Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte bestellte die Klägerin zur betrieblichen Datenschutzbeauftragten, nach § 38 Abs. 1 BDSG war sie zur Benennung eines Datenschutzbeauftragten verpflichtet. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich, zur Wirksamkeit der Kündigung berief sie sich auf eine Umstrukturierungsmaßnahme, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für die Klägerin geführt habe.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht, diese verstoße insbesondere gegen § 38 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG. Die Beklagte macht geltend, diese nationale Regelung verstoße gegen Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO, durch den dreifachen Schutz des Datenschutzbeauftragten sowohl gegen Benachteiligung, seine Abberufung als auch gegen eine ordentliche Kündigung werde unzulässig in ihre Grundrechte aus den Art. 12 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG eingegriffen.
Der Senat hat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um eine Vorabentscheidung gebeten, ob Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO der Regelung in § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG entgegensteht. Hierzu ist das Urteil des EuGH vom 22.06.2022 (C-534/20 „Leistritz“) ergangen.
Das BAG hat die Revision der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung sei gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG, § 134 BGB nichtig. Der Klägerin konnte als zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs verpflichtend bestellte Datenschutzbeauftragte der Beklagten nur außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden; der durch das BDSG normierte Sonderkündigungsschutz des betrieblichen Datenschutzbeauftragten sei mit Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht vereinbar.
Dem durch § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG bewirkten Sonderkündigungsschutz des betrieblichen Datenschutzbeauftragten stehe Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO, der nur ein Abberufungs- und Benachteiligungsverbot des Datenschutzbeauftragten „wegen der Erfüllung seiner Aufgaben“ vorsieht, nicht entgegen. Der EuGH habe mit Urteil vom 22.06.2022 (C-534/20 „Leistritz“) entschieden, dass Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der einem bei einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter beschäftigten Datenschutzbeauftragten nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, auch wenn die Kündigung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhänge, sofern diese Regelung die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigt.
Durch die Kündigungsschutzbestimmungen in § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG werde die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigt. Ziel des Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO sei es nach dem Erwägungsgrund 97 zur DSGVO, dass die Datenschutzbeauftragten unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Beschäftigte des Verantwortlichen handelt oder nicht, ihre Pflichten und Aufgaben in vollständiger Unabhängigkeit „ausüben können sollten“ (EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-534/20 Rn. 26 f. „Leistritz“). Es solle damit im Wesentlichen die funktionelle Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten gewahrt und damit die Wirksamkeit der Bestimmungen der DSGVO gewährleistet werden (vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-534/20 Rn. 28 „Leistritz“). Dabei stehe es jedem Mitgliedstaat frei, in Ausübung seiner vorbehaltenen Zuständigkeit besondere, strengere Vorschriften für die arbeitgeberseitige Kündigung eines Datenschutzbeauftragten vorzusehen, sofern diese mit dem Unionsrecht und insbesondere mit den Bestimmungen der DSGVO, vor allem Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO, vereinbar seien (vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-534/20 Rn. 34 „Leistritz“). Diese führen (insbesondere) dann zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der mit der DSGVO verfolgten Ziele, wenn ein strengerer nationaler Schutz jede durch einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter ausgesprochene Kündigung eines Datenschutzbeauftragten verböte, der nicht mehr die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen beruflichen Eigenschaften besitzt oder seine Aufgaben nicht im Einklang mit der DSGVO erfüllt (vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-534/20 Rn. 35 „Leistritz“). Durch § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG würden diese Ziele der DSGVO jedoch nicht beeinträchtigt, so das BAG. Die Kündigung – wie auch die Abberufung – des Datenschutzbeauftragten sei nach nationalem Recht zwar an besondere Anforderungen geknüpft, da jeweils die Schwelle des „wichtigen Grundes“ erreicht werden müsse. Damit würden die Voraussetzungen, unter denen der Verantwortliche das Arbeitsverhältnis mit einem verpflichtend benannten Datenschutzbeauftragten beenden könne, zwar erhöht, jedoch werde ihm dies weder unmöglich noch unzumutbar erschwert. Insbesondere sei auch nach nationalem Recht nicht „jede“ Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten, der nicht mehr die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen beruflichen Eigenschaften besitzt oder seine Aufgaben nicht im Einklang mit der DSGVO erfüllt (so ausdrücklich vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-534/20 Rn. 35 „Leistritz“), verboten. Die personen- oder verhaltensbedingten Gründe müssten nur die Erheblichkeitsschwelle des „wichtigen Grundes“ erreichen. Die Möglichkeit eines Abberufungsverlangens durch die Aufsichtsbehörden der Länder nach § 40 Abs. 6 Satz 2 BDSG unterstreiche zudem, dass Datenschutzbeauftragte, die ihre Aufgaben nicht im Einklang mit der DSGVO erfüllten, nach nationalem Recht nicht vor jedem Verlust ihrer Rechtsstellung geschützt würden. Zur Sicherung der Ziele der DSGVO werde es im Übrigen in der Regel – neben der Abberufung des Datenschutzbeauftragten – nicht erforderlich sein, dessen Arbeitsverhältnis zu kündigen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten verstoße die normative Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes von betrieblichen Datenschutzbeauftragten auch nicht gegen ihre Grundrechte aus den Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 sowie 3 Abs. 1 GG.
