juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 27.06.2024 - I ZR 98/23
Autor:Dr. Christian Triebe, RA, FA für Gewerblichen Rechtsschutz und FA für Urheber- und Medienrecht
Erscheinungsdatum:22.08.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 8b UWG 2004, § 5 UWG 2004, § 5a UWG 2004, 2004 Anhang UWG, EURL 2024/825, EGRL 29/2005, EURL 83/2011
Fundstelle:jurisPR-WettbR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Jörn Feddersen, RiBGH
Zitiervorschlag:Triebe, jurisPR-WettbR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Umweltbezogene Werbeangaben müssen bereits in der Werbung eindeutig und klar erläutert werden („klimaneutral“)



Leitsätze

1. Für die Frage, ob eine Werbung mit Umweltschutzbegriffen (hier: „klimaneutral“) und -zeichen irreführend ist, gelten - wie für gesundheitsbezogene Werbung - strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen (Fortführung von BGH, Urt. v. 20.10.1988 - I ZR 219/87 Rn. 14 „Umweltengel“ - BGHZ 105, 277; BGH, Urt. v. 20.10.1988 - I ZR 238/87 Rn. 26 „Aus Altpapier“ - GRUR 1991, 546 - WRP 1989, 163; BGH, Urt. v. 04.10.1990 - I ZR 39/89 Rn. 13 „Zaunlasur“ - GRUR 1991, 550 - WRP 1991, 159; BGH, Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 213/93 Rn. 33 f. „Umweltfreundliches Bauen“ - GRUR 1996, 367; BGH, Urt. v. 23.05.1996 - I ZR 76/94 Rn. 17 „PVC-frei“ - GRUR 1996, 985 - WRP 1996, 1156).
2. Aus dem gesteigerten Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt umweltbezogener Angaben folgt, dass an die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise strenge Anforderungen zu stellen sind. Diese Anforderungen werden bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, regelmäßig nur dann erfüllt sein, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist.
3. Eine Erläuterung in der Werbung selbst ist bei der Verwendung des Begriffs „klimaneutral“, der sowohl die Vermeidung von CO2-Emissionen als auch die CO2-Kompensation umfasst, insbesondere deshalb erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität sind. Vielmehr gilt der Grundsatz des Vorrangs der Reduktion gegenüber der Kompensation.



A.
Problemstellung
Endlich ist die langersehnte Entscheidung des BGH zur Werbung mit der Aussage „klimaneutral“ veröffentlicht worden. Zuvor sind bereits zahlreiche Entscheidungen der Instanzgerichte ergangen, die aber kein klares Bild der Verkehrsauffassung in Bezug auf die Werbung mit umweltbezogenen Aussagen, hier insbesondere mit der Aussage „klimaneutral“, ergeben haben. Die ergangene Entscheidung ist auf den ersten Blick angesichts der statuierten strengen Maßstäbe an die umweltbezogene Werbung überraschend, auf den zweiten Blick aber nur konsequent.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte produziert Süßwaren aus Fruchtgummi und Lakritz. Zur Bewerbung ihrer Produkte schaltete sie in einem Fachmedium eine Werbeanzeige, die zum einen die Aussage: „Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“ enthielt sowie zum anderen ein Label mit den Wörtern „Klimaneutral“ und „Produkt“ sowie die Angabe der Internetadresse eines „Klima-Partners“ sowie einen QR-Code, die jeweils zur Internetseite des „Klima-Partners“ mit Informationen zu der beworbenen Klimaneutralität führten. Die Beklagte unterstützte Klimaprojekte des „Klima-Partners“, wodurch die bei der Produktion der Produkte der Beklagten angefallenen CO2-Emmissionen laut der Beklagten zumindest teilweise bilanziell kompensiert wurden.
Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., die in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände gemäß § 8b UWG eingetragen ist. Sie beanstandete die gegenständliche Werbung der Beklagten mit der Angabe „klimaneutral“ als unlauter sowohl unter dem Gesichtspunkt der Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG als auch des Vorenthaltens wesentlicher Informationen gemäß § 5a Abs. 1 UWG. Der Verkehr verstehe die Werbung der Beklagten dahin gehend, dass die Herstellung ihrer Produkte emmissionsfrei verlaufe, während die Beklagte allenfalls – bestrittene – Kompensationszahlungen leiste. Hierauf hätte in der Werbeanzeige selbst hingewiesen werden müssen, der Verweis auf die Internetseite des „Klima-Partners“ reiche nicht aus.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung und Zahlung einer Abmahnkostenpauschale in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Kleve, Urt. v. 22.06.2022 - 8 O 44/21 - GRUR-RS 2022, 16689). Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.07.2023 - 20 U 152/22 „schmeckt auch unserem Klima“ - WRP 2023, 1123). Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt worden (BGH, Urt. v. 27.06.2024 - I ZR 98/23 - WRP 2024, 928 „klimaneutral“).
Der BGH lässt im Ergebnis offen, ob der Unterlassungsanspruch auch wegen einer Verletzung einer Informationspflicht gemäß § 5a Abs. 1 UWG begründet sei, weil nach seiner Auffassung bereits eine Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 UWG vorliege. Eine irreführende Werbung liege gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG auch bei zur Täuschung geeigneten Angaben über wesentliche Merkmale der beworbenen Ware vor, wie dem Herstellungsverfahren und seinen Auswirkungen auf die Umwelt sowie zu Maßnahmen, mit denen solche Auswirkungen ganz oder teilweise kompensiert werden.
Das Berufungsgericht habe in seinem Urteil zum einen nicht berücksichtigt, dass für die Beurteilung umweltbezogener Werbeaussagen besondere rechtliche Maßstäbe gelten, und zum anderen aufgrund einer fehlenden Berücksichtigung des Verwendungskontexts der Werbeangaben die Verkehrsauffassung fehlerhaft bestimmt.
Sodann führt der BGH aus, dass nach seiner Rechtsprechung die strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage bei der gesundheitsbezogenen Werbung (BGH, Urt. v. 06.02.2013 - I ZR 62/11 - WRP 2013, 772 „Basisinsulin mit Gewichtsvorteil“) auch für die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen gelten (BGH, Urt. v. 20.10.1988 - I ZR 219/87 - MDR 1989, 326 „Umweltengel“; BGH, Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 213/93 - WRP 1996, 290 „Umweltfreundliches Bauen“). Denn auch die Werbung mit umweltbezogenen Angaben sei besonders geeignet, emotionale Bereiche im Menschen anzusprechen. Zudem bestünden häufig Unklarheiten über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe, wie „umweltfreundlich“ oder „bio“. Zumeist seien die beworbenen Produkte nur in Teilbereichen umweltschonend und das breite Publikum weise nur einen geringen sachlichen Wissensstand über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen auf. Daraus folge, dass hier die Irreführungsgefahr besonders groß sei und ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen bestehe. Schließlich sei auch der allgemeine Grundsatz zu berücksichtigen, dass der Werbende im Fall der Mehrdeutigkeit seiner Werbeaussage die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen müsse (BGH, Urt. v. 08.03.2012 - I ZR 202/10 - WRP 2012, 1216 „Marktführer Sport“).
Das Berufungsgericht habe verkannt, dass diese Anforderungen nur dann erfüllt seien, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert werde, welche konkrete Bedeutung maßgeblich sei. Im vorliegenden Streitfall sei eine Erläuterung zur Aufklärung erforderlich, da die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität darstellten. Vielmehr sei die Reduktion von CO2 gegenüber der CO2-Kompensation vorrangig.
