juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 17.04.2024 - IV ZR 91/23
Autor:Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, RA und FA für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:24.05.2024
Quelle:juris Logo
Norm:§ 286 ZPO
Fundstelle:jurisPR-VersR 5/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Günther, jurisPR-VersR 5/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anforderungen an das „äußere Bild“ eines Einbruchsdiebstahls; Rückkehr zur Ein-Stufen-Theorie des RG?



Leitsatz

Der Senat hält daran fest, dass für das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls die festgestellten Spuren nicht in dem Sinne stimmig sein müssen, dass sie zweifelsfrei auf einen Einbruch schließen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 08.04.2015 - IV ZR 171/13 - VersR 2015, 710 Rn. 22).



A.
Problemstellung
Die Entscheidung beschäftigt sich mit Beweislastregeln im Zusammenhang mit einem geltend gemachten Deckungsanspruch gegen den Hausratversicherer nach behauptetem Einbruchsdiebstahl.
Der Kläger war in beiden Vorinstanzen unterlegen, da ihm die Darlegung der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht gelungen sei. Ein Sachverständiger hatte Unstimmigkeiten bei den äußeren Umständen des angeblichen Einbruchs festgestellt, daher habe der Kläger bereits das äußere Bild des behaupteten Einbruchsdiebstahls nicht bewiesen.
Das Revisionsurteil befasst sich mit der Beweiserleichterung für den Versicherungsnehmer einer Hausratversicherung im Rahmen der Einbruchsdiebstahlversicherung gemäß des vom BGH entwickelten sog. 3-Stufen-Modell, namentlich zu dem vom Versicherungsnehmer im Rahmen der 1. Stufe zu erbringenden Nachweis von „genügenden“ Einbruchspuren.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger begehrt Deckung aus einer Hausratversicherung wegen eines behaupteten Einbruchsdiebstahls. Die Täter hätten sich durch Aufhebeln eines Fensters Zugang zur Wohnung verschafft und einen Tresor mit Wertsachen entwendet.
An mehreren Fenstern der betroffenen Wohnung waren Hebelspuren zu finden. Nach Aussage des Sachverständigen waren diese Spuren allerdings zu leicht, als dass mit ihnen das verschlossene Fenster hätte geöffnet werden können; bei Öffnung des verriegelten Fensters hätten wesentlich schwerere Einbruchsspuren hinterlassen werden müssen. Zudem konnte nicht mehr sicher geklärt werden, ob das Fenster vom Kläger ordentlich verschlossen wurde.
Gestützt auf die sachverständige Hilfe verneinte das Berufungsgericht, dass der Beweis für einen bedingungsgemäßen Einbruchsdiebstahl vom Kläger erbracht wurde. Es läge auf der Hand, dass die festgestellten Spuren nicht zu einem Einbruchsdiebstahl passten.
Im vorliegenden Revisionsurteil führt der BGH zunächst aus, dass dem Versicherungsnehmer einer Hausratversicherung eine Beweiserleichterung hilft, da der Versicherungsnehmer regelmäßig keine Zeugen oder sonstige Beweismittel über einen Einbruchsdiebstahl beibringen kann, da Einbrecher stets bemüht sind, möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Der Versicherungsnehmer genügt seiner Beweislast bereits dann, wenn er das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweist, also ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen (BGH, Urt. v. 08.04.2015 - IV ZR 171/13 Rn. 13 - VersR 2015, 710; BGH, Urt. v. 20.12.2006 - IV ZR 233/05 Rn. 9 f. - VersR 2007, 241).
Bei einem Einbruchsdiebstahl gehört – neben dem Entwendungsnachweis – zu dem Minimum an Tatsachen auch das Vorliegen von genügenden Einbruchsspuren. Für den Beweis des äußeren Bildes ist allerdings nicht erforderlich, dass diese in dem Sinne stimmig sind, dass sie zweifelsfrei auf einen Einbruch schließen lassen, insbesondere müssen nicht sämtliche typischerweise auftretenden Spuren vorhanden sein. Die Versicherungsleistung ist dem Versicherungsnehmer auch dann anzuerkennen, wenn sich nach den festgestellten Umständen nur das äußere Geschehen eines Diebstahls darbietet, auch wenn von einem typischen Geschehensablauf nicht gesprochen werden kann.
