juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Brandenburg Vergabesenat, Beschluss vom 04.06.2024 - 19 Verg 1/24
Autor:Jennifer Kopco, RA'in
Erscheinungsdatum:13.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 50 GKG 2004, § 3 ZPO, § 269 ZPO, § 168 GWB
Fundstelle:jurisPR-VergR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Lutz Horn, RA
Zitiervorschlag:Kopco, jurisPR-VergR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Auswirkungen der Antragsrücknahme im Nachprüfungsverfahren



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Entscheidung der Vergabekammer ergeht durch Verwaltungsakt. Demnach finden ergänzend zu den Regelungen des GWB die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und dessen Rechtsgrundsätze über die Behandlung von Verwaltungsakten Anwendung.
2. Die Rücknahme eines Nachprüfungsantrags ist so lange möglich, wie keine bestands- bzw. rechtskräftige Nachprüfungsentscheidung vorliegt.
3. Die Rücknahme des Nachprüfungsantrags entzieht die Entscheidungsgrundlage im Hinblick auf die Entscheidung in der Sache wie auch in Bezug auf die Kosten.
4. Die Regelungen zur Rücknahme des Nachprüfungsantrags sind auf die Rücknahme eines Fortsetzungsfeststellungsantrags übertragbar.



A.
Problemstellung
Das OLG Brandenburg beschäftigt sich im Rahmen einer – im Ergebnis bereits als unzulässig verworfenen – sofortigen Beschwerde im Schwerpunkt mit der prozessual-rechtlichen Frage, wie sich die Rücknahme eines Feststellungsantrags auf die Nachprüfung auswirkt. In diesem Zusammenhang zeigt das Gericht anschaulich den prozessualen Zusammenhang zwischen Nachprüfungsantrag, Nachprüfungsverfahren und Beschwerde auf.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der gegenständlichen sofortigen Beschwerde ging ein Nachprüfungsverfahren bei der VK Potsdam voraus. Im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin (und Beschwerdeführerin) auf rechtlichen Hinweis der Vergabekammer vom 20.09.2023 mit, dass sie das Vergabeverfahren in den Stand der Angebotswertung zurückversetzen werde und ihr die Erteilung des Zuschlags in Aussicht stelle. Die Antragstellerin erklärte daraufhin das Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache für erledigt. Am 26.09.2023 unterrichtete die Vergabekammer die Beteiligten über die Einstellung des Verfahrens sowie darüber, dass die Kostenentscheidung durch gesonderten Beschluss ergehen werde.
Am 02.11.2023 stellte die Antragstellerin einen Fortsetzungsfeststellungsantrag. Die Vergabekammer wies den Antrag auf Kosten der Antragstellerin mit Beschluss vom 08.03.2024 ab.
Die Antragstellerin nahm am 02.04.2024 um 14:18 Uhr zunächst ihren Fortsetzungsfeststellungsantrag zurück. Sie legte sodann noch am selben Tag um 16:15 Uhr gegen die Kostengrundentscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde ein. Diese stützte sie auf die unterlassene Bekanntgabe des rechtlichen Hinweises vom 20.09.2023.
Vor diesem Hintergrund traf der Vergabesenat die folgenden Feststellungen: Die sofortige Beschwerde sei bereits unzulässig.
Mit der Rücknahme des Fortsetzungsfeststellungsantrags sei die für die sofortige Beschwerde erforderliche Beschwer entfallen. Die Beschwerde sei damit vorliegend schon zum Zeitpunkt ihrer Einlegung nicht mehr statthaft gewesen.
Anträge auf Erlass eines Verwaltungsaktes können noch bis zum Abschluss des Verfahrens – d.h. bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung – zurückgenommen werden. Die Antragsrücknahme führe dann zur Wirkungslosigkeit des ergangenen und noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes. Entsprechendes gelte für den als Verwaltungsakt erlassenen Beschluss der Vergabekammer, der seine Grundlage in einem Fortsetzungsfeststellungsantrag des Antragstellers hat.
Die Rücknahme in vorliegendem Fall habe dem Beschluss der Vergabekammer damit die ursprüngliche Entscheidungsgrundlage genommen und diesen – mit Ausnahme der dort enthaltenen Gebührenfestsetzung – wirkungslos gemacht.
Damit fehle es der sofortigen Beschwerde mangels Vorliegens einer wirksamen Vergabekammerentscheidung an dem erforderlichen Beschwerdegegenstand.