Die grundrechtliche Prüfung der Sonderkündigungsschutznorm für den betrieblichen Datenschutzbeauftragten gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG und ihrer Anwendung sei primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.11.2019 - 1 BvR 16/13 Rn. 42 - BVerfGE 152, 152 „Recht auf Vergessen I“). Es handle sich hierbei um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht. Nach der Rechtsprechung des EuGH bestehe hinsichtlich datenschutzrechtlicher Regelungen und den diese ergänzenden arbeitsrechtlichen Regelungen eine „geteilte Zuständigkeit“ der Union und der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, Urt. v. 22.06.2022 - C-534/20 Rn. 30 ff. „Leistritz“).
In Bezug auf das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG sei schon der Schutzbereich nicht berührt. Die Eigentumsgarantie schütze das Erworbene, also die Ergebnisse geleisteter Arbeit, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, mithin die Betätigung selbst. Da sich die Beklagte gegen Regelungen wendet, die ihre Erwerbs- und Leistungstätigkeit als Unternehmerin beeinträchtigen (können), sei allein der Schutzbereich der Berufsfreiheit berührt (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.07.2008 - 1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08, 1 BvR 906/08 - BVerfGE 121, 317). Hinsichtlich des Eingriffs in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG sei die gesetzliche Regelung gemessen an der Regelungsabsicht eine geeignete, erforderliche wie auch angemessene Einschränkung der Berufsfreiheit, die im Wesentlichen dem Sonderkündigungsschutz für Betriebsräte (§ 15 Abs. 1 KSchG) oder Immissionsschutzbeauftragte (§ 58 Abs. 2 BImSchG) entspreche. Durch den Sonderkündigungsschutz werde der Datenschutzbeauftragte vor einem Arbeitsplatzverlust bewahrt, der ihm – und sei es in verschleierter Form – wegen der Ausübung seiner Tätigkeit drohen könne. Durch den besonderen Kündigungsschutz werde seine Unabhängigkeit bei der Erledigung der gesetzlichen Aufgaben geschützt, was der Durchsetzung der Ziele des BDSG und der DSGVO zugutekomme. Eine solche Sicherstellung der Amtsausübung halte sich jedenfalls im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative. Der Gesetzgeber habe sich mit der Frage der Erforderlichkeit des Sonderkündigungsschutzes für Datenschutzbeauftragte ausdrücklich beschäftigt und angenommen, dass sich das bis zum Jahr 2009 bestehende gesetzliche Benachteiligungsverbot sowie die erschwerte Möglichkeit der Abberufung des Datenschutzbeauftragten als in der Praxis nicht ausreichend erwiesen habe, vor allem dann, wenn die Aufgabe des Datenschutzbeauftragten – was der Regelfall sei – nur als Teilaufgabe wahrgenommen werde (vgl.
BT-Drs. 16/12011, S. 30). Der Sonderkündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar sei der Eingriff in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Beklagten, in ihrem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die ihren Vorstellungen entsprechen, und deren Zahl auf das von ihr bestimmte Maß zu beschränken, durchaus erheblich. Dem stünden aber die vom Gesetzgeber als besonders wichtig angesehenen Ziele des Datenschutzes gegenüber, dessen Effizienz von einem unabhängigen Datenschutzbeauftragten besonders gefördert werden könne. Darüber hinaus habe sich die Beklagte freiwillig dafür entschieden, ihre gesetzlichen Aufgaben auf einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu übertragen, dessen Arbeitsverhältnis während dieser Zeit einem besonderen Kündigungsschutz unterliege. Der Gesetzgeber habe mit dem Kündigungsschutz aus § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG schließlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen, der angegriffene Kündigungsschutz sei mit demjenigen von Betriebsräten und Immissionsschutzbeauftragten wesentlich gleich.