Indem die Vorinstanz darauf abgestellte, dass das Fenster nur unter Verursachung erheblicher zuvor nicht vorhandener Einbruchsspuren geöffnet werden konnte, verlange es ein widerspruchsfreies und stimmiges Spurenbild. Damit habe es die Anforderungen an die Darlegung, so der BGH, überspannt. Die Vorinstanz vermisse den Nachweis eines typischen Tatablaufs; dieser sei allerdings gerade keine Voraussetzung für das Vorliegen des äußeren Bildes eines Einbruchsdiebstahls. Das Berufungsgericht habe daher einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt.
Ferner weist der BGH noch darauf hin, dass der Kläger prozessual nicht an eine Begehungsweise bedingungsgemäßen Diebstahls gebunden ist. Wenn es dem Kläger nicht gelingt, das äußere Bild eines Einbrechens zu beweisen, kann er sich angesichts der Feststellungen des Sachverständigen auch auf ein bloßes Eindringen durch ein unverschlossenes Fenster in Form eines Einsteigediebstahls ggf. berufen. Fraglich ist dann, ob auch hierfür Versicherungsschutz besteht.
Der BGH weist schließlich darauf hin, dass die vom Berufungsgericht angenommenen Unstimmigkeiten im Spurenbild für die Frage eines Vortäuschens des Versicherungsfalls durchaus noch Bedeutung erlangen können, und hat die Sache daher zurückverwiesen. Denn wenn dem Versicherungsnehmer der Beweis des äußeren Erscheinungsbildes eines Einbruchsdiebstahls gelungen sei, so kommt auch dem Versicherer eine Beweiserleichterung auf der sog. 2. Stufe zugute. Erforderlich ist dabei nur der Nachweis konkreter Tatsachen, die allerdings nicht nur mit hinreichender, sondern mit höherer, nämlich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht ist.


C.
Kontext der Entscheidung
1. Es genügt, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen des von ihm zu führenden äußeren Bildes eines Einbruchsdiebstahls auf der 1. Stufe des sog. 3-Stufen-Modells des BGH – insoweit hat der Versicherungsnehmer den Strengbeweis des § 286 ZPO zu führen – bei einem behaupteten Einbruchsdiebstahl „genügende“ Einbruchspuren nachweist, wobei er nicht den Vollbeweis der Plausibilität zu erbringen hat. Allerdings müssen die Spuren ein solches Maß an Geeignetheit aufweisen, dass der Einbruch auf dem Weg, wie er nach dem äußeren Spurenbild vorzuliegen scheint, nicht ausgeschlossen sein darf. Wenn der Versicherungsnehmer daher zum Beispiel nicht nachweisen kann, dass diese Spuren aus dem tatrelevanten Bereich stammen, ist dieser Nachweis nicht erbracht (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 30.04.2014 - I-20 U 63/13 - VersR 2015, 1374). Gleiches gilt, wenn es sich nicht um Einbruchspuren handelt, sondern um Gebrauchs- oder Abnutzungspuren oder gar um fingierte Spuren, also sog. Trugspuren (vgl. hierzu LG Dortmund, Urt. v. 17.03.2016 - 2 O 403/13 - RuS 2016, 348).
