Vorliegen eines öffentlichen Bauauftrags bei Abschluss eines Vertragswerks bestehend aus Finanzhilfe und KaufvorvertragOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Ein Vertragswerk zwischen einem Mitgliedstaat und einem Wirtschaftsteilnehmer, das aus einer Finanzhilfevereinbarung und einem Kaufvorvertrag besteht, die im Hinblick auf die Errichtung eines Fußballstadions geschlossen wurden, stellt einen „öffentlichen Bauauftrag“ dar, sofern mit dem Vertragswerk gegenseitige Verpflichtungen zwischen dem Mitgliedstaat und dem Wirtschaftsteilnehmer begründet werden, darunter die Verpflichtung zum Bau des Stadions gemäß den vom Mitgliedstaat genannten Bedingungen und eine einseitige Option des Wirtschaftsteilnehmers, die der Verpflichtung des Mitgliedstaats entspricht, das Stadion zu erwerben, und sofern dem Wirtschaftsteilnehmer mit dem Vertragswerk eine staatliche Beihilfe gewährt wird, die von der Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar anerkannt wurde. 2. Unionsrechtliche Bestimmungen stehen der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, wonach ein unter Verstoß gegen das Vergaberecht geschlossener Vertrag ex tunc absolut nichtig ist, im Rahmen einer Nichtigkeitseinrede des öffentlichen Auftraggebers nicht entgegen, sofern die eine solche Nichtigkeit vorsehenden Rechtsvorschriften im Fall eines öffentlichen Auftrags, der in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fällt, das Unionsrecht einschließlich der allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze beachten. - A.
Problemstellung Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren entschied der EuGH zur vergaberechtlichen Einordnung eines Vertragswerkes über den Bau eines Fußballstadions in der Slowakei. Der EuGH hatte dabei zu beantworten, ob auch komplexe, aus verschiedenen Elementen – hier insbesondere einer Finanzhilfe und einem Kaufvorvertrag – bestehende Vertragsgeflechte einen öffentlichen Bauauftrag darstellen können. Dabei nutzte das Gericht die Gelegenheit, die Anforderungen an den notwendigen Einfluss des Auftraggebers im Fall von Drittbauten zu präzisieren. Sodann widmete sich der EuGH der Frage, ob nationale Vorschriften es öffentlichen Auftraggebern erlauben dürfen, ihren Vertragspartnern die Nichtigkeit von Verträgen aufgrund von durch sie selbst herbeigeführten Verstößen gegen das Vergaberecht entgegenzuhalten.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Dem Vorabentscheidungsverfahren liegt ein Rechtsstreit vor dem slowakischen Bezirksgericht Bratislava III zugrunde. Das Ausgangsverfahren betraf einen Rechtsstreit zwischen dem Bauunternehmen NFŠ a.s. (NFS) und der Slowakischen Republik, vertreten durch das slowakische Bildungsministerium, über ein Vertragswerk bezüglich der Errichtung und des Kaufs eines Fußballstadions, das von NFS in der Slowakei errichtet werden sollte. Das slowakische Bildungsministerium hatte – ohne vorher ein Vergabeverfahren durchzuführen – beschlossen, das Stadion von NFS bauen zu lassen und dem Unternehmen dafür eine Finanzhilfe zu gewähren. Das daraufhin in den Jahren 2013-2016 zwischen dem slowakischen Bildungsministerium und NFS zustande gekommene Vertragswerk bestand aus zwei Komponenten: (1) Einem Finanzhilfevertrag über eine Beihilfe i.H.v. 27,2 Mio. Euro zum Bau des Fußballstadions, wobei die Räumlichkeiten des Stadions dabei gegen Entgelt durch den slowakischen Fußballverband genutzt werden konnten; und (2) einem Kaufvorvertrag zur Regelung der Bedingungen für den Abschluss des Kaufvertrags über das Stadion. Im Ausgangsverfahren stritten das Bildungsministerium und NFS sowohl über die Gültigkeit als auch über