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Anmerkung zu:LG Fulda 1. Zivilkammer, Urteil vom 11.08.2023 - 1 S 26/23
Autor:Rainer Wenker, Ass. jur.
Erscheinungsdatum:17.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 15 UStG 1980, § 249 BGB
Fundstelle:jurisPR-VerkR 14/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Wenker, jurisPR-VerkR 14/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung des Fahrzeugschadens



Leitsatz

Rechnet der Geschädigte seinen Schaden auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwands netto ab und entscheidet sich mithin für eine fiktive Schadensabrechnung, kann er etwaige im Falle einer tatsächlich getätigten Ersatzbeschaffung angefallene Mehrwertsteuer auch dann nicht ersetzt verlangen, wenn die Kosten der Ersatzbeschaffung unterhalb den im Gutachten angesetzten Kosten liegen, da hierin eine unzulässige Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung liegt. Dem Geschädigten bleibt es in diesen Fällen unbenommen, von der fiktiven auf die konkrete Schadensabrechnung überzugehen, sofern die konkreten Kosten der Ersatzbeschaffung einschließlich Steuer und Nebenkosten den Anspruch auf Basis der fiktiven Abrechnung übersteigen.



A.
Problemstellung
Der Pkw des Klägers erlitt unfallbedingt einen wirtschaftlichen Totalschaden. Er rechnet den Schaden nach einem Gutachten ab und erwarb sodann ein Ersatzfahrzeug, dessen Bruttopreis inkl. Mehrwertsteuer über dem Netto-Wiederbeschaffungswert des beschädigten Pkw lag, dessen Nettopreis aber darunter. Er verlangte von der Beklagten daher die anteilige Mehrwertsteuer für seine Ersatzbeschaffung.
Das LG Fulda hat sich mit der Frage befasst, ob in diesem Anwendungsfall eine unzulässige „Vermischung“ von fiktiver und konkreter Abrechnung vorliegt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Bei einem Verkehrsunfall mit einem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug wurde der klägerische Pkw beschädigt. Die volle Haftung ist unstreitig. Der Kläger machte weitere Ansprüche wegen Beschädigung des Fahrzeugs geltend. Er holte ein privates Sachverständigengutachten ein, das einen Totalschaden attestierte. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs wird mit 27.731 Euro netto beziffert, der Restwert mit 11.460 Euro. Er schaffte sodann ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis von 29.300 Euro an, wobei der Betrag Mehrwertsteuer i.H.v. 4.678,15 Euro beinhaltete. Der Kläger berechnete seinen Schaden wie folgt:
Wiederbeschaffungswert netto: 27.731 Euro
abzgl. Restwert: 11.460 Euro
zzgl. angefallener Umsatzsteuer: 4.678,15 Euro
Summe: 20.949,15 Euro
Die Beklagte zahlte auf den Schaden einen Betrag von 17.835 Euro. Der Kläger machte von der sich rechnerisch ergebenden Differenz von 3.114,15 Euro lediglich einen Betrag von 3.109,15 Euro geltend. Er ist der Auffassung, dass dann, wenn die Kosten der tatsächlich vorgenommenen Ersatzvornahme zwischen dem vom Sachverständigen ermittelten Netto- und Bruttowiederbeschaffungswert liegen, ein Anspruch auf Ersatz der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer zzgl. zum Wiederbeschaffungsaufwand netto bestehe. Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger vermische in unzulässiger Weise fiktive und konkrete Schadensberechnung.
Das Amtsgericht gab der Klage i.H.v. 3.109,15 Euro statt und wies die Klage im Übrigen ab. Soweit für die Berufung von Interesse, hat es das Urteil wie folgt begründet: Es entspreche allgemeiner Auffassung, dass dann, wenn der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug zu einem geringeren Preis als dem Wiederbeschaffungswert erwerbe, er den Netto-Wiederbeschaffungswert zuzüglich des konkret angefallenen Umsatzsteueranteils bis zur Grenze des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen könne. So lägen die Dinge hier.
Die Beklagte legte gegen das Urteil Berufung ein und vertrat unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 02.10.2018 (VI ZR 40/18) weiterhin die Auffassung, es liege eine unzulässige Vermischung von konkreter und fiktiver Abrechnung vor. Der Kläger vertrat die Auffassung, es liege keine Vermischung von konkreter und fiktiver Abrechnung vor, da er eine konkrete Ersatzbeschaffung getätigt habe. Er könne insofern den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand zuzüglich tatsächlicher Umsatzsteuer bis zum Brutto-Wiederbeschaffungsaufwand beanspruchen (so OLG Schleswig, Urt. v. 09.01.2013 - 7 U 109/12).
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Die streitentscheidende Frage habe der BGH in seiner Entscheidung vom 02.10.2018 (VI ZR 40/18) eindeutig und zweifelsfrei im Sinne des Beklagten dahin geklärt, dass eine Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung nicht zulässig sei, wobei aus jener Entscheidung klar hervorgehe, dass gerade der vorliegende Fall ein Anwendungsfall der „Vermischung“ beider Methoden sei.
Der amtliche Leitsatz jener Entscheidung lautet: „Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, ist die im Rahmen einer Ersatzbeschaffung angefallene Umsatzsteuer nicht ersatzfähig, auch nicht in Höhe des im Schadensgutachten zugrunde gelegten Umsatzsteueranteils. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.“
Die in den vom Amtsgericht zitierten Quellen als auch in der vom Kläger herangezogenen Entscheidung des OLG Schleswig vertretene Rechtsauffassung entspreche nicht der in den später ergangenen Entscheidungen des BGH ergangenen Auffassung. Soweit der Kläger auch nach Hinweis auf jene Entscheidung und in Reaktion auf die Empfehlung einer kostenschonenden Klagerücknahme die Ansicht geäußert habe, die Entscheidung sei nicht anwendbar, da im entschiedenen Fall der Bruttowiederbeschaffungswert des Unfallfahrzeugs geltend gemacht worden sei, während hier der Netto-Wiederbeschaffungswert zuzüglich tatsächlich angefallener Umsatzsteuer im Streit stehe, worin keine Vermischung von fiktiver und konkreter Abrechnung liege, so sei der Ausgangspunkt der Argumentation zwar richtig, der hieraus gezogene Schluss liege jedoch neben der Sache. Insoweit sei auf die Ausführungen unter Rn. 6 f. der vorgenannten Entscheidung zu verweisen. Dort heißt es:
„Der bei Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag schließt die Umsatzsteuer nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie nur fiktiv bleibt, weil es zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht kommt. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung und verlangt stattdessen den hierfür erforderlichen (gutachterlich ermittelten) Geldbetrag, erhält er nicht den vollen, sondern den um die Umsatzsteuer reduzierten Geldbetrag. Dies gilt auch für den Fall, dass der Geschädigte (wie hier der Käger) zwar tatsächlich eine umsatzsteuerpflichtige Ersatzbeschaffung vornimmt, die dabei anfallende Umsatzsteuer also zur Wiederherstellung des früheren Zustands einsetzt, für die Schadensabrechnung aber die für ihn günstigere Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung der Kosten der Ersatzbeschaffung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens wählt. Der Senat hat bereits entschieden, dass auch in diesem Fall von dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert die Umsatzsteuer in Abzug zu bringen ist, wobei sich diese nach dem fiktiven Ersatzbeschaffungsgeschäft bemisst. Denn der Geschädigte muss sich an der gewählten fiktiven Schadensabrechnung jedenfalls dann festhalten lassen, wenn die konkreten Kosten einer tatsächlich erfolgten Ersatzbeschaffung unter Einbeziehung der Nebenkosten den ihm aufgrund der fiktiven Schadensberechnung zustehenden Betrag nicht übersteigen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.“
Sodann habe der BGH herausgestrichen, dass gerade dann, wenn der Fall nicht wie dort zu entscheiden, sondern wie hier liege, offensichtlich eine Vermengung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung vorliege:
„Eine solche liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht nur dann vor, wenn im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung zu dem im Gutachten ausgewiesenen Netto-Wiederbeschaffungswert die bei dem konkreten Ersatzkauf tatsächlich angefallene Umsatzsteuer addiert wird, sondern auch dann, wenn bei der fiktiven Abrechnung unter Verweis auf einen tatsächlich getätigten Ersatzkauf der im Gutachten ausgewiesene Brutto-Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt wird.“
Mit anderen Worten: Das Vorgehen des Klägers entspricht der klassischen Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung. Die Rechtsprechung des BGH gilt unzweifelhaft auch dann, wenn der Geschädigte eine Wiederbeschaffung mit einem unterhalb des Gutachtens liegenden Wiederbeschaffungswert tätigt. Der zitierten Entscheidung lag nämlich ein solcher Fall zugrunde. Dies erachtet der BGH auch nicht als unbillig, gesteht er dem Geschädigten doch zu, von der fiktiven auf die konkrete Abrechnung zu wechseln, wenn und soweit die Kosten der konkreten Schadensbeseitigung einschließlich Steuer und Nebenkosten letztendlich die auf Basis der fiktiven Abrechnung zustehenden Ansprüche übersteigt. Einen solchen Wechsel der Abrechnungsmethode, welcher vorliegend ohnehin nur zu einer ganz geringfügigen Erhöhung des Anspruchs geführt hätte, hat der Kläger indes trotz Hinweises der Kammer nicht vollzogen, sondern er hat auf seine rechtsirrige Auffassung beharrt.
Die Revision ist nicht zugelassen worden. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung, auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Kläger rechnete den Wiederbeschaffungswert seines Fahrzeugs fiktiv nach Gutachten ab. Daher ist sein Anspruch auf den vollen Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) gerichtet. Die Umsatzsteuer kann er nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB allerdings nur geltend machen, soweit diese bei der Wiederherstellung tatsächlich angefallen ist. Somit erhält auch der nicht zum Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) berechtigte Geschädigte bei der fiktiven Abrechnung nur den Ersatz des Nettowiederbeschaffungswerts.
Wie vorliegend vom LG Fulda zutreffend festgestellt, kann der Geschädigte nach der aktuellen und mehrfach bestätigten Rechtsprechung des BGH darüber hinaus nicht zusätzlich die Umsatzsteuer verlangen, die im Zusammenhang mit einer konkreten Ersatzbeschaffung angefallen ist, denn dies würde zu einer grundsätzlich unzulässigen Kombination von fiktiver und konkreter Abrechnung führen. Das Landgericht hat in seine Begründung dazu wörtlich aus dem Urteil des BGH vom 02.10.2018 (VI ZR 40/18) zitiert. Daran hält der BGH auch in seiner wohl jüngsten Entscheidung zu diesem Problemkreis ausdrücklich fest (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2021 - VI ZR 513/19 m. Anm. Elsner, jurisPR-VerkR 2/2022 Anm. 1: „Mischen bleibt verboten, wechseln wird erlaubt!“). Danach ist die Umsatzsteuer nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht zu ersetzen, soweit sie fiktiv bleibt. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Restitutionsmaßnahme veranlasst, bei der auch Umsatzsteuer angefallen ist, diese aber – wie hier – letztlich nicht zur Grundlage seiner Abrechnung des Schadens macht, sondern fiktiv und somit ohne direkten Bezug zu den tatsächlichen Aufwendungen auf der Grundlage des von ihm vorgelegten Schadengutachtens abrechnet.
Es entspricht letztlich dem Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB und dem Gesetzeszweck, dass eine fiktive Umsatzsteuer nicht zu ersetzen ist. Die Änderung in Satz 2 erfolgte erst aufgrund des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften mit Wirkung zum 01.08.2002. Dem Geschädigten steht es alternativ selbstverständlich frei, seine Aufwendungen zur Beseitigung des Schadens insgesamt konkret abzurechnen. Dies gilt auch dann, wenn er sich zunächst für eine fiktive Abrechnung entschieden hatte oder wenn die tatsächlich durchgeführte Restitution dem Wirtschaftlichkeitsgebot doch nicht entspricht, etwa wenn er an Stelle einer zunächst avisierten, wirtschaftlich darstellbaren Reparatur ein Ersatzfahrzeug angeschafft hat.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der Unfallgeschädigte hat die freie Wahl, ob er den Schaden konkret oder fiktiv abrechnet. Wählt er den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer grundsätzlich nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur oder Ersatzbeschaffung tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist, z.B. weil er Ersatzteile für eine Reparatur in Eigenregie gekauft hat (vgl. OLG Celle, Urt. v. 01.12.2021 - 5 U 131/21), oder wie in der vorliegenden Konstellation bei dem Erwerb eines anderen Fahrzeugs. Eine Kombination aus fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig. Allerdings kann der Geschädigte sehr wohl von der fiktiven zu einer konkreten Schadensberechnung wechseln und die tatsächlich angefallene Umsatzsteuer ersetzt verlangen.



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