Darüber hinaus habe das Berufungsgericht den Wortlaut der angegriffenen Angabe und den Kontext des beanstandeten Labels rechtsfehlerhaft nicht hinreichend beachtet und insoweit die Verkehrsanschauung unzutreffend beurteilt. Zwar sei das Berufungsgericht noch zutreffend von einer Mehrdeutigkeit der Aussage ausgegangen und habe dabei die Kenntnis des Durchschnittsverbrauchers angenommen, dass eine Klimaneutralität in der Praxis sowohl durch Vermeidung von Emissionen als auch durch Kompensationsmaßnahmen, wie durch Zertifikatehandel, erreicht werden könne. Jedoch habe das Berufungsgericht den Verwendungskontext des Begriffs „klimaneutral“ in der Anzeige unberücksichtigt gelassen. Die Angabe („Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral“) sei von der Beklagten nicht auf ihr Unternehmen, sondern ausdrücklich auf die Produktion ihrer Produkte bezogen worden. Aus dem ebenfalls streitgegenständlichen Label in der Anzeige mit dem Hinweis auf die Internetseite des „Klima-Partners“ der Beklagten ergebe sich nichts anderes. Denn im Rahmen des Irreführungstatbestands nach § 5 Abs. 1 UWG komme es weder darauf an, ob sich (erst) auf der verlinkten Internetseite des „Klima-Partners“ weitere aufklärende Hinweise finden würden, noch, ob räumliche Beschränkungen des Kommunikationsmittels i.S.d. § 5a Abs. 1 UWG, wie hier nicht, bestanden hätten (EuGH, Urt. v. 26.10.2016 - C-611/14 - WRP 2017, 31 „Canal Digital Danmark“).


C.
Kontext der Entscheidung
Werbung mit umweltbezogenen Angaben ist nicht neu. Der BGH führt in seinem Urteil selbst aus, dass er bereits seit Ende der 1980er Jahre davon ausgehe, dass der Verkehr infolge eines verstärkten Umweltbewusstseins vielfach Waren (Leistungen) bevorzuge, auf deren besondere Umweltverträglichkeit hingewiesen wird, und nimmt auf seine diesbezügliche Rechtsprechung Bezug. Danach ist die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen ähnlich wie die Gesundheitswerbung grundsätzlich nach strengen Maßstäben zu beurteilen (BGH, Urt. v. 20.10.1988 - I ZR 219/87 - MDR 1989, 326 „Umweltengel“; BGH, Urt. v. 20.10.1988 - I ZR 238/87 - WRP 1989, 163 „Aus Altpapier“; BGH, Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 213/93 - WRP 1996, 290 „Umweltfreundliches Bauen“; BGH, Urt. v. 26.10.2006 - I ZR 33/04 - WRP 2007, 303 „Regenwaldprojekt I“; BGH, Urt. v. 26.10.2006 - I ZR 97/04 - WRP 2007, 308 „Regenwaldprojekt II“).
Diese Grundsätze wurden im Folgenden von der Instanzrechtsprechung in unterschiedlicher Weise angewendet. Weitgehend Einigkeit bestand darin, dass Werbung mit konturlosen umweltbezogenen Begriffen, wie „umweltfreundlich“ und „nachhaltig“, irreführend i.S.v. § 5 Abs. 1 UWG ist, wenn ihr keine hinreichenden aufklärenden Hinweise und Erläuterungen beigefügt werden. Uneinheitlich war hingegen die Beurteilung des Verkehrsverständnisses bei Angaben im Zusammenhang mit Treibhausgasemissionen, insbesondere der Aussage „klimaneutral“, wie auch die Entscheidungen der Vorinstanzen in dem vorliegenden Verfahren zeigen (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.07.2023 - 20 U 72/22 „klimaneutrale Marmelade“ - WRP 2023, 1120; OLG Bremen, Urt. v. 23.12.2022 - 2 U 103/22 „nachhaltiger Kräutertee“ - GRUR-RS 2022, 48469; OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022 - 6 U 104/22 „Klimaneutral“ - WRP 2023, 211; OLG Schleswig, Urt. v. 30.06.2022 - 6 U 46/21 „Klimaneutrale Müllbeutel II“ - WRP 2022, 1177; OLG Hamm, Urt. v. 19.08.2021 - 4 U 57/21 „CO2 Reduziert“ - K&R 2021, 828; OLG Hamburg, Urt. v. 02.05.2007 - 5 U 85/06 „schnell biologisch abbaubar“ - OLGR Hamburg 2008, 583-587; LG München, Urt. v. 08.12.2023 - 37 O 2041/23 „Wunderbraeu“ - WRP 2024, 405; LG Karlsruhe, Urt. v. 26.07.2023 - 13 O 46/22 KfH „Umweltneutrales Produkt“ - GRUR-RS 2023, 18341; LG Düsseldorf, Urt. v. 24.03.2023 - 38 O 92/22 „CO2-kompensiertes Heizöl“ - GRUR-RS 2023, 9097; LG Stuttgart, Urt. v. 30.12.2022 - 53 O 169/22 „klimaneutrales Unternehmen“ - GRUR-RS 2022, 39172; LG Oldenburg, Urt. v. 16.12.2021 - 15 O 1469/21 „klimaneutrales Fleisch“ - WRP 2022, 378; LG Konstanz, Urt. v. 19.11.2021 - 7 O 6/21 KfH „Klimaneutrales Heizöl“ - CB 2022, 359). Daher wurde die Entscheidung des BGH i.S.d. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit allseits herbeigesehnt.