den Inhalt dieses Vertragswerkes. NFS war der Ansicht, der Kaufvorvertrag stelle keinen öffentlichen Auftrag dar, da keine rechtswirksame Verpflichtung zur Erbringung von Bauleistungen vorgesehen sei. Das slowakische Bildungsministerium hielt die Finanzhilfevereinbarung und den Kaufvorvertrag hingegen für ein einheitliches Ganzes, das mangels wettbewerblichen Vergabeverfahrens bewusst auf eine Umgehung des Gesetzes abgezielt habe. Der Kaufvorvertrag habe entgeltlichen Charakter, da er die Modalitäten der Kaufpreisfestlegung regle. Das Ministerium habe zudem durch Vorgabe der Anforderungen an den Bau des Stadions (u.a. Berücksichtigung der UEFA-Anforderungen „Kategorie 4 Stadion“) entscheidenden Einfluss auf das Projekt gehabt. Des Weiteren stritten die Parteien auch darüber, ob und inwieweit die Verstöße gegen das Vergaberecht zur Nichtigkeit des bzw. der Verträge führten. Das Bezirksgericht Bratislava III hielt Finanzhilfevereinbarung und Kaufvorvertrag für ein einheitliches Vertragsgefüge und fragte den EuGH in seinen Vorlagefragen insbesondere, ob ein aus einem Finanzhilfevereinbarung und einem Kaufvorvertrag bestehendes einheitliches Vertragsgefüge einen öffentlichen Bauauftrag i.S.v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b RL 2004/18 oder Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c RL 2014/24 darstellt. Daneben fragte es, ob die unionsrechtlichen Vorschriften des Vergaberechts einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Rechtsgeschäft wegen eines wesentlichen Verstoßes gegen die Grundsätze des Vergaberechts absolut ex tunc nichtig ist. Im Rahmen der Beantwortung der ersten Vorlagefrage prüfte der EuGH das Vorliegen eines öffentlichen Bauvertrages anhand der Kriterien des Art. 1 Abs. 2 Buchst. b Vergaberichtlinie 2004 (RL 2004/18/EG); deren Anforderungen hinsichtlich der Ausführung eines Bauwerks gemäß vom öffentlichen Auftraggeber gestellten Bedingungen entsprechen im Wesentlichen den in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c Vergaberichtlinie 2014 (RL 2014/24/EU) genannten Anforderungen (Rn. 36)). Dabei stellte der EuGH fest, dass der Begriff der „Verträge“ im Sinne der Vorschrift(en) auch komplexe, aus mehreren Dokumenten bestehende Willensvereinbarungen umfasst, selbst wenn jedes dieser Dokumente nach nationalem Recht einen eigenständigen Vertrag darstellt (Rn. 40). Finanzhilfevereinbarung und Kaufvorvertrag könnten folglich aufgrund ihres sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs als einheitlicher Vertrag verstanden werden (Rn. 41). Im Rahmen der für alle öffentlichen Aufträge erforderlichen Entgeltlichkeit des Vertrages prüfte der EuGH insbesondere das Vorliegen einer synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung (Rn. 44). Dabei berücksichtigte er umfassend die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten. Eine unmittelbare Einräumung des Eigentums hielt er insoweit nicht für zwingend erforderlich: Im Falle einer Kaufverpflichtung eines öffentlichen Auftraggebers, der keine (unmittelbare) Verkaufsverpflichtung des Vertragspartners gegenüberstehe, sei der synallagmatische Charakter des Vertrages und damit das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags nicht zwangsläufig auszuschließen (Rn. 45). Bei öffentlichen Bauaufträgen ließe sich ein wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers nicht nur dann feststellen, wenn dieser auch Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks werde. Vielmehr komme ein wirtschaftliches Interesse auch in anderen Situationen in Betracht – insbesondere, wenn das Vertragswerk die Einräumung eines Rechtstitels vorsehe, der die