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Anmerkung zu:BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 04.04.2024 - I ZR 137/23
Autor:Dr. Aline Icha-Spratte, RA'in und FA'in für Versicherungsrecht
Erscheinungsdatum:23.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 357 BGB, § 312h BGB, § 312a BGB, § 59 VVG, § 312b BGB, § 312f BGB, § 562 ZPO, § 563 ZPO, § 312g BGB, § 152 VVG, § 8 VVG, § 312 BGB, § 134 BGB, § 3 RDG, § 5 RDG, EGRL 65/2002
Fundstelle:jurisPR-VersR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Icha-Spratte, jurisPR-VersR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anwendbarkeit des § 312 Abs. 6 BGB auf Versicherungsvermittlervertrag im Rahmen einer Honorarvereinbarung



Leitsatz

Die Ausnahmeregelung des § 312 Abs. 6 BGB, nach der die Vorschriften über das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht auf Versicherungsvermittlungsverträge anwendbar sind, ist bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Versicherungsvermittlungsverträgen nicht richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass für sie ein Widerrufsrecht des Verbrauchers nach § 312g Abs. 1 BGB besteht. Es besteht keine unionsrechtliche Verpflichtung, ein Widerrufsrecht für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge vorzusehen.



A.
Problemstellung
Die zentrale Rechtsfrage betrifft die Anwendbarkeit des Widerrufsrechts auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge und die Frage, ob aufgrund von § 312 Abs. 6 BGB das Widerrufsrecht des Verbrauchers auf solche Verträge nicht anwendbar ist oder ob diese Vorschrift EU-richtlinienkonform dahin gehend auszulegen ist, dass ein Widerrufsrecht besteht.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die bei der B. Krankenversicherung AG versicherte Klägerin zeichnete am 20.02.2018 in ihrem eigenen Geschäft einen als „Honorarvereinbarung“ überschriebenen Auftrag an den Beklagten, dieser möge ihre Krankenversicherung nach Möglichkeit günstiger gestalten.
Darin heißt es: „Die Versicherungsgesellschaft bleibt gleich. Der Leistungsumfang ist in etwa mit der bisherigen Absicherung gleichzusetzen, außer es wurde vom Kunden anders gewünscht. Als Honorar werden 80 % der berechneten Jahresersparnis zzgl. Mehrwertsteuer vereinbart. Dieses ist zur Zahlung fällig, wenn Umstellungen oder Veränderungen, auch durch andere Personen, innerhalb der nächsten 24 Monate bei der Versicherung beantragt werden.
Neuabschlüsse bei anderen Gesellschaften sind honorarfrei.“
Bis zum 31.12,2018 betrug der Gesamtbeitrag der Klägerin bei der B. monatlich 470,94 Euro mit einem Selbstbehalt von jährlich 1.800 Euro inklusive monatlich 42,89 Euro Beitragsentlastungszuschlag im Alter abzüglich eines für 2018 gewährten Bonus von 0,82 Euro. Ab 01.01.2019 hätte der (Gesamt-)Beitrag der Klägerin wegen Entfallens der beiden zuletzt genannten Positionen noch 428,87 Euro betragen.
Nach einer Beratung durch den Beklagten am 04.12.2018 vermittelte dieser der Klägerin zum 01.01.2019 einen Wechsel in einen anderen Tarif der B. Der Beitrag betrug monatlich 337,77 Euro mit einem Selbstbehalt von jährlich 1.200 Euro. Der Beklagte vermittelte der Klägerin am selben Tag zudem Verträge mit der C. (nachfolgend: C.), die den Selbstbehalt bei B. senken und Zahnbehandlungskosten decken sollten; der Monatsbeitrag der Klägerin betrug demnach insgesamt ab dem 01.01.2019 433,77 Euro.
Der Beklagte berechnete seine Vergütung auf Grundlage eines Ausgangstarifs von monatlich 470,94 Euro und eines Zieltarifs von monatlich 433,77 Euro. Zu der sich hieraus ergebenden Beitragsdifferenz für ein Jahr von 446,04 Euro addierte er eine Differenz des jährlichen Selbstbehalts von 1.600 Euro. Von der Summe setzte er 80% an, mithin 1.636,83 Euro, und addierte 19% Mehrwertsteuer, was eine Bruttovergütung von 1.947,82 Euro ergab.
Die Klägerin hat den Beklagten auf Rückzahlung des von ihr gezahlten Honorars von 1.947,82 Euro und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, jeweils nebst Zinsen, in Anspruch genommen und im Rechtsstreit den Widerruf der Honorarvereinbarung erklärt.
