Versicherungsfall in der Heilberufe-Haftpflichtversicherung: Ungewollte Schwangerschaft nach unterlassener SterilisationLeitsatz Im Falle einer pflichtwidrig unterlassenen Sterilisation ist erst die Empfängnis der geschädigten Patientin bzw. der zur Empfängnis führende Geschlechtsverkehr das versicherte Schadensereignis i.S.v. Ziff. 1.1 AHB 2008. - A.
Problemstellung Der Gesetzgeber des VVG-Reformgesetzes hat – der bisherigen Rechtslage entsprechend – im VVG bewusst nicht geregelt, welcher Vorgang in der Haftpflichtversicherung den Versicherungsfall darstellt, sondern dies der Klärung durch das Vertragsrecht überlassen ( BT-Drs. 16/3945, S. 85 l. Sp.; vgl. BGH, Urt. v. 26.03.2014 - IV ZR 422/12 Rn. 34 - VersR 2014, 625). Insbesondere § 100 VVG enthält keine Definition des Versicherungsfalles, der gerade in der Haftpflichtversicherung sehr unterschiedliche Ausprägungen erfährt. Als Versicherungsfall werden in den unterschiedlichen Zweigen der Haftpflichtversicherung unter anderem das Schadensereignis, der Verstoß oder – in der D&O-Versicherung – die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person vereinbart. Den in der Allgemeinen Haftpflichtversicherung und der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung bei der Definition des Versicherungsfalles verwendeten Begriffen „Schadenereignis“ und „Verstoß“ ist hierbei gemeinsam, dass sie den Versicherungsfall als einen Vorgang beschreiben, welcher der Anspruchserhebung vorausgeht. Anders noch hatte das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung den Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung als den Zeitpunkt der Anspruchserhebung angesehen (Lücke in: Prölss/Martin, VVG, 32. Aufl. 2024, § 100 Rn. 26 m.w.N.). Die Definition des Versicherungsfalles, die mithin in unterschiedlichen Bedingungen in ganz unterschiedlicher Weise erfolgt, ohne deshalb mit § 100 VVG unvereinbar zu sein, gehört zum Kern der Leistungsbeschreibung, weshalb sie einer inhaltlichen AGB-Kontrolle entzogen ist (BGH, Urt. v. 26.03.2014 - IV ZR 422/12 Rn. 34 - VersR 2014, 625). Ob dies auch für das „Claims-made-Prinzip“ gilt oder es hier einer Kompensation der mit ihm verbundenen Nachteile unter anderem durch eine Nachhaftungsregelung bedarf (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 08.07.2015 - 11 U 313/13 Rn. 19 - RuS 2015, 498 m. Anm. Fortmann, jurisPR-VersR 10/2015 Anm. 2; OLG Frankfurt, Urt. v. 05.12.2012 - 7 U 73/11 Rn. 63 ff. - RuS 2013, 329 m. zust. Anm. Getschmann, jurisPR-VersR 8/2013 Anm. 2; OLG München, Urt. v. 08.05.2009 - 25 U 5136/08 Rn. 29 ff. - VersR 2009, 1066 m. zust. Anm. Schimikowski, RuS 2009, 331), ist streitig und vom BGH jüngst offengelassen worden (BGH, Urt. v. 18.12.2024 - IV ZR 151/23 Rn. 32 - VersR 2025, 229 m. zahlreichen weiteren Nachw.). Das LG Duisburg hatte sich im Rahmen einer nach dem Schadensereignisprinzip ausgestalteten Haftpflichtversicherung für Heilberufe (vgl. zum Versicherungsfall in der Arzthaftpflichtversicherung Rolfes, VersR 2006, 1162) mit der Frage zu befassen, welches Ereignis bei einer auf eine unterlassene Sterilisation zurückzuführenden Schwangerschaft der geschädigten Patientin für den zeitlichen Geltungsbereich des mittlerweile beendeten Versicherungsvertrages maßgeblich ist.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Versicherungsnehmerin – eine Krankenhausträgerin – nimmt den beklagten Versicherer im Rahmen einer Feststellungsklage auf Deckung für Schäden in Anspruch, die aus einer von den behandelnden Ärzten im Krankenhaus im Rahmen einer im Dezember 2018 durchgeführten Kaiserschnittgeburt geplanten, aber nicht durchgeführten Sterilisation einer Patientin resultieren. Dem Versicherungsverhältnis der Parteien, das am Mittag des 01.01.2019 endete, liegen unter anderem die AHB 2008 zugrunde, die in Ziff. 1.1 bestimmen: „Versicherungsschutz besteht im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Schadenereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung, die zum Schadenereignis geführt hat, kommt es nicht an.“ Die Patientin wurde, nachdem eine im Rahmen der Sectio beabsichtigte Sterilisation nicht erfolgt und sie auch im Nachgang nicht über den unterlassenen Eingriff informiert worden war, im Jahr 2019 – mithin nach Beendigung des in Rede stehenden Versicherungsverhältnisses – ungeplant schwanger und gebar am 09.04.2020 ein Kind, das an einer Trisomie 21, einer Leukämieerkrankung sowie unter mehreren Herzfehlern mit entsprechender Herzinsuffizienz leidet. Die Beklagte leistete nach einer Inanspruchnahme der Versicherungsnehmerin zunächst insgesamt Zahlungen von rund 82.000 Euro, und zwar zum Teil ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechts- bzw. Eintrittspflicht“, zum Teil mit dem Hinweis „frei verrechenbar“. Später lehnte die Beklagte gegenüber der Versicherungsnehmerin die Deckung ab. Im Deckungsprozess begehrt die Versicherungsnehmerin die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung bedingungsgemäßen Versicherungsschutzes. Sie ist der Ansicht, der Versicherungsfall sei in versicherter Zeit eingetreten. Maßgeblich sei die unterlassene Sterilisation und nicht die erst nach Versicherungsende erfolgte Empfängnis bzw. die spätere Geburt des Kindes. Unabhängig davon habe die Beklagte den Deckungsanspruch anerkannt. Der Versicherer nimmt demgegenüber einen Versicherungsfall während des Bestands des Versicherungsverhältnisses wie auch ein Anerkenntnis in Abrede. Maßgeblich sei nicht die Schadensverursachung durch die unterlassene Sterilisation, sondern das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung entstanden sei. Dies sei vorliegend die Empfängnis im Jahr 2019 oder die Geburt im Jahr 2020. Die Klage blieb ohne Erfolg. Das LG Duisburg war der Ansicht, das den Versicherungsfall auslösende Schadensereignis seien der – erst nach Ablauf des Versicherungsvertrages am 01.01.2019 – stattgefundene Geschlechtsverkehr bzw. die ungewollte Empfängnis der Patientin. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht erkennen, dass der Wortlaut von Ziff. 1.1 Satz 3 AHB 2008 deutlich zwischen der (kausalen) Pflichtverletzung und dem Schadenereignis differenziere und dass die Schadensverursachung dem Schadenereignis vorgelagert sei, aber diesem nicht entspreche, so dass es auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung nicht ankomme. Auch entspreche das Schadenereignis nicht dem Schadenseintritt, da nach Ziff. 1.1 Satz 1 und 2 AHB 2008 das Schadenereignis erst zu einem Personen- oder Sachschaden führe. Die unterlassene Sterilisation und die fehlende Aufklärung der Patientin darüber hätten in diesem Sinne nicht unmittelbar zu einem Personen- oder Sachschaden geführt. Bis zur Fassung 2002 hätten die AHB den Personenschaden definiert als Schadensereignis, „das den Tod, die Verletzung oder Gesundheitsbeschädigung von Menschen“ zur Folge hat (vgl. § 1 Ziff. 1 Satz 1 AHB 2002). Seither verzichte der Bedingungsgeber der Musterbedingungen auf eine Definition. Gleichwohl sei die früher verwandte Definition weiterhin als Ausgangspunkt für die Auslegung maßgebend, weil sie im Einklang mit dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers stehe. Körperverletzung sei jeder äußerliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, Gesundheitsschädigung die Störung der inneren Lebensvorgänge. Nach diesem Maßstab habe unmittelbar nach der unterlassenen Sterilisation keine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung der Patientin und damit auch kein unmittelbarer Personenschaden vorgelegen. Der nicht durchgeführte Eingriff habe die körperliche Unversehrtheit der Patientin in keiner Weise beeinträchtigt oder innere Lebensvorgänge gestört. Diese seien gerade durch die vor und nach der Sectio fortbestehende Fertilität der Patientin unverändert geblieben. Die Körperverletzung und damit der Personenschaden sei vielmehr erst durch die ungewollte Schwangerschaft eingetreten. Auch wenn es sich bei einer Schwangerschaft um einen normalen physiologischen Vorgang handle, stelle jeglicher unbefugte Eingriff in das körperliche Befinden eine Körperverletzung dar, da bei anderer Sichtweise das Recht am eigenen Körper als gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht hinreichend geschützt wäre. Unmittelbar zu dieser Schwangerschaft geführt habe die Empfängnis, also der physiologische Vorgang der Verschmelzung der Eizelle mit einem Spermium. Lehne man die Empfängnis als Schadenereignis ab, da es ein nur verborgener, innerer Vorgang sei, der nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht zwingend ein Ereignis darstelle im Sinne eines sinnfälligen objektiven Vorgangs, der sich vom gewöhnlichen Tagesgeschehen deutlich abhebe und dessen schwerwiegende Bedeutung sofort ins Auge springe (BGH, Urt. v. 27.06.1957 - II ZR 299/55 - BGHZ 23, 34), dann sei jedenfalls der vorgelagerte Geschlechtsverkehr ein solcher objektiver Vorgang, der den Personenschaden in Gestalt der ungewollten Schwangerschaft ausgelöst habe. Das Schadensereignis sei damit in jedem Fall außerhalb der versicherten Zeit eingetreten. Die Beklagte habe den Deckungsanspruch auch nicht im Wege eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses gemäß § 781 BGB anerkannt. Die bloße Zahlung stelle kein Anerkenntnis dar. Die Zahlungen seien zudem nicht an die Versicherungsnehmerin, sondern direkt an die Patientin erfolgt, so dass sich hieraus ohnehin kein Verhalten mit Erklärungsgehalt gegenüber der Versicherungsnehmerin ergebe. Erklärungen der Beklagten mit Rechtsbindungswillen ließen sich weder der Korrespondenz mit der Versicherungsnehmerin noch jener mit der Geschädigten entnehmen.
- C.
Kontext der Entscheidung I. In der Allgemeinen Haftpflichtversicherung weist das – oberstgerichtliche – Verständnis des hier für die Umschreibung des Versicherungsfalles verwendeten Begriffs „Schadenereignis“ eine wechselvolle Geschichte auf (eingehend hierzu Schimikowski in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 5. Aufl. 2025, Ziff. 1 AHB Rn. 13 ff.; v. Rintelen in: Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. 2015, Ziff. 1 AHB Rn. 38 ff.). Zur Bestimmung des Schadenereignisses wurden unter Geltung des noch bis 1982 in § 1 Abs. 1 AHB a.F. ohne weitere Erläuterung verwendeten Begriffs „Ereignis“ zwei Theorien vertreten. Der zunächst für das Versicherungsvertragsrecht zuständige II. Zivilsenat des BGH hatte in seiner sog. Mähbinder-Entscheidung zunächst die sog. Schadenereignis- oder Folgeereignistheorie vertreten, die für den Versicherungsfall auf den nach außen erkennbaren Vorgang abstellt, der als Folgeereignis nach einem vom Versicherten gesetzten Kausalumstand die Schädigung des Dritten und damit die Haftpflicht unmittelbar herbeiführt (BGH, Urt. v. 27.06.1957 - II ZR 299/55 - BGHZ 25, 34). In Abweichung dazu vertrat später der nunmehr zuständige IVa. Zivilsenat des BGH seit seiner Herbizid-Entscheidung (BGH, Urt. v. 04.12.1980 - IVa ZR 32/80 - BGHZ 79, 76) die sog. Kausalereignis- oder Verstoßtheorie und betrachtete als Versicherungsfall die kausale Verletzungshandlung, die sich später im Schadenereignis manifestiert. Die Versicherer reagierten auf diesen Rechtsprechungswandel, indem sie nach 1982 den Begriff „Ereignis“ durch jenen des „Schadenereignis“ ersetzten, um so zur Folgeereignistheorie zurückzukehren. Ob dieser Versuch (zunächst) gelang, oder ob man die zwischenzeitlich verwendete Klausel ohne weitere Erläuterung des Begriffs als i.S.v. § 305c Abs. 2 BGB unklar oder als gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB intransparent bewerten muss, wird in Rechtsprechung und Literatur bezweifelt (vgl. Schimikowski in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, Ziff. 1 AHB Rn. 14 m.w.N.). Jedenfalls aber seit der näheren Erläuterung des Begriffs „Schadenereignis“ in den – auch hier verwendeten – AHB und einem klärenden Wort des BGH sind diese Zweifel für diese Bedingungsfassung beseitigt. Die Definition des Versicherungsfalles in den AHB, die als Schadenereignis das Ereignis beschreibt, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist, wobei es auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung, die zum Schadenereignis geführt hat, nicht ankommt, ist weder wegen Intransparenz unwirksam noch unklar (BGH, Urt. v. 26.03.2014 - IV ZR 422/12 Rn. 33 ff. - VersR 2014, 625). Der Bestimmung des Begriffs „Schadenereignis“ kommt in erster Linie Bedeutung für die auch hier in Rede stehende Frage zu, welches Ereignis für den zeitlichen Geltungsbereich des Versicherungsvertrages maßgeblich ist. Aber auch die Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers knüpft an die Bestimmung des Versicherungsfalles an. Denn nach Ziff. 25.1 AHB bzw. B3-3.2.3 (1) AVB PHV/AVB BHV ist der „Versicherungsfall“ dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen, auch wenn noch keine Schadensersatzansprüche erhoben wurden. II. Welches Ereignis bei einer auf einer unterlassenen Sterilisation beruhenden ungewollten Schwangerschaft im Rahmen einer Haftpflichtversicherung für Heilberufe den Versicherungsfall auslöst, soweit die Versicherung dem Schaden- bzw. Folgeereignisprinzip unterliegt, musste das LG Duisburg nicht abschließend entscheiden. Die Unsicherheit darüber, ob die Empfängnis als körperinterner Vorgang der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle geeignet ist, den mit der Schwangerschaft einhergehenden angenommenen Personenschaden der Patientin auszulösen, beruht auf der Rezeption der Mähbinder-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH, der dem Begriff „Ereignis“ entnimmt, dass es sich nicht schon um irgendein fehlerhaftes Tun oder Unterlassen handeln dürfe, dessen Folgen zunächst verborgen blieben, sondern ein sinnfälliger objektiver Vorgang erforderlich sei, der sich vom gewöhnlichen Tagesgeschehen deutlich abhebt und dessen schwerwiegende Bedeutung sofort ins Auge springt (BGH, Urt. v. 27.06.1957 - II ZR 299/55 Rn. 8 - BGHZ 25, 34). Nimmt man das ernst, wird man freilich bezweifeln können, ob der zur Empfängnis führende Geschlechtsverkehr als äußeres Ereignis einen solchen sich vom gewöhnlichen Tagesgeschehen deutlich abhebenden Vorgang darstellt. In der Literatur wird deshalb bisweilen auch erst auf die Geburt des ungewollten Kindes abgestellt, da diese den äußeren Vorgang bildet, der den Unterhaltsschaden der Eltern unmittelbar auslöst (Makowsky in: MünchKomm VVG, 3. Aufl. 2025, Kap. 44 Rn. 54 m.w.N.). Problematisch an dieser Sichtweise ist, dass der Zeitpunkt der Geburt nach der ungewollten Schwangerschaft liegt und nur letztere einen Personenschaden (der späteren Kindesmutter) begründet, während der Unterhaltsschaden (zunächst) bloßer Vermögensschaden ist. Das wiederum wirft dann die Frage nach der Abgrenzung zwischen einem – gedeckten – Vermögensfolgeschaden und – ungedeckten – reinen Vermögensschäden auf (vgl. insoweit allg. v. Rintelen in: Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung, Ziff. 1 AHB Rn. 182 ff.). Es darf aber bei alledem nicht übersehen werden, dass die enge Sichtweise des Begriffs „Ereignis“ in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH auf der damaligen gesetzesähnlichen Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen beruht und dies der entscheidende Grund für den IVa. Zivilsenat des BGH war, in der Herbizid-Entscheidung für die damalige Fassung der AHB von der Folgeereignistheorie abzurücken. Sie folgte zwar im Kern noch dem Grundsatz der gesetzesförmigen Auslegung von Versicherungsbedingungen, drängte aber die Maßgeblichkeit insbesondere deren Entstehungsgeschichte bereits in den Hintergrund (BGH, Urt. v. 04.12.1980 - IVa ZR 32/80 Rn. 32 - BGHZ 79, 76) und bildete damit einen Auftakt zur Hinwendung des Senats zur Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers (grundlegend BGH, Urt. v. 23.06.1993 - IV ZR 135/92 - BGHZ 123, 83). Die Unzulänglichkeiten der Folgeereignistheorie hatte im Übrigen bereits der II. Zivilsenat des BGH erkannt. Sie bestehen für den Versicherungsnehmer bzw. den Versicherten im fehlenden Versicherungsschutz für Spätschäden, für den Versicherer in einer Inkongruenz zwischen Prämie und Gefahr, die eintreten kann, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer wechselt und nunmehr in Folge einer schon während der Laufzeit des alten Vertrages gesetzten Ursache ein Schaden eintritt (BGH, Urt. v. 27.06.1957 - II ZR 299/55 Rn. 18 f. - BGHZ 25, 34; vgl. auch Makowsky in: MünchKomm VVG, Kap. 44 Rn. 52 m.w.N.). III. Zutreffend greift das Landgericht für die Frage, ob in der ungewollten Schwangerschaft ein Personenschaden liegt, auf die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH zurück. Entscheidend ist der unbefugte Eingriff in das körperliche Wohlbefinden, weshalb auch eine ungewollte Schwangerschaft eine Körperverletzung darstellt (v. Rintelen in: Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung, Ziff. 1 AHB Rn. 133 m.w.N.). Auch wenn es sich bei einer Schwangerschaft um einen normalen physiologischen Vorgang handelt, stellt doch jeglicher unbefugte Eingriff in das körperliche Befinden eine Körperverletzung dar, da bei anderer Sichtweise das Recht am eigenen Körper als gesetzlich ausgeformter Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht hinreichend geschützt wäre (BGH, Urt. v. 27.06.1995 - VI ZR 32/94 Rn. 17 - VersR 1995, 1099). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Schwangerschaft auf einer Pflichtverletzung im Rahmen eines Sterilisationseingriffs bei der Frau oder beim Kindesvater beruht. Es geht bei alledem nicht darum, den Schaden in der Existenz des Kindes zu sehen. Er liegt vielmehr in der durch die planwidrige Geburt ausgelösten Unterhaltsbelastung der Eltern, die durch die Sterilisation vermieden werden sollte (BGH, Urt. v. 18.03.1980 - VI ZR 105/78 - BGHZ 76, 249; Gerda Müller, NJW 2003, 697, 698 f.).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Im entschiedenen Fall hat sich – wie das Landgericht selbst feststellt – für die Versicherungsnehmerin ein Risiko realisiert, das sich vor allem daraus ergibt, dass sie im Rahmen der nachfolgenden Deckung keinen Haftpflichtversicherungsvertrag mit speziellen Bedingungen abgeschlossen hatte, welche die Besonderheiten im Heilbehandlungsbereich auch für Fälle der ungewollten Schwangerschaft berücksichtigen, obwohl solche Versicherungen verfügbar sind. Ob die Schwächen der Anschlussdeckung auf die pflichtwidrige Beratung durch einen Versicherungsvermittler zurückzuführen sind, ist nicht bekannt, wirft aber für die Beratungspraxis die Frage nach der sog. „Quasideckung“ wegen unterlassener Aufklärung über ungedeckte Risiken auf. Die Leitlinien dazu kann man – soweit haftpflichtversicherungsrechtliche Deckungsfragen in Rede stehen – der vom Landgericht mehrfach zitierten Ofensetzer-Entscheidung des BGH entnehmen (BGH, Urt. v. 26.03.2014 - IV ZR 422/12 - VersR 2014, 625).
|