Der Senat habe wegen der Wirkungslosigkeit des Vergabekammerbeschlusses auch über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und über die Tragung der diesbezüglichen Aufwendungen der Beteiligten zu entscheiden. Durch die Rücknahme des Fortsetzungsfeststellungsantrags habe sich die Antragstellerin in die Position der Unterlegenen begeben, so dass ihr nach billigem Ermessen die Kosten aufzuerlegen seien. Die mit der sofortigen Beschwerde beanstandete unterlassene Bekanntgabe des rechtlichen Hinweises vom 20.09.2023 rechtfertige keine andere Entscheidung, weil dies jedenfalls nicht ursächlich für die Einreichung des Fortsetzungsfeststellungsantrags geworden sei. Der Antrag war auch nicht zur Erlangung einer Kostenentscheidung erforderlich, da diese nach sachlicher Erledigung des Nachprüfungsverfahrens von Amts wegen erfolge.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens habe ebenfalls als Unterlegene die Antragstellerin zu tragen. Der Wert des Beschwerdeverfahrens richte sich nach den Verfahrenskosten des Vergabekammerverfahrens, da die sofortige Beschwerde nach Rücknahme des Fortsetzungsfeststellungsantrags allein auf die Erlangung einer für die Antragstellerin günstigen Kostenentscheidung gerichtet gewesen sei. In diesem Fall sei der Wert nicht nach § 50 Abs. 2 GKG, sondern nach entsprechender Anwendung des § 3 ZPO nach dem wirtschaftlichen Interesse des Beschwerdeführers an der erstrebten Entscheidung zu bestimmen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung stellt anschaulich den prozessualen Zusammenhang zwischen Nachprüfungsantrag, Nachprüfungsverfahren und sofortiger Beschwerde dar.
Die Entscheidung der Vergabekammer ergeht gemäß § 168 Abs. 3 Satz 1 GWB durch Verwaltungsakt. Der Senat stellt mithin richtig klar, dass die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die Rechtsgrundsätze über die Behandlung von Verwaltungsakten zur Anwendung gelangen. Demnach steht der Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung – anders als nach § 269 Abs. 1 ZPO im zivilrechtlichen Verfahren – in der Disposition des Antragstellers und kann grundsätzlich noch bis zum Erlangen einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren vor der Vergabekammer bzw. der Beschwerdeinstanz zurückgenommen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 24.03.2009 - X ZB 29/08; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.11.2009 - Verg 35/09; Krohn in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck´scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 182 GWB Rn. 103).
Die Rücknahme des Nachprüfungsantrags entzieht dabei der zum Zeitpunkt der Rücknahme mit dem Verfahren befassten Nachprüfungsinstanz sowohl in Bezug auf die Entscheidung in der Sache als auch hinsichtlich der Kosten die Grundlage. Die Entscheidungsgrundlage entfällt zudem für eine ggf. bereits ergangene Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt ist. Eine bereits ergangene – aber noch nicht bestandskräftige – Entscheidung der Vergabekammer wird damit unwirksam. In der Folge entscheidet die angerufene Instanz von Amts wegen nur noch über die Kosten des gesamten Nachprüfungsverfahrens (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 08.05.2019 - 13 Verg 10/18).
Daneben stellt der Senat zutreffend fest, dass die Regelungen des GWB einschließlich der Rechtsprechung zur Rücknahme des Nachprüfungsantrags entsprechend auf die Rücknahme eines Fortsetzungsfeststellungsantrags übertragbar sind. Das ist damit begründet, dass der Nachprüfungsantrag im Fortsetzungsfeststellungsantrag fortlebt (Summa, VPR 2024, (Werkstatt-Beitrag v. 28.06.2024)). Der Fortsetzungsfeststellungantrag ist die Grundlage für den Vergabekammerbeschluss und die Entscheidung der sich ggf. anschließenden Beschwerdeinstanz.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Vorliegender Fall zeigt: Prozessuale Fehler können teuer werden. Die Entscheidung verdeutlicht, dass das Verstehen der prozessualen Verfahrenszusammenhänge für eine erfolgreiche Nachprüfung unerlässlich ist.
Das OLG Brandenburg stellt im Rahmen seiner Entscheidung zudem klar, dass der Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB nicht dazu dient, eine für den Antragsteller günstige Kostenentscheidung bei Erledigung des Nachprüfungsverfahrens herbeizuführen. Die Kostenentscheidung ergeht von Amts wegen. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Vergaberechtsreform 2016 ausdrücklich geregelt, dass die Rücknahme des Antrags nicht per se in die Position des Unterlegenen führt. Die Entscheidung erfolgt nach billigem Ermessen der Vergabekammer bzw. des Beschwerdegerichts. Mithin kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an.
Vor diesem Hintergrund ist die Erforderlichkeit der Umstellung des Nachprüfungsantrags auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stets kritisch zu prüfen. In jedem Fall ist zu beachten, dass die Zulässigkeit des Antrags ungeschrieben ist, aber nach einhelliger Auffassung ein besonderes Feststellungsinteresse voraussetzt, das substanziiert darzustellen ist. Praxisrelevant sind vor allem zwei Fallgruppen: die Vorbereitung der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf den angegriffenen Vergabeverstoß.



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