Amtsgericht und Berufungsgericht haben den Zahlungsanspruch der Klägerin als begründet angesehen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage weiter.
Mit Beschluss vom 05.02.2024 hat das Berufungsgericht den BGH als zur Verhandlung und Entscheidung über die Revision zuständiges Gericht bestimmt.
Der BGH hat entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Rückzahlung des von ihr an den Beklagten geleisteten Honorars aus § 357 Abs. 1 BGB wegen wirksam erklärten Widerrufs zusteht.
Die am 20.02.2018 geschlossene Honorarvereinbarung sei nicht wirksam gemäß § 312g BGB widerrufen worden. Die Anwendung dieser Vorschrift auf den Versicherungsvermittlungsvertrag sei gemäß § 312 Abs. 6 BGB ausgeschlossen.
Nach § 312 Abs. 1 BGB sind die Vorschriften über Anwendungsbereich und Grundsätze bei Verbraucherverträgen (§§ 312, 312a BGB) sowie über außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge (§§ 312b bis 312h BGB) – also auch die Regelung über das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB – auf Verbraucherverträge anzuwenden, bei denen sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet. Abweichend davon sind nach § 312 Abs. 6 BGB auf Verträge über Versicherungen sowie auf Verträge über deren Vermittlung nur § 312a Abs. 3, 4 und 6 BGB anzuwenden, die allerdings kein Widerrufsrecht vorsehen.
Der Beklagte war laut BGH als Versicherungsmakler nach § 59 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, Abs. 3 VVG für die Klägerin tätig. Er hat für die Klägerin aufgrund der Honorarvereinbarung ein konkretes Angebot zum Abschluss eines geänderten Krankenversicherungsvertrags eingeholt. Es handelte sich bei der Honorarvereinbarung also um einen Versicherungsvermittlungsvertrag.
Zentrale Aussage des BGH dazu ist, dass kein Bedürfnis für eine richtlinienkonforme Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 312 Abs. 6 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge bestehe.
Gemäß RL 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher bestehe eine unionsrechtliche Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, ein Widerrufsrecht für im Fernabsatz geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge vorzusehen, weil Finanzdienstleistung gemäß Art. 2 Buchst. b der RL 2002/65/EG (…) jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer (…) Versicherung (…), also auch die Vermittlungsleistung, sei.
Der deutsche Gesetzgeber habe sich aber für eine Umsetzung dieser Vorgaben im Versicherungsvertragsgesetz entschieden. Der BGH beruft sich auf die Begründung des Regierungsentwurfs, gemäß dem Versicherungs- und Versicherungsvermittlungsverträge vor dem Hintergrund der umfassenden Regelung im Versicherungsvertragsgesetz aus den fernabsatzrechtlichen Bestimmungen im allgemeinen Schuldrecht ausgenommen (vgl. BT-Drs. 15/2946, S. 16) wurden, weil eine geschlossene Regelung im Versicherungsvertragsrecht sachgerechter erschien. In der Entwurfsbegründung werde außerdem dargelegt, dass das von der RL 2002/65/EG geforderte Schutzniveau nicht notwendigerweise im Rahmen der (damaligen) §§ 312b bis 312f BGB geschaffen werden musste (vgl. BT-Drs. 15/2946, S. 18, zu § 312b Abs. 1 und 3 Nr. 3 BGB-E; ebenso S. 29 zu den Änderungen im VVG).
Zweites Argument des BGH ist, dass für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge ohnehin keine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten bestehe, ein Widerrufsrecht des Verbrauchers vorzusehen.
Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 312 Abs. 6 BGB für Versicherungsvermittlerverträge sei deshalb nicht notwendig.
Weitere von der Klägerin vorgebrachte Widerrufsrechte seien nicht einschlägig.
Das angefochtene Urteil wurde deshalb vom BGH aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache sei nicht zur Endentscheidung reif (vgl. dazu die Ausführungen unter E.).


