abs. 1 Satz 1 GWB angegriffen werden. Unter Verweis auf die eigene Spruchpraxis (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2017 - 11 Verg 8/17 Rn. 17) konstatiert der Senat ferner, dass wegen der hier betroffenen Nebenentscheidung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden könne.
Die sofortige Beschwerde sei auch begründet, da die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nach Maßgabe des § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG für den Antragsgegner nicht notwendig gewesen sei.
Unter Verweis auf Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 26.09.2006 - X ZB 14/06) formuliert das OLG Frankfurt nochmals den Prüfungsmaßstab für die Notwendigkeit Sinne der Norm: „Notwendig“ sei die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten nur dann, wenn der jeweilige Verfahrensbeteiligte aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht nach den Umständen des Einzelfalles nicht selbst in der Lage gewesen wäre, den Sachverhalt aufgrund der erkennbaren Tatsachenlage zu erfassen, der im Hinblick auf eine etwaige Verletzung vergabeverfahrensrechtlicher Bestimmungen von Bedeutung sei, daraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung und/oder Verteidigung erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen und das so Gebotene gegenüber der Vergabekammer vorzubringen. Abzustellen sei dabei nach einheitlicher Auffassung der vergaberechtlichen Rechtsprechung stets auf den Einzelfall (BGH, Beschl. v. 26.09.2006 - X ZB 14/06; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.12.2014 - VII-Verg 37/13 und OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2017 - 11 Verg 14/17).
Für die Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung könnten – so das Oberlandesgericht unter Bezugnahme auf den BGH (Beschl. v. 26.09.2006 - X ZB 14/06) – neben der Komplexität des Sachverhaltes oder der zu beurteilenden Rechtsfragen auch persönliche Umstände wie etwa die sachliche oder personelle Ausstattung herangezogen werden. Der Senat nennt hier eine vorhandene Rechtsabteilung mit vergaberechtlicher Expertise auf der einen und allein einen kaufmännisch erfahrenen Geschäftsführer, der sich der Sache annehmen muss, auf der anderen Seite als Beispiel.
Auch der Gesichtspunkt der „prozessualen Waffengleichheit“ ist nach Auffassung des Senates unter Verweis auf eigene Rechtsprechung zu Einbeziehung in die Prüfung geeignet (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2017 - 11 Verg 8/17 und OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.01.2016 - 11 Verg 11/15).
Maßgebliches Abgrenzungskriterium sei jedoch der Umstand, ob sich das Nachprüfungsverfahren im Wesentlichen auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazugehörigen Vergaberegeln reduziere. Wenn ja, besteht nach Auffassung des Vergabesenates des OLG Frankfurt „im Allgemeinen“ für den öffentlichen Auftraggeber keine Notwendigkeit für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes. Denn in diesem originären Aufgabenkreis müsse sich der Auftraggeber auch selbst die notwendigen Sach- und Rechtskenntnisse verschaffen und in der Lage sein, diese in einem Nachprüfungsverfahren zu vertreten. Neben der eigenen Spruchpraxis (OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2017 - 11 Verg 8/17 und 11 Verg 14/17) verweist der Senat hier auch auf das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 23.12.2014 - VII-Verg 37/13).
Unter Berücksichtigung dieses Abgrenzungsmaßstabes erachtet das Oberlandesgericht die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für den Antragsgegner im konkreten Fall als nicht notwendig i.S.d. § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB:
Zunächst stellt das Oberlandesgericht heraus, dass es sich bei den wesentlichen verfahrensgegenständlichen Fragen seiner Auffassung nach durchweg um „sach- und auftragsbezogene Fragen“ handle, die ein Auftraggeber auch ohne externe anwaltliche Unterstützung im Nachprüfungsverfahren klären können müsse. Sowohl die Zulässigkeit der vorgesehenen Verpflichtung, das Angebot in einem bestimmten Format – als GAEB-Datei – vorzulegen und damit ein gleichzeitig übersandtes PDF-Angebot unberücksichtigt zu lassen, als auch die weitere Frage, ob der Antragsgegner zur Nachforderung etwa fehlender Preisangaben berechtigt und verpflichtet gewesen sei, habe der Antragsgegner bereits bei der Erstellung der Vergabeunterlagen bedenken, rechtlich prüfen und entscheiden müssen. Zum Beleg dafür verweist der Senat auf die Ziffern 8 und 10 der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wo die Bieter für den Fall einer Abweichung auch ausdrücklich auf die Rechtsfolge des Angebotsausschlusses hingewiesen worden seien. Bestätigt werde die Richtigkeit dieser Einschätzung durch vorprozessuale Korrespondenz zwischen Antragstellerin und Antragsgegner: So habe sich der zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht anwaltlich vertretene Antragsgegner in einem Schreiben vom 10.04.2024 ausführlich sachlich und rechtlich mit den später verfahrensgegenständlichen, von der Antragstellerin behaupteten Vergaberechtsverstößen auseinandergesetzt und diese unter Bezugnahme auf die auch von der Antragstellerin bemühte Entscheidung des BGH vom 16.05.2023 (XIII ZR 14/21) zurückgewiesen. In diesem Zusammenhang sei auch dem Vorwurf des Ermessensfehlgebrauchs wegen unterbliebener Nachforderung fehlender Preisangaben entgegengetreten worden. Ebenfalls unter Verweis auf dieses Schreiben verwirft der Vergabesenat den Einwand des Antragsgegners, bei der elektronischen Angebotsabgabe sei die Abgrenzung der Risikosphären für die Auftraggeberseite noch nicht hinreichend geklärt. Der Antragsgegner habe den Antragsteller schon zu diesem frühen Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass die ordnungsgemäße Angebotserstellung dem Bieter obläge – zumal sich die Antragstellerin weder vor noch im Nachprüfungsverfahren darauf berufen habe, die Fehlerhaftigkeit ihrer GAEB-Datei sei auf ein Verhalten des Antragsgegners zurückzuführen.
Das Oberlandesgericht prüft weiter, ob sich eine Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten wegen der verfahrensgegenständlichen Zulässigkeitsfragen, namentlich solcher der Rügepräklusion hätte ergeben können. Dies verneint er unter Bezugnahme auf die eigene Senatsrechtsprechung (OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.06.2024 - 11 Verg 2/24, vgl. Kopco, jurisPR-VergR 10/2024 Anm. 1): Fragen im Zusammenhang mit der Rügepräklusion könnten die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren allein nicht rechtfertigen. Dafür träten die damit zusammenhängenden Sach- und Rechtsfragen bei der Auftraggeberseite zu häufig auf. Zudem existiere dazu umfangreich vergaberechtliche Rechtsprechung. Soweit hier Fristbeginn und Fristablauf bei der Rügezurückweisung i.S.d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB zu prüfen gewesen seien, sei dies stets dem originären Aufgabenbereich des Auftraggebers zuzuordnen.
Schließlich erteilt der Vergabesenat auch dem antragsgegnerseitigen Einwand der personellen Überlastung eine Absage: Bei einem Landesbetrieb sei von Rechts wegen auf das dahinterstehende Land abzustellen. Diese habe unter Berücksichtigung des regelmäßig zu erwartenden Aufwandes ggf. durch Einrichtung zusätzlicher Stellen und Gewährung zusätzlicher Sachmittel Sorge für eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung zu tragen.
Den ohnehin aus Sicht des Senates nur flankierend heranzuziehenden Gedanken der Waffengleichheit verwirft das Gericht unter Verweis auf den Normzweck des § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG. Dieser gebiete eben stets eine einzelfallbezogene Beurteilung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten unter Einbeziehung der Gesamtumstände. Denn anderenfalls wäre die Notwendigkeit ja stets zu bejahen, wenn auch der andere Hauptbeteiligte anwaltlich vertreten sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Vergabesenat des OLG Frankfurt setzt mit der Entscheidung vom 21.11.2024 die eigene restriktive Rechtsprechung zur Notwendigkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren auf Auftraggeberseite fort (zuletzt: OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.06.2024 - 11 Verg 2/24, vgl. Kopco, jurisPR-VergR 10/2024 Anm. 1), der sich in der Tendenz auch andere Gerichte und Nachprüfungsorgane anschließen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.12.2014 - VII-Verg 37/13; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.08.2022 - VII-Verg 54/21; BGH, Beschl. v. 26.09.2006 - X ZB 14/06). Auf diesen Zug werden vermutlich auch weitere Nachprüfungsbehörden aufspringen (vgl. jüngst in dieser Ausgabe des jurisPR-VergR: 2. VK Bund, Beschl. v. 12.09.2024 - VK 2 - 77/24, Anm. Speth). Das kann mit Blick auf die ständig zunehmende Verrechtlichung des gesamten Kartellvergaberechts und gerade die in den letzten Jahren deutlich zunehmende Komplexität der europaweiten Vergabeverfahren nicht befriedigen. Selbstverständlich löst sich dieses hohe sachlich und rechtliche Niveau im Nachprüfungsverfahren nicht in Luft auf. Im Gegenteil: Hier kommt noch das prozessuale Moment der §§ 155 ff. GWB dazu.
Aus Sicht des Senates ist das Bemühen zu erkennen und auch zu würdigen, geleitet vom Wortlaut und Normzweck des § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB den gebotenen einzelfallbezogenen Prüfungsmaßstab für den unbestimmten Rechtsbegriff der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten i.S.d. Norm zu entwickeln. Allerdings ist zu konstatieren, dass der vom Gericht inzwischen über mehrere Entscheidungen herausgearbeitete und immer weiter verfeinerte Auslegungsmaßstab zu einer tendenziellen Benachteiligung der Auftraggeberseite im Nachprüfungsverfahren führt. Mag die Grenze zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes zwar (noch) nicht überschritten sein, so erweist sich der gefundene Hauptauslegungs- und Abgrenzungsmaßstab, ob sich das Nachprüfungsverfahren hauptsächlich auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazu gehörenden Vergaberegeln konzentriere, als so verallgemeinernd, dass der Auftraggeberseite die Notwendigkeit der erstattungsfähigen Beiziehung (fach-)anwaltlichen Beistandes praktisch immer abgesprochen werden kann. Denn: Was sollte denn sonst tauglicher Verfahrensgegenstand einer Vergabenachprüfung gemäß den §§ 155 ff. GWB sein, als die im konkreten Fall relevanten auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen? Wie schon in der vorhergehenden Entscheidung vom 20.06.2024 - 11 Verg 2/24, wo der Senat die Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten für die Auftraggeberseite mehr oder weniger pauschal für den Fall der potenziellen Rügepräklusion verneint, verheddert sich das Gericht in isoliert betrachtet sicherlich richtigen einzelnen Erwägungen, läuft aber dabei Gefahr, den Blick für das Ganze zu verlieren. Das hat übrigens die hier erstinstanzlich befasste VK Darmstadt gesehen und deshalb ausweislich der ausführlichen Begründung zur „Notwendigkeit der Hinzuziehung“ versucht, diese Nebenentscheidung rechtsmittelfest zu machen. Und auf die Gefahr hin, dass sich der Verfasser einem „pro-domo“-Vorwurf aussetzt: Es ist eine Fehleinschätzung zu glauben, ein Auftraggeber sei grundsätzlich in der Lage, ein europaweites Vergabeverfahren fehlerfrei und sorgfältig aufzusetzen und durchzuführen und deshalb gleichermaßen imstande, den dadurch im Streitfall geschaffenen Prozessstoff so aufzubereiten und zu präsentieren, dass in einem gerichtsähnlichen Nachprüfungsverfahren eine optimale Rechtsverteidigung erzielt werden kann. Dem ist nicht so: Auch bei größeren und großen öffentlichen Auftraggebern mit eigenen Rechtsabteilungen oder Rechtsämtern kann die dafür erforderliche Spezialisierung wegen der Vielfältigkeit der dort zu bearbeitenden Rechtsfragen nur selten erreicht werden. Die vom Senat in diesem Zusammenhang eingenommene Haltung, der Hinweis auf knappe personelle Ressourcen verfange nicht, weil der Dienstherr gehalten sei, für eine ausreichende Ausstattung zu sorgen, ist dabei wenig hilfreich und greift zudem zu kurz: Dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit kann oftmals dadurch besser Rechnung getragen werden, dass punktuell externe Unterstützung beigezogen wird als dauerhaft neue Stellen in der Verwaltung zu schaffen. Warum solche Entscheidungen einer Vergabestelle nicht legitimer und gewichtiger Grund im Rahmen der Abwägung zu § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB sein sollen, erschließt sich nicht. Zumal im Nachprüfungsverfahren die Interessenlage vor dem Hintergrund des Normzwecks von § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG eine andere ist: Während im Verwaltungsverfahren im direkten Anwendungsbereich des § 80 VwVfG der Ausspruch der Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten zu einer unmittelbaren Belastung der Staatskasse führt, geht es im Nachprüfungsverfahren um die Kostenerstattung durch den jeweiligen gegnerischen Verfahrensbeteiligten. Das Nachprüfungsverfahren ist ein Verfahren, bei dem sich nur von Rechts wegen „Beteiligte“ gegenüberstehen. Faktisch handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren, in dem Antragsteller und Antragsgegner eher den zivilprozessualen Parteibegriff ausfüllen. Das sollten auch die Nachprüfungsorgane im Rahmen der Kostenentscheidungen anerkennen. Vor diesem Hintergrund sollte vor allem aber der Gesetzgeber in eine Prüfung eintreten, ob § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 1, 2 und 3 Satz 2 VwVfG tatsächlich der richtige Maßstab für die Erstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten darstellt oder ob nicht ein Verweis auf § 91 ZPO vorzugswürdig wäre. Damit wäre nicht nur eine starke Vereinfachung bei den Kostenentscheidungen verbunden, sondern auch ein Mehr an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Lichte der auch im Nachprüfungsverfahren gebotenen prozessualen Waffengleichheit.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Im Ergebnis befindet sich die Auftraggeberseite in einem Dilemma, wenn es um die Kosten für die Beiziehung eines externen Anwaltes in einem Nachprüfungsverfahren geht: Vor dem Hintergrund der deutlich verfestigten Rechtsprechung des Vergabesenates des OLG Frankfurt, die sich in der Tendenz so auch schon bei anderen Spruchkörpern gezeigt hat, besteht die Möglichkeit, dass sich weitere Obergerichte anschließen. Folge davon wäre, dass nicht nur größere hessische Auftraggeber – also jedenfalls solche mit eigenen Rechtsämtern oder -abteilungen – damit rechnen müssten, auch bei Obsiegen auf etwa aufgewandten Kosten für einen externen Bevollmächtigten sitzen zu bleiben. Wie auch der vorliegend besprochene Fall belegt, lohnt es sich für unterlegene Antragsteller also, zumindest die Kostenentscheidung insoweit mit der sofortigen Beschwerde anzugreifen – mithin „billiger“ zu streiten. Das wiederum könnte zu einer Zunahme der Fallzahlen allein wegen der Kosten führen. Vor diesem Hintergrund muss ein öffentlicher Auftraggeber sich schon vor der Vergabekammer mit der Frage auseinandersetzen, ob überhaupt ein Antrag gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB gestellt wird. Denn selbst bei Ausspruch der Notwendigkeit durch die Vergabekammer würde eine mit überdurchschnittlichen Erfolgsaussichten verbundene Anfechtung der Nebenentscheidung nicht nur den Verlust des Erstattungsanspruchs bedeuten, sondern die in der Sache erfolgreiche Auftraggeberseite noch mit weiteren außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten der II. Instanz belasten. Solche krassen Wertungswidersprüche sind geeignet, die über Jahre mühsam erreichte Akzeptanz des europäischen Vergaberechts zu beeinträchtigen. Als weiterer unangenehmer Nebeneffekt kommt für die Auftraggeberseite dazu, dass selbst bei klar erkennbarer fehlender Erfolgsaussicht eines Nachprüfungsantrags nicht mehr sicher prognostiziert werden kann, dass die Kosten für eine externe anwaltliche Unterstützung gegenüber dem Gegner geltend gemacht werden können. Das gilt vor dem Hintergrund der vom OLG Frankfurt herausgearbeiteten Definition der „Notwendigkeit der Hinzuziehung“ nicht nur für größere Auftraggeber, sondern auch für kleinere und mittlere auf der kommunalen Ebene. Und: Wird externe vergaberechtliche Unterstützung von der Auftraggeberseite in Anspruch genommen, sei dringend angeraten, dass möglichst bereits vor einem etwaigen Nachprüfungsverfahren gegenüber der Bieterseite offen zu legen, insbesondere im Falle eines Rügeabwehrschreibens. Die erfolgreiche Rechtsverteidigung eines späteren Kostenerstattungsanspruchs wird anderenfalls erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht (dazu jüngst in dieser Ausgabe des jurisPR-VergR auch: 2. VK Bund, Beschl. vom 12.09.2024 - VK 2 - 77/24, Anm. Speth). Bleibt im Ergebnis zu hoffen, dass sich der deutsche Gesetzgeber der Sache annimmt und die Kostenerstattungsregelung des § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB durch einen Verweis auf § 91 ZPO ersetzt. Das könnte im Zuge des praktisch vor der Tür stehenden Vergabetransformationsgesetzes leicht mit erledigt werden. Alternativ käme freilich immer in Betracht, dass ein anderes, mit der gleichen Frage befasstes Oberlandesgericht von der Rechtsprechung des OLG Frankfurt abweichen wollte und sich zu einer Divergenzvorlage zum BGH entschlösse. Dann käme es auf den BGH an.



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