In seiner vorliegenden Entscheidung postuliert der BGH nunmehr ausdrücklich ein „Strengeprinzip“ im Bereich der umweltbezogenen Werbung, ähnlich wie bei der gesundheitsbezogenen Werbung, was indes nicht ohne Kritik bleibt (Peifer, GRUR 2024, 1127; Büscher, GRUR 2024, 349). Im Ergebnis nimmt der BGH damit aber nur die Entwicklungen auf europäischer Ebene vorweg, die durch den bereits 2019 verkündeten europäischen Grünen Deal vorgezeichnet sind (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Der europäische Grüne Deal, COM(2019) 640 final).
Die Kommission hat darin angekündigt, dass sie ihre regulatorischen und nicht regulatorischen Bemühungen verstärken werde, um gegen unzutreffende umweltbezogene Angaben vorzugehen. Verlässliche, vergleichbare und überprüfbare Informationen seien laut der Kommission wichtig, um Verbraucher in die Lage zu versetzen, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen, und verringerten das Risiko der „Grünfärberei“ („Greenwashing“). Laut einer Studie der Kommission aus dem Jahr 2020 sind 53,3 % der überprüften Umweltaussagen vage, irreführend oder unfundiert und 40 % gar nicht belegt.
Zur Umsetzung des europäischen Grünen Deals ist am 26.03.2024 die EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel in Kraft getreten, die bis zum 27.09.2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss (auch als „Empowering Consumer Directive/EmpCo-RL“ bezeichnet – Richtlinie (EU) 2024/825 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Februar 2024 zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen). Neben neuen Definitionen für die Begriffe „Umweltaussage“, „allgemeine Umweltaussage“ und „Nachhaltigkeitssiegel“ sieht die Richtlinie ein Verbot allgemeiner Umweltaussagen ohne eine anerkannte hervorragende Umweltleistung, auf die sich die Aussage bezieht, vor (wie „umweltfreundlich“, „umweltschonend“, „grün“, „naturfreundlich“, „ökologisch“, „umweltgerecht“, „klimafreundlich“, „umweltverträglich“, „CO2-freundlich“, „energieeffizient“ „biologisch abbaubar“, „biobasiert“). Ebenso sollen Aussagen verboten werden, die sich auf der Kompensation von Treibhausgasemissionen begründen und wonach ein Produkt, also entweder eine Ware oder eine Dienstleistung, hinsichtlich der Treibhausgasemissionen neutrale, verringerte oder positive Auswirkungen auf die Umwelt hat. Beispiele solcher Aussagen wie „klimaneutral“, „zertifiziert CO2-neutral“, „CO2-positiv“, „mit Klimaausgleich“, „klimaschonend“ und „mit reduziertem CO2-Fußabdruck“ sollen nur zulässig sein, wenn sie auf den tatsächlichen Auswirkungen auf den Lebenszyklus des betreffenden Produkts beruhen und sich nicht auf die Kompensation von Treibhausgasemissionen außerhalb der Wertschöpfungskette des Produkts beziehen. Ferner wird hier ausdrücklich klargestellt, dass Maßnahmen mit tatsächlichen Auswirkungen auf den Lebenszyklus eines Produkts und die bloße Kompensation von Treibhausgasemissionen nicht gleichwertig sind. Inhaltlich entspricht dies im Übrigen dem dritten Leitsatz des BGH zum Vorrang der Reduktion gegenüber der Kompensation.