2. Leider wird der zugrunde liegende Sachverhalt in dem BGH-Urteil vom 17.04.2024 nur knapp wiedergegeben. Im Tatbestand heißt es bei der Wiedergabe des Klägervorbringens, die „Täter hätten sich durch Aufhebeln des linken, geschlossenen Fensters im Erdgeschoss Zutritt verschafft.“ Ausgehend von der Tatbestandswirkung stellt sich die Frage, ob tatsächlich „genügende“ Aufbruchspuren dann vorliegen. Auch wenn das kriminaltechnische Gutachten nur kurz wiedergegeben wird, lautete das Ergebnis offenbar, dass bei einem geschlossenen Fenster ein Einbrechen nicht nur unwahrscheinlich, sondern auszuschließen war. Dann fehlt es jedoch an „genügenden“ Aufbruchspuren. Nicht im Tatbestand, sondern in den Entscheidungsgründen finden sich aber weitere tatsächliche Ausführungen. So haben die Polizeibeamten das Fenster in Kippstellung vorgefunden. Da der Versicherungsnehmer aber offenbar vorgetragen hat, er habe das Fenster geschlossen und nicht in Kippstellung zurückgelassen, ändert dies nichts am Fehlen von genügenden Einbruchspuren.
3. Womöglich kam es im Laufe des Prozesses zu einer Änderung des Klägervorbringens, denn bei der Wiedergabe des Berufungsurteils wird ein „Einwand“ des Klägers mitgeteilt, „es sei möglich, dass der Griff des Einstiegsfensters nicht bis zur Arretierung geschoben gewesen sei, so dass das Fenster mit geringerem Kraftaufwand habe geöffnet werden können.“ Wenn dieses Klägervorbringen so erfolgte und das Gericht im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung auch nicht von einem „nachgeschobenen“ unzutreffenden Vorbringen nach rechtlicher Sensibilisierung ausgeht, wäre dies ein Ansatzpunkt, um im vorliegenden Falle doch von genügenden Einbruchspuren auszugehen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
1. Aufgrund der so überaus weiten Interpretation des BGH zum Nachweis von „genügenden“ Aufbruchspuren durch den Versicherungsnehmer wird aus Sicht des Einbruchsdiebstahlversicherers noch wichtiger, zeitnah konkrete Angaben vom Versicherungsnehmer unter Hinweis auf dessen Aufklärungsobliegenheit den Schlüssel- und namentlich zu den Verschlussverhältnissen in Erfahrung zu bringen.
2. Auf Grundlage des vom BGH mitgeteilten Sachverhaltes bleibt offen, ob sich am Ergebnis nach der Zurückweisung etwas ändern wird. Auch wenn man von genügenden Aufbruchspuren ausgehen sollte, entfaltet dieses jedenfalls merkwürdige Spurenbild eine nicht unerhebliche Indizwirkung auf der vom Versicherer nachzuweisenden 2. Stufe. Der BGH spricht in seinem Urteil davon, dass „etwa das Fehlen weiterer Spuren für sich allein oder im Zusammenhang mit anderen Indizien ausreichend sein [kann], um eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung zu begründen.“ Danach kann sogar „allein“ dieser Umstand genügen. In der Regel wird es dann aber noch weiterer – allerdings nicht mehr vieler – Indizien bedürfen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das aktuelle Urteil des BGH bietet Anlass zu einer Grundsatzfrage: Ist die dem 3-Stufen-Modell innewohnende Spaltung der richterlichen Überzeugungsbildung, denselben Lebenssachverhalt in vorgeblich strikt zu trennende Stufen aufzuteilen, wirklich der Stein des Weisen? Wäre hier ein einstufiges Beweismodell nicht vorzugswürdig, bei dem Richter im Rahmen seiner freien richterlichen Würdigung nach § 286 ZPO zum Ergebnis kommt, dass ein Versicherungsfall vorliegt oder nicht? Im Ergebnis wird es bei einer solchen einstufigen Überzeugungsbildung kaum größere Unterschiede zum aktuellen 3-Stufen-Modell geben, denn klar ist, auch im Rahmen dieses „einstufigen“ Modells muss es eine Beweiserleichterung zugunsten des Versicherungsnehmers geben, und zwar nicht nur lediglich in Form eines zivilprozessualen Anscheinsbeweises. Denn dieser würde dem Versicherungsnehmer nicht viel weiterhelfen, da ja bereits dessen „Erschütterung“ durch den Versicherer mit seinem nur geringen Nachweisgrad zu einfach zu führen wäre.
