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Anmerkung zu:OLG München 24. Zivilsenat, Beschluss vom 19.03.2024 - 24 U 541/24 e
Autor:Jan Lukas Kemperdiek, LL.M., RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und FA für Medizinrecht
Erscheinungsdatum:28.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 529 ZPO, § 287 ZPO, § 9 StVG, § 7 StVG, § 9 StVO, § 286 ZPO, § 844 BGB
Fundstelle:jurisPR-VerkR 17/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Kemperdiek, jurisPR-VerkR 17/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Bemessung des Hinterbliebenengeldes (§ 844 Abs. 3 BGB) im Falle der Tötung einer 77-jährigen Passantin



Leitsatz

Hinterbliebenengeld von 12.000 Euro bei Tod der 77-jährigen Mutter bei enger Beziehung zu der in eigener Wohnung lebenden Tochter.



A.
Problemstellung
In der hier besprochenen Entscheidung hatte sich das OLG München in der Berufungsinstanz mit den Folgen eines Verkehrsunfalls auseinanderzusetzen. Streitgegenständlich waren Ansprüche der hinterbliebenen Tochter nach Tötung der 77-jährigen Mutter.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien stritten in der Berufungsinstanz sowohl zur Frage des Haftungsgrundes als auch zur Höhe des Hinterbliebenengeldes/Angehörigenschmerzensgeldes nach einem Verkehrsunfall unter Beteiligung der Mutter der Klägerin als Fußgängerin und einem bei der Beklagten kraftfahrthaftpflichtversicherten Pkw.
Das Landgericht ging in der ersten Instanz zunächst von einer 100-prozentigen Haftung aufseiten der Beklagten, ausgehend von der Betriebsgefahr des Pkw, aus. Der Nachweis eines anspruchsverkürzenden Mitverschuldens der Verstorbenen sei der Beklagten nicht gelungen. Die verstorbene Mutter der Klägerin habe eine Fußgängerampel überquert und sei hierbei schon mehr als zur Hälfte über die Straße gegangen, als sie von dem Bus der Beklagten zu 2), geführt von dem inzwischen verstorbenen und als Partei aus dem Prozess ausgeschiedenen ehemaligen Beklagten zu 1), erfasst wurde. Nach den Feststellungen des Landgerichtes war der Bus zuvor als Linksabbieger in die Straße eingebogen, wobei beide maßgeblichen Lichtzeichenanlagen über eine gemeinsame Grünphase verfügten. Insoweit bestehe eine realistische Möglichkeit dafür, dass die verstorbene Mutter der Klägerin die Fußgängerfurt bei „grün“ betreten habe und der Bus zugleich in die Kreuzung habe einfahren dürfen.
Auch aus dem seitens der Beklagten vorgetragenen Umstand, dass die Verstorbene zum Unfallzeitpunkt dunkle Kleidung getragen habe, zog das Landgericht keinen Rückschluss auf ein etwaiges Mitverschulden der Verstorbenen. Zwar käme ein solches grundsätzlich in Betracht, wenn ein Fußgänger bei Dunkelheit und nicht vorhandener Straßenbeleuchtung sowie beispielsweise bei Starkregen in dunkler Kleidung die Straße überquere. Nach den Feststellungen des Landgerichts trug die Verstorbene allerdings weiße Handschuhe und eine weiße Kopfbedeckung. Zudem habe sich der Unfall zu einer noch belebten Zeit um etwa 18:55 Uhr annähernd im Stadtzentrum ereignet, der Busfahrer habe die Verstorbene aus einer Entfernung von 12 m erkennen und abbremsen können.
Zur Höhe sprach das Landgericht neben den in der Berufungsinstanz nunmehr unstreitigen Bestattungskosten ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 12.000 Euro zu. Zur Begründung der Höhe führt das Landgericht im Wesentlichen aus, dass ein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Mutter festzustellen sei. Die Klägerin habe nur wenige Kilometer von der Wohnung ihrer verstorbenen Mutter entfernt gelebt, diese sei vor dem Unfall jeden Sonntag bei ihr zum Essen gewesen. Auch unter der Woche habe sie die Klägerin mehrfach besucht, welche sich wiederum während der Corona-Pandemie jeden Montag freigenommen habe, um Zeit mit Ihrer Mutter verbringen zu können. Nach Auffassung des Landgerichts zeige sich das Näheverhältnis auch darin, dass die Verstorbene die inzwischen 23 und 17 Jahre alten Kinder der Klägerin häufig betreute, als diese noch im Kindergartenalter waren.
Das Landgericht traf ferner Feststellungen zum seelischen Leid der Klägerin: Diese habe unmittelbar vor dem Unfalltag eigentlich im Andenken an ihren im Kalenderjahr 2016 verstorbenen Vater gemeinsam mit Ihrer Mutter den Barbaratag (Gedenktag der katholischen Kirche an die hl. Barbara, welche im Jahre 306 als Märtyrerin starb) feiern wollen und sei stattdessen mit dem Unfalltod ihrer Mutter nur einen Tag zuvor konfrontiert worden.
Auf die Berufung der Beklagten hin hatte das Oberlandesgericht das angefochtene Urteil des LG Augsburg (Urt. v. 05.01.2024 - 112 O 495/22) zu überprüfen.
Das Oberlandesgericht kommt zum Haftungsgrund zunächst zu dem Ergebnis, dass das Landgericht zutreffend von einer vollen Haftung der Beklagten ausgegangen sei. Insoweit sieht sich das Oberlandesgericht an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Zur Höhe des zugesprochenen Hinterbliebenengeldes bestätigt das Oberlandesgericht die Entscheidung des LG Augsburg. Im Wesentlichen führt es aus, dass der bei der Bemessung der Höhe des Hinterbliebenengeldes in seinen Feststellungen nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen habe. Maßgebend für die Höhe des zuzusprechenden Hinterbliebenengeldes sei im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leides und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Hierbei lassen sich aus der Art der Nähebeziehung, der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung ein indizieller Rückschluss auf die Intensität des seelischen Leides ableiten. Dabei biete der im Gesetzentwurf zur Abänderung/Ergänzung von § 844 BGB genannte Betrag i.H.v. 10.000 Euro lediglich eine Orientierungshilfe für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden könne. Der Betrag stelle insbesondere keine Obergrenze dar.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes setzt sich sehr feingliedrig mit den von der Beklagten gegen die Höhe des Hinterbliebenengeldes vorgetragenen Gesichtspunkten auseinander und fasst auch zum Haftungsgrund noch einmal die maßgeblichen Rechtsgrundsätze zusammen. Ganz kritiklos bleibt die Entscheidung gleichwohl nicht, da sie hinsichtlich der Feststellung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses nicht konsequent ist.
Zum Haftungsgrund überzeugt die Entscheidung des Oberlandesgerichts vollends. Richtig ist, dass die Beklagte (ursprünglich die Beklagte zu 2)) die Darlegungs- und Beweislast für ein anspruchsverkürzendes bzw. -ausschaltendes Mitverschulden der Verstorbenen trägt.
Ausgangspunkt dieser Feststellung ist § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB. Da – anders als im motorisierten Straßenverkehr und der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG – eine Mithaftung eines Fußgängers im nicht-motorisierten Straßenverkehr nur aus Verschuldenstatbeständen in Betracht kommt, hat derjenige, zu dessen Gunsten eine solche Feststellung ausfallen würde, das Mitverschulden zu beweisen (OLG Dresden, Urt. v. 09.05.2017 - 4 U 1596/16 m.w.N.).
Der Nachweis eines haftungsverkürzenden oder sogar -ausschließenden Mitverschuldens ist der Beklagten nicht gelungen.
Soweit die Beklagte rügte, dass auch die Möglichkeit bestünde, die Verstorbene sei bei für sie rot zeigender Lichtzeichenanlage auf die Straße getreten und habe damit den Verkehrsunfall selbst verschuldet, ist ihr der Beweis eines Mitverschuldens nicht gelungen. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die seitens der Beklagten in der Berufung nicht hinreichend angegriffen waren, besteht für beide Lichtzeichenanlagen eine gemeinsame Grünphase von 8 Sekunden. Es war daher durchaus möglich und gerade nicht unwahrscheinlich, dass die Verstorbene die Ampel bei Grün überquert und die Straße bis über die Mitte hinaus begangen hatte, als es zur Kollision kam. Es ist typisch, dass Linksabbieger und in deren Querverkehr befindliche Fußgänger durch die Lichtzeichenanlage gleichzeitig Grünlicht erhalten, hier gilt § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO (dazu Rabe/Look, Der Fußgänger im Straßenverkehr, NJW-Spezial 2020, 521). Den Nachweis eines Mitverschuldens mit dem Beweismaß des § 286 ZPO konnte die Beklagte hierzu nicht erbringen.
In Betracht kam ein Mitverschulden zusätzlich noch vor dem Hintergrund der dunklen Kleidung, die die Verstorbene zum Unfallzeitpunkt trug. Richtig stellt das Oberlandesgericht fest, dass ein solches Mitverschulden durchaus dann in Betracht kommt, wenn ein Fußgänger bei Dunkelheit und nicht vorhandener Straßenbeleuchtung sowie bei z.B. durch unwetterartigen Starkregen zusätzlich erschwerten Sichtverhältnissen außerhalb geschlossener Ortschaften in dunkler Kleidung eine Straße überquert (OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2020 - 12 U 401/20; OLG Jena, Urt. v. 01.12.2020 - 5 U 134/19; OLG Hamm, Urt. v. 31.01.1990 - 32 U 133/89). An der Unfallstelle war es zwar dunkel, allerdings konnte die Verstorbene nach den Feststellungen des Sachverständigen aufgrund ihrer Kleidung 12 m vor der Kollision erkannt werden. Eine Bremsung hätte den Unfall dann noch verhindert.
Nicht ganz ohne Kritik bleibt die Entscheidung allerdings insoweit, als dass das Oberlandesgericht die gesonderten Feststellungen des Landgerichts zum Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses der Klägerin zu ihrer Mutter übernommen und hierzu gesondert ausgeführt hat.
Nach § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB hat der Schädiger dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, eine Entschädigung in Geld für das zugefügte seelische Leid zu leisten. Nach § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB wird ein besonderes persönliches Näheverhältnis dann vermutet, wenn zwischen dem Verstorbenen und dem Anspruchsteller eine bestimmte familienrechtliche Beziehung bestand, der Hinterbliebene also der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.
Nach der insoweit eindeutigen Formulierung der Norm handelt es sich bei der Ausnahmevorschrift des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB betreffend des besonderen persönlichen Näheverhältnisses um eine (widerlegliche) Vermutung, nicht um eine Fiktion (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl. 2024, § 844 BGB Rn. 131; Wagner in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2024, § 844 BGB Rn. 101, jeweils m.w.N.).
Die Klägerin war – unstreitig – Tochter der Verstorbenen und damit von der Vermutung der Vorschrift des § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB erfasst. Aus der Wiedergabe zum Tatbestand ist nicht ersichtlich, dass das besondere persönliche Näheverhältnis unter Berücksichtigung der zugunsten der hiesigen Klägerin eingreifenden Vermutung beklagtenseits hinreichend in Zweifel gezogen worden wäre. Vor diesem Hintergrund waren weder am Landgericht in der I. Instanz noch seitens des Oberlandesgerichtes Feststellungen zum besonderen persönlichen Näheverhältnis erforderlich. Nur solche Personen, die außerhalb der in § 844 Abs. 3 Satz 2 BGB genannten Kerngruppe von Angehörigen stehen, unterliegen hinsichtlich der Existenz eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses der primären Beweislast.
Ferner setzt sich das Oberlandesgericht mit den weiteren Einwendungen der Beklagten gegen die Höhe des geltend gemachten Anspruchs auseinander:
Streitig war offenbar, inwieweit mit Blick auf das mit 77 Jahren vergleichsweise gesetztere Alter der Verstorbenen ohnehin mit einem baldigen Ableben zu rechnen gewesen wäre. Ungeachtet der Tatsache, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein solches baldiges Ableben kaum drohte (die Verstorbene war sportlich aktiv und legte größere Strecken zu Fuß zurück), dürfte dieser Einwand für die Frage des grundsätzlichen Anspruchs auf Zahlung eines Hinterbliebenengeldes unbeachtlich sein. Wie bereits zu § 844 Abs. 1 BGB und dem dort geregelten Anspruch auf Zahlung der Kosten der Beerdigung des Getöteten dürfte es für die Frage der Ansprüche nach § 844 Abs. 1 und Abs. 3 BGB (anders beim Unterhaltsschaden nach § 844 Abs. 2 BGB) nicht darauf ankommen, ob es sich bei den Aufwendungen um „Sowieso-Kosten“ handelt. Bereits 1992 (BGH, Urt. v. 22.09.1992 - VI ZR 293/91) entschied der BGH, dass es für die Frage der Erstattungsverpflichtung auf Fragen des Vorteilsausgleichs bzw. einer „parallelen, noch nicht abgeschlossen Kausalitätskette“ nicht ankommt (auch BGH, Urt. v. 09.10.1952 - III ZR 335/51; Schiffsobergericht Karlsruhe, Urt. v. 04.02.1992 - U 7/91 BSch; Wagner in: MünchKomm BGB, § 844 BGB, Rn. 19 f. m.w.N.). Fraglich wäre insoweit allein gewesen, inwieweit die Verstorbene an den Folgen des Unfalls oder an einer anderen Ursache verstarb. Nach den Feststellungen hierzu liegen Anhaltspunkte für eine potenzielle Reserveursache offenkundig nicht vor, so dass der Einwand der Beklagten unbeachtlich gewesen sein dürfte.
Richtig setzt sich das Oberlandesgericht mit der beklagtenseits erhobenen Rüge auseinander, dass zwischen dem Unfalltag und dem Versterben der Mutter der Klägerin nur knapp zwei Tage gelegen hätten. Dieser Einwand ist im Bereich des Hinterbliebenengeldes unbeachtlich und dürfte sich – wie das Oberlandesgericht zu Recht herausarbeitet – wenn überhaupt im Bereich eines im Wege der Rechtsnachfolge auf die Klägerin übergegangenen Anspruchs auf Zahlung eines eigenen Schmerzensgeldes der verstorbenen Mutter beziehen. Ansatzpunkt für die Zahlung des Hinterbliebenengeldes ist das von den Hinterbliebenen aus Anlass der Tötung seiner Angehörigen erlittene seelische Leid, welches mit Blick auf die Tatsache der Tötung als solche ungeachtet der Frage entstehen dürfte, ob zusätzlich eine besonders lange oder besonders kurze Leidenszeit des verstorbenen Angehörigen zu berücksichtigen ist.
Ebenfalls mit vertretbarer Argumentation begründet das Oberlandesgericht die Ausführungen zur Frage, inwieweit ein gemeinsamer Wohnsitz zwischen der Klägerin und ihrer verstorbenen Mutter für die Bemessung des Angehörigenschmerzensgeldes/Hinterbliebenengeldes von Bedeutung ist und verwirft diesen Einwand mit Blick auf die nach der Beweisaufnahme vor allem wegen der nur geringen räumlichen Distanz zwischen den beiden Wohnorten anzunehmenden engen Mutter-Tochter-Beziehung.
Das Landgericht hatte bereits ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 12.000 Euro zugesprochen. Mit dem diesbezüglichen Einwand der Beklagten, dieser Betrag sei zu hoch angesetzt, setzt sich das Oberlandesgericht ebenfalls gut nachvollziehbar auseinander:
Zunächst arbeitet das Oberlandesgericht heraus, dass es sich bei dem in den diesbezüglichen Gesetzesmaterialien genannten Betrag i.H.v. 10.000 Euro um eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Entschädigung der Hinterbliebenen handelt. In der diesbezüglich maßgeblichen Leitentscheidung (BGH, Urt. v. 06.12.2022 - VI ZR 73/21) weist der BGH explizit darauf hin, dass von der Orientierungshilfe i.H.v. 10.000 Euro im Einzelfall sowohl nach oben als auch nach unten abgewichen werden kann und dieser Betrag keine starre Obergrenze darstellt. Nach der Rechtsprechung darf keine schematische Bemessung des Anspruchs vorgenommen werden, vielmehr ist die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten, wobei Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen sind.
Da nach der vorgenannten Entscheidung des BGH bei der Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung ähnlich wie beim Schmerzensgeld sowohl die Ausgleichs- als auch die Genugtuungsfunktion in den Blick zu nehmen sind, ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die einzelnen für und gegen eine Festsetzung der Höhe des Angehörigenschmerzensgeldes der Klägerin sprechenden Umstände berücksichtigt hat.
Nicht ohne Weiteres gelungen ist die diesbezügliche Begründung, wonach allein die Preisentwicklung zwischen 2017 und 2023 zu einer Anpassung auf 12.000 Euro führe. Inwieweit hier zwingend mit Inflationsmaßstäben zu arbeiten ist, ist nicht ohne Weiteres zu erkennen und durch das Gesetz und seine Begründung so auch nicht vorgesehen. Allerdings dürfte sich aus dem unstreitigen bzw. erwiesenen Sachverhalt durchaus der Rückschluss auf eine besonders funktionale Beziehung zwischen der Klägerin und ihrer verstorbenen Mutter ableiten lassen, so dass wohl auch unter diesem Gesichtspunkt eine moderate Anhebung zu rechtfertigen gewesen wäre.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis zeigt sich, dass Einwände gegen eine Erstattungsverpflichtung betreffend eines Angehörigenschmerzensgeldes sich für den Schädiger in aller Regel zum Haftungsgrund und weniger zur Schadenshöhe abspielen. Aus Sicht des Geschädigten dürfte es sich anbieten, möglichst umfangreich zum Inhalt der persönlichen Beziehung gegenüber dem Verstorbenen vorzutragen, da die Grundsätze der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion solchen Vortrag berücksichtigen. Die ursprüngliche Annahme einiger Gerichte, der Betrag i.H.v. 10.000 Euro sei die Obergrenze des überhaupt erstattbaren Schadens im Bereich des Angehörigenschmerzensgeldes, dürfte sich spätestens seit der diesbezüglich maßgeblichen Leitentscheidung des BGH überholt haben.



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