juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Düsseldorf 1. Zivilsenat, Urteil vom 26.03.2024 - I-1 U 222/22
Autor:Dr. Michael Nugel, RA, FA für Verkehrsrecht und FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:14.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 286 ZPO, § 287 ZPO
Fundstelle:jurisPR-VerkR 16/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Nugel, jurisPR-VerkR 16/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anforderungen an den Nachweis eines unfallbedingten Schadens



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die behauptete Kollision zwischen einem haftpflichtversicherten Sattelzug und dem geparkten Fahrzeug des Anspruchstellers mit einer daraus folgenden Substanzverletzung kann nur dann als erwiesen angesehen werden, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit vorliegt, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie aber völlig auszuschließen; eine bloße Wahrscheinlichkeit dagegen genügt nicht.
2. Dieser Nachweis ist nicht geführt, wenn aus Sicht des Tatrichters lediglich feststeht, dass ein Sattelzug gleicher Bauart den Schaden am klägerischen Fahrzeug verursacht haben kann, eine solche Berührung mit dem konkreten, auf der Beklagtenseite versicherten Sattelzug aber weder durch ein Gutachten noch durch Zeugen bewiesen ist und im Tagesablauf zudem eine Vielzahl an Sattelzügen am besagten Ort rangiert hat.
3. Nach einem Richterwechsel dürften nur diejenigen Angaben eines Zeugen berücksichtigt werden, die im Protokoll niedergelegt sind.
4. Dabei ist eine Wiederholung der Beweisaufnahme durch das anders besetzte Gericht nur dann notwendig, wenn der neue Tatrichter die vorher bejahte persönliche Glaubwürdigkeit eines Zeugen anzweifelt oder meint, dass es für die Entscheidung maßgeblich auf den eigenen Eindruck ankommt.



A.
Problemstellung
Das OLG Düsseldorf hat über die Anforderungen zu entscheiden, die bei dem Nachweis eines unfallbedingten Schadens bei einem angeblichen Rangierunfall mit einem Sattelauflieger und dem behaupteten Anstoß gegen den geparkten Pkw der Klägerseite zu stellen sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger behauptete, dass sein über den gesamten Tag gut acht Stunden abgestellter Pkw im Rahmen eines Rangiermanövers durch einen Sattelauflieger beschädigt worden sei, der auf der Beklagtenseite im Rahmen einer Haftpflichtversicherung versichert gewesen ist. Nach einem eingeholten Sachverständigengutachten konnte der Gutachter allerdings lediglich feststellen, dass die an dem Sattelauflieger der Beklagtenseite vorhandene Spuren nur möglicherweise auf einer solchen Kollision beruhen können, während in anderen Höhenlagen zu erwartende korrespondierende Schäden fehlen würden. Schon im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme konnte dagegen nicht abschließend geklärt werden, ob bestimmte Spuren im Bereich des Sattelaufliegers nicht doch unreparierte Altschäden darstellen würden. Selbst eingesetzte Spurfixfolien konnten keinen Nachweis übereinstimmender Spurenelemente bei den Fahrzeugen erbringen.
Vor diesem Hintergrund war das Landgericht in die Beweisaufnahme durch Vernehmung mehrerer, von der Klägerseite benannter, Zeugen eingetreten. Diese konnten im Wesentlichen aber nur bestätigen, dass die auf der Beklagtenseite versicherte Fahrzeugführerin nach einem Rangiermanöver vor Ort angehalten und bei einem Zeugen nach alternativen Möglichkeiten für ein Verlassen des Geländes gefragt hatte, da dort aus ihrer Sicht sehr beengte Verhältnisse herrschen würden. Keiner der Zeugen hat in diesem Zusammenhang bereits eine Kollision oder Schäden am klägerischen Fahrzeug wahrgenommen, die erst gegen Ende des Tages tatsächlich festgestellt wurden. Der Pkw war aber auf einem Betriebsgelände abgestellt, auf dem eine Vielzahl von baugleichen Sattelaufliegern rangieren, ohne dass zeitnah im Zusammenhang mit dem Rangiermanöver des auf der Beklagtenseite versicherten Lkw bereits ein Schaden festgestellt worden sei.
Nach der Vernehmung der Zeugen fand ein Richterwechsel statt und der erkennende Tatrichter hatte die Angaben der Zeugen aus dem Protokoll verwertet, ohne sie noch einmal persönlich zu vernehmen. Dabei hat er zugunsten der Klägerseite unterstellt, dass möglicherweise ein Kontakt zwischen den Fahrzeugen stattgefunden habe und die Angaben der Zeugen auch richtig seien – aber allein die Möglichkeit einer entsprechenden Verursachung der Schäden am klägerischen Fahrzeug und die bloße Anwesenheit des Lkw der Beklagtenseite nebst Sattelauflieger reichen dem Tatrichter nicht aus, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass es tatsächlich zu einer Berührung zwischen den Fahrzeugen gekommen sei. Konsequent wurde die Klage abgewiesen und diese Einschätzung durch das OLG Düsseldorf als Berufungsgericht bestätigt. Denn selbst die bloße Wahrscheinlichkeit einer Schadensverursachung würde vorliegend nicht ausreichen, wenn wie hier Zweifel verbleiben.


C.
Kontext der Entscheidung
Sowohl das Landgericht als auch das OLG Düsseldorf hatten sich mit einem Sachverhalt zu befassen, der in der Praxis durchaus häufiger vorkommt: nämlich die Behauptung, dass ein rangierender Lkw ein geparktes Fahrzeug beschädigt habe, ohne dass ein solcher Anstoß von unbeteiligten Zeugen selbst wahrgenommen wurde. Wenn in einem solchen Fall schon die Berührung zwischen den Fahrzeugen mit einer Substanzverletzung des Pkw durch den Lkw des Unfallgegners in Streit steht, ist zu beachten, dass hier der Haftungsmaßstab des § 286 ZPO eingreift. Die dafür erforderlichen Tatsachen können nur dann als erwiesen angesehen werden, wenn ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit vorliegt, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie vollständig auszuschließen (bereits grundlegend: BGH, Urt. v. 17.02.1970 - III ZR 139/67). Dies wird ohnehin in der Berufungsinstanz nur eingeschränkt dahin gehend überprüft, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen auseinandergesetzt, seine Würdigung vollständig und rechtlich möglich gewesen ist und nicht gegen Denk- und Erfahrungsgesetze verstößt (BGH, Urt. v. 14.01.1993 - IX ZR 238/91).
Gemessen an diesem Maßstab hat der Kläger vorliegend den von ihm zu erbringenden Nachweis eines unfallursächlichen Anstoßes mit einer Berührung zwischen den Fahrzeugen nach dem Maßstab des § 286 ZPO gerade nicht geführt, da hierfür die bloße Möglichkeit oder sogar eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (anders als bei dem Maßstab des § 287 ZPO) nicht genügt. Hilfreich ist für den Eigentümer eines Fahrzeuges, der seinen Pkw abgestellt hat und selbst nicht ortsanwesend zum Zeitpunkt der Kollision gewesen ist, natürlich eine Angabe eines unbeteiligten Zeugen, der die Kollision auch selbst wahrgenommen hat. Zumindest ein „Knallzeuge“, der die Anwesenheit eines Fahrzeuges mit einem bestimmten Rangiermanöver unmittelbar nach der Kollision wahrgenommen hat, kann auch schon ein gewichtiges Indiz ermöglichen. Wenn wie hier aber lediglich die bloße Anwesenheit eines Fahrzeuges nebst einer Fahrzeugführerin und erst deutlich später ein Schaden festgestellt wird, kann alleine mit diesen Angaben der entsprechende Nachweis sowohl eines Anstoßes als auch darauf beruhender Schäden gerade nicht geführt werden.
Dann ist der Geschädigte als Anspruchsteller darauf angewiesen, dass ihm dieser Nachweis zumindest mit einem Sachverständigengutachten gelingt. Auch insoweit dürften allerdings keine erheblichen Zweifel verbleiben und dafür ist eine ausreichende Spurenlage besonders wichtig. Wenn wie hier sogar der Einsatz von „Spurfixfolien“ durch die Polizei keine Gewissheit erbringt, liegt es in der Natur der Sache, dass dieser Nachweis schwierig zu führen ist – gerade bei Sattelaufliegern finden sich im Rahmen der Nutzung im Alltag eine Vielzahl an Schrammspuren, die unterschiedliche Ursachen haben können. Und gerade dann, wenn, wie hier, unterschiedliche Höhenlagen und Strukturen betroffen sind, ist ein entsprechender Nachweis schwerlich frei von Zweifeln nicht zu führen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Auch hatte das OLG Düsseldorf sich mit einem Umstand auseinanderzusetzen, der in der zivilgerichtlichen Praxis häufiger vorkommt: nämlich dem Wechsel des Tatrichters, bei dem zuerst ein anderer Richter die Beweisaufnahme durchgeführt hat und der letztendlich entscheidende Richter nun eine Beurteilung der Zeugenaussagen vornehmen muss. Dabei gilt der Grundsatz, dass das erkennende Gericht eine Beweiswürdigung auch dann vornehmen darf, wenn es die Beweisaufnahme nicht selbst durchgeführt hat – wie dies bei einem Wechsel der Zusammensetzung des Gerichts der Fall sein wird. Ein Richterwechsel nach der Beweisaufnahme erfordert daher grundsätzlich erst einmal keine Wiederholung dieser Beweisaufnahme (grundlegend bereits BGH, Urt. v. 04.12.1990 - XI ZR 310/89). Dabei versteht es sich allerdings auch von selbst, dass der Tatrichter bei einem Richterwechsel nur die Aussage so berücksichtigen darf, wie sie im Protokoll niedergelegt worden ist. Hieraus kann sich insbesondere die erforderliche Glaubhaftigkeit von Angaben in der Sache mit einer entsprechenden Beweiskraft des Beweismittels, hier also einer Zeugenaussage, ergeben.
Nur dann, wenn es um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen geht und der Richter in der neuen Besetzung anders als der bisherige Tatrichter die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anzweifeln oder davon abweichen will, kann eine Wiederholung der Beweisaufnahme in der neuen Besetzung geboten sein. Gleiches gilt, wenn der neue Richter nunmehr der Meinung ist, dass es für seine Entscheidung maßgeblich auf die Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen ankommt, In dem hier vorliegenden Fall hat das Landgericht allerdings die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht in Zweifel gezogen, sondern lediglich den insoweit zugrunde gelegten und protokollierten Inhalt ihrer Aussage entsprechend gewürdigt und sich damit in einem zulässigen Rahmen bewegt.



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