Wie so oft lenken solche Grundsatzfragen einen Blick auf die vergangene Rechtsprechung (ausführlich hierzu Günther, „Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Versicherungsrecht – alte Urteile und neue Erkenntnisse“ in: Festschrift für Peter Schimikowski „Versicherungsrecht – Vergangenheit und Zukunft“, München 2023, S. 113-155):
Der BGH hat in der Entwendungsversicherung bereits sehr früh, und zwar mit Urteil vom 04.04.1957, das 3-Stufen-Modell entwickelt. Aus dem Versicherungsvertrag hat er eine materiell-rechtliche Risikozuweisung herausgelesen. Der Versicherungsnehmer müsse aufgrund der typischen Beweisnot in der Entwendungsversicherung nicht den Vollbeweis eines Versicherungsfalls führen. Dieser Grundüberlegung ist zuzustimmen, da insbesondere bei einem Einbruchsdiebstahl die Täter üblicherweise unbemerkt von Blicken Dritter ihre Straftat begehen und der Versicherungsnehmer in nahezu allen Fällen beweisfällig bliebe, wenn man von ihnen den vollen Beweis fordern würde.
Hierzu gibt es eine interessante und vom BGH auch zitierte Vorgängerrechtsprechung des Reichsgerichts mit seinem Urteil vom 11.12.1936 (VII 172/36). Der dortige Versicherungsnehmer war Inhaber einer Kleiderfabrik. Zu dieser gehörte als Lagerraum auch ein Kellerbereich. Dieser Raum war „durch eine eiserne Tür verschließbar“. Bereits das Berufungsgericht hatte dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen zugebilligt. Anders als bei dem 3-Stufen-Modell des BGH mit seiner materiell-rechtlichen Risikozuweisung nahm das Berufungsgericht aber eine Beweiserleichterung „nur“ vor in Form des zivilprozessualen Anscheinsbeweises. Danach brauche der Versicherungsnehmer „nach der Regel des im Versicherungsrecht geltenden Beweises des ersten Anscheins nur einen Sachverhalt darzutun, der nach dem regelmäßigen Zusammenhang der Dinge die Folgerung rechtfertige, dass ein Einbruchsdiebstahl vorliege“.
Das Reichsgericht folgte dem nicht. Zwar müsse der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall beweisen; das Reichsgericht wendet sich sodann zutreffend gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, den Fall lediglich mittels des zivilprozessualen Anscheinsbeweises zu lösen. Vielmehr müsse das Gericht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung in Form eines Indizienbeweises und unter Betonung auf die freie gerichtliche Beweiswürdigung des § 286 ZPO zu der Überzeugung gelangen, ob ein Versicherungsfall vorliegt. Das Reichsgericht trennt also den Sachverhalt nicht in mehrere Stufen auf.
Hervorzuheben ist die Betonung des Reichgerichts, die Beweislast des Versicherungsnehmers dürfe nicht überspannt werden. Denn „im Allgemeinen wird er, wenn ein solcher Sachverhalt vorliegt, wie er hier festgestellt ist, den Beweis des Diebstahls als geführt ansehen ohne noch weitere Beweise in die Richtung zu verlangen, dass die Fortschaffung der Sachen gegen den Willen des Versicherungsnehmers erfolgt sei. Anders wird er die Frage dann beurteilen, wenn sich in dieser Richtung Bedenken ergeben.“
Man kann hier von einem 1-Stufen-Modell des Reichsgerichts sprechen. Die Begründung des Reichsgerichts ist geradezu modern und bietet Anlass, zu diesem 1-Stufen-Modell mit seiner Vermeidung der Sachverhaltsaufspaltung auf mehrere Stufen zurückzukehren. Gerade wenn dabei so vorgegangen wird, wie es das Reichsgericht mit seiner Betonung der Erleichterung des Nachweises des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer tut, wird es, wie erwähnt, auch kaum zu größeren Unterschieden in den zu beurteilenden Fällen kommen.



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