Darüber hinaus hat die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat am 23.03.2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation („Richtlinie über Umweltaussagen“, COM (2023) 166 final, auch „Green Claims-Richtlinie“) vorgelegt. Der Rat hat im Juni 2024 seinen Standpunkt festgelegt. Nach diesem Vorschlag müssen Unternehmen und Gewerbetreibende freiwillige Aussagen über Umwelteigenschaften ihrer Produkte oder ihrer Organisationen auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse nachweisen, wobei jede Umweltaussage von unabhängigen externen Sachverständigen überprüft werden muss, bevor sie veröffentlicht werden darf. Auch sieht der Entwurf neue Anforderungen für den Nachweis klimabezogener Aussagen vor, beispielsweise die Pflicht zur Bereitstellung von Informationen über die Art, Menge und Dauer der CO2-Gutschriften. Im Fall von Aussagen über eine Kompensation müssen die Unternehmen ein Netto-Null-Ziel und Fortschritte bei der Dekarbonisierung sowie den Prozentsatz der gesamten ausgeglichenen Treibhausgasemissionen nachweisen.
Die anstehenden Entwicklungen auf europäischer Ebene zeigen, dass der BGH mit den in seiner Entscheidung an umweltbezogene Werbeaussagen gestellten Anforderungen, die strenger sind als die eines Großteils der bisherigen Instanzrechtsprechung, lediglich bereits jetzt die Maßstäbe angelegt hat, die in naher Zukunft ohnehin gelten werden. Es mag daher Kritik geäußert werden, dass der BGH das Strengeprinzip aus der gesundheitsbezogenen Werbung trotz nicht zu bestreitender Unterschiede nunmehr auch auf die umweltbezogene Werbung anwendet und sogar erweiterte Aufklärungspflichten direkt in der Werbung konstituiert. Eine zwingende Notwendigkeit für solche weitreichenden Feststellungen hätte es in dem vorliegenden Verfahren nicht unbedingt gegeben, da nach dem Sachverhalt ein inhaltlicher Bezug der Aussage auf die Produktion des Produkts klar war. Erfreulicherweise hat der BGH jedoch die Möglichkeit genutzt, um angesichts der divergierenden Instanzrechtsprechung Rechtssicherheit zu schaffen, auch wenn sie nicht jedermann gefallen dürfte.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die vom BGH geschaffene Rechtssicherheit bei der Werbung mit umweltbezogenen Aussagen ist zu begrüßen. Angesichts der zunehmend in Mode gekommenen Werbung mit substanzlosen Umweltbegriffen werden somit ernsthafte Bemühungen von Unternehmen, die sich in vielfältiger Weise und mit einem nicht unerheblichen Zeit- und Kostenaufwand für eine Verbesserung ihrer Klimabilanz einsetzen, anerkannt und gleichzeitig Trittbrettfahrern Einhalt geboten. Es bleibt abzuwarten, ob die strengen Anforderungen an die Werbung, die in Deutschland voraussichtlich durch eine Ergänzung der bewährten Tatbestände der §§ 5, 5a UWG und der Schwarzen Liste im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG umgesetzt werden, tatsächlich zu einem besseren Informationsniveau der Verbraucher führen oder nicht vielmehr zu einem Rückgang von öffentlich zugänglichen Informationen zu umweltbezogenen Aspekten von Produkten und Unternehmen (sog. „Green Hushing“, vgl. Peifer, GRUR 2024, 1127). Die werbenden Unternehmen sind angesichts der kommenden umfassenden Nachweispflichten jedenfalls gut beraten, die umweltbezogenen Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung sorgfältig zu dokumentieren und wissenschaftlich zu begründen, wenn sie diese zukünftig zur Erzielung eines Wettbewerbsvorteils werblich nutzen wollen. Wie die Praxis damit umgehen wird, wird sich zeigen müssen.



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