Verfügbarkeit des Bauwerks im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstelle (Rn. 47). Im vorliegenden Fall könne zum Beispiel die Einräumung eines Vorkaufsrechts für das Stadion zugunsten des Staates einen eigenen wirtschaftlichen Wert haben (Rn. 47). Daneben könne ein wirtschaftliches Interesse auch anhand der wirtschaftlichen Vorteile des Auftraggebers aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks, seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks und/oder der Risikoverteilung für den Fall des Fehlschlags des Bauwerks bejaht werden (Rn. 49). Erforderlich für die Annahme eines öffentlichen Bauauftrages war angesichts des Vorliegens eines Drittbaus zudem die Feststellung eines hinreichenden Einflusses des slowakischen Bildungsministeriums (als öffentlicher Auftraggeber) auf die Errichtung des Stadions. Der EuGH bekräftigte insoweit die Bedeutung des Einflusses des öffentlichen Auftraggebers auf die architektonische Struktur des zu errichtenden Bauwerks. Er verwies dabei insbesondere auf Vorgaben über die Größe, Außenwände und tragenden Wände des Bauwerks (Rn. 52). Bezogen auf den hiesigen Fall hielt er den erforderlichen Einfluss aufgrund der Bestimmung des Vertragswerkes, dass das Stadion den UEFA-Kriterien der Kategorie 4 entsprechen sollte, für möglich. Das Ausgangsgericht habe die entsprechenden Vorgaben des Vertragswerkes dahin gehend zu prüfen, ob das UEFA-Reglement Anforderungen etwa mit Blick auf die Spielfeldgröße, Stadionkapazität oder Anzahl der Parkplätze aufstelle (Rn. 53 f.). Zuletzt stellte der EuGH klar, dass die Feststellungen eines beihilferechtlichen Genehmigungsbeschlusses der Europäischen Kommission im Rahmen der vergaberechtlichen Bewertung des Vorliegens eines öffentlichen Bauauftrages keine Bindungswirkung entfalten. Nationale Gerichte seien nur insoweit an Beihilfebeschlüsse der Kommission gebunden, als es um die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt gehe. Beurteilungen, die sich nur implizit aus einem Beschluss der Kommission über eine staatliche Beihilfe ergeben, könnten für die nationalen Gerichte in einem vergaberechtlichen Rechtsstreit ohne beihilferechtlichen Bezug indes nicht bindend sein (Rn. 59). Im Rahmen seiner Beantwortung der zweiten bis vierten Vorlagefrage prüfte der EuGH die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften, wonach öffentliche Auftraggeber die Nichtigkeit von unter Verstoß gegen das Vergaberecht geschlossenen Verträge geltend machen können, mit der Rechtsmittelrichtlinie (RL 89/665/EWG) und der Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU). Im Ausgangsverfahren hatte das Bildungsministerium die Nichtigkeit des in Rede stehenden Vertragswerks geltend gemacht, weil dieses ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren geschlossen worden war. Vor diesem Hintergrund verneinte der EuGH zunächst die Anwendbarkeit der Rechtsmittelrichtlinie auf Konstellationen, in denen ein öffentlicher Auftraggeber sich (zu seinen Gunsten) auf die Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommenen Vertrages beruft (Rn. 74): Die Rechtsmittelrichtlinie schaffe keine Verfahren oder Rechtsbehelfe zugunsten öffentlicher Auftraggeber (Rn. 71). Die in den Art. 2d und 2e der Richtlinie geregelten Folgen der Verletzung von Vorschriften des Unionsrechts über öffentliche Aufträge bezögen sich nur auf von Unternehmen eingelegte Rechtsbehelfe (Rn. 73). Auch aus den Bestimmungen der Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU) sind nach Auffassung des EuGH keine Vorgaben im Hinblick auf den Erlass entsprechender nationaler Rechtsvorschriften abzuleiten (Rn. 79).
- C.