C.
Kontext der Entscheidung
Die hier getroffene Entscheidung des BGH bezieht sich auf die Frage, ob für einen Versicherungsvermittlervertrag, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde, ein Widerrufsrecht gemäß § 312g BGB besteht. Dies wird folgerichtig vom BGH abgelehnt, da gemäß § 312 Abs. 6 BGB die Vorschrift bei Versicherungen sowie auf Verträge über deren Vermittlung nur spezifische Regelungen als anwendbar vorsieht, jedenfalls aber nicht das Widerrufsrecht gemäß § 312g BGB. Für den vorliegenden Fall besteht auch kein Bedürfnis einer anderen Auslegung, da Europarecht ein Widerrufsrecht für Versicherungsvermittlungsverträge nur für im Fernabsatz geschlossene Verträge anordnet; der hiesige Vertrag wurde aber nicht im Fernabsatz geschlossen.
Nicht vollständig nachvollziehbar sind aber die weiteren Ausführungen des BGH: „Aufgrund der Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher besteht eine unionsrechtliche Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, ein Widerrufsrecht für im Fernabsatz geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge vorzusehen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Verpflichtung im Versicherungsvertragsgesetz umgesetzt.“
Verwiesen wird insoweit auf § 8 VVG. Der deutsche Gesetzgeber hat in Umsetzung der Richtlinie jedem Versicherungsnehmer – also nicht nur Verbrauchern – das Recht eingeräumt, seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 VVG) bzw. bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen (§ 152 VVG) zu widerrufen. Dieses Recht steht dem Versicherungsnehmer unabhängig vom Vertriebsweg zu. Das Widerrufsrecht besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 VVG aber ausschließlich für die auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags gerichtete Vertragserklärung. Auf einen Versicherungsmaklervertrag ist § 8 VVG vom Wortlaut sowie Sinn und Zweck aber nicht anwendbar.
Der BGH erkennt hier auch eindeutig die Problematik des nicht im VVG geregelten Widerrufsrechts für Versicherungsvermittlerverträge und den Widerspruch zur RL 2002/65/EG, da auf die einschlägige Rechtsprechung und Literatur verwiesen wird (vgl. LG Fulda, Urt. v. 09.12.2016 - 1 S 70/16 Rn. 2 und 23; Schimikowski, RuS 2020, 606, 608; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 312 Rn. 29). Jedoch äußert sich der BGH zu dieser Frage nicht konkret.
Die fehlende Umsetzung der RL 2002/65/EG im BGB und VVG mag als unproblematisch angesehen werden, soweit Bruttopolicen vermittelt werden, also ausschließlich der Versicherer für die Vermittlung des Versicherungsvertrages eine Provision zahlt und gemäß Schicksalsteilungsgrundsatz bei Widerruf des Versicherungsvertrages auch kein Vermittlungsentgelt abgerechnet wird.
Anders ist das aber – wie vorliegend – bei der Vermittlung einer Police über Honorarvereinbarung (unklar ist hier, ob daneben vom Beklagten auch noch Provisionen über den Versicherer eingezogen wurden, da eine Bruttopolice vermittelt wurde. Dies wäre vom LG Traunstein bei Prüfung der Angemessenheit der Honorarvereinbarung im Rahmen der Zurückverweisung noch zu klären).
Für diesen Fall sollte eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung erfolgen.
Eine solche würde eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraussetzen. Eine solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richtlinienkonform, aber fehlerhaft ist.
Eine solche wird richtigerweise in der Rechtsprechung und im Schrifttum für im Fernabsatz geschlossene Versicherungsvermittlerverträge befürwortet (vgl. oben).
Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der BGH sich im Rahmen des obiter dictums (in dem der BGH ausschließlich zur Preisberechnung ausführt) auch dazu geäußert hätte. Der rechtssichere Rahmen für die Vereinbarung von Nettopolicen könnte diesen einen Aufschwung verschaffen und insgesamt das Wettbewerbsumfeld verändern.
Sollte der BGH erneut über die Fragestellung entscheiden und insoweit eine Notwendigkeit der Rechtsfortbildung im Rahmen des Widerrufs von im Fernabsatz geschlossenen Versicherungsvermittlungsverträgen bejahen (im Gegensatz zu dem hier in Frage stehenden Widerrufsgrund „nicht in einem Geschäftsraum abgeschlossener Vertrag“), deutet die Begründung der Kammer darauf hin, dass sie eine Rechtsfortbildung anhand von § 8 VVG vornehmen wird. Dies kann auf Basis der derzeitigen Gesetzeslage auch als folgerichtig angesehen werden, da die Einführung des Widerrufsrechts nach § 8 VVG (auch) der Umsetzung von Art. 6 RL 2002/65/EG diente. Wie eine Rechtsfortbildung dann konkret ausgestaltet wäre, also z.B. ob das 30-tägige Widerrufsrecht bei Vermittlung einer Lebensversicherung dann auch für den Versicherungsvermittlervertrag Anwendung finden würde und wann die Widerrufsfrist konkret beginnen würde, wäre allerdings noch zu klären.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der BGH hat klargestellt, dass eine Rechtsfortbildung des § 312 Abs. 6 BGB auf Versicherungs- und Vermittlerverträge ausscheidet, da insoweit nur das VVG Anwendung finden soll.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH hat in diesem Zusammenhang auf einige weitere interessante Aspekte im Rahmen der Maklerhonorarvereinbarung hingewiesen:
Die Honorarvereinbarung zwischen dem Beklagten und der Klägerin sei laut BGH nicht als Vertrag über eine unerlaubte Rechtsdienstleistung nach § 134 BGB, § 3 RDG unwirksam, da die Überprüfung der Verträge nach § 5 Abs. 1 RDG im Verhältnis zu der Maklerleistung als Hauptleistung dem Inhalt und Umfang nach eine Nebenleistung darstelle und damit zum Berufsbild des Versicherungsmaklers gehöre. Der BGH legt damit den Anwendungsbereich des § 5 RDG (im Gegensatz zu Stimmen in der Literatur) weit aus.
Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Honorarvereinbarung sieht es der BGH als unschädlich an, dass der Beklagte möglicherweise auch vom Versicherer Provisionen als Bestandsbetreuer erhält, soweit sich der Wortlaut der Honorarvereinbarung eindeutig nur auf den Tarifwechsel bezieht.
Der BGH weist außerdem im Sinne eines obiter dictum darauf hin, dass der Beklagte jedenfalls keinen Anspruch auf die volle Vergütung aus der Honorarvereinbarung haben könne, weil seine zur Untermauerung der Honorarberechnung im Prozess vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zwar einbezogen, die Regelung zur Vergütungsberechnung aber wegen Intransparenz unwirksam sei.



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