Kein zwingender Ausschluss einer Bietergemeinschaft bei Veränderung der ZusammensetzungLeitsatz Art. 47 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in Verbindung mit dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den ursprünglichen Mitgliedern einer Bietergemeinschaft verwehrt, aus dieser Bietergemeinschaft auszutreten, wenn die Gültigkeitsdauer des von dieser Bietergemeinschaft eingereichten Angebots abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber um die Verlängerung der Gültigkeit der bei ihm eingereichten Angebote ersucht, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt. Orientierungssätze zur Anmerkung 1. Nach den Art. 47 Abs. 3 und 48 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG i.V.m. dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Änderung einer Bietergemeinschaft durch Austritt eines ihrer Mitglieder unschädlich, wenn zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder dieser Bietergemeinschaft die von dem Auftraggeber festgelegten Anforderungen erfüllen, und zum anderen, dass ihre weitere Teilnahme an diesem Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt. 2. Der automatische Einbehalt einer vom Bieter gestellten Kaution im Falle des Angebotsausschlusses widerspricht den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung sowie dem Transparenzgebot. - A.
Problemstellung Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren ging es im ersten Komplex um die Frage der Verhältnismäßigkeit von Vorschriften des italienischen Vergaberechts, die festlegten, wann die Veränderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft im laufenden Vergabeverfahren zum Ausschluss führt. Dabei liegt dem Fall ein vom italienischen öffentlichen Auftraggeber Consip SpA (nachfolgend „Consip“) ausgeschriebenes offenes Vergabeverfahren für Beleuchtungsdienstleistungen zugrunde. In Anwendung der in Frage stehenden nationalen Normen hatte Consip die Bietergemeinschaft Luxone aus dem Verfahren ausgeschlossen, nachdem zwei ihrer vier Mitgliedsunternehmen nach der Angebotsabgabe aus der Bietergemeinschaft ausgetreten waren. Der Ausschluss erfolgte, obwohl die zwei verbliebenden Mitgliedunternehmen – Luxone Srl und Iren Smart Solutions SpA – auch zu zweit die von der Auftraggeberin gesetzten Eignungsanforderungen erfüllten. Dem Austritt der beiden zurücktretenden Mitgliedsunternehmen waren acht Verlängerungen der Bindefrist des Verfahrens vorausgegangen, womit diese sich insgesamt um mehr als drei Jahre verlängert hatte. Die Verlängerungen begründete Consip stets damit, dass sie ihr „die für den Abschluss des Verfahrens erforderliche Zeit“ verschaffen sollten (EuGH, Urt. v. 26.09.2024 - verbundene C-403/23 und C-404/23 Rn. 21 „Luxone“). Dabei war jede Fristverlängerung mit einer Aufforderung an die Bieter zur Angebotsbestätigung verbunden. Im Zusammenhang mit der achten Bestätigungsaufforderungen durch Consip entschieden zwei der vier Mitgliedsunternehmen der Bietergemeinschaft Luxone schließlich, sich aus der Bietergemeinschaft und damit aus dem Verfahren zurückzuziehen. Die zweite Vorlagefrage des Vorabentscheidungsverfahrens betraf daran anknüpfend die Unionsrechtmäßigkeit einer Vorschrift des italienischen Rechts, welche „die automatische Einbehaltung der von einem Bieter gestellten vorläufigen Kaution als Folge seines Ausschlusses“ aus dem Verfahren vorsieht (Rn. 68 „Luxone“). Die Vorlagefrage ergab sich daraus, dass Consip infolge des Ausschlusses der Bietergemeinschaft Luxone die Einbehaltung der von der Bietergemeinschaft gezahlten vorläufigen Kaution angeordnet hatte. Dabei sahen die maßgeblichen italienischen Rechtsnormen dies als automatische Folge des Ausschlusses der Bietergemeinschaft vor, und zwar unabhängig davon, ob diese den Zuschlag erhalten hätte oder nicht.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Dem vorliegenden Urteil des EuGH liegen zwei Klagen gegen den öffentlichen Auftraggeber Consip zugrunde, einerseits eingereicht durch die Luxone Srl, handelnd im eigenen Namen und als Bevollmächtigte der Bietergemeinschaft Luxone, andererseits durch die Sofein SpA, eines der Unternehmen, das zuvor aus der Bietergemeinschaft Luxone ausgetreten war. Inhaltlich richteten sich beide Unternehmen zunächst vor dem Regionalen Verwaltungsgericht Latium, Italien, gegen die Entscheidung von Consip vom 11.11.2020, in welcher die Auftraggeberin den Ausschluss der Bietergemeinschaft aus dem Vergabeverfahren erklärt hatte. Daneben wandten sich die Klagen auch gegen Consips Entscheidung vom 12.11.2020, mit welcher sie die Einbehaltung der durch die ausgeschlossenen Bieter gezahlten Kaution angeordnet hatte. Consip berief sich zur Begründung des Ausschlusses neben der Veränderung der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft zudem darauf, dass die Weigerung zur Angebotsbestätigung der beiden ausgetretenen Mitgliedsunternehmen lediglich dazu dienen sollte, zu vermeiden, dass Consip feststellt, dass ihre berufliche Zuverlässigkeit nicht mehr vorliege (Rn. 28, 31). Nach anschließender Berufung durch die beiden Klägerinnen befasste sich das vorlegende Gericht, der italienische Staatsrat, mit den Rechtssachen. I. Zur ersten Vorlagefrage Der italienische Staatsrat als vorlegendes Gericht war der Ansicht, dass die für den Rechtsstreit maßgeblichen Normen des italienischen „Alten Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge“ die öffentliche Auftraggeberin dazu verpflichteten, die Bietergemeinschaft Luxone bei Veränderung ihrer Zusammensetzung auszuschließen. Das vorlegende Gericht räumte aber ein, dass es insbesondere im Fall von lang andauernden Vergabeverfahren unverhältnismäßig erscheine, die Veränderung der Zusammensetzung von Bietergemeinschaften generell zu verbieten, wenn die in der Bietergemeinschaft verbleibenden Unternehmen bereits gemeinsam in der Lage sind, die Eignungsanforderungen zu erfüllen. Der EuGH grenzte sein Prüfprogramm zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage dahingehend ein, zu untersuchen, ob nationale Vorschriften, die ein generelles Verbot der Veränderung der Zusammensetzung von Bietergemeinschaften vorsehen, mit den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG, den Vorgängernormen des Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 1 der Europäischen Vergaberichtlinie 2014/24/EU, i.V.m. dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar seien. In einem nächsten Schritt stellte der EuGH fest, verweisend auf sein Urteil in der Rechtssache „MT Højgaard und Züblin“ (EuGH, Urt. v. 24.05.2016 - C-396/14; dazu Friton/Meister, jurisPR-VergR 1/2016 Anm. 3), dass die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EU keine „spezifischen Vorschriften über die Änderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft“ enthielten (Rn. 52 „Luxone“). Folglich falle es allein in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten, Regelungen über deren Zusammensetzung zu treffen. Der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setze den Mitgliedstaaten hierbei Grenzen, so dass dieser auch für die weitere Prüfung des EuGH den Maßstab bildete. Konkretisierend hierzu zitierte der EuGH den Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2004/18/EG, wonach die Mitgliedstaaten in Umsetzung der Richtlinie nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele erforderlich ist. Darauf aufbauend griff der EuGH erneut auf seine Rechtsprechung in „MT Højgaard und Züblin“ zurück, wonach „Mitglieder einer Bietergemeinschaft ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung“ aus einer Bietergemeinschaft „austreten können, sofern zum einen erwiesen ist, dass die übrigen Mitglieder“ die Teilnahmebedingungen erfüllen „und zum anderen, dass ihre Teilnahme an… [dem] Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt“ (Rn. 59 „Luxone“). Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit komme im konkreten Fall erschwerend hinzu, dass die achtmalig wiederkehrenden Verlängerungen der Bindefrist aufgrund der Bindung von Personal- und Sachressourcen „insbesondere für ein KMU eine erhebliche Belastung darstellen“ (Rn. 61 „Luxone“). Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen zieht der EuGH daher den Schluss, dass die infrage stehenden italienischen Vorschriften, „dadurch, dass… [sie] die Aufrechterhaltung der rechtlichen und tatsächlichen Identität einer Bietergemeinschaft strikt vorschreib[en], offensichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ verletzen (Rn. 60 „Luxone“). In seinem Gesamtresümee zur ersten Vorlagefrage erklärte der EuGH daher, dass die fraglichen nationalen Vorschriften nicht mit den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 Richtlinie 2004/18/EG i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar seien. Seine Rechtsprechung zu „MT und Züblin“ nochmals aufgreifend, ergänzte der EuGH einschränkend sein Unvereinbarkeitsurteil dahin gehend, dass dies gelte, sofern die übrigen Mitglieder der Bietergemeinschaft die Teilnahmebedingungen erfüllen und ihre weitere Teilnahme die Wettbewerbungssituation der übrigen Teilnehmer nicht beeinträchtige. Jenseits dieser Kernfrage gab der EuGH auch einen Hinweis dazu, inwiefern sich von einem oder mehreren Mitgliedern verwirklichte Ausschlussgründe sich auf die gemeinsame Bietergemeinschaft auswirken können. Hierzu erklärte er in den Rn. 65 f., dass sich der öffentliche Auftraggeber zwar zu jeder Zeit des Vergabeverfahrens davon vergewissern könne, dass keine zwingenden oder fakultativen Ausschlussgründe vorlägen, er müsse dabei aber stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz achten. Dies gelte umso mehr, wenn lediglich ein oder mehrere Mitglieder einer Bietergemeinschaft einen fakultativen Ausschlussgrund erfüllen, vorausgesetzt der Ausschlussgrund ist den anderen Mitgliedern weder zuzurechnen noch darf das federführende Mitgliedsunternehmen Einfluss auf die Verwirklichung des Ausschlussgrundes gehabt haben. Insoweit sei, so der EuGH, „eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung der Verhaltensweise“ vorzunehmen (Rn. 66 „Luxone“). Zwar trifft der EuGH diese Ausführungen im Kontext der alten Rechtslage der außer Kraft getretenen Richtlinie 2004/18/EG, er beruft sich hierbei auf eine Rechtsauffassung, die er in ähnlich gelagerten Fragen bereits in den Rechtssachen „Tim“ (EuGH, Urt. v. 30.01.2020 - C-395/18 Rn. 48) und „Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras“ (EuGH, Urt. v. 07.09.2021 - C-927/19 Rn. 156; dazu Friton/Ackermann, jurisPR-VergR 3/2022 Anm. 2) – auf Grundlage der neuen Rechtslage nach der Richtlinie 2014/24/EU – vertreten hat. II. Zur zweiten Vorlagefrage Bezugnehmend auf die Anordnung zur Einbehaltung der von der Bietergemeinschaft Luxone bezahlten vorläufigen Kaution, zweifelte der vorlegende italienische Staatsrat ebenfalls an der Verhältnismäßigkeit der maßgeblichen Normen. Seine Zweifel begründete er in dem Umstand, dass die automatische Folge der Einbehaltung der Kaution bei Ausschluss des Bieters aus dem Vergabeverfahren die Merkmale einer strafrechtlichen Sanktion aufweise. Eine solche Sanktion stünde zur fraglichen „Straftat“ – der zum Ausschluss führenden Veränderung der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft – außer Verhältnis. Hinsichtlich der zweiten Vorlagefrage erklärte der EuGH, dass die Einbehaltung der Kaution zwar ein geeignetes Mittel sei, um den Bietern ihre Verantwortung bei der Vorlage ihrer Angebote vor Augen zu führen, dass die von Consip festgesetzte vorläufige Kaution jedoch „offensichtlich überhöht“ gewesen sei (Rn. 70 „Luxone“). Die automatische Einbehaltung der vorläufigen Kaution sei, so das Gericht, nach den maßgeblichen Normen „gänzlich ohne Begründung im Einzelfall“ vorgesehen und daher „offensichtlich“ nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar (Rn. 69 „Luxone“).
- C.
Kontext der Entscheidung Die vorliegende Vorabentscheidung ist auf Grundlage der alten Rechtslage, namentlich den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG, ergangen, die seit 2016 außer Kraft sind. An ihre Stelle ist nun Art. 63 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU getreten. Die Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG erklären, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer ggf. für einen bestimmten Auftrag zum Nachweis seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit sowie seiner technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen kann und hierzu nachweisen muss, dass ihm die für die Ausführung des Auftrags erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen. Dieselbe Regelung findet sich auch in Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 2014/24/EU. Dieser Artikel geht jedoch in seinem Regelungsgehalt über seine Vorgängernormen hinaus, weil er beispielsweise Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit eröffnet, ein eignungsverleihendes Unternehmen zu ersetzen, bei dem Ausschlussgründe vorliegen. Gleiches gilt über Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 4 Richtlinie 2014/24 auch für Mitglieder einer Bewerber- bzw. Bietergemeinschaft. Diese Regelung entspricht dem § 47 Abs. 4 VgV i.V.m. § 47 Abs. 2 Satz 4 VgV im deutschen Vergaberecht mit Blick auf Bewerber- bzw. Bietergemeinschaften bzw. dem § 47 Abs. 2 Satz 4 VgV mit Blick auf eignungsverleihende Unternehmen. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage befasst sich der EuGH in „Luxone“ erstmals mit der Veränderung der Zusammensetzungen von Bietergemeinschaften im offenen Vergabeverfahren in der Phase zwischen Angebotsabgabe und Zuschlagserteilung. Zuvor hatte sich der EuGH zwar in der Rechtssache „MT Højgaard und Züblin“ mit einer ähnlich gelagerten Rechtsfrage auseinandergesetzt. Der damalige Fall betraf jedoch ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, und es ging um die Veränderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft zwischen Erhalt der Angebotsaufforderung und der Angebotsabgabe. Gleichermaßen beschäftigte sich der EuGH bereits in „Telecom Italia“ (EuGH, Urt. v. 11.07.2019 - C-697/17) mit Fragen der umfassenden rechtlichen und wirtschaftlichen Identität, dort bezugnehmend auf die Verschmelzung zweier im Teilnahmewettbewerb berücksichtigter Wirtschaftsteilnehmer im nichtoffenen Verfahren nach Angebotsabgabe, wobei jedoch nur eine der beiden Wirtschaftsteilnehmer überhaupt ein Angebot abgab. Grundlegend hatte der EuGH bereits im Jahr 2003 zur Rechtssache „Makedoniko Metro“ (EuGH, Urt. v. 23.01.2003 - C-57/01) erklärt, dass, sofern das einschlägige europäische Vergaberecht keine ausdrücklichen Regelungen zur Zusammensetzung von Bietergemeinschaften vorsehe, es in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten falle, hierzu ausgestaltende Regelungen zu treffen (EuGH, Urt. v. 23.01.2003 - C-57/01 Rn. 61 „Makedoniko Metro“). So stünde das Unionsrecht einer Regelung, die es untersage, die Zusammensetzung der Bietergemeinschaft nach Angebotsabgabe zu verändern, grundsätzlich nicht entgegen (EuGH, Urt. v. 23.01.2003 - C-57/01 Rn. 64, 74 „Makedoniko Metro“). Diese Ansicht bestätigte der EuGH in „MT Højgaard und Züblin“ mit Blick auf die Vorgängernormen zu Art. 63 Richtlinie 2024/14/EU (EuGH, Urt. v. 24.05.2016 - C-396/14 Rn. 35; dazu Friton/Meister, jurisPR-VergR 1/2016 Anm. 3) und bekräftigte sie nun ebenfalls in der vorliegenden Entscheidung „Luxone“ (EuGH, Urt. v. 26.09.2024 - verbundene C-403/23 und C-404/23 Rn. 52). So belässt der EuGH auch in der vorliegenden Entscheidung den Mitgliedstaaten einen Ausgestaltungsspielraum, behält sich jedoch vor, die unionsrechtmäßige mitgliedstaatliche Ausübung dieses Spielraums anhand allgemeiner vergaberechtlicher Grundsätze – vorliegend insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – zu überprüfen. Das GWB-Vergaberecht enthält lediglich für den Fall der Veränderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft nach Zuschlagserteilung ausdrückliche Regelungen. In diesem Zusammenhang ist am Maßstab des § 132 Abs. 2 Nr. 4 GWB zu beantworten, ob es sich hierbei um eine Vertragsänderung handelt, die auch ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig ist. Zudem schreibt der öffentliche Auftraggeber gemäß § 47 Abs. 4 VgV i.V.m. § 47 Abs. 2 Satz 3 VgV einer Bietergemeinschaft vor, ein Mitglied zu ersetzen, sofern dieses Mitglied ein Eignungskriterium nicht erfüllt oder aber bei ihm ein zwingender Ausschlussgrund i.S.d. § 123 GWB vorliegt. Gemäß § 47 Abs. 4 VgV i.V.m. § 47 Abs. 2 Satz 4 VgV kann der öffentliche Auftraggeber dies ebenfalls vorschreiben, wenn ein Mitglied einer Bietergemeinschaft einen fakultativen Ausschlussgrund i.S.d. § 124 GWB erfüllt. Letzteres entspricht in seinem Regelungsinhalt dem Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 4 Richtlinie 2014/24/EU. Nicht explizit geregelt ist hingegen das der Entscheidung „Luxone“ zugrunde liegende Szenario einer nicht vom öffentlichen Auftraggeber geforderten Änderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft zwischen Abgabe des Teilnahmeantrags oder (ersten) Angebots und Zuschlagserteilung. Entsprechend kommt der Rechtsprechung in diesem Bereich eine maßgebliche Rolle zu. Diese ist in Deutschland ausgesprochen formal und (damit) streng. Aus den vergaberechtlichen Grundsätzen des Transparenzgebots, § 97 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 GWB, und der Bietergleichbehandlung, § 97 Abs. 2 GWB, leiten sie das Verbot ab, Angebotsänderungen nach Abgabe des Angebots vorzunehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.05.2005 - Verg 8/05 - VPRRS 2013, 0291). Grundlegend hat hierzu das OLG Düsseldorf entschieden, dass sich der wesentliche Inhalt des Angebots auch auf die Person des Leistenden, d.h. des Bieters, erstreckt (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.05.2005 - VII-Verg 28/05 - NZBau 2005, 710; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.05.2005 - Verg 8/05 - VPRRS 2013, 0291). Gemeint ist hiermit im Ausgangspunkt die rechtliche und tatsächliche Identität des Bieters (sog. Grundsatz der Bieteridentität). Das OLG Celle vertrat allerdings die Ansicht, dass eine Veränderung der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben nicht automatisch eine Änderung der rechtlichen Identität zur Folge hat (OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2007 - 13 Verg 9/07 Rn. 58). Da es sich bei einer Bietergemeinschaft regelmäßig um eine GbR handle, sei die rechtliche Bieteridentität jedenfalls dann gewahrt, wenn die GbR trotz Austritt oder Eintritt von Gesellschaftern, d.h. Mitgliedsunternehmen, fortbesteht. Da sich jedoch die wirtschaftliche Identität ändert, ist laut dem OLG Celle eine erneute Eignungsprüfung der Bietergemeinschaft, die lediglich die verbleibenden Mitgliedsunternehmen berücksichtigt, vorzunehmen (OLG Celle, Beschl. v. 05.09.2007 - 13 Verg 9/07 Rn. 60). So lässt sich verallgemeinernd festhalten, dass die deutschen Gerichte eine Änderung der Zusammensetzung der Bietergemeinschaft nach Angebotsabgabe zwar bei Wegfall der wirtschaftlichen Identität für möglich erachten – vorausgesetzt die Eignung bleibt erhalten. Eine Änderung der Zusammensetzung sei aber unzulässig, sofern sich durch die Veränderung der Bietergemeinschaft auch ihre rechtliche Identität ändern würde (vgl. Gabriel in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 4. Aufl. 2024, § 17 Rn. 79). Anderes könne wohl nur für das Verhandlungsverfahren gelten, da dort kein Nachverhandlungsverbot hinsichtlich des Angebots bestünde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.08.2011 - Verg 16/11 - ZfBR 2012, 72, 76). Die deutschen Gerichte verfolgen damit einen strikteren Ansatz als der EuGH. Zwar betont auch letzterer die Bedeutung der Bieteridentität für die Einhaltung des Transparenzgebots und des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Allerdings verletze eine nationale Vorschrift, die „die Aufrechterhaltung der rechtlichen und tatsächlichen Identität einer Bietergemeinschaft strikt vorschreibt, offensichtlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ (Rn. 60 „Luxone“). Stattdessen lässt es der EuGH für die Wahrung des Gleichheits- und Transparenzgrundsatzes bereits genügen, dass die in der Bietergemeinschaft verbleibenden Mitgliedsunternehmen die Eignungsanforderungen erfüllen und durch den Verbleib der Bietergemeinschaft im Verfahren die Wettbewerbssituation anderer Bieter nicht beeinträchtigt wird (EuGH, Urt. v. 24.05.2016 - C-396/14 Rn. 44, 48 „MT Højgaard und Züblin“; EuGH, Urt. v. 11.07.2019 - C-697/17 Rn. 42 ff. „Telecom Italia“; EuGH, Urt. v. 26.09.2024 - verbundene C-403/23 und C-404/23 Rn. 59, 67 „Luxone“). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist der Ausschluss einer Bietergemeinschaft nicht zulässig, selbst wenn durch die Veränderung ihrer Zusammensetzung die strikte rechtliche und/oder tatsächliche Identität nicht gewahrt wird (vgl. Gabriel in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 4. Aufl. 2024, § 17 Rn. 79). Obwohl der EuGH mit seiner Entscheidung zu „Luxone“ nun klargestellt hat, dass seine Rechtsprechung in den Rechtssachen „MT Højgaard und Züblin“ und „Telecom Italia“ ebenfalls auf einstufige Verfahren übertragbar ist, vertieft er mit dieser Rechtsprechung jedoch zugleich die Wertungswidersprüche: Diese ergeben sich aus einer Gegenüberstellung seiner Rechtsprechung zu Angebotsänderung nach Ablauf der Angebotsfrist mit den soeben dargestellten Grundsätzen zur Veränderung der Zusammensetzung von Bietergemeinschaften nach der Angebotsabgabe. In ständiger Rechtsprechung des EuGH folgt aus dem Gebot der Gleichbehandlung grundsätzlich die Regel, dass „ein eingereichtes Angebot […] nicht mehr geändert werden kann, weder auf Betreiben des öffentlichen Auftraggebers noch auf Betreiben des Bewerbers“ (EuGH, Urt. v. 29.03.2012 - C-599/10 Rn. 36 „SAG ELV Slovensko u.a.“ bezugnehmend auf ein nichtoffenes Verfahren; EuGH, Urt. v. 10.10.2013 - C-336/12 Rn. 31 „Manova“; EuGH, Urt. v. 11.05.2017 - C-131/16 Rn. 27 „Archus und Gama“; EuGH, Urt. v. 04.05.2017 - C-387/14 Rn. 37 „Esaprojekt“). Nicht zulässig ist es daher, tiefgreifende und wesentliche Änderungen des ursprünglichen Angebots vorzunehmen, welche der Abgabe eines neuen Angebots gleichkommen (EuGH, Urt. v. 04.05.2017 - C-387/14 Rn. 42 „Esaprojekt“). Zulässig ist es allein, offensichtlich sachliche Fehler zu berichtigen oder offensichtlich gebotene Erläuterungen zu ergänzen (EuGH, Urt. v. 07.04.2016 - C-324/14 Rn. 63 „Partner Apelski Dariusz“; EuGH, Urt. v. 04.05.2017 - C-387/14 Rn. 38 „Esaprojekt“; EuGH, Urt. v. 11.05.2017 - C-131/16 Rn. 29 „Archus und Gama“). In Konsequenz dieser Rechtsprechungslinie stellte der EuGH in jüngerer Zeit in der Entscheidung „Rad Service“ (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-210/20; dazu Friton, jurisPR-VergR 10/2021 Anm. 1) sogar fest, dass „die Aufforderung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der die Ersetzung eines [eignungsverleihenden] Unternehmens verlangt wird, …nicht darauf hinauslaufen [darf]…, dass dieser Bieter in Wirklichkeit ein neues – da gegenüber dem ursprünglichen wesentlich geändertes – Angebot einreicht“ (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-210/20 Rn. 44 „Rad Service“; dazu Friton, jurisPR-VergR 10/2021 Anm. 1). So betont der EuGH beim Austausch von eignungsverleihenden Unternehmen die Gefahr einer unzulässigen Angebotsänderung. Es erschließt sich jedenfalls nicht auf den ersten Blick, weshalb dann Veränderungen in der Zusammensetzung von Bietergemeinschaften sogar dann zulässig sind, wenn sich die rechtliche Identität und damit die Person des Leistenden ändert.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Was der EuGH in „MT Højgaard und Züblin“ und „Telecom Italia“ schon für Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und für das nichtoffene Verfahren festgestellt hat, hat der EuGH nun auch für sonstige zweistufige sowie offene Verfahren klargestellt: Für die Frage der Zulässigkeit der Änderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft möchte er, dass öffentliche Auftraggeber auf die materiellen Einzelumstände der Wettbewerbssituation im Vergabeverfahren abstellen, nicht auf die „formale Frage der Zulässigkeit einer Angebotsänderung“ (vgl. Friton/Meister, jurisPR-VergR 1/2016 Anm. 3). Das Urteil in der Rechtssache „Luxone“ stellt daher klar, dass nach europäischem Vergaberecht eine Änderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft nach Angebotsabgabe zulässig ist – unabhängig von einer strikten Wahrung der rechtlichen bzw. tatsächlichen Identität. Dies gilt, sofern die in der Bietergemeinschaft verbleibenden Unternehmen die Eignungsanforderungen eigenständig erfüllen und die Wettbewerbssituation der übrigen Bieter nicht beeinträchtigt wird. Auf dieser Grundlage liegt es nahe, dass der EuGH die formalistisch angelegten gesellschaftsrechtlichen Maßstäbe der deutschen Nachprüfungsinstanzen, an welche sie die Zulässigkeit die Veränderung einer Bietergemeinschaft knüpfen, für unverhältnismäßig und damit unionsrechtswidrig erachten würde. Zwar ist unklar, ob die deutsche Rechtsprechung im Lichte der EuGH-Rechtsprechung ihre bislang etablierte Spruchpraxis überhaupt (noch) aufrechterhält, weil zu diesem Komplex seitdem keine nationalen Entscheidungen mehr ergangen sind. Unabhängig davon scheint eine Änderung der Rechtsprechung der deutschen Nachprüfungsinstanzen für die Zukunft – sollte ihnen ein entsprechender Fall vorgelegt werden – unumgänglich. Obwohl die Rechtsprechung des EuGH für Bietergemeinschaften mehr Flexibilität ermöglicht, wirft sie auch neue Fragen auf. So bleibt beispielsweise weiterhin ungeklärt, unter welchen Umständen die Veränderung der Zusammensetzung einer Bietergemeinschaft zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führen würde (so auch schon Kritik von Friton/Meister, jurisPR-VergR 1/2016 Anm. 3 zum Vorgängerurteil „MT Højgaard und Züblin“; vgl. auch Gabriel in: Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch Vergaberecht, 4. Aufl. 2024, § 17 Rn. 79). Auch bestehen weiterhin die oben bereits aufgezeigten Wertungswidersprüche im Vergleich zum Umgang mit (nicht in der Person des Bieters liegenden) Änderungen des Angebots und dem Austausch von eignungsverleihenden Unternehmen unaufgelöst. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH diesen Widerspruch auflösen wird. Bietergemeinschaften, die in einer kritischen Phase des Verfahrens einen Austausch, eine Erhöhung oder einer Verringerung der Anzahl ihrer Mitgliedsunternehmen in Erwägung ziehen, sollten daher nach wie vor mit Vorsicht handeln, um Ausschlussrisiken zu vermeiden. Ist das nicht möglich und wird die Bietergemeinschaft auf Grundlage der deutschen Rechtsprechung ausgeschlossen, kann ein Nachprüfungsverfahren einschließlich Vorlage zum EuGH unumgänglich sein. Öffentliche Auftraggeber sind hingegen dazu berufen, vor dem Ausschluss einer veränderten Bietergemeinschaft eine erneute Eignungskontrolle durchzuführen und zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kritisch zu prüfen, ob ein solcher Ausschluss zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs unter den Bietern tatsächlich erforderlich ist. Verlassen sie sich weiterhin auf die strenge deutsche Rechtsprechung, riskieren sie ein Nachprüfungsverfahren.
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