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Anmerkung zu:OLG Düsseldorf Vergabesenat, Beschluss vom 13.05.2024 - VII-Verg 33/23
Autor:Manuel Zimmermann, LL.M. (Haifa), EMLE; Leiter Einkauf und Vergabe, RA (Syndikusrechtsanwalt), FA für Vergaberecht
Erscheinungsdatum:12.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 7 SektVO 2016, § 134 GWB, § 124 GWB, § 10 VSVgV, § 7 VgV 2016
Fundstelle:jurisPR-VergR 2/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:Zimmermann, jurisPR-VergR 2/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Öffentlicher Auftraggeber muss Wissensvorsprung von Projektant ausgleichen



Orientierungssätze

1. Ein Auftraggeber hat sicherzustellen, dass der Wettbewerb nicht dadurch verfälscht wird, dass ein Bieter oder Bewerber den öffentlichen Auftraggeber vor der Vergabeverfahrens-Einleitung beraten oder unterstützt hat.
2. Der öffentliche Auftraggeber kann dann nach seinem Ermessen entscheiden, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift. Er muss unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls bewerten, ob eine Beteiligung des Projektanten den Grundsatz des fairen Wettbewerbs wahrt.
3. Der Auftraggeber darf dann jedenfalls kein Wertungskriterium schaffen (hier: Durchdringung des Projektinhaltes/Nennung eigener Lösungsansätze), mit welchem individuelle und projektbezogene Erfahrungen wertungserhöhend berücksichtigt werden können, die der Projektant allein aufgrund der langen Beschäftigung im Vorfeld der Ausschreibung eher hat als erstmals mit diesem Projekt befasste Bewerber.



A.
Problemstellung
Hat ein Unternehmen den öffentlichen Auftraggeber bei der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens unterstützt, etwa, indem es Teile der Leistungsbeschreibung verfasste, sieht das Vergaberecht für die Beteiligung dieses sog. vorbefassten Unternehmens folgendes vor: Zunächst muss der öffentliche Auftraggeber pflichtgemäß prüfen, ob angemessene Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine Wettbewerbsverzerrung abzuwenden (vgl. § 7 Abs. 1 VgV, § 7 SektVO, § 10 Abs. 1 VSVgV). Nur, wenn sich eine Wettbewerbsverzerrung durch angemessene Maßnahmen nicht verhindern lässt, kann das Unternehmen nach vorheriger Anhörung vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden (vgl. § 7 Abs. 3 VgV, § 7 Abs. 3 SektVO, § 10 Abs. 3 VSVgV, § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB). In Bezug auf angemessene Maßnahmen führt der Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 VgV zwei Regelbeispiele an: Die Festlegung einer angemessen längeren Angebotsfrist und den Ausgleich des Informationsvorsprungs durch Unterlagen, die das vorbefasste Unternehmen vor Beginn der Ausschreibung erhielt. Das OLG Düsseldorf befasst sich in dem besprochenen Beschluss damit, welche Maßnahmen zur Abwendung einer Wettbewerbsverzerrung noch geboten bzw. zu ergreifen sind. Erstinstanzlich hatte sich die 2. Vergabekammer des Bundes mit dem Sachverhalt auseinanderzusetzen (vgl. VK Bund, Beschl. v. 18.09.2023 - VK 2 - 68/23; besprochen: in Zimmermann, jurisPR-VergR 2/2024 Anm. 4).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragsgegnerin stand vor der Aufgabe, eine Liegenschaft flächendeckend zu sanieren sowie im Zuge dessen auch Neubauten zu errichten. Hierzu beabsichtigte sie die Beschaffung von Leistungen der Baufeldlogistik und zur Neuordnung der Baufeldinfrastruktur. Um diese Beschaffung und das gesamte Vorhaben vorzubereiten, beauftragte sie zunächst einen Projektsteuerer. Als Unterauftragnehmer des Projektsteuerers erbrachte die spätere Beigeladene Leistungen der Planung und Baulogistik für die Antragsgegnerin. Hierzu gehörte unter anderem die Erstellung eines Baulogistikkonzepts und das Aufstellen der Ausführungsplanung. Außerdem war die spätere Beigeladene mit der Erstellung von Vergabeunterlagen für die Ausschreibung der Leistungen der Baufeldlogistik und zur Neuordnung der Baufeldinfrastruktur befasst, darunter die Aufgaben- und Leistungsbeschreibung, das Leistungsverzeichnis, das Baulogistikhandbuch, das Baustellensicherheitskonzept sowie diverse Pläne.
Den Auftrag über Leistungen der Baufeldlogistik und zur Neuordnung der Baufeldinfrastruktur schrieb die Antragsgegnerin unter Verwendung der von der Beigeladenen vorbereiteten Vergabeunterlagen in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach GWB, VSVgV und VOB/A-VS aus. An der Durchführung der Ausschreibung wirkte die Beigeladene nicht (mehr) aufseiten der Antragsgegnerin mit. Als Zuschlagskriterien legte die Antragsgegnerin neben dem Honorarangebot (60%) unter anderem das Kriterium „1.3 Durchdringung des Projektinhalts/Nennung eigener Lösungsansätze“ (8%) fest. Die Bewertung des letztgenannten Kriteriums erfolgte anhand von Darstellungen der Bieter in einer Bieterpräsentation. Die Beigeladene beteiligte sich durch Abgabe eines Angebots an der Ausschreibung. Mit Schreiben gemäß § 134 GWB teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter anderem mit, dass ihr Angebot im Kriterium 1.3 schlechter bewertet wurde als das der Beigeladenen. Nach erfolgloser Rüge beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie ist der Auffassung, dass die Beigeladene nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB infolge ihrer Vorbefasstheit mit der Planung bzw. der Erarbeitung der Ausschreibungsunterlagen wegen einer bestehenden Wettbewerbsverzerrung auszuschließen sei.
Die 2. Vergabekammer des Bundes bewertete den Nachprüfungsantrag als nur teilweise begründet. Zunächst stellt sie fest, dass die Mitwirkung an der Erstellung der Vergabeunterlagen durch einen Bieter für sich genommen noch nicht dessen Ausschluss rechtfertige. Der Vorteil der Beigeladenen, dass sie die Vergabeunterlagen vorzeitig kannte, habe die Antragsgegnerin durch eine entsprechend angemessen lange Angebotsfrist ausgeglichen, so dass den übrigen Bietern ausreichend Zeit zur Auseinandersetzung mit den Unterlagen zur Verfügung gestanden habe. Allerdings bestand nach Auffassung der 2. Vergabekammer des Bundes darüber hinaus ein „struktureller Informations- und Wettbewerbsvorteil“ der Beigeladenen. Mit der Erstellung der Vergabeunterlagen durch die Beigeladene sei zwangsläufig ein Erkenntnisprozess verbunden, aus dem sie sich eine detaillierte Kenntnis der erforderlichen Bau- bzw. Verfahrensabläufe bzw. des baulogistisch zu betreuenden Projekts erschlossen habe. Dieser strukturell gelagerte Informations- und Wettbewerbsvorteil habe es der Beigeladenen zwanglos erleichtert, die Vergabeunterlagen besser zu durchdringen als Mitbewerber und folglich mit Blick auf das Zuschlagskriterium 1.3 geforderten Projektanalyse und Entwicklung von darauf gestützten Lösungsansätzen ein besseres Angebot zu erstellen.
Indes rechtfertige auch der festgestellte strukturelle Informations- und Wettbewerbsvorteil vorliegend keinen Ausschluss der Beigeladenen nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB. Diese Maßnahme sei nur ultima ratio, wenn keine weniger einschneidenden Maßnahmen in Betracht kommen. Dies folge bereits aus § 10 Abs. 2 VSVgV. Der dargestellte strukturelle Wettbewerbsvorteil könne auch durch die Streichung des Zuschlagskriterium 1.3 erreicht werden, was gegenüber einem Ausschluss die weniger einschneidende Maßnahme darstelle. Die Vergabekammer gibt der Antragsgegnerin auf, unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung die Bewertungskriterien zu ändern, eine neue Präsentationsrunde durchzuführen, um sodann erneut über den Zuschlag zu entscheiden.
Die von der Beigeladenen gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes eingelegte sofortige Beschwerde bewertet das OLG Düsseldorf als zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer habe zutreffend einen Verstoß gegen § 10 Abs. 2 VSVgV angenommen. Auftraggeber haben sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme eines vorbefassten Unternehmens nicht verfälscht wird. Grundsätzlich liege es im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift. Die Antragsgegnerin habe keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um den Wettbewerbsvorteil auszugleichen. Als angemessene Maßnahme hätten öffentliche Auftraggeber erforderlichenfalls Eignungs- und Zuschlagskriterien so neutral zu fassen, dass aus einem etwaigen Wissensvorsprung des Projektanten keine Wertungsvorteile entstehen. Dies habe die Antragsgegnerin mit Blick auf das Zuschlagskriterium 1.3 (Durchdringungen des Projektinhalts und Nennung eigener Lösungsansätze) pflichtwidrig versäumt. Aufgrund der bereits dreijährigen Beschäftigung mit dem Projekt konnte sie die Anforderungen in diesem Kriterium besser beurteilen und an die Bedürfnisse des Auftraggebers anpassen, als dies anderen Bietern möglich war. Die Antragsgegnerin habe ein Kriterium geschaffen, mit dem die individuellen und projektbezogenen Erfahrungen der Beigeladenen wertungserhöhend berücksichtigt werden konnten. Das OLG Düsseldorf sieht dieses Risiko auch anhand der Wertungsdokumentation als belegt an und zitiert hierzu insbesondere aus der Bewertungsbegründung zum Angebot der Beigeladenen mit Blick auf das Zuschlagskriterium 1.3: „Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den zur Verfügung gestellten Unterlagen war für das Gremium anhand der detaillierten Aussagen des Bieters zum vorliegenden Projekt erkennbar. Besonders hervorzuheben ist insgesamt die Präsentation der Projektanalyse, welche auf die Kriterien des Auftragnehmers abgestimmt worden ist.“ Die Bewertung der 2. Vergabekammer des Bundes, dass ein Ausschluss der Beigeladenen nicht in Betracht kommt, da eine Streichung des Zuschlagskriteriums 1.3 sowie eine Wiederholung der Angebotsphase als milderes Mittel vorrangig sei, war nicht Gegenstand der sofortigen Beschwerde.


C.
Kontext der Entscheidung
Bisher hatte sich die obergerichtliche Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht damit befasst, welche angemessenen Maßnahmen zum Ausgleich des Wettbewerbsvorteils eines Projektanten von öffentlichen Auftraggebern erforderlichenfalls über die regelbeispielhaft in § 7 Abs. 2 VgV genannten Maßnahmen ergriffen werden müssen. Das OLG Düsseldorf bestätigt nun die bereits in der vergaberechtlichen Fachliteratur vertretene Auffassung, dass es zu dem Portfolio der von Auftraggebern pflichtgemäß zu prüfenden Maßnahmen auch gehört, die Eignungs- und Zuschlagskriterien so neutral zu fassen, dass aus einem etwaigen Wissensvorsprung des Projektanten keine Wertungsvorteile entstehen (vgl. Summa in: Summa/Schneevogl, jurisPK-Vergaberecht, 7. Aufl. § 124 GWB Rn. 140; Völlink in: Ziekow/Völlink/Völlink, 5. Aufl. 2024, § 7 VgV Rn. 10; Müller-Wrede in: Müller-Wrede, VgV/UVgO - Kommentar, 5. Aufl. 2017, § 7 VgV Rn. 49).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Vergabepraxis lässt sich aufgrund der Bestätigung der Rechtsauffassung der Vorinstanz durch das OLG Düsseldorf die Empfehlung ableiten, dass Zuschlagskriterien wie „Projektanalyse“ – die nach Auffassung des Autors grundsätzlich im Rahmen von Konzepten oder strukturierten Interviews sehr zweckmäßige sein können – bei der Beteiligung eines Projektanten aufgrund der damit verbundenen Risiken entfallen sollten. Während die 2. Vergabekammer des Bundes noch mit für die Praxis schwer erfassbaren Begriffen wie „strukturellen Informations- und Wettbewerbsvorteilen“ hantierte, schafft das OLG Düsseldorf auch durch die abstrahierende, aber für Praktiker zugleich sehr greifbare Definition der zu prüfenden Maßnahme Klarheit: Auftraggeber müssen Eignungs- und Zuschlagskriterien erforderlichenfalls so neutral fassen, dass aus einem etwaigen Wissensvorsprung des Projektanten keine Wertungsvorteile entsteht.



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