Kontext der Entscheidung Im Zentrum der Vorabentscheidung steht die Antwort des EuGH auf die erste Vorlagefrage. Der EuGH führt hier in verschiedener Hinsicht seine bisherige Rechtsprechung fort. So entspricht die Feststellung, dass der vergaberechtliche Begriff der Verträge auch komplexe, aus mehreren Dokumenten bestehende Willensvereinbarungen umfasst (Rn. 40), bisherigen Entscheidungen über das Vorliegen eines öffentlichen Bauvertrages, die statt einer formalen Betrachtung der (Einzel-)Verträge auf die Funktion bzw. das Zusammenwirken des (Gesamt-)Vertragswerkes abstellen. In der Entscheidung „Köln Messe“ hat der EuGH etwa ebenfalls auf die Funktion und den Inhalt eines Vertrages abgestellt und diesen als öffentlichen Bauvertrag eingeordnet, obwohl er als Mietvertrag ausgewiesen war (EuGH, Urt. v. 29.10.2009 - C-536/07 Rn. 56 „Köln Messe“). Auch im Hinblick auf das im Rahmen der Entgeltlichkeit des Vertrages zu prüfende Merkmal des Synallagmas führt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung fort, indem er die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten weit versteht und umfassend würdigt (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 25.03.2010 - C-451/08 Rn. 49 ff. „Helmut Müller“; EuGH, Urt. v. 10.09.2020 - C-367/19 Rn. 25 f. „Tax-Fin-Lex“). Auch hier kommt es anstelle einer formalen Betrachtung vor allem auf die ökonomischen Details der Verträge im Einzelnen an. Der EuGH berücksichtigt insoweit sämtliche Merkmale des Auftrages nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für die Parteien, ohne dass die gegenseitigen Verpflichtungen zwangsläufig in Form einer Kauf- und Verkaufsverpflichtung bestehen müssen. Die Einräumung von Eigentum an der Bauleistung bzw. dem Bauwerk ist ebenfalls nicht zwingend erforderlich, da auch andere Rechtspositionen einen berücksichtigungsfähigen wirtschaftlichen Wert darstellen können. Die beispielhaft genannten möglichen wirtschaftlichen Vorteile des Auftraggebers aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks, seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks und/oder der Risikoverteilung für den Fall des Fehlschlags des Bauwerks (Rn. 49) zeigen insofern, dass die Richter durchaus zu einer umfassenden wirtschaftlichen Würdigung der jeweils infrage stehenden Vertragsbestandteile bzw. der damit einhergehenden Interessen der Parteien gewillt sind. Auffällig ist dabei, dass der EuGH – anders als in vorherigen Entscheidungen – auf die Einklagbarkeit der gegenseitigen Verpflichtungen nicht weiter eingeht. Eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung ist darin jedoch wohl nicht zu erkennen: Unter Zugrundelegung der Feststellungen des vorlegenden Gerichts, dass Finanzhilfevereinbarung und Kaufvorvertrag „einen Rahmen gegenseitiger Pflichten zwischen dem Bildungsministerium und NFŠ bildeten“ (Rn. 26), scheint er deren Einklagbarkeit vielmehr zu unterstellen. Dahinter dürfte die – im Urteil „Helmut Müller“ noch explizit benannte – Erwägung stehen, dass bei rechtsverbindlichen Verpflichtungen immer davon auszugehen ist, dass ihre Erfüllung auch einklagbar ist (vgl. EuGH, Urt. v. 25.03.2010 - C-451/08 Rn. 62 „Helmut Müller“). Daneben bleibt der EuGH auch im Hinblick auf das Maß des erforderlichen Einflusses des öffentlichen Auftraggebers bei Drittbauten (§ 103 Abs. 3 Satz 2 GWB) bei seiner bisherigen Linie. Für eine Errichtung des Bauwerks gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen kommt es weiterhin vor allem auf den Einfluss des Auftraggebers auf die architektonische Struktur des Gebäudes an (Rn. 52; zur gefestigten Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf erforderlichen Einfluss des Auftraggebers im Rahmen des Vorliegens einer öffentlichen Bauleistung auch Friton/Wolf in: BeckOK VergabeR, 34. Ed. Stand 01.02.2023, § 107 GWB Rn. 18). Seine bisherige Rechtsprechung konkretisierend, stellt der EuGH hier insbesondere auf die Größe, Außenwände und tragenden Wände des Bauwerks ab. Die Art und Planung des Projekts werden durch entsprechende Vorgaben wesentlich beeinflusst. Für die Praxis sind damit wichtige Kriterien zur Beurteilung der Einflussschwelle gewonnen, wenngleich eine noch weiter gehende Konkretisierung der Kriterien durch das Gericht durchaus wünschenswert gewesen wäre. Dass bereits der Verweis auf die UEFA-Vorgaben zur Stadionkategorie 4 ausreichen, um einen vergaberechtlich hinreichenden Einfluss des öffentlichen Auftraggebers anzunehmen, verdeutlicht jedoch auch, dass den ein Bauprojekt planenden und umsetzenden Unternehmen durch die Vorgaben des Auftraggebers nicht jeglicher architektonische Spielraum genommen wird bzw. werden muss. Im Rahmen seiner Antwort auf die zweite bis vierte Vorlagefrage bejahte der EuGH die Vereinbarkeit nationaler Vorschriften, nach denen öffentliche Auftraggeber die Nichtigkeit von unter Verstoß gegen das Vergaberecht geschlossenen Verträgen geltend machen können, mit der Rechtsmittelrichtlinie (RL 89/665/EWG) und der Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU). Bezogen auf die Geltendmachung der Nichtigkeit durch das slowakische Bildungsministerium im Ausgangsverfahren erhob der EuGH insofern – trotz der Herbeiführung des Verstoßes durch das Ministerium selbst – keine vergaberechtlichen Bedenken. Dabei stellte er insbesondere fest, dass das nationale Recht Möglichkeiten dafür vorsehen kann, dass öffentliche Auftraggeber die Rechtmäßigkeit ihrer früheren Entscheidungen überprüfen bzw. – wie hier – deren Rechtswidrigkeit etwaigen Ansprüchen entgegenhalten. Mit dieser Feststellung stärkt der EuGH letztlich die Verwirklichung der Grundsätze und Wertungen des Vergaberechts (auch) in nationalen Vorschriften. Das Urteil entspricht insofern der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, die stets die Bedeutung des effet-utile-Grundsatzes betont. In Deutschland wäre ein Fall wie der vorliegende hingegen grundsätzlich nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit einer rechtswidrigen Direktvergabe tritt regelmäßig nur ein, wenn der Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird (§ 135 Abs. 1 Halbsatz 2 GWB). Ein Auftraggeber könnte ein solches Nachprüfungsverfahren aber selbstverständlich nicht selbst einleiten. Eine Nichtigkeit von rechtswidrigen Direktvergaben kraft Gesetzes, also nach § 134 BGB (i.V.m. den Vorschriften des GWB), wurde vor Einführung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB bzw. dessen Vorgängernorm in Deutschland zwar diskutiert, aber von der Rechtsprechung abgelehnt (vgl. zusammenfassend Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede, GWB, § 135 GWB Rn. 105 ff.). Möglich bleibt damit nur eine Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB. Dabei dürfte es sich aber um seltene Extremfälle handeln (so beispielsweise OLG Brandenburg, Urt. v. 16.12.2015 - 4 U 77/14).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Für die Praxis dürfte insbesondere die erste der vier Vorlagefragen relevante Erkenntnisse liefern. Das Vorliegen eines öffentlichen Bauauftrages ist gerade in Fällen komplexer Infrastruktur(groß)projekte oftmals nicht einfach zu beantworten. Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht, dass es insoweit nicht auf eine formale vergaberechtliche Einordnung einzelner (Teil-)Aspekte der jeweiligen Vertragswerke ankommt, sondern das Gesamtkonstrukt als einheitliches Ganzes zu würdigen ist. Dabei macht der EuGH ein weiteres Mal deutlich, dass er sich von rechtlichen Konstruktionen mit Tendenz zur Umgehung des Vergaberechts nicht blenden lässt: Eine künstliche Aufspaltung vergaberelevanter Vorhaben in rechtliche Einzelteile kommt nicht in Betracht. Bei der Umsetzung großer Infrastrukturprojekte sollten öffentliche Auftraggeber daher weiterhin stets laufend und bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls kritisch prüfen, ob die Voraussetzungen eines öffentlichen Bauauftrags vorliegen.
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