A. Entwicklungen auf Bundes-Ebene
I. Änderung StGB und neuer Ausschlussgrund
Mit Wirkung zum 13.06.2024 wurde das StGB um einen neuen § 108f StGB „Unzulässige Interessenwahrnehmung“ ergänzt. Dieser betrifft Handlungen von Mitgliedern einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder, Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Mitgliedern der parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation sowie von denjenigen, die ihnen einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil anbieten, versprechen oder gewähren. Zeitgleich wurde § 123 Abs. 1 Nr. 7 GWB ergänzt, so dass eine Verurteilung auch nach dieser Vorschrift des StGB ein Ausschlussgrund ist.
II. Referentenentwurf für Vergabetransformation an Bundesressorts übermittelt
Wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in einer Pressemitteilung mitgeteilt hat, hat es den Referentenentwurf zum Vergabetransformationspaket an die Bundesressorts am 30.09.2024 versandt. Der Entwurf enthält knapp 200 Einzelvorschläge zur Reform des Vergaberechts für Verträge ober- und unterhalb der EU-Schwellenwerte. Dieser Entwurf ist inzwischen auch an die Fachöffentlichkeit gelangt.
Mit dem Vergabetransformationspaket sollen nach der Zielsetzung des BMWK Vergabeverfahren vereinfacht, beschleunigt und digitalisiert und zugleich die öffentliche Beschaffung sozial, ökologisch und innovativ ausgerichtet werden.
Das Vergabetransformationspaket ist bereits im Koalitionsvertrag angelegt und soll nun als Teil der Wachstumsinitiative Vergaberechtsvereinfachungen in allen relevanten Rechtsgrundlagen, auch für den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, für die Verwaltungsdigitalisierung und die großen Infrastrukturen wie Netze auf den Weg bringen.
Zwischenzeitlich konnte man die Äußerungen der verantwortlichen Ministerien so verstehen, dass die Entwürfe für das Tariftreuegesetz und die Vergabetransformation politisch verbunden sein könnten. Es ist deswegen abzuwarten, wie sich der weitere Gesetzgebungsprozess bei beiden Vorhaben entwickelt.
Die veröffentlichten Unterlagen haben einen erheblichen Umfang. Die UVgO wurde in fast allen Vorschriften geändert, mehrere Vorschriften insbesondere zur sozialen und innovativen Beschaffung wurden ergänzt. Der Gesetzesentwurf zum Vergaberechtstransformationsgesetz (VergRTransfG) mit Vorschlägen zur Änderung von GWB, weiteren gesetzlichen Regelungen wie dem HGrG, VgV, SektVO, KonzVgV, VSVgV umfasst mit Begründung über 130 Seiten. Eine Zusammenfassung auch nur der wesentlichen Inhalte ist in der gebotenen Kürze kaum möglich. Es soll deswegen die vom BMWK selbst dem Entwurf vorangestellte Kurzdarstellung wiedergegeben werden:
„1. Maßnahmen zur Vereinfachung und zum Abbau von Bürokratie
- -
Flexibilisierung des Losgrundsatzes mit Augenmaß (§ 97 GWB; § 22 UVgO)
- -
Erleichterungen in der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit (§ 108 GWB)
- -
Vereinfachungen in der Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB, § 23 UVgO)
- -
Vereinfachungen bezüglich der Eignungskriterien und Nachweispflichten:
- o
Stärkung des Grundsatzes der Eigenerklärungen sowie Anpassungen hinsichtlich Eignungskriterien und Nachweise (§ 122 GWB; § 48 VgV; §§ 33, 35 UVgO)
- o
Vereinfachter Wertungsvorgang als Regelfall bei offenen Verfahren (§ 42 VgV; § 31 UVgO)
- o
Vorlage der Nachweise nur von aussichtsreichen Bewerbern und Bietern (§ 122 GWB; § 48 VgV; § 35 UVgO)
- o
Keine Eignungsprüfung, wenn Eignung innerhalb des vorangegangenen Jahres bei vergleichbaren Aufträgen festgestellt wurde (§ 35 UVgO)
- -
Mehr Rechtssicherheit u.a. zur Vollständigkeit von Vergabeunterlagen (§ 41 VgV, § 29 UVgO), Nachforderung von Unterlagen (§ 56 VgV, § 41 UVgO)
- -
Höhere EU-Schwellenwerte für Bundesoberbehörden (§ 106 GWB)
- -
Absehen von der Unwirksamkeit des Zuschlags bei rechtswidrigen De-Facto Vergaben in Abwägung mit zwingenden Gründen eines Allgemeininteresses (§ 135 GWB)
- -
Vereinfachung des Nachprüfungsverfahrens u.a. durch Beschränkung des Erfordernisses von Kammerentscheidungen (§§ 157, 162 f., 167 und § 169 GWB)
- -
Weiter gehende Maßnahmen zur Vereinfachung der Unterschwellenvergabe (größtenteils in parallelem Prozess über eine Neufassung der UVgO vorgesehen):
- o
Substantielle Erhöhung der allgemeinen Direktauftragswertgrenze auf [15.000]1) Euro (§ 14 UVgO)
- o
Schaffung eines rechtssicheren Krisenvergaberechts in der Unterschwelle: Erleichterte Vergabe in besonderen Krisensituationen (§ 14c UVgO)
- o
Freie Verfahrenswahl für Verfahren mit Teilnahmewettbewerb in der Unterschwelle (§ 30 Haushaltsgrundsätzegesetz), außerdem freie Wahl der Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb unter 100.000 Euro sowie freie Wahl der Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb unter 50.000 Euro (und Vereinfachungen darüber) (§ 8 UVgO)
- o
Erleichterte Dokumentationspflichten (§ 6 UVgO)
- o
Neue Möglichkeit, in Verhandlungsvergaben mit Teilnahmewettbewerb das Verhandlungsverfahren per Bekanntmachung zu starten (§ 12 UVgO)
- o
Vereinfachte Verlängerungen von Rahmenvereinbarungen und vereinfachte Auftragsänderungen (§§ 15, 47 UVgO)
- o
Begrenzung der Anzahl der Bewerber durch Losverfahren (§ 36 UVgO)
- o
Veröffentlichung der Abweichungen von der UVgO in Länderregelungen auf den Internetseiten des BMWK (§ 1 UVgO)
2. Maßnahmen zur Beschleunigung und Digitalisierung
- -
Beschleunigung, weitreichende Digitalisierung und mehr Rechtssicherheit im Nachprüfungsverfahren (§§ 157 ff. GWB), unter anderem durch:
- o
Vornehmliche Verfahrensführung der Nachprüfungsverfahren in Textform (§§ 158, 161 GWB etc.), elektronische Übermittlung von bzw. Einsicht in Akten (§§ 163, 165, 172 GWB) und virtuelle Durchführung von mündlichen Verhandlungen (§§ 166, 175 GWB)
- o
Entscheidung nach Aktenlage (§ 166 GWB) und Begrenzung des Entscheidungszeitraums der Vergabekammern (§ 167 GWB)
- -
Weiter gehende Nutzung von Verlinkungen in elektronischen Bekanntmachungen und von E-Mail in Vergabeverfahren (§ 122 GWB; § 7 UVgO)
- -
Neue Möglichkeit der Direktauftragsvergabe bis 50.000 Euro auf Online-Marktplätzen (§ 14a UVgO)
- -
Nutzung von schlankem eForms-Standard in der Unterschwelle ab [202X] (§§ 7, 28, 30 UVgO)
- -
Datenservice Öffentlicher Einkauf als zentrale Bekanntmachungsplattform in der Ober- und Unterschwelle (§ 7 UVgO)
- -
Vornehmlich digitale Durchführung der Markterkundung (§ 28 VgV, § 20 UVgO)
3. Maßnahmen für den Mittelstand und zur Stärkung von Start-ups und Innovation in der öffentlichen Beschaffung (über den Abbau von Bürokratie hinaus)
- o
Möglichkeit, Auftragnehmer zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen zu verpflichten (§ 97 GWB, § 22 UVgO)
- o
Für KMU und junge Unternehmen: Berücksichtigung ihrer Umstände bei Eignungskriterien und -nachweisen (§ 42 VgV; § 33 UVgO); regelmäßige Angebotsaufforderung in Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb (§ 17 VgV; §§ 11 , 12 UVgO); geeignete Zahlungsmodalitäten (§ 29 VgV; § 21 UVgO)
- o
Neue Möglichkeit der Direktauftragsvergabe bis 100.000 Euro für Innovation (§ 14b UVgO)
- o
Entscheidungs- und Äußerungsgebot für eine stärkere Berücksichtigung von Nebenangeboten (§ 35 VgV, § 25 UVgO)
- o
Möglichkeit, ungeeignete Unterauftragnehmer zu ersetzen (§ 36 VgV, § 26 UVgO)
- o
Junges Alter eines Unternehmens als ‚berechtigter Grund‘ für Vorlage alternativer Nachweise (§ 45 VgV, § 35 UVgO)
4. Maßnahmen im Sinne einer sozial und umweltbezogen nachhaltigen Beschaffung
- -
Neue Zentralnorm zur nachhaltigen Beschaffung (§ 120a GWB, § 22a UVgO): Dreistufiges Konzept mit verbindlichen und gleichzeitig flexiblen Vorgaben zur Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Aspekte im Vergabeverfahren, dabei im Einzelnen:
- o
Einführung einer allgemeinen Soll-Vorgabe zur Berücksichtigung mindestens eines sozialen oder eines umweltbezogenen Kriteriums bei der Leistungsbeschreibung oder auf einer anderen Verfahrensstufe
- o
Einführung einer ‚Nachhaltigkeitsliste‘ mit besonders für eine sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung geeigneten Beschaffungsgegenständen; verpflichtende Berücksichtigung sozialer bzw. umweltbezogener Kriterien bei deren Beschaffung
- o
‚Negativliste‘ mit Gegenständen, die nicht beschafft werden dürfen
- -
Einbeziehung umweltbezogener, sozialer und innovativer Aspekte der Nachhaltigkeit bereits innerhalb der Markterkundung (§ 28 VgV, § 20 UVgO)
5. Sonstige Maßnahmen, etwa zur Stärkung der europäischen Souveränität sowie regionaler Märkte
- -
Schaffung einer Möglichkeit zum Ausschluss bestimmter Drittstaaten von öffentlichen Aufträgen im Bereich der kritischen Infrastruktur sowie im Bereich
- -
Verteidigung und Sicherheit (§ 112a GWB, § 2 UVgO)
- -
Umsetzung europarechtlicher Vorgaben aus einem laufenden Vertragsverletzungsverfahren (§§ 100 ff. GWB)
- -
Berücksichtigungsmöglichkeit regionaler Aspekte bei öffentlichen Aufträgen im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung (§ 2 UVgO etc.)“
III. Tariftreuegesetz des Bundes: Details zum Referentenentwurf
Auch der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für ein Tariftreuegesetz ist zwischenzeitlich bekannt geworden. Der vollständige Titel lautet „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes und weitere Maßnahmen (Tariftreuegesetz)“. Der Entwurf ist soweit ersichtlich noch nicht ressortabgestimmt. Die öffentliche Diskussion um den Entwurf scheint noch rege zu sein.
Gegenüber einem früheren Entwurf ist der Anwendungsbereich des BTTG erweitert und klargestellt worden. Erfasst werden sollen nun grundsätzlich alle öffentlichen Aufträge und Konzessionen des Bundes ab 25.000 Euro, deren Leistungsort sich innerhalb Deutschlands befindet und die nicht von der Anwendung des GWB ausgenommen sind, § 1 BTTG-E. Für Verträge mit Auftragswerten unterhalb der EU-Schwellenwerte soll das BTTG nur gelten, soweit die betroffenen Auftraggeber oder Konzessionsgeber durch die VgV unterhalb der EU-Schwellenwerte oder durch Abschnitt 1 der VOB/A zur Durchführung eines Vergabeverfahrens verpflichtet sind.
§ 3 BTTG-E regelt die Tariftreuevorgabe. Danach geben Bundesauftraggeber einem Auftragnehmer als Ausführungsbedingung verbindlich vor, dass er, seine Nachunternehmer und von ihm oder von Nachunternehmern beauftragte Verleiher den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für die Dauer, in der sie an der Leistungserbringung mitwirken, mindestens die Arbeitsbedingungen gewähren müssen, die die jeweils einschlägige Rechtsverordnung nach § 5 BTTG-E festsetzt. Der Auftragnehmer muss die Gewährung der einschlägigen Arbeitsbedingungen seinem Nachunternehmer oder einem beauftragten Verleiher gegenüber sicherstellen.
§ 4 BTTG-E begründet wie bisher einen Anspruch der Arbeitnehmerschaft auf Gewährung der verbindlichen Arbeitsbedingungen für die Dauer der Mitwirkung an der Leistungserbringung. Dieser Anspruch besteht auch für Leiharbeitnehmer. Für den Arbeitgeber bzw. Auftragnehmer ist zudem eine Pflicht aufgenommen worden, die Arbeitnehmerschaft über diesen Anspruch zu informieren.
§ 5 BTTG-E beschreibt das Verfahren zur Festsetzung der verbindlichen Arbeitsbedingungen. Unter anderem wird das BMAS unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt, auf Antrag in einer Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die für die Ausführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen geltenden Arbeitsbedingungen festzusetzen. Als Arbeitsbedingungen gelten Entlohnung, bezahlter Mindestjahresurlaub sowie Höchstarbeits-, Mindestruhe- und Ruhepausenzeiten im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. In bestimmten Fällen erlässt das BMAS die Rechtsverordnung nunmehr im Einvernehmen mit dem BMWK. Neu sind auch die Einrichtung einer Clearingstelle beim BMAS und die Beteiligung der Sozialpartner in Konkurrenzfällen.
In § 7 BTTG-E geht es um die Kontrollen, die nach Abs. 1 durch die Vergabestellen der Bundesauftraggeber stichprobenartig durchgeführt werden sollen. Außerdem soll nach dem Entwurf eine neue Prüfstelle Bundestariftreue bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See auf Kosten des Bundes eingerichtet werden (Absatz 2). Die Prüfstelle Bundestariftreue unterstützt die Bundesauftraggeber bei der Kontrolle und führt selbstständig Kontrollen durch. Sie kann von Bundesauftraggebern eine Aufstellung über von diesen vergebene öffentliche Aufträge und Konzessionen verlangen, teilt den Bundesauftraggebern das Ergebnis ihrer Kontrollen mit und spricht eine Handlungsempfehlung aus.
§ 8 BTTG-E behandelt nach wie vor die Nachweispflichten für Auftragnehmer und Nachunternehmer.
§ 10 BTTG-E regelt die zivilrechtlichen Sanktionen. Danach hat der Bundesauftraggeber mit dem Auftragnehmer eine Vertragsstrafe sowie die Möglichkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in bestimmten Fällen zu vereinbaren.
Gleiches gilt auch mit Blick auf die unveränderte Regelung zur Nachunternehmerhaftung des Auftragnehmers in § 11 BTTG-E, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk-, Dienst- oder Lieferleistungen beauftragt hat. Die Haftung erstreckt sich auf die Verpflichtungen dieses Unternehmers, weiterer Nachunternehmer oder eines von dem Auftragnehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung der Entlohnung (Nettoentgelt). Der Unternehmer soll für diese Verpflichtungen wie ein Bürge haften, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.
§ 12 BTTG-E sieht zentral die Zuständigkeit der Prüfstelle Bundestariftreue für die Feststellung von erheblichen Verstößen eines Arbeitgebers bzw. Auftragnehmers gegen bestimmte Pflichten aus dem BTTG vor.
Nach § 13 BTTG-E gibt ein bestandskräftiger oder rechtskräftiger Verstoß dem Auftraggeber einen fakultativen Ausschlussgrund, wobei die Möglichkeit der Selbstreinigung nach § 125 GWB bestehen soll.
IV. Wasserstoffbeschleunigungsgesetz – Fortgang in Bundesrat und Bundestag
Der Regierungsentwurf für ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz – WasserstoffBG wurde in Bundesrat und Bundestag behandelt. Der vollständige Titel des Entwurfes lautet „Gesetz zur planungs- und genehmigungsrechtlichen Beschleunigung der Erzeugung, der Speicherung und des Imports von Wasserstoff“, der als Art. 1 im „Gesetz zur Beschleunigung der Verfügbarkeit von Wasserstoff und zur Änderung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf“ enthalten ist. Das WasserstoffBG regelt u.a. die Beschleunigung von Vergabe- und Nachprüfungsverfahren für Vorhaben in seinem Anwendungsbereich.
Zwischenzeitlich hat sich das Bundesratsplenum mit der Vorlage am 05.07.2024 befasst. In seiner Stellungahme bittet der Bundesrat im weiteren Gesetzgebungsverfahren um Prüfung, ob im Rahmen der europäischen Vergaberichtlinien für eine Beschleunigung des Aufbaus der Wasserstoffinfrastruktur und ein schnell realisierbares Wasserstoff-Kernnetz (§ 28q Abs. 1 Satz 2 EnWG) eine temporäre Ausnahme von der Anwendung des Vergaberechts möglich wäre. Insbesondere sei eine Gleichbehandlung von Fernleitungsnetzbetreibern beziehungsweise Auftraggebern, die im öffentlichen Sektor tätig sind, und Fernleitungsnetzbetreibern bzw. Auftraggebern, die im privaten Sektor tätig sind, sicherzustellen. Bezüglich § 16 WasserstoffBG sei es vor dem Hintergrund der drängenden Klimaschutzziele sachgerecht und geboten, Aufträgen zum zügigen Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur im Rahmen der Abwägung gegenüber mittelständischen Interessen vorübergehend ein stärkeres Gewicht einzuräumen. Die Entwicklung eines neuen Marktes für Wasserstoff unterscheide sich maßgeblich von bestehenden Märkten, z.B. für Strom- und Gasversorgungsnetze. Neben Unternehmen des privaten Sektors würden auch öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber an Vorhaben nach § 2 Abs. 1 WasserstoffBG mitwirken. Die Anwendung des Vergaberechts stelle für letztere einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Unternehmen dar, die keine Auftraggeber i.S.d. § 98 GWB seien, da auf diese das Vergaberecht keine Anwendung finde. Der Bundesrat sieht damit einen beschleunigten deutschlandweiten Wasserstoffhochlauf gefährdet.
Auch im Bundestag ging es für den Entwurf (BT-Drs. 20/11899 vom 21.06.2024) zwischenzeitlich voran. So ist der Entwurf bereits erstberaten und an den Ausschuss für Klimaschutz und Energie (federführend), den Rechtsausschuss, den Wirtschaftsausschuss, den Verkehrsausschuss sowie den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz überwiesen worden.
Zwischenzeitlich liegt auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf vor (vgl. Unterrichtung der Bundesregierung als BT-Drs. 20/12662 vom 28.08.2024). Mit Blick auf den vergaberechtlich relevanten § 16 WasserstoffBG-E weist die Bundesregierung darauf hin, dass die europäischen Vergaberichtlinien keine temporären Ausnahmen für bestimmte Netze oder (Sektoren-)Auftraggeber kennen. Allerdings bestehe eine Antragsmöglichkeit nach Art. 34 Sektorenrichtlinie (§ 3 SektVO) für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten.
V. Zuweisung von Vergabesachen an Landgerichte: Beschluss des Bundesrats
Das Bundeskabinett hatte im Juni 2024 den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen“ beschlossen.
Der Regierungsentwurf sieht vor, dass Streitigkeiten über die Vergabe öffentlicher Aufträge oder Konzessionen, soweit sich nicht aus Teil 4 des GWB eine andere Zuständigkeit ergibt, unabhängig vom Streitwert gemäß den §§ 71 Abs. 2 und 72a Abs. 1 Buchst. d GVG den Landgerichten zugewiesen werden sollen.
Der Entwurf ist im Bundesrat angekommen und wird dort als BR-Drs. 387/24 vom 16.08.2024 geführt. Der Rechtsausschuss hat den Entwurf bereits beraten und empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Entwurf gemäß Art. 76 Abs. 2 GG Stellung zu nehmen (vgl. BR-Drs. 387/1/24 vom 13.09.2024). Allerdings betreffen die Ausführungen des Rechtsausschusses nicht die Zuweisung von Vergabesachen an Landgerichte.
Am 27.09.2024 ist der Gesetzentwurf vom Bundesratsplenum beraten worden. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme nur vorgesehen, Regelungen zum Sozialgesetzbuch zu ergänzen, vgl. BR-Drs. 387/24 (Beschluss).
VI. Statistik der Nachprüfungsverfahren 2023
Das BMWK hat die Statistik der Nachprüfungsverfahren für das Jahr 2023 für die Vergabekammern und für die Oberlandesgerichte veröffentlicht. Grundlage sind die Meldungen der Nachprüfungsinstanzen nach § 184 GWB.
forum vergabe e.V. stellt viele der Daten in einer redaktionellen Zusammenstellung der veröffentlichten Zahlen von 1999-2023 zur Verfügung. Insbesondere wird vom forum vergabe e.V. zur besseren Einordnung der aktuellen Zahlen und der langjährigen Entwicklungen das „langjährige Mittel“ errechnet, auf Grundlage aller veröffentlichten Zahlen von 1999 bis 2023.
Diese Werte sind allerdings nur bedingt belastbar. So werden bei den Vergabekammern im Durchschnitt jährlich rund 908 Verfahren erledigt, bei im Durchschnitt gut 958 Eingängen. Seit 1999 hat sich so eine Anzahl von über 1.200 Verfahren ergeben, für die kein Ausgang gemeldet wurde. Bei den Oberlandesgerichten hat sich auf die gleiche Weise eine Zahl von genau 600 Verfahren ergeben, deren Ausgang in den Meldungen nicht aufzutauchen scheint. In einigen Jahren gab es auch offensichtliche Fehler in den Meldungen; so wurde 2022 vom OLG Düsseldorf bei allen 20 Anträgen auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung kein Ergebnis gemeldet.
1. Verfahren vor den Vergabekammern
Die Vergabekammern haben für 2023 insgesamt 763 eingegangene Anträge gemeldet. Das sind 61 Anträge mehr als im Vorjahr. Der Wert für 2023 liegt deutlich unter dem langjährigen Mittelwert von 957,3 Eingängen, der aber zuletzt (von einem Ausreißer in 2020 abgesehen) seit 2011 dauerhaft unterschritten wird. Anders als in den Vorjahren haben die Vergabekammern weniger Nachprüfungsanträge beendet als eingegangen sind, nämlich insgesamt 681 (im Vorjahr 731 Erledigungen bei 702 Eingängen).
Von den insgesamt eingegangenen Anträgen wurden 41 nach § 162 Abs. 2 GWB nicht zugestellt, das sind 2 mehr als im Vorjahr.
Durch Rücknahme erledigten sich 232 Nachprüfungsanträge, während die Anzahl der Rücknahmen im Vorjahr noch bei 241 lag. Zugunsten des öffentlichen Auftraggebers gingen 145,5 Verfahren aus (gegenüber 175 im Jahr 2022; die VK Berlin hat 2023 hierzu 8,5 Verfahren gemeldet). Damit waren die Auftraggeber in 2023 leicht unterdurchschnittlich erfolgreich (wenn man Rücknahmen einrechnet), mit 55,4% von Entscheidungen zugunsten der Auftraggeber und Rücknahmen lag der Wert etwas unter dem langjährigen Mittel von 58,01%. Die Antragsteller obsiegten in 95,5 Nachprüfungsverfahren, während es im Jahr 2022 100 waren, der so gemeldete Wert von 14% lag praktisch beim langjährigen Mittel von 14,48%.
Durch sonstige Erledigung wurden 233 Nachprüfungsverfahren beendet, mit 34,2% ein Höchstwert weit über dem langjährigen Mittel von 18,38%. Die Anzahl der sonstigen Erledigungen lag im Vorjahr bei 214, wie in 2021 bei etwas mehr als 29%.
Die Entscheidungsfrist wurde in 438 Fällen gemäß § 167 Abs. 1 GWB verlängert (2022: 444). Dies entspricht rechnerisch 57,4% der Verfahren, was unter den Werten von 2021 und 2022 liegt, wo jeweils mehr als 63% der Verfahren verlängert wurden. Dennoch liegt diese Quote noch immer deutlich über dem langjährigen Mittelwert von 36,42%, der allerdings 2008 mit 32,0% das letzte Mal unterschritten wurde; 2014 lagen 37,8% wenigstens in der Nähe. Betrachtet man die ausführliche Veröffentlichung des BMWK, sind natürlich Unterschiede bei den Vergabekammern festzustellen. Die VK bei der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Hamburg hat den höchsten Wert gemeldet, mit rechnerisch 2,33 Verlängerungen je Verfahren – allerdings auf niedrigem Niveau bei drei Verfahren mit sieben Verlängerungen. Es folgt die VK Berlin mit 85 Verlängerungen bei 40 eingegangenen Verfahren, also mit 2,23 Verlängerungen je Verfahren. Im Jahr zuvor war die VK München zahlenmäßig Spitzenreiter mit 97 Verlängerungen. Die VK Bund meldet 28 Verlängerungen bei 105 Eingängen, also rechnerisch 0,26 Verlängerung je Verfahren. Die VK Karlsruhe meldet den niedrigsten Wert mit 15 Verlängerungen bei 70 Eingängen oder 0,21 Verlängerungen je Verfahren.
Im Jahr 2023 sind 32 Anträge auf Zuschlagsgestattung gemäß § 169 Abs. 2 GWB von Auftraggebern bzw. vom Zuschlagsprätendenten bei den Vergabekammern eingegangen, von denen lediglich zwei zugunsten der Antragsteller ausgingen. Im Vorjahr waren es 24 Anträge, von denen keiner erfolgreich war.
2. Verfahren vor den Oberlandesgerichten
Die OLG-Vergabesenate meldeten 119 Beschwerden, einen Rückgang gegenüber 133 Beschwerden im Vorjahr. Dies ist die zweitniedrigste Zahl überhaupt, nur 1999 waren es mit 50 noch weniger. Die Quote der Beschwerden liegt mit 17,5% im Mittelfeld, das langjährige Mittel liegt bei 20,61%. Aus dem Vorjahr waren noch 23 Beschwerden offen. Insgesamt erledigten die Oberlandesgerichte im Jahr 2023 94 Beschwerdeverfahren, während die Anzahl der Erledigungen im Vorjahr mit 107 angegeben wurde.
Auch im Jahr 2023 wurden die meisten Beschwerden von Antragstellern eingereicht. Nach den Meldungen wurden die Beschwerden 90-mal durch den Antragsteller (oder 81,8%, 92-mal in 2022 oder 69,2%), 21-mal durch den Antragsgegner (oder 19,1%, 31-mal in 2022 oder 23,3%) und 10-mal durch den Beigeladenen (oder 9,1%, 14-mal in 2022 oder 10,5%) erhoben.
Die Beschwerden waren deutlich überdurchschnittlich erfolgreich. 16 Beschwerden waren erfolgreich (gegenüber 13 im Vorjahr). 14 Beschwerden waren überwiegend erfolgreich (gegenüber fünf im Vorjahr). Der addierte Wert von 31,9% für ganz oder überwiegend erfolgreiche Verfahren ist der zweithöchste nach 2013 mit 32% und liegt deutlich über dem langjährigen Mittel von 23,69%.
31 Beschwerden wurden zurückgenommen (gegenüber 42 im Vorjahr).
Durch Vergleich haben sich sechs Anträge erledigt, gegenüber fünf im Jahr 2022. Dies ist mit 6,4% ein neuer Höchstwert; das langjährige Mittel liegt bei 1,74%. In 30 Fällen wurden die Beschwerden zurückgewiesen (2022: 29), in einem Verfahren war dies überwiegend der Fall (gegenüber neun im Vorjahr).
Von insgesamt 55 Anträgen auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 173 GWB (2022: 57) wurde in 34 Fällen stattgegeben (17 im Jahr 2022) und in 22 Fällen abgelehnt (gegenüber 20 im Vorjahr). Der Wert der in 2023 erfolgreichen Anträge von 61,8% liegt nahe beim langjährigen Mittel von 69,27%. 2022 waren nur 29,8% der Anträge nach den Meldungen erfolgreich – allerdings hatte das OLG Düsseldorf 2022 für insgesamt 20 gestellte Anträge keinen Verfahrensausgang gemeldet.
Von vier Anträgen auf Vorabentscheidung über den Zuschlag gemäß § 176 GWB wurde einem Antrag stattgegeben und ein Antrag abgelehnt. Im Jahr 2022 gab es nur zwei dieser Anträge, von denen einem stattgegeben wurde.
Wie ferner aus den Meldungen zu erfahren ist, erfolgte im Berichtszeitraum wie im Jahr zuvor keine Vorlage zum BGH, während der EuGH in zwei Fällen befasst wurde (null im Jahr 2022). Im Vorjahr gab es weder Vorlagen zum BGH noch zum EuGH. Mehr Vorlagen gab es zuletzt 2018 mit drei Vorlagen zum EuGH.
VII. BMWK: Auslegungshinweise zur Ausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat im März Auslegungshinweise zur Anwendung der Ausnahmeregelung in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB veröffentlicht.
§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des Vergaberechts bei Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr vor, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden.
Das „Rundschreiben zur Anwendung des Vergaberechts bei Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr“ (Rundschreiben IB3 - 20611/002 VVV 2018/2272 vom 25.03.2024) enthält Hinweise für Auslegung und Anwendung der Vorschrift.
Soweit § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB über den Wortlaut des ihm zugrunde liegenden Art. 10 Buchst. h Richtlinie 2014/24/EU hinaus im letzten Halbsatz darauf verweist, dass gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer insbesondere die Hilfsorganisationen sind, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind, macht das BMWK darauf aufmerksam, dass dies lediglich beispielhaft zu verstehen ist und der Anwendungsbereich nicht auf die bundes- bzw. landesrechtlich anerkannten Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen beschränkt ist. Die Ausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB gilt nach Ansicht des BMWK vielmehr für alle inländischen gemeinnützigen Leistungserbringer, unabhängig davon, ob sie nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind, sowie für gemeinnützige Leistungserbringer aus anderen EU-Mitgliedstaaten.
Ferner weist das BMWK darauf hin, dass für die Anwendung der Ausnahme gemäß § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB die Gemeinnützigkeit im Einzelfall geprüft und durch Bescheinigung nach den jeweiligen Regelungen des entsprechenden Mitgliedstaates belegt werden muss. Für inländische Leistungserbringer erfolge der Nachweis der Gemeinnützigkeit durch Vorlage geeigneter Dokumente (beispielsweise entsprechende Bescheide der Steuerbehörden oder Wirtschaftsprüfer-Testate). Allein der Verweis auf § 26 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) genüge nicht.
B. Entwicklungen auf Europäischer Ebene
I. Revision der Vergaberichtlinie angekündigt
Im Zuge ihrer am 18.07.2024 erfolgten Wiederwahl für eine zweite Amtszeit hat Kommissionspräsidentin von der Leyen ihre „Politischen Leitlinien für die nächste Europäische Kommission 2024 bis 2029“ vorgelegt. In dem Papier kündigt von der Leyen unter anderem an, dass sie eine Überarbeitung der EU-Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorschlagen wird.
Diese Ankündigung wurde im sog. Mission Letter für den für das öffentliche Auftragswesen zuständigen Kommissar Séjourné (Binnenmarkt und Unternehmen, Generaldirektion GROW) aufgegriffen und präzisiert.
Wichtigste Ankündigung zum öffentlichen Auftragswesen im letztgenannten Kontext ist der Auftrag an Séjourné, eine Revision der EU-Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen vorzunehmen (vgl. S. 6 des Mission Letters an Séjourné).
Ziel der Richtlinienüberarbeitung soll es sein, dazu beizutragen, Versorgungssicherheit für bestimmte, besonders wichtige Technologien, Produkte und Dienstleistungen sicherzustellen und gleichzeitig die Regelungen zu vereinfachen und den bürokratischen Aufwand zu verringern. Ferner sollen mit der Revision Präferenzen im öffentlichen Auftragswesen für europäische Produkte im Hinblick auf bestimmte strategische Bereiche und Technologien ermöglicht werden. Außerdem wird Séjourné beauftragt, gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Kommission die Durchsetzung des „Foreign Subsidies Instrument“ („FSI“), das ungerechtfertigten Beihilfen aus Drittstaaten auch im öffentlichen Beschaffungswesen entgegenwirkt, zu forcieren (vgl. S. 7 des Mission Letters an Séjourné).
II. Net Zero Industry Act in Kraft
Am 29.06.2024 ist der „Net Zero Industry Act“ („NZIA“) in der Form einer EU-Verordnung („EU Netto-Null-Industrie-Verordnung“) in Kraft getreten. Der ausführliche Titel des Rechtsakts lautet: „Verordnung (EU) 2024/1735 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.06.2024 zur Schaffung eines Rahmens für Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Ökosystems der Fertigung von Netto-Null-Technologien und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1724“. Mit der neuen Verordnung wird auf eine Steigerung der europäischen Produktion betreffend sogenannte „Netto-Null-Technologien“, d.h. Technologien, die dem Klimaschutz dienen, abgezielt. Das gilt z.B. für die Bereiche Solar-, Windkraft-, Batterietechnologie und Elektrolyseure. Als EU-Verordnung gilt die neue Regelung in allen Mitgliedstaaten unmittelbar, d.h. ohne Notwendigkeit einer nationalen Umsetzung. Einen wichtigen Teil der Bestimmungen bilden bereichsspezifische Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge, die im Anwendungsbereich der Verordnung gelten.
Innerhalb des Geltungsbereichs des NZIA wird eine verpflichtende Anwendung von Kriterien der Nachhaltigkeit bzw. Resilienz für Vergaben öffentlicher Auftraggeber vorgesehen.
Wesentliche Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe sind insbesondere in den sehr umfangreichen Bestimmungen des Art. 25 NZIA (zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeit und Resilienz bei der öffentlichen Auftragsvergabe) und des Art. 27 NZIA (zur vorkommerziellen Auftragsvergabe und zur Vergabe betreffend innovative Lösungen) enthalten.
Nach Art. 25 NZIA müssen öffentliche Auftraggeber für Aufträge ab den Schwellenwerten der EU-Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU verbindliche Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit anwenden, wenn die im NZIA aufgeführten Netto-Null-Technologien Teil dieser Aufträge sind oder wenn Bauaufträge oder Baukonzessionen eine der genannten Technologien umfassen. Die anzuwendenden Mindestanforderungen müssen in einem EU-Durchführungsrechtsakt festgelegt sein, der bis zum 30.03.2025 von der Kommission im Wege des Komitologieverfahrens zu erlassen ist (vgl. Art. 25 Abs. 1, 4 und 5 NZIA sowie Art. 45 NZIA). Beim Erlass dieses Durchführungsrechtsakts berücksichtigt die Kommission unter anderem die Marktlage der betreffenden Technologien auf EU-Ebene, Regelungen zur ökologischen Nachhaltigkeit aus anderen EU-Rechtsakten und die internationalen Verpflichtungen der EU wie das Government Procurement Agreement der WTO (GPA) und weitere internationale Abkommen, an die die Union gebunden ist.
Im Übrigen wird ausdrücklich erlaubt, dass Auftraggeber auch über die Regelungen des NZIA hinaus zusätzliche Mindestanforderungen oder Zuschlagskriterien im Zusammenhang mit der ökologischen Nachhaltigkeit anwenden können (Art. 25 Abs. 2 NZIA). Für Bauaufträge und -konzessionen bestehen zusätzliche Mindestvorgaben nach dem NZIA: Insoweit müssen Auftraggeber im Geltungsbereich des NZIA mindestens eine von drei Bedingungen (Vorgaben zu sozialen/beschäftigungsbezogenen Aspekten bei der Auftragsausführung, zur Einhaltung geltender Cybersicherheitsanforderungen oder zu einer vertraglichen Verpflichtung zur rechtzeitigen Lieferung einer betreffenden Auftragskomponente im Zusammenhang mit „Netto-Null-Technologien“) anwenden (Art. 25 Abs. 3 NZIA).
Die nach dem NZIA vorgesehenen zwingenden Mindestanforderungen können in der Form von technischen Spezifikationen, Nachweisen über das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen bzw. der Erfüllung der Eignungskriterien oder in Form von Klauseln für die Auftragsausführung gefordert werden (Art. 25 Abs. 4 NZIA). Klargestellt wird ferner, dass ein EU-Mitgliedstaat Anbieter oder Netto-Null-Produkte aus einem anderen Mitgliedstaat der EU nicht diskriminieren bzw. ungerechtfertigt unterschiedlich behandeln darf (Art. 25 Abs. 6 NZIA).
Außerdem sind ausführliche Regelungen im Hinblick auf den ggf. auch zu berücksichtigenden Beitrag eines Angebots zur Resilienz der EU vorgesehen (vgl. Art. 25 Abs. 7 NZIA). Falls die Kommission zum Zeitpunkt der Bekanntmachung einer Ausschreibung gemäß Art. 29 NZIA festgestellt hat, dass der Anteil einer spezifischen „Netto-Null-Technologie“ oder ihrer wichtigsten spezifischen Bauteile mit Herkunft aus einem Drittland mehr als 50% der Lieferungen dieser Netto-Null-Technologie oder ihrer wichtigsten Bauteile innerhalb der EU ausgemacht hat, müssen die Auftraggeber zusätzliche Bedingungen für die Vergabe stellen. Dazu zählt z.B. die Verpflichtung, dass für die Laufzeit des Auftrags nicht mehr als 50% des Wertes der spezifischen Netto-Null-Technologie aus jedem einzelnen Drittland geliefert werden. Ferner werden für derartige Fälle etliche weitere, teils sehr weitreichende zusätzliche Bedingungen statuiert.
Vorgesehen sind ferner etliche Ausnahmeregelungen (vgl. Art. 25 Abs. 8 bis 11 NZIA): Nach Art. 25 Abs. 8 NZIA gilt, dass bei Aufträgen, die unter Anlage I des GPA bzw. andere für die Union bindende internationale Abkommen fallen, die Auftraggeber bestimmte Anforderungen des Art. 25 Abs. 7 NZIA nicht anwenden, wenn die spezifische Netto-Null-Technologie oder ihre wichtigsten spezifischen Bauteile aus Bezugsquellen stammen, die Unterzeichner dieser Abkommen sind. Weitere Ausnahmereglungen sind in Art. 25 Abs. 9 NZIA vorgesehen. Danach können Auftraggeber z.B. ausnahmsweise beschließen, die Regelungen des Art. 25 Abs. 1 bis 4 NZIA nicht anzuwenden, wenn die benötigte Netto-Null-Technologie nur von einem spezifischen Wirtschaftsteilnehmer geliefert werden kann, es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der fehlende Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Parameter des Vergabeverfahrens ist (Art. 25 Abs. 9 Buchst. a NZIA).
Eine Möglichkeit der Begrenzung der Beschaffung klima- und umweltbezogener Technologien aus Kostengesichtspunkten findet sich in Art. 25 Abs. 10 NZIA. Danach können Kostenunterschiede, die aufgrund objektiver Daten auf über 20% geschätzt werden, von Auftraggebern als unverhältnismäßig angesehen werden. Für den Fall, dass die Vorgabe der Resilienz-Bedingungen dazu geführt hat, dass bei einem Vergabeverfahren keine geeigneten Angebote eingereicht wurden, können die Auftraggeber ausnahmsweise beschließen, das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung anzuwenden oder bei einem späteren entsprechenden Vergabeverfahren die Regelung des Art. 25 Abs. 7 NZIA nicht anzuwenden (Art. 25 Abs. 11 NZIA).
Schließlich wird darauf verwiesen, dass die Regelungen des Art. 25 NZIA unbeschadet der Möglichkeit gelten, zusätzliche, nicht preisbezogene Kriterien anzuwenden; ebenso verbleibt die Möglichkeit, ungewöhnlich niedrige Angebote gemäß den diesbezüglichen Regelungen des EU-Vergaberechts auszuschließen; unbeschadet bleiben schließlich auch die Art. 107 und 108 AEUV bei nicht wettbewerblichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge (Art. 25 Abs. 12 NZIA).
Art. 27 NZIA erwähnt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, eventuell auch die vorkommerzielle Auftragsvergabe und die Vergabe öffentlicher Aufträge für innovative Lösungen zu nutzen, um Innovationen im Bereich der „Netto-Null-Technologien“ in der EU zu fördern.
III. EU-Ökodesign-Verordnung in Kraft
Am 18.07.2024 ist die EU-Ökodesign-Verordnung in Kraft getreten, die am 23.04.2024 vom Europäischen Parlament und am 27.05.2024 vom Rat der EU verabschiedet worden war und die auch detaillierte Bestimmungen zur umweltorientierten öffentlichen Auftragsvergabe enthält. Insgesamt wird mit der neuen EU-Verordnung darauf abgezielt, nachhaltige Produkte im EU-Binnenmarkt zur Norm zu machen und negative Umwelt- und Klimaauswirkungen zu verringern. Aufbauend auf den Erfolgen der Ökodesign-Richtlinie soll die neue Regelung für nachhaltige Produkte sicherstellen, dass Produkte länger halten, dass sie Energie und Ressourcen effizienter nutzen, leichter repariert und recycelt werden können und mehr recycelte Materialien enthalten. Außerdem sollen damit die Wettbewerbsbedingungen für nachhaltige Produkte im EU-Binnenmarkt verbessert und die globale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die nachhaltige Produkte anbieten, gestärkt werden.
Art. 1 Unterabs. 2 verweist darauf, dass verbindliche Anforderungen für die umweltorientierte Vergabe öffentlicher Aufträge eingeführt werden sollen. Die nähere Ausgestaltung findet sich in Art. 65 „Umweltorientierte Vergabe öffentlicher Aufträge“. Danach kann die EU-Kommission in Durchführungsrechtsakten Mindestanforderungen für die Beschaffung von Produkten festlegen. Nach Art. 63 Abs. 3 können dies technische Spezifikationen, Zuschlagskriterien, Bedingungen für die Ausführung von Aufträgen oder Zielvorgaben sein. Die Durchführungsrechtsakte sind dann von öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern zu beachten.
Die Mindestanforderungen werden nach Art. 65 Abs. 2 je nach Sachlage festgelegt, um Anreize für das Angebot an und die Nachfrage nach ökologisch nachhaltigen Produkten zu schaffen. Dabei sind der Wert und das Volumen der für die betreffenden Produktgruppen vergebenen öffentlichen Aufträge und die wirtschaftliche Durchführbarkeit der Beschaffung ökologisch nachhaltigerer Produkte durch öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber, ohne dass unverhältnismäßige Kosten entstehen, zu berücksichtigen.
Die Mindestanforderungen, die von der EU-Kommission in den Durchführungsrechtsakten festgelegt werden dürfen, sollen auf den beiden höchsten Leistungsklassen, den höchsten Punktzahlen oder, falls diese nicht verfügbar sind, auf den bestmöglichen Leistungswerten beruhen, die sich aus einem auf Art. 4 der Richtlinie beruhenden delegierten Rechtsakt ergeben.
Ausdrücklich vorgesehen ist, dass die Zuschlagskriterien je nach Sachlage eine Mindestgewichtung im Vergabeverfahren, die zwischen 15% und 30% beträgt, umfassen können. Damit sollen sie einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens haben und so die Auswahl der ökologisch nachhaltigsten Produkte begünstigen.
Die ebenfalls der EU-Kommission eröffneten Zielvorgaben können vorsehen, dass bis zu 50% der auf der Ebene der öffentlichen Auftraggeber oder der Sektorenauftraggeber durchgeführten Beschaffungen oder der auf nationaler Ebene aggregierten Beschaffungen unter Berücksichtigung dieser Mindestgewichtung die ökologisch nachhaltigsten Produkte betreffen müssen.
IV. Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels in Kraft
Am 24.06.2024 wurde die „Richtlinie (EU) 2024/1712 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.06.2024 zur Änderung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“ im Amtsblatt veröffentlicht.
Bei der Abstimmung im Rat am 27.05.2024 haben alle Mitgliedstaaten zugestimmt, Dänemark hat nicht an der Abstimmung teilgenommen.
Nach Art. 6 Nr. 2 Buchst. b treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Sanktionen oder Maßnahmen gegen eine juristische Person ergriffen werden können, die für die näher benannten Straftaten verantwortlich zu machen ist. Diese Maßnahmen können Geldstrafen oder Geldbußen umfassen, aber auch andere strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen. Als Beispiele werden genannt der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, der Ausschluss vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung und ausdrücklich auch von Vergabeverfahren, außerdem zu Beihilfen, Konzessionen und Lizenzen.
V. Verordnung zu kritischen Rohstoffen in Kraft
Am 23.05.2024 ist die Verordnung zu kritischen Rohstoffen in Kraft getreten (Verordnung (EU) 2024/1252 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.04.2024 zur Schaffung eines Rahmens zur Gewährleistung einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 168/2013, (EU) 2018/858, (EU) 2018/1724 und (EU) 2019/1020).
Ziel der Verordnung ist es, die Industrie in der EU konstant und nachhaltig mit kritischen Rohstoffen zu versorgen und ihre Abhängigkeit von einzelnen Ländern zu verringern. Dazu wird erstmals eine Liste kritischer Rohstoffe und eine Liste strategischer Rohstoffe gesetzlich definiert. Die Verordnung enthält Benchmarks zur Verbesserung der Kapazitäten für Gewinnung, Verarbeitung und Recycling kritischer Rohstoffe in der EU und zur Steuerung der Diversifizierungsbemühungen.
Die öffentliche Beschaffung wird in der Verordnung ebenfalls in die Pflicht genommen. Nach Art. 26 Buchst. d der Verordnung muss jeder Mitgliedstaat nationale Programme annehmen und durchführen, die als Maßnahme den verstärkten Einsatz kritischer Sekundärrohstoffe enthalten. Ausdrücklich angesprochen wird die Berücksichtigung des Rezyklatanteils bei Zuschlagskriterien im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge. Dies muss innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten einer Durchführungsverordnung erfolgen, die nach Art. 7 der Verordnung bis zum 24.11.2024 durch die Kommission erlassen wird.
Eine nähere Darstellung der Verordnung und ihrer Ziele finden sich in „Fragen und Antworten zum Gesetz über kritische Rohstoffe“, bereitgestellt von der EU-Kommission.
VI. Neue EU-Vorschriften zu Strafen von Verstößen gegen EU-Sanktionen treten in Kraft
Die „Richtlinie (EU) 2024/1226 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.04.2024 zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2018/1673_Liste von Straftaten bei Umgehung von EU-Sanktionen“ wurde am 29.04.2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und ist 20 Tage danach in Kraft getreten.
Mit den neuen Vorschriften wird sichergestellt, dass Verstöße gegen EU-Sanktionen in allen Mitgliedstaaten strafrechtlich verfolgt werden können. Sie enthalten eine Liste von Straftaten im Zusammenhang mit der Verletzung und Umgehung von EU-Sanktionen, wie z.B. das Nicht-Einfrieren von Vermögenswerten, der Verstoß gegen Reiseverbote und Waffenembargos, die Erbringung verbotener oder eingeschränkter Wirtschafts- und Finanzdienstleistungen, die Weitergabe von Geldern, die eingefroren werden sollten, an Dritte oder die Bereitstellung falscher Informationen zur Verschleierung von Geldern, die eingefroren werden sollten.
Im Erwägungsgrund 9 wird festgestellt, dass der Abschluss oder die Fortsetzung jeglicher Art von Transaktionen, einschließlich Finanztransaktionen, sowie die Vergabe oder weitere Ausführung von öffentlichen Verträgen oder Konzessionen, mit einem Drittstaat, Einrichtungen eines Drittstaats oder Einrichtungen, die sich direkt oder indirekt im Eigentum oder unter der Kontrolle eines Drittstaats befinden, eine Straftat darstellen sollten, sofern das Verbot oder die Beschränkung dieser Handlung eine restriktive Maßnahme der Union darstellt.
Vergabeverfahren sind in Art. 7 bei Sanktionen gegen juristische Personen angesprochen. Danach ergreifen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass gegen eine juristische Person, die nach Art. 6 verantwortlich gemacht wird, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen verhängt werden können. Zu den möglichen Sanktionen und Maßnahmen gehören Geldstrafen oder Geldbußen und sie können auch andere strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Sanktionen oder Maßnahmen umfassen. Als Beispiele werden genannt der Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen sowie der Ausschluss vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung, darunter auch Ausschreibungsverfahren, Beihilfen und Genehmigungen.
Die neuen Vorschriften legen auch gemeinsame Standards für Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen in allen Mitgliedstaaten fest, schließen bestehende Rechtslücken und erhöhen die abschreckende Wirkung von Verstößen gegen EU-Sanktionen.
Die Mitgliedstaaten haben bis zum 20.05.2025 Zeit, die Richtlinie in ihr nationales Recht umzusetzen.
VII. Ausschluss nach der EU-Entwaldungsverordnung
Bisher nicht Gegenstand der Berichterstattung war die bereits Juni 2023 in Kraft getretene EU-Entwaldungsverordnung, mit vollem Titel „Verordnung (EU) 2023/1115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.05.2023 über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 995/2010“, ABl L 150/206 v. 09.06.2023.
Diese Verordnung spricht in Art. 24 Sanktionen an, die bei Verstößen gegen Marktteilnehmer und Händler zu verhängen sind. Dies kann nach Art. 24 Abs. 2 Satz 2 Buchst. d den vorübergehenden, im Höchstfall zwölf Monate dauernden Ausschluss von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge und vom Zugang zu öffentlicher Finanzierung, darunter auch Ausschreibungsverfahren, Finanzhilfen und Konzessionen umfassen.
VIII. Beschaffung schwerer Nutzfahrzeuge und Stadtbusse
Mit der „Verordnung (EU) 2024/1610 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.05.2024 zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1242 im Hinblick auf die Verschärfung der CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge und die Einbeziehung von Meldepflichten, zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/858 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) 2018/956“ (ABl. L vom 06.06.2024) wurde das Vorhaben der Verschärfung der CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge und Stadtbusse umgesetzt.
Allgemeine Vorgaben betreffen den CO2-Ausstoß der erfassten Fahrzeuge.
Art. 3e der Verordnung betrifft öffentliche Auftraggeber direkt. Danach sind sie im Regelfall verpflichtet, mindestens zwei der dort genannten Kriterien als technische Spezifikationen oder Zuschlagskriterien zu verwenden. Von den verwendeten Kriterien muss mindestens eines in Bezug auf den Beitrag des Angebots zur Versorgungssicherheit nach näher dargestellten Maßstäben haben.
IX. Neue EU-Vorschriften zu Verpackungen
Am 24.04.2024 hat das Europäische Parlament einen mit dem Rat der EU abgestimmten „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Verpackungen und Verpackungsabfälle, zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/1020 und der Richtlinie (EU) 2019/904 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 94/62/EG (COM(2022)0677 – C9-0400/2022 – 2022/0396(COD))“ beschlossen.
Die formale Zustimmung des Rates der EU steht noch aus.
Darin findet sich ab Art. 63 ein eigenes Kapitel über Grüne Beschaffung.
Nach Art. 63 Abs. 1 kann die EU-Kommission Durchführungsrechtsakte zur Festlegung von Mindestanforderungen für öffentliche Aufträge und Aufträge von Sektorenauftraggebern festlegen. Diese können öffentliche Aufträge für Verpackungen oder verpackte Produkte oder für Dienstleistungen, bei denen Verpackungen oder verpackte Produkte verwendet werden, betreffen. Es sollen Aufträge erfasst werden, bei denen Verpackungen oder verpackte Produkte mehr als 30% des geschätzten Auftragswerts oder des Werts der für die Dienstleistungen verwendeten Produkte ausmachen.
Auch hierdurch sollen Anreize für Angebot und Nachfrage bei ökologisch nachhaltigen Verpackungen geschaffen werden.
Mögliche Mindestanforderungen sind nach Art. 63 Abs. 4 Vorgaben für die vom Auftraggeber aufgestellten technischen Spezifikationen, aber auch Eignungskriterien und Bedingungen für die Ausführung des Auftrages.
Es ist vorgesehen, dass öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber in hinreichend begründeten Fällen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit von den Mindestanforderungen abweichen dürfen. Eine weitere Möglichkeit der Abweichung eröffnet Art. 63 Abs. 5, wenn in hinreichend begründeten Fällen die Einhaltung der Mindestanforderungen zu unlösbaren technischen Schwierigkeiten führen würden.
X. Stand der Anwendung des FSI
Die EU-Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, die dazu dient, eine Regelungslücke im EU-Recht im Hinblick auf Beihilfen von Drittstaaten zu schließen, ist seit dem 12.01.2023 in Kraft und am 12.07.2023 in Geltung getreten. Mit dem Beginn der Anmeldepflicht von Zuwendungen von Drittstaaten bei großen Zusammenschlüssen und sehr großen öffentlichen Vergabeverfahren ist ein wesentliches Element der Verordnung am 12.10.2023 in Geltung getreten.
Nach der öffentlichen Mitteilung der zuständigen Mitarbeiter gab es bis Mitte Juni 2024 insgesamt 96 Voranmeldungen und 62 Anmeldungen gemäß der FSI-Verordnung. 52 Fälle, in denen nach Überzeugung der Kommission keine Anzeichen für eine unangemessene Beihilfe von Drittstaaten vorlagen, seien von der Kommission bereits geschlossen worden. Diese „Schließungen“ von Verfahren seien im Wege der Nichteinleitung eines Verfahrens durch Fristablauf erfolgt. In den genannten 52 geschlossenen Fällen sei zuvor eine Bewertung durch die zuständigen Kommissionsmitarbeiter in Abstimmung mit der Kommission erfolgt, wobei diese Fälle als nicht problematisch eingestuft wurden. Die Fälle, in denen Anmeldungen erfolgten, beträfen eine Vielzahl von Wirtschaftszweigen, wobei sich die Fälle wie erwähnt oft als unproblematisch erwiesen. Die Anmeldungen beträfen nicht nur Zuwendungen aus China, sondern auch aus vielen anderen Staaten.
Im Bereich großer öffentlicher Auftragsvergaben gebe es ebenfalls bereits Fälle. Bisher sei in drei Verfahren eine Prüfung eingeleitet worden. Diese hätten ein Unternehmen der chinesischen Bahnindustrie und zwei weitere Fälle mit chinesischen Anbietern betroffen. In allen drei Fällen hätten sich die betroffenen Unternehmen inzwischen von sich aus zurückgezogen.
XI. BMWK-Bericht zur Überwachung der Vergabe
Wie alle Mitgliedstaaten muss die Bundesrepublik nach den Vergaberichtlinien der EU-Kommission zur Überwachung der Auftragsvergabe berichten. Der jetzt von der EU-Kommission veröffentlichte Bericht bezieht sich auf die Jahre 2021, 2022 und 2023.
Vergleichbare Berichte – auch für frühere Zeiträume – werden für fast alle weiteren EU-Staaten veröffentlicht.
Die Pflicht zur Vorlage des nun veröffentlichten EU-Monitoring-Berichts beruht auf Art. 83 Abs. 3 Unterabs. 2 Richtlinie 2014/24/EU bzw. den entsprechenden Regelungen der EU-Richtlinien 2014/23/EU und 2014/25/EU. Danach müssen die Mitgliedstaaten, die zur Überwachung der Anwendung der EU-Vergabevorschriften verpflichtet sind, der Kommission alle drei Jahre einen diesbezüglichen Überwachungsbericht übermitteln.
In dem Bericht, bei dem ein umfangreicher Fragenkatalog der Kommission zu beantworten ist, werden zunächst die wesentlichen Rechtsquellen (Ziffer II) und Zahlen zur öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland (Ziffer III) genannt. Ferner werden aus Sicht des BMWK bzw. deutscher Vergabestellen bestehende Probleme bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen angeführt (Ziffer IV). Weiterhin enthält der Bericht Ausführungen zum Vergaberechtsschutz (Ziffer V), zu Betrug, Korruption, Interessenkonflikten u.Ä. (Ziffer VI), zur Beteiligung von KMU am öffentlichen Auftragswesen (Ziffer VII), zur praktischen Umsetzung der strategischen Beschaffung (Ziffer VIII) und zum Grad des Wettbewerbs bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Ziffer XIX).
Für die veröffentlichten Angaben zu Zahlen und Auftragsvolumina jährlich in Deutschland getätigter Vergaben in den Bereichen ab und unterhalb der EU-Schwellenwerte werden, soweit vorhanden, die Daten der Vergabestatistik verwendet. Danach wird für 2022 (das jüngste Jahr, zu dem überprüfte Daten vorliegen) eine Gesamtzahl von rund 22.000 getätigten Aufträgen ab den EU-Schwellenwerten angegeben. Für den Bereich unterhalb der Schwellenwerte wird für 2021 eine Gesamtzahl von rund 162.000 Aufträgen genannt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass für den Bereich unterhalb der Schwellenwerte nicht alle Auftragsvergaben, sondern nur Vergaben ab einem Auftragswert von 25.000 Euro gemeldet werden müssen, was die Aussage erheblich relativiert. Der Gesamtauftragswert der Vergaben ab den EU-Schwellenwerten beläuft sich für 2022 auf 100,469 Mrd. Euro, der Gesamtauftragswert der Vergaben unterhalb der Schwellenwerte für 2022 auf 31,478 Mrd. Euro. Auch bei Letzterem muss wiederum berücksichtigt werden, dass unterhalb der Schwellenwerte nicht alle Auftragsvergaben gemeldet werden müssen, weswegen das tatsächliche Gesamtauftragsvolumen höher sein müsste.
Der Bericht des BMWK gibt ausführlich Auskunft zu den umfangreichen Fragen der Kommission zu verschiedenen Aspekten der Vergabe und dabei bestehender Probleme (vgl. Ziffer IV, S. 13 ff.).
Das BMWK nennt eine Reihe von Problemen im Rahmen der vorgenannten einzelnen Aspekte. Diese werden überwiegend allerdings nicht als strukturelles Problem eingestuft. Es wird aber über fehlende Rechtskenntnis bzw. Unkenntnis darüber, wie Rechtsvorschriften anzuwenden sind, berichtet. Insofern werden auch Hinweise auf bewährte Verfahren zur Minderung der Probleme gegeben. Dazu zählen u.a. die Anwendung des Vier-Augen-Prinzips, eine funktionierende Fachaufsicht bzw. Überprüfung der Auftragsvergabe und interne Qualitätssicherung. Erwähnt werden ferner die Notwendigkeit einer ausreichenden Personalausstattung sowie verstärkter Schulungen und Fortbildungen. Sinnvoll sei auch die Nutzung zentraler Vergabestellen mit verstärkter Expertise und Beratungskompetenz sowie eine weiter gehende Nutzung der Rahmenvertragsplanung für Bedarfsträger.
In einem eigenen Abschnitt werden Vorschriften des EU-Vergaberechts angesprochen, die entsprechend der Fragestellung für „z.B. unklar, zu streng/vagig, mit widersprüchlichen Auslegungen oder Praktiken“ gehalten werden.
XII. Zum Vergaberechtsschutz
Ausführungen zum Vergaberechtsschutz finden sich in Ziffer V (S. 23 ff.) Danach ist die Zahl der Entscheidungen in erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen (von 312 (2021) und 275 (2022) auf 241 (2023); zurückgenommene oder „sonst erledigte“ Nachprüfungsanträge fallen nicht unter diese Angabe).
Über die durchschnittliche Dauer der erstinstanzlichen Nachprüfung liegen dem BMWK keine Daten vor. Das Ministerium schätzt die durchschnittliche Dauer dieser Verfahren auf ca. fünf bis sechs Wochen.
Für 2023 wird berichtet, dass in diesem Jahr gegen 107 erstinstanzliche Entscheidungen Berufung eingelegt wurde. 94 Berufungsverfahren endeten im Jahr 2023 durch Entscheidung, Widerruf oder auf andere Weise.
Der Bericht enthält in Ziffer VII (S. 30 ff.) diverse Auskünfte zur Beteiligung von KMU am öffentlichen Auftragswesen in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Daraus ergibt sich u.a., dass 2022 im Bereich ab den EU-Schwellenwerten Aufträge mit einem Wert von insgesamt 25,956 Mrd. Euro direkt an KMU vergeben wurden, geringfügig mehr als im Jahr zuvor. Im Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte wurden im selben Jahr Aufträge im Wert von insgesamt 19,834 Mrd. Euro direkt an KMU vergeben, ebenfalls mehr als im Jahr zuvor. Erwähnt werden ferner Maßnahmen zur Förderung der Beteiligung von KMU an Vergaben öffentlicher Aufträge.
Zu diesem Thema wird (in Ziffer VIII, S. 38 ff.) berichtet, dass die Umsetzung der Politik zu Green Public Procurement (GPP) in Deutschland im Gange sei. Die allgemeinen Ziele der GPP-Politik seien bislang teilweise erfüllt. Gemessen an den möglichen Graden der Umsetzung der GPP-Politik bedeutet diese Einstufung eine mittlere Stufe der Zielerreichung. Ferner wird ausführlich auf die diesbezüglichen Verpflichtungen und Rechtsvorschriften sowie die wesentlichen Herausforderungen für die Einführung einer umweltgerechten Vergabe eingegangen. Genannt werden insofern vor allem mangelnde Professionalisierung bei Vergabebeamten, Mangel an personellen Kapazitäten, das Risiko bzw. die Wahrnehmung des Risikos höherer Beschaffungskosten, das Risiko bzw. die Befürchtung eines Risikos, dass kein entsprechendes Angebot auf dem Markt verfügbar ist, und das Risiko rechtlicher Schritte im Falle falscher Anwendung von GPP-Kriterien.
Ausführlich eingegangen wird ferner auf Stand und Herausforderungen des „sozial verantwortlichen öffentlichen Beschaffungswesens“ („SRPP“) sowie der innovativen bzw. innovationsfördernden öffentlichen Beschaffung.
Im Bericht (unter Ziffer IX, S. 50 ff.) wird außerdem dargestellt, dass in Deutschland das Wettbewerbsniveau überwacht werde, eine umfassende Analyse der wichtigsten Ursachen des mangelnden Wettbewerbs sei im aktuellen Berichtszeitraum allerdings noch nicht eingeleitet bzw. nicht abgeschlossen worden. In dem Bericht werden mehrere Gründe für den nur geringen Grad des Wettbewerbs genannt. Unter anderem wird angeführt, dass weniger Wettbewerb insbesondere bei geringen Auftragswerten zu beobachten sei. Im Übrigen werden teils zu aufwändige Angebotsanforderungen an die Bieter bei öffentlichen Aufträgen als Grund für den nur geringen Wettbewerb in diesem Bereich genannt. Eine anhaltend hohe Nachfrage treffe auf zusehends begrenztere Ressourcen auf Bieterseite. Hinzu kämen teils sehr spezielle Belange seitens öffentlicher Auftraggeber, so dass von vornherein oft nur ein stark eingegrenzter Bieterkreis in Betracht